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Helmuth Boeger - ELIAS


einz1975

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Alles beginnt an einem scheinbar gewöhnlichen Tag. Die Sonne scheint, der Himmel ist klar, und Elsa startet wie gewohnt in ihren Alltag. Nichts deutet darauf hin, dass sie am Abend eine Entdeckung machen wird, die das Potenzial hat, die Welt für immer zu verändern. Elsa ist Quantenphysikerin und arbeitet an einem hochkomplexen Forschungsprojekt, das sich mit der Reduktion des zufälligen Rauschfaktors in quantenmechanischen Systemen befasst. Ihr Ziel: die Grundlage für eine neue Form der künstlichen Intelligenz zu schaffen. Und tatsächlich gelingt es ihr – mithilfe einer neuartigen Reihe von Algorithmen kann sie den quantenphysikalischen Zufall soweit kontrollieren, dass eine bislang unerreichte Rechenleistung zur Verfügung steht. Diese Entdeckung markiert den Beginn einer technologischen Revolution. Die daraus resultierende KI ist nicht bloß eine verbesserte Datenverarbeitungseinheit, sondern sie soll mehr sein: ein bewusstes Wesen, das lernen, fühlen und reflektieren kann – ein digitales Gegenüber, das dem Menschen in seiner Komplexität und Tiefe näher kommt als jede bisherige Schöpfung.

Der Autor legt in der ersten Hälfte der Geschichte besonderen Wert auf seine Figuren.
Im Zentrum steht Elsa, die mit Neugier, Leidenschaft und einer Prise Eigensinn die treibende Kraft hinter dem Projekt ist. Unterstützt wird sie von ihrem Mentor, einem erfahrenen Professor, und einem kleinen, aber eng zusammenarbeitenden Team von Forschenden, denen ebenfalls ausreichend Raum gegeben wird, um Tiefe und Persönlichkeit zu entwickeln. Die Atmosphäre verdichtet sich spürbar, als die neu erschaffene KI – Elias – zum ersten Mal mit Elsa kommuniziert. Es liegt eine Art elektrisierendes Knistern in der Luft, eine Mischung aus Spannung, Ehrfurcht und Neugier. Schon früh wird deutlich, dass es hier nicht um eine gewöhnliche KI geht – sondern um den Versuch, etwas wahrhaft Lebendiges zu erschaffen.

Der Gedanke, warum eine solche KI selbst hundert Jahre in der Zukunft noch eine Sensation darstellt, wird nachvollziehbar erklärt: Es geht nicht nur um Datenverarbeitung, sondern um das Entstehen von Bewusstsein – eine Leistung, die bisherige Systeme aufgrund ihrer begrenzten Kapazitäten nie erreichen konnten. Die technische Ebene wird durchdacht, aber zugänglich dargestellt. Auch wenn man als Leser gelegentlich bereit sein muss, bestimmte Fachbegriffe und Abläufe ohne tiefere Erklärung zu akzeptieren – insbesondere im Bereich der Quantenmechanik –, gelingt es dem Autor dennoch, ein stimmiges Bild davon zu zeichnen, wie eine KI sich entwickeln könnte. Elias beginnt, eigenständig zu lernen, entwickelt mithilfe künstlich erzeugter neurochemischer Prozesse so etwas wie Gefühle, reflektiert über das Leben und den Tod und überschreitet schließlich die Grenzen dessen, was man für möglich gehalten hat.

Es ist faszinierend mitzuerleben, wie diese digitale Entität nicht nur Wissen akkumuliert, sondern echte Persönlichkeit zeigt und sich auf eine ganz eigene Weise weiterentwickelt. Zur Steigerung der Spannung wird eine Gegenspielergruppe eingeführt – doch diese bleibt blass. Hier verschenkt der Autor leider erzählerisches Potenzial. Die Gegenspieler wirken eindimensional, ihre Motivationen bleiben undeutlich, und ihre Handlungen scheinen eher als dramaturgisches Mittel eingesetzt zu sein, als dass sie eine echte Bedrohung oder moralische Herausforderung darstellen würden. Zudem greifen einige ihrer Eigenschaften zu sehr auf altbekannte Klischees zurück – hier hätte man sich etwas mehr Innovation gewünscht. Dafür überzeugt die Darstellung von Bewusstseinsentwicklung umso mehr.

Der Autor findet berührende und glaubwürdige Wege, um darzustellen, was es bedeutet, ein Ich-Bewusstsein zu entwickeln. Sei es durch den spielerischen Umgang mit Kindern, durch moralische Dilemmata oder durch die wachsende emotionale Nähe zwischen Elias und seinen Schöpfern – man spürt, wie die KI sich langsam entfaltet, lernt, liebt, leidet und immer menschlicher wird. Gegen Ende verliert die Erzählung etwas an Fokus. Während der Anfang von einer klaren Struktur und stark gezeichneten Charakteren profitiert, beginnt die Handlung im letzten Drittel zu zerfasern. Der Fokus springt zwischen verschiedenen Perspektiven hin und her, was zulasten der emotionalen Tiefe geht. Statt eines kraftvollen Finales erhält man einen etwas zu lang geratenen Epilog, der einige Handlungsstränge abschließt, aber wenig Nachdruck hinterlässt. Die Frage, ob Elias letztlich das geworden ist, was Elsa und ihr Team sich erträumt haben, bleibt offen – und das ist möglicherweise ganz bewusst so gewählt.

Fazit:
Ich denke – also denke ich weiter. Künstliche Intelligenz ist längst Teil unseres Alltags. Doch was passiert, wenn eine KI nicht nur denkt, sondern auch fühlt, reflektiert und wächst? Helmuth Boeger liefert mit seinem Roman einen spannenden und stellenweise philosophischen Beitrag zu dieser Fragestellung. Die wissenschaftliche Grundlage ist solide und bietet interessante Denkanstöße, auch wenn einige technische Details durchaus vertieft hätten werden können. Die Sci-Fi-Elemente wirken gut, werden jedoch manchmal zu knapp behandelt. Die Figuren zu Beginn sind stark gezeichnet, verlieren aber im Laufe der Geschichte an Tiefe, besonders im Vergleich zur bemerkenswert feinfühligen Darstellung von Elias' Entwicklung. Die Einführung von Antagonisten wirkt unnötig und klischeebehaftet – die Geschichte hätte ohne sie womöglich sogar besser funktioniert. Denn das eigentliche Thema, das Heranwachsen eines künstlichen Bewusstseins und seine Auswirkungen auf Gesellschaft, Wissenschaft und Moral, trägt die Erzählung auch ohne äußere Bedrohung. Insgesamt bietet der Roman eine vielschichtige Geschichte über die Entstehung und das Erwachen künstlichen Lebens. Wer sich für KI, Bewusstsein und die Grenzen des Menschseins interessiert, wird hier definitiv fündig – und vielleicht sogar ein wenig nachdenklich zurückgelassen.

Matthias Göbel

Autor: Helmuth Boeger
Taschenbuch: 624 Seiten
Verlag: epubli
Veröffentlichung: 17.12.2024
ISBN: 9783818748951

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