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...nicht immer - aber manchmal doch!

Brandon Q. Morris - Die letzte Kosmonautin


einz1975

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Es gibt einige herausragende Science-Fiction-Werke aus der DDR, aber Science-Fiction-Geschichten über die DDR sind eher selten. Wir schreiben das Jahr 2029, und der 80. Jahrestag der Gründung der DDR steht bevor. Als großes Highlight soll auf der Raumstation "Völkerfreundschaft" ein Stern zum Leuchten gebracht werden, um der Welt die Stärke dieses kleinen Landes zu demonstrieren. An Bord befindet sich eine Kosmonautin, die bereits jetzt Geschichte schreibt. Doch kurz nach den Feierlichkeiten bricht plötzlich der Kontakt zur Bodenstation auf unerklärliche Weise ab. Ein Volkspolizist könnte ihre letzte Rettung sein, doch auch er schwebt in höchster Gefahr. Um ihr zu helfen, muss er sich in das geheimnisvolle Sperrgebiet der DDR begeben – die Lausitz.

Sowohl der Polizist als auch die Kosmonautin werden abwechselnd über einen längeren Zeitraum begleitet. Während die Handlung im Erdorbit stark an klassische Science-Fiction erinnert, entwickelt sich die Geschichte am Boden zu einem Krimi: Ein vermisster Wissenschaftler, das Auftauchen einer alten Freundin und die Suche in einem gefährlich mysteriösen Gebiet. Unweigerlich dachte ich sofort an "Stalker" von den Strugazki-Brüdern, denn auch hier gibt es unglaubliche Phänomene, die sich kaum erklären lassen. Wie der Autor, musste auch ich an viele Momente meiner Jugend zurückdenken. Obwohl sich die DDR in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt hat, existieren die Stasi und die Partei immer noch.

Dafür gibt es jetzt Handys, Computer und die erwähnte Raumstation. Es war überraschend, die Lausitz als Schauplatz der Handlung zu erleben. Wer selbst einmal dort gelebt hat, kann sich die Szenen umso lebendiger und klarer vorstellen. Allerdings muss ich gestehen, dass mir der anfangs sehr übereifrige Abschnittsbevollmächtigte Tobias Wagner nicht sonderlich ans Herz gewachsen ist. Sein Wandel von der routinierten Polizeiarbeit hin zum Abenteuer ist meiner Meinung nach nicht überzeugend genug beschrieben. Die Darstellung der Kosmonautin Mandy Neumann hingegen zeigt, dass der Autor ein äußerst gutes Gespür für Spannung und Timing hat.

Die Ein- und Ausstiege ins All sowie die Bemühungen, Kontakt herzustellen oder am Leben zu bleiben, sind nachvollziehbar und anschaulich dargestellt. Allerdings versinkt das Ende in einem leicht undurchsichtigen Durcheinander, das hektisch wirkt und viele unnötige Sprünge und Umwege beinhaltet. Das eigentliche Geheimnis jedoch ist erstaunlich und trifft den Sci-Fi-Fan genau ins Mark. Da der Autor selbst die DDR erlebt hat, sind viele kleine Anspielungen unausweichlich. Ein Roboter namens Bummi, Egon Krenz als Parteivorsitzender, die Genossen der Stasi, eine Kamera von Carl Zeiss Jena und sogar einige Marken von Getränken und Essen gibt es immer noch – mehr Ostalgie geht kaum.

Fazit:
Ein Picknick am Wegesrand – in der Lausitz. Die DDR und eine Raumstation – das klingt schon nach Science-Fiction. Brandon Q. Morris versucht, das vergessene sozialistische Land von damals wiederzubeleben und in eine aktuelle Zukunft zu versetzen. Die Mischung aus Space Opera und Krimi ist gut gelungen, auch wenn der erste Teil deutlich authentischer wirkt. Die beiden Hauptfiguren sind anfangs sehr unterschiedlich, nähern sich aber im Laufe der Geschichte beide dem Überlebenskampf an. Das Finale nimmt so viel Fahrt auf, dass es fast chaotisch wirkt und die Figuren kaum Schritt halten können. Es gibt einige spannende Sci-Fi-Momente, aber auch sehr banale Zwischenepisoden. Mir persönlich war der trockene Geschmack des Staatsapparats an einigen Stellen zu klischeebelastet, während die Szenen im All hervorragend ausgearbeitet sind. Die überraschende Region und das großartige Geheimnis runden diesen einzigartigen Zukunftsroman ab, auch wenn er nicht durchweg perfekt ist.

Matthias Göbel

Autor: Brandon Q. Morris
Broschur: 416 Seiten
Verlag: Fischer Tor Verlag
Veröffentlichung: 30.03.2022
ISBN: 9783596706754
 

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