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Ursula K. Le Guin - Die linke Hand der Dunkelheit


einz1975

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Das ewige Eis – Der Winterplanet Gethen. Eine abgelegene Welt, so weit entfernt von den anderen Menschenwelten, dass hier eine völlig eigene Gesellschaft entstanden ist. Diese unterscheidet sich nicht nur in ihrer politischen Struktur, sondern auch in ihrem Zusammenleben, ihren Gesetzen und selbst in der Körperlichkeit der Bewohner. Genly Ai, ein terranischer Abgesandter, wurde nach Gethen entsandt, um mit der Obrigkeit in Kontakt zu treten und den Planeten für den Beitritt zum Weltenbund des Ekumen zu gewinnen. Er landet mit seinem Raumschiff am Rand der Hauptstadt und taucht direkt ins Geschehen ein. Dass seine Mission schwierig werden würde, war ihm bewusst, doch was ihn erwartet, geht weit über bloße Ablehnung hinaus. Jeder seiner Schritte könnte sein Vorhaben zum Scheitern bringen, und diejenigen, die sich mit ihm verbünden, setzen ihr eigenes Leben aufs Spiel.

So dramatisch das auch klingen mag, für einige der Beteiligten ist es genau das. Ai selbst berichtet nur nüchtern von seinen Erlebnissen. Es sei gleich vorweggenommen: Ursula K. Le Guin hat hier keine typische Abenteuergeschichte mit einem Helden erschaffen. Stattdessen öffnet sie den Raum für eine tiefgehende Erkundung der Geschlechterrollen und lässt ihren Ideen freien Lauf. Auf Gethen existiert kein eindeutig festgelegtes Geschlecht. Die Menschen entwickeln in bestimmten Phasen entweder männliche oder weibliche Merkmale, doch abgesehen davon unterscheiden sie sich kaum von anderen Menschen. Kriege gibt es auf diesem Planeten nicht, dafür umso mehr Intrigen und gelegentlich auch einen Mord. Science-Fiction-Elemente sind zwar vorhanden, aber die Geschichte bleibt eher bodenständig, denn so richtig taucht man nicht in ein Sternenwelten umfassendes Imperium ein.

Die teils recht belanglosen Ereignisse könnten problemlos in wenigen Zeilen zusammengefasst werden, ohne dass man wesentliche Informationen verliert. Stattdessen werden sie hier unnötig kompliziert und in die Länge gezogen. Man könnte meinen, dies diene der Tiefe der Geschichte, doch auch in dieser Hinsicht muss ich zugeben, dass es bereits weitaus fesselndere Erzählungen gab. Hinzu kommt der Charakter von Ai selbst. Zwar hat die Reise durch die Kontinente einen gewissen Reiz – die Kälte, das Eis, der Schnee, und das Überleben der Einwohner in dieser unwirtlichen Welt klingen interessant. Doch die Geschichte kratzt nur oberflächlich an politischen Themen oder dem gesellschaftlichen Geschlechterkampf. Was in den späten 60er Jahren noch Aufsehen erregt haben mag, wirkt heute in vielerlei Hinsicht wie ein längst gelebtes Leben.

Ein weiterer, für mich eher negativer Aspekt ist die Erzählweise und Satzgestaltung. Umständliche Formulierungen erschweren den Lesefluss und erfordern viel Konzentration, um den Sinn vollständig zu erfassen. Obwohl diese sprachliche Komplexität die Einzigartigkeit des Textes unterstreichen mag, wirkt sie oft hinderlich. Die verstrickte Geschichte und Estravens Kampf, seine Unschuld zu beweisen, hätten einfacher und klarer erzählt werden können. Die kleinen Nebenhandlungen, die das harte Leben auf dem Winterplaneten schildern, erinnern an klassische Geschichten, nur in einer anderen Umgebung – wie etwa verbotene Liebe, die dennoch ihren Weg findet. Was genau der Titel „Die linke Hand der Dunkelheit“ bedeutet, bleibt dem Leser zur Interpretation überlassen. Für mich symbolisiert er den unvermeidlichen Beitritt Gethens zum Weltenbund – mit oder ohne Ais Einfluss wäre dies unausweichlich geschehen.

Fazit:
Am Ende der Dunkelheit kommt immer das Licht! Eine Welt wie den Eisplaneten Gethen hat es zuvor wohl noch nie gegeben – nicht nur wegen seines ewigen Winters, sondern vor allem wegen der außergewöhnlichen Menschen, die sich dort entwickelt haben. Man könnte fast von einer eigenen Rasse sprechen. Genly Ai wäre eine überzeugende Figur, wenn der Text nicht so vertrackt und kompliziert geschrieben wäre. Thematisch reißt Ursula K. Le Guin für damalige Verhältnisse sicher einige Gedankenwelten aus den Fugen. Eine geschlechterlose Gesellschaft oder homosexuelle Partnerschaften waren sicher mehr als ein Affront.Der Leser wird durch eine kalte, eisige Welt geführt, die nicht nur klimatisch, sondern auch politisch und sozial frostig ist. Auf Gethen wird mehr gegeneinander als miteinander gelebt. Für mich ist es leider nicht das Meisterwerk, das es sein soll, eher anspruchsvoll und herausfordernd.

Matthias Göbel

Autorin: Ursula K. Le Guin
Übersetzung: Karen Nölle
Klappenbroschur: 352 Seiten
Verlag: Fischer TOR Verlag
Veröffentlichung: 25.01.2023
Erstveröffentlichung: 1969
ISBN: 9783596707126


 

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