Zum Inhalt springen
...mit Sicherheit ein gutes Gefühl!

einz1975

Empfohlene Beiträge

Menschenmengen sind nicht jedermanns Sache – und für Henry stellen sie eine nahezu unüberwindbare Hürde dar. Er leidet unter einer schweren Form der Agoraphobie, die weit über bloße Panik hinausgeht. Der Gedanke, das Haus zu verlassen, ist für ihn kaum erträglich. Doch trotz dieser Belastung hält seine Ehefrau Lily fest zu ihm. Ihre Beziehung wird auf eine harte Probe gestellt, aber sie gibt ihn nicht auf. Als hochbegabter Robotikingenieur hat Henry den Vorteil, dass er sein Zuhause nur selten verlassen muss. Sein Labor, ein Zufluchtsort und zugleich ein Hort seines Genies, befindet sich direkt auf dem Dachboden. Jede freie Minute verbringt er dort, versunken in die Arbeit an seinem Lebensprojekt. Dieses Projekt ist kein gewöhnliches: Henry hat einen humanoiden Roboter namens William erschaffen, ausgestattet mit einer von ihm selbst entwickelten künstlichen Intelligenz. William ist beeindruckend, sein Intellekt bahnbrechend, und die Art, wie er kommuniziert und interagiert, fasziniert auf den ersten Blick. Doch es liegt eine gewisse Unruhe in der Luft. Etwas an William fühlt sich… falsch an. Diese subtile Unstimmigkeit entgeht auch Henry nicht, doch er schiebt seine Zweifel beiseite – zumindest vorerst.

Henry weiß, dass seine Ehe längst bessere Zeiten gesehen hat. Eine zunehmende emotionale Distanz hat sich zwischen ihm und Lily eingeschlichen. Er hat das Gefühl, keinen Zugang mehr zu ihr zu finden. Die Nachricht von Lilys Schwangerschaft hätte ein Lichtblick sein können, doch in ihm keimen gemischte Gefühle. Gleichzeitig wird er von seltsamen Albträumen geplagt. Immer wieder erscheinen ihm Bilder einer alles verschlingenden Leere und mysteriöse Zitate drängen sich in seinen Kopf: „Das Leben trägt den Tod in sich, und nur der Tod kann neues Leben hervorbringen.“ Solche Gedanken und Träume belasten ihn zunehmend. Es ist spürbar, dass nicht allein seine Angst vor der Außenwelt ihn so eigenartig macht – da ist mehr, etwas Dunkleres, das ihn umtreibt. Henry lebt völlig zurückgezogen, abgesehen von Lily hat er keinerlei soziale Kontakte. Lily hingegen, eine talentierte Programmiererin, hat durch den lukrativen Verkauf ihrer Firma ein finanziell unabhängiges Leben ermöglicht. Sie arbeitet nicht mehr und widmet sich ganz ihrer Familie – und ihrem Versuch, Henry zu unterstützen. Doch wie weit kann Liebe reichen, wenn eine Partnerschaft so stark auf die Probe gestellt wird?

Die erste Hälfte der Geschichte plätschert gemächlich dahin, gespickt mit subtilen Details, die später an Bedeutung gewinnen. Die Spannung nimmt spürbar zu, als Lily eines Tages Freunde zu sich nach Hause einlädt. Für Henry, der keinerlei fremde Menschen in seinem geschützten Raum duldet, ist dies eine enorme Belastung. Er fühlt sich gestresst und bedroht. Während die Gäste eintreffen, hält er sich zunächst im Hintergrund. Doch schließlich entscheidet er sich, William vorzustellen. Die Vorführung ist ein voller Erfolg: Die Gäste sind beeindruckt von Henrys Schöpfung, die sich anfangs von ihrer besten Seite zeigt. William wirkt charmant, zugänglich und nahezu perfekt. Doch die harmonische Stimmung schlägt abrupt um, als ein unvorhergesehener Zwischenfall geschieht. Was genau passiert, wird zunächst nicht ganz klar, doch es sorgt für Unbehagen – bei den Gästen, bei Lily und vor allem bei Henry selbst.

Ab diesem Punkt entwickelt sich die Handlung zu einem packenden Katz-und-Maus-Spiel. Die Grenzen zwischen Jäger und Gejagtem verschwimmen, und eine Frage drängt sich immer stärker auf: Wer kontrolliert hier eigentlich wen? Da das gesamte Geschehen innerhalb des hermetisch abgeriegelten Hauses stattfindet, ist jede Möglichkeit zur Flucht von Anfang an ausgeschlossen. Jeder Versuch, dem zunehmend eskalierenden Chaos zu entkommen, scheitert – und dies auf erschreckend perfide Weise. Je näher die Geschichte dem Höhepunkt kommt, desto klaustrophobischer wird die Atmosphäre. Das Haus, einst Henrys sicherer Rückzugsort, verwandelt sich in eine beklemmende Falle. Die Szenerie wird zunehmend chaotisch, eine Zuspitzung, die in Anbetracht der Ereignisse nur logisch erscheint. Während sich die Lage zuspitzt, offenbart die Handlung schließlich ihr großes Geheimnis. Auch wenn aufmerksame Leser möglicherweise einige Hinweise frühzeitig erkennen, hält der Autor eine letzte, überraschende Wendung bereit, die bis zum Schluss fesselt.

Fazit:
„Alles ist gut.“ Ein Satz, der oft gesagt wird, obwohl er selten die Wahrheit widerspiegelt. Mason Coiles KI-Horror-Thriller William erweist sich als blutiges Kammerspiel, das die philosophischen Fragen nach Leben, Tod und dem Streben einer KI nach Emotionen auf verstörende Weise beleuchtet. Mit klassischen Horrorelementen, klaustrophobischen Momenten und tiefgründigen Denkanstößen über künstliche Intelligenz und ihre moralischen Implikationen gelingt es Coile, einen spannenden und ungewöhnlichen Sci-Fi-Thriller zu schaffen. Zwar ist die Erzählung stellenweise verworren, doch diese Struktur zahlt sich aus: Die Gedankenwelten der Figuren werden geschickt verflochten, sodass ein zweites Lesen neue Perspektiven eröffnet. Mit diesem cleveren Ansatz hebt sich William von vielen anderen Genrewerken ab und liefert ein intensives, nachhallendes Leseerlebnis.

Matthias Göbel

Autor: Mason Coile
Übersetzung: Thomas Salter
Hardcover: 304 Seiten
Verlag: Heyne Verlag
Veröffentlichung: 13.11.2024
ISBN: 9783453274846

 

William.png

Bearbeitet von einz1975
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Bitte melde Dich an, um einen Kommentar zu hinterlassen

Du kannst nach der Anmeldung einen Kommentar hinterlassen



Jetzt anmelden
  • Bilder

×
×
  • Neu erstellen...

Wichtige Information

Diese Seite verwendet Cookies um Funktionalität zu bieten und um generell zu funktionieren. Wir haben Cookies auf Deinem Gerät platziert. Das hilft uns diese Webseite zu verbessern. Du kannst die Cookie-Einstellungen anpassen, andernfalls gehen wir davon aus, dass Du damit einverstanden bist, weiterzumachen. Datenschutzerklärung Beim Abensden von Formularen für Kontakt, Kommentare, Beiträge usw. werden die Daten dem Zweck des Formulars nach erhoben und verarbeitet.