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Das Propagandawerkzeug der Reichen

USS Community Die Pause Teil VIII


CptJones

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Der folgende Tag war ruhig verlaufen. Ischila ging es etwas besser. Jedoch musste sie der Anweisung ihrer Ärztin folgen und weiterhin im Bett bleiben. Elemis lies sich nur selten blicken und zeigte sich in diesen wenigen Momenten still und verschlossen.

Sam und Assjima verbrachten den Vormittag im Garten. Doch nach dem Mittagessen entschuldigte sich der Betazoide, da er noch einige Wartungsarbeiten am Falken vorzunehmen hatte. Sobald er verschwunden war, versammelten sich die neugierigen Novizinnen um die Ärztin und verwickelten sie erst schüchtern, dann immer ausgelassener in ein Gespräch. Die Kinder löcherten sie alsbald mit Fragen über ihre Abenteuer auf der Community, die sie seit Tagen mit sich herumgetragen hatten, immer in der Hoffnung, Assjima einmal in einem geeigneten Moment zu erwischen.

Sie berichtete von den Wundern, aber auch den Schrecken, die das Universum für den Reisenden bereithielt. Die Münder der jungen Deltanerinnen standen oft minutenlang offen und die Augen glänzten vor Verwunderung. Und Assjima entdeckte, dass ihr diese Art der Erzählung sehr viel Spaß bereitete.

Irgendwann war Dalishae hinzugetreten um die Kinder für den Nachmittagsunterricht zu holen, doch schien sie sich angesichts der aufmerksam lauschenden Schar anders zu entscheiden und setzte sich unauffällig dazu.

Als jedoch die Sonne hinter den Bergen verschwand scheuchte sie die Mädchen auf, denn es war Zeit für das Abendessen.

Sie selber blieb jedoch noch einen Moment lang stehen und betrachtete Assjima nachdenklich. „Du bist eine gute Geschichtenerzählerin … du wärest auch eine gute Lehrerin. Sie haben heute mehr gelernt, als ich ihnen in einer ganzen Woche beibringen könnte“ äußerte sie anerkennend und folgte dann den aufgeregten Stimmen ins Haus.

Assjima blieb jedoch sitzen. Als Erzählerin hatte sie sich noch nie gesehen. Und sie hatte nie daran gedacht, dass die Meisterin in erster Linie Lehrerin dieser neugierigen kleinen Wesen ist.

Sie dachte zurück an die Zeit, als sie selber eines dieser wissbegierigen Kinder gewesen war. Nur war es Ischila, die damals vor dem Haufen saß und erzählte. Die Meisterin kannte nicht viele Geschichten aus dem Universum, da sie zumindest damals den Planeten nur selten verließ. Aber sie hatte von ihren Reisen ins eigene Innere erzählt und in ihren Schülerinnen das Interesse an der eigenen Gedankenwelt erweckt. Eine andere Art des Reisens, aber nicht weniger faszinierend. Ischilas Welt und ihre eigene Welt waren so unterschiedlich, aber je länger sie darüber nachdachte, desto deutlicher wurde ihr, dass diese beiden Welten sich zu einem Ganzen zusammen fügten. Und plötzlich verstand sie, warum Ischila so sehr darauf pochte, dass ausgerechnet sie - eine Wissenschaftlerin und Offizierin der Sternenflotte – ihre Nachfolge antreten sollte. Es ging der alten Frau nicht darum, frischen Wind in die Schule zu bringen. Es ging ihr nicht um Erneuerung und Öffnung nach außen hin. Ischila hatte die Verkomplettierung der Lehre vor Augen. Eine Erweiterung der zutiefst mit Seyalia verbundenen Gedankenwelt hinaus in die Unendlichkeit des Universums. Elemis, Dalishae, Wesjla … oder auch Bruder Atemil wären mit Sicherheit großartige Lehrer. Sie würden den Kindern das Wissen der Bücher vermitteln und sie in die eigene Gedankenwelt hinein führen. Doch hatte niemand von ihnen jemals am eigenen Leibe erfahren, wie es ist, einer vollkommen neuen Lebensform zu begegnen, durch einen Ionensturm zu fliegen, einer Supernova ins Angesicht zu schauen oder gar der Personifizierung des Lebens an sich gegenüber zu stehen.. Keiner von ihnen hatte jemals ums eigene Überleben oder gar das einer ganzen Spezies gekämpft, Verantwortung für das Leben der Freunde und Kollegen übernommen, vor dem Fremden gestanden und augenblicklich entschieden, ob es sich um Freund oder Feind handelte, in Abgründe gestarrt um im nächsten Augenblick zu den Sternen empor zu schweben … und weder Dalishae, noch Elemis oder Wesjla hatten so oft und so tief an sich selbst gezweifelt, wie sie es getan hatte.

Ischilas Plan war es wohl, die weiße Schule mit ihrer Hilfe aus der deltanischen Idylle – vielleicht sogar aus ihrer Selbstgefälligkeit - zu lösen.

Assjima stand auf und ging hinüber zur Mauer, von der aus man diesen wunderbaren Blick über die Bucht hatte. Lange starrte sie hinüber zu den Ruinen des Heiligtums unter denen die Seelen der gefallenen Vorlok so lange tief im Felsen gefangen waren. Die Vorlok … der schwarze Schatten dieser Idylle. Die große Lüge, auf der alles aufgebaut wurde … War das für den Anfang nicht genug? Es würde Generationen dauern, bis diese neue Erkenntnis von ihrem Volk gänzlich verdaut würde. Dort draußen … in diesen unendlichen Weiten gibt es nicht nur wunderbare Sternennebel und faszinierende Geschöpfe. Müssen diese kleinen Novizinnen jetzt schon lernen, wie es ist, einen Borg niederzumetzeln? Mussten sie wirklich schon erfahren, dass man außerhalb Seyalias in die Situation geraten kann, einen Freund zu opfern? Muss man ihn von explodierenden Raumschiffen berichten, von den vielen Leben die in einem einzigen Augenblick ausgelöscht werden?

Oh ja, selbstverständlich würde sie von diesen Dingen berichten können. Doch wäre sie auch in der Lage, die reale Idylle Seyalias, die deltanischen Traditionen, die Wunder der nerillischen Mystik - all diese wunderbaren Errungenschaften ihrer Vorfahren - ins rechte Licht rücken zu können? Wäre ihre Lehre nicht doch zu einseitig? Konnte Ischila wirklich wollen, dass sie, Assjima, diese kleinen neugierigen Wesen zu sehnsüchtigen und gleichzeitig ängstlichen und zerrissenen Reisenden ausbildet?

Von Ischila hatte sie nichts dergleichen gelernt. Und dennoch hatte sie sich auf die Suche nach der blauen Blume begeben. Sie hatte die Sehnsucht nach der Ferne noch nicht gestillt und bezahlte trotzdem dafür mit ständigem Heimweh.

Assjima legte den Kopf in den Nacken und betrachtete den kleineren der beiden Monde, der sich über ihr am Himmel gerade noch die Schlafmützen aus den Augen wischte. Sie wusste wohl, wie es hinter ihm ausschaute, und hinter dem nächsten Sonnensystem. Doch was kam dann? Die blaue Blume? Der große Geist der Sterne? Sie wollte es wissen. Die Neugierde auf all das, was sich hinter dem nächsten Stern verbirgt ist wie eine Sucht, von der sie sich noch nicht lösen konnte. Kann eine Fernweh-Süchtige den Kindern wirklich beibringen, mit beiden Beinen tief im heimischen Boden verwurzelt zu bleiben, während man sich nach den Sternen ausstreckt?

Nein beantwortete Assjima diese Frage für sich. Noch nicht! Es muss jemand sein, der diese Reise für sich bereits abgeschlossen hat. Der bewusst wieder daheim angekommen ist. Und im selben Augenblick dachte sie an einen blinden Sternenflottenoffizier außer Dienst und an eine alte erfahrene Kommandantin, die sich der Ausbildung junger Leute verschrieben hatte. Ich werde Ischila ein neues Schulsystem vorschlagen … mit mehr Lehrern. Und nicht alle werden ausgebildete Priester sein!

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Leuchtend rot stieg die Sonne aus dem Meer und warf erste lange Schatten über die wie Seifenblasen auf den Wellen tanzenden Häuser.

Atemil kniff die Augen zusammen und starrte auf den kleinen schwarzen Punkt über dem Horizont, der schnell näher kam und sich in ein kleines goldenes Raumschiff verwandelte, welches wenige Augenblicke später sanft vor dem Steg auf der Wasseroberfläche aufsetze.

Er stand auf und ging zögernd auf das Raumschiff zu, welches eindeutig nicht deltanischer Bauart war.

Das Schott öffnete sich, und ein drahtiger Mann mit dunklen Augen und dichten kurzen Haaren sprang heraus. Er hob grüßend die Hand und blickte sich suchend um. „He Kumpel … habt ihr hier keine magnetischen Fixierzangen?“ fragte er auf gebrochenem Deltanisch.

„Nein … nur so was.“ Atemil deutete auf ein zusammengerolltes Tau.

„Auch gut. Danke“ Sam griff nach dem Tampen und machte sich daran, den Falken gründlich festzuzurren.

Atemil hingegen starrte überrascht auf das geöffnete Schott, indem nun eine Frau erschien, deren Gesicht er nicht gleich einordnen konnte. Aber er war sich sicher, sie schon einmal gesehen zu haben.

„Che tela ol, Bruder Atemil“ grüßte die Frau uns streckte ihm die Handflächen entgegen.

Da fiel bei ihm der Groschen. „Schwester Assjima! Welch’ Überraschung!“

Assjima betrachtete ihn verwundert. „Überraschung? Die Meisterin hat mich doch angekündigt?“

„Ja … nein …“ Atemil rieb sich verlegen den graumelierten Bart. „Sie sagte nur, dass es wichtige Dinge zu besprechen gäbe und dass sie jemanden schicken würde. Sie vergaß dabei zu erwähnen, dass du es sein würdest. Es ist lange her, dass wir uns gesehen haben.“

„Es sind mehr als fünfundzwanzig Jahre.“

„Seit du deine Priesterweihe bekommen hast …“ Er musterte sie gründlich und lächelte. „Du hast dich seitdem verändert. Du bist erwachsen geworden.“

„Du hingegen siehst noch immer so aus wie damals. Nur ist der Bart noch etwas grauer geworden.“ Sie drehte sich zum Falken um. Sam war gerade fertig geworden und trat nun hinzu. „Das ist mein Ehemann Samylax Devimar. Sam, darf ich dir meinen hochverehren Lehrer Bruder Atemil vorstellen?“

Der Betazoide grinste und streckte dem Priester die Hände entgegen. „Che tela ol. Endlich treffe ich den Mann, der meiner Frau die vielen Flausen in den Kopf gesetzt hat.“

„Dass sie zur Sternenflotte gegangen ist war absolut nicht meine Schuld!“ antwortete der Deltaner scherzend. „Das war Jahre nachdem sich unsere Wege getrennt hatten. Aber ich bekenne mich schuldig, damals ein paar Träume in ihren jungen Geist gepflanzt zu haben.“

„Das war sicherlich kein Fehler. Sonst wäre sie vermutlich irgendwo im Wald geblieben und hätte Moos angesetzt.“ Sam sah sich um. „Hier sieht es richtig schön aus. Ich wusste nicht, dass es auf Seyalia mitten im Ozean eine schwimmende Stadt gibt.“

„Nicht jeder Deltaner liebt den Wald. Nach Ketsch’dana zieht es die Nerillar, die Luft und Licht bevorzugen.“

„Aber was macht ihr bei Sturm?“

„Wir haben einen hochenergetischen Schutzschirm, der bei starkem Wind aktiviert wird. Jedoch sollte man schon ein wenig seefest sein. Wenn du möchtest, dann kann ich euch nachher ein wenig herum führen.“ Der Priester warf Assjima einen fragenden Blick zu. „Vorausgesetzt, wir haben die Zeit dazu. Die Nachricht der Meisterin wirkte sehr dringlich.“

„Soviel Zeit wird uns sicherlich bleiben. Ich bin auch noch nie in Ketsch’dana gewesen und möchte es gerne sehen.“

„Sehr schön. Darf ich euch ins Haus bitten? Meine Frau Helir hat ein Frühstück für uns vorbereitet.“

Zügig schritten die drei über den leicht schwankenden Steg und betraten das Haus, das wie alle deltanischen Häuser keine Ecken und Kanten zu haben schien. Eine kurze Treppe führte sie abwärts in einen großen Raum, der von einem grünlichen Licht überflutet war, das durch die aus transparentem Aluminium bestehenden Wände hereinflutete. Sie befanden sich dicht unter der Wasseroberfläche.

Sam blieb mit offenem Mund stehen und starrte in die kalten, reglosen Augen eines dicken Fisches, der auf der anderen Seite träge im Wasser dümpelte. „Das ist ja abgefahren!“ staunte er. „Ihr wohnt direkt in einem Korallenriff!“

„Ja, wir haben von hier eine sehr schöne Aussicht. Aber hinter dem Riff befinden sich unsere Felder. Hier werden diverse Sorten von Seetang angebaut. Außerdem haben wir große Aquakulturen, in denen ein großer Teil des deltanischen Fischbedarfs gezüchtet wird.“

„Mili würde sich hier pudelwohl fühlen.“

„Wer ist Mili?“

„Ach … eine Freundin von Halii. Vom irgendeinem Stamm des Wassers.“

Atemil zuckte mit den Schultern. „Von Halii habe ich schon gehört. Aber noch nie von einem Stamm des Wassers …“

„Na ja … sie liebt Wasser. Verwunderlich, dass sie keine Schwimmhäute zwischen den Fingern hat. Oder … Assjima … sie hat doch wirklich keine?“

Die Ärztin lachte. „Noch nicht. Aber bei Mili wäre ich mir nicht so sicher ob sie nicht doch noch irgendwann welche bekommt.“

Das leise Zischen einer sich öffnenden Tür riss sie aus dem Gespräch. Eine kräftige Deltanerin Mitte Sechzig betrat mit einem Tablett in den Händen den Raum.

„Ah!“ rief Atemil. „Das ist meine bessere Hälfte Helir.“ Er nahm seiner Frau das Tablett ab. „Die Meisterin hat eine ehemalige Schülerin von mir geschickt. Das sind Assjima und ihr Mann Samylax Devimar.“

„Sam … bitte einfach nur Sam“ lachte der Betazoide und begrüßte die überraschte Frau. Sie hatte offenbar nicht mit einem Außerweltlichen gerechnet. „Vom Planeten Betazed“ nahm er die Antwort auf ihre bevorstehende Frage vorweg.

Die Frau hatte sich schnell wieder im Griff „Che tela ol, Sam vom Planeten Betazed. Willkommen in Ketsch’dana.“ Dann wandte sie sich Assjima zu, die sich etwas im Hintergrund gehalten hatte und sich nicht sicher war, ob das fröhliche Auftreten ihres Mannes im Hause eines Priesters womöglich gegen die Etikette verstoßen könnte. Zu lange hatte sie sich von diesen Dingen fern gehalten. Doch Helir lächelte sie freundlich an. „Lieutenant Commander Assjima, leitender medizinischer Offizier der USS Community. Es ist mir eine Ehre, dich in unserem bescheidenen Heim begrüßen zu dürfen. Im Gegensatz zu meinem Mann finde ich die Zeit, mich mit den Berichten in den Medien zu befassen. Ich hatte schon befürchtet, dass Ischila eine ihrer langweiligen Schülerinnen schicken würde. Doch dass du höchstpersönlich kommen würdest hatte ich nicht erwartet. Ich hoffe, dass was auch immer ihr zu besprechen hat, noch ein wenig Zeit bleibt um von deinen Abenteuern zu hören. Aber setzt euch doch erst einmal und langt zu.“

Sie deutete auf den reichlich gedeckten Tisch in der Mitte des Raumes.

Eine Stunde später waren Helir und Sam in der Stadt unterwegs, während sich Atemil und Assjima in das Arbeitszimmer zurückgezogen hatten.

„Die Meisterin erwartet eine Art Gutachten von mir?“ Der Priester schüttelte den Kopf. „Es gibt über die Vorlok nicht viel in den Schriften, das nicht schon hundertmal von klügeren Köpfen als dem meinen analysiert wurde. Deswegen habe ich mich schon lange nicht mehr mit ihnen beschäftigt.“

„Doch niemand hat die Schriften aufgrund der neuen Erkenntnissen untersucht. Eine neue Sichtweise ist notwendig.“

„Dein Schwager ist doch schon dran, oder?“

„Ja. Aber Ischila will eine Interpretation durch ein Mitglied der weißen Schule.“

„Soll ich in aller Öffentlichkeit erklären, dass unser großer Einer Nagaschura ein Lügner gewesen sein könnte? Ich glaube nicht, dass dies in Ischilas Sinne sein dürfte.“

„War er ein Lügner?“

„Wie soll ich darauf antworten? Du bist diejenige, die bei ihnen war. Glaubst du ihnen?“

„Ich weiß es nicht, Bruder. Ich möchte es gerne, aber ich bin mir nicht sicher. Absolut nicht. Die Situation war nicht gerade geeignet, um eine vertrauensvolle Basis zu schaffen.“

„Was ist mit dem Jungen?“

„Dräng ist eine gute Seele. Er steht für die Vorlok der Zukunft. Vielleicht sogar für die Zukunft unserer beiden Völker. Aber er hat nichts mit unserer gemeinsamen Vergangenheit zu tun. Er ist nur ein unschuldiges Kind ohne Antworten auf die Fragen aus unserer Vergangenheit. Doch du bist der wichtigste lebende Schriftgelehrte der Priesterschaft. Wer soll die Vergangenheit für uns interpretieren wenn nicht du?“

Atemil seufzte tief. „Das ist eine große Aufgabe, die Ischila an mich heran trägt.“

„Ich bin mir darüber im Klaren, dass ihr beide euch vor langer Zeit überworfen habt. Aber es ist nicht die Meisterin allein, die nach Antworten sucht.“

„Komm mir jetzt bitte nicht mit irgendeiner Verantwortung gegenüber den Nerillar. Ich bin nur ein Priester der zweiten Klasse. Ich bin Seelsorger meiner Gemeinde und ich beschäftige mich mit alten Schriftrollen. Mehr Verantwortung darf nicht auf meinen Schultern ruhen.“

„Du hast also nach all den Jahren den Widerstand aufgegeben?“ Ein fast spöttisches Lächeln flog über Assjimas Gesicht. „Entschuldige bitte, wenn ich dir das nicht abnehme. Du bist vielleicht stiller geworden. Aber aufgeben? Nein … nicht der Atemil den ich kenne. Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs. Vieles hat sich bereits verändert und es ist an der Zeit, dass die Priester der weißen Schule ihr Recht auf Gleichberechtigung einfordern. Dass unsere gesamte Geschichtsschreibung auf einem Irrtum, ja vielleicht sogar auf einer Lüge beruhen könnte, sollte Anlass genug sein, auch über den traditionellen Status der männlichen Priesterschaft neu nachzudenken.“

„Wer sollte darüber nachdenken? Ganz gewiss nicht die Meisterin. Die Nerillar vielleicht? Ich glaube, den meisten ist das momentan ziemlich egal. In ihren Köpfen geistern momentan nur Vorlok herum.“

„Nagaschura hat unser Gesellschafssystem auf Basis der Auseinandersetzung mit den Vorlok entworfen. Wenn dieser Basis die historischen Fakten entzogen werden, dann könnte alles wie ein Kartenhaus zusammen fallen. Wir müssen ein neues Fundament erschaffen, bevor das alte zu mürbe wird.“

„Wir haben eines, Schwester! Seyalia ist Mitglied der Förderation. All das hier …“ Er deutete auf die mit Büchern und Schriftrollen überfüllten Regale seines Arbeitszimmers „… ist doch nur noch schmückendes Beiwerk. Religiöse Folklore.“

Die Ärztin schüttelte energisch den Kopf. „Nein … Unendliche Mannigfaltigkeit in unendlicher Kombination … darauf ruht die Idee der Förderation. Diese religiöse Folklore, wie du es nennst ist ein wichtiger Baustein in dieser unendlichen Mannigfaltigkeit. Sie macht aus uns das was wir sind. Und weil wir so sind wie wir sind, werden wir geachtet, ja sogar ein wenig bewundert. Man hört auf unsere Stimme, vertraut unserem Rat, lauscht unserem Wissen um die Dinge, die nicht offensichtlich auf der Hand liegen, verlässt sich auf unseren Mut und unsere Handlungsbereitschaft …“

„Sprichst du von allen Nerillar oder von der leitenden medizinischen Offizierin der Community?“

„Ich weiß es nicht, Bruder. Vielelicht ein wenig von beidem. Aber ich frage mich in letzter Zeit immer öfter, ob das Bild das wir von uns haben auch der Realität entspricht. Sind wir die Lämmer, als die wie uns so gerne sehen möchten oder sind wir Wölfe?“ Sie verstummte. Einige Augenblicke lang herrschte tiefe Stille im Raum.

Atemil wartete geduldig und beobachtete ihre Hand, die entweder in der Jackentasche steckte oder fest zu einer Faust zusammengeballt war. Assjima stand auf und ging hinüber zu dem großen Fenster, das den Blick über ein wunderbares Korallenriff freigab. „Ich wusste nicht, dass es auf unserem Planeten eine so fantastische Landschaft gibt“ setzte sie nachdenklich an. „Ich suche unentwegt nach den Wundern des Universums und wusste nichts von diesem. Vielleicht verliere ich wirklich die Verbindung zu meiner Heimat. Ich wandere zwischen den Welten und fühle wie die zweigesichtige Tel’mak. Ich sehe das Gute und ich sehe das Böse, doch die breite Masse dazwischen verschwimmt vor meinen Augen zu einem farblosgrauen Einheitsbrei ohne Gesichter, ohne Charakter, ohne Schönheit. Dennoch weiß ich, dass die Wahrheit irgendwo dort in diesem grauen Brei versteckt liegt. Früher konnte ich sie erkennen. Zumindest glaubte ich das. Früher … als ich die Welt noch mit den Augen eines Lammes betrachten konnte …“

Atemil war aufgestanden und hinter die Ärztin getreten. Sie zitterte. Nun legte er beide Hände auf ihre Schultern. „Wie viele Leben hast du ausgelöscht, Assjima?“

„Ich … ich weiß es nicht genau. Vielleicht waren es vier … oder fünf … ich kann mich nicht genau erinnern und meine Freunde konnten es auch nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich hatte einen Blackout und nachher lagen sieben Borg tot in meiner Nähe. Und ein Freund. Aber eigentlich habe ich viel mehr Leben ausgelöscht. Mit jedem Soldaten, den ich zusammenflickte, reparierte ich eine Waffe, die anschließend wieder ihren Zweck erfüllte … die Leben nahm.“

„Das Los eines Soldaten, Schwester. Du hast es damals freiwillig gewählt. Weil du die Galaxie erforschen und unschuldige Leben beschützen wolltest.“

„Ja … so sagt man. Ich aber wollte versuchen, Leben zu beschützen ohne eine Waffe zu benutzen. Und dann musste ich erkennen, dass ich zum Töten keine Waffe brauche. Wir sind keine Lämmer, Atemil. Wir sind Wölfe! Wir waren es damals und wir sind es noch heute.“

„Es sind nicht unsere vom großen Geist der Sterne geschenkten Kräfte, die uns zu dem machen was wir sind. Die Essenz unserer Existenz haben wir uns selber geschaffen. Und nur das ist es, was zählt. Assjimagar hat uns körperliche Stärke und telekinetische Fähigkeiten gegeben, damit wir die Unseren ernähren und beschützen können. Er gab uns eine Idee, aus der wir unsere Ideologie schufen. Eine Ideologie des Friedens. Eine Religion, die das Leben anbetet. Wir hätten ein Volk von Kriegern und Eroberern werden können, doch wir entschieden uns, auf unserem kleinen Planeten zu bleiben, uns mit dem zu begnügen, was er uns schenken konnte. Wir hielten uns raus aus den Geschehnissen des Universums, isolierten uns bewusst von anderen Völkern. Als wir begannen, das Universum zu bereisen, hüllten wir uns in den Mantel des Geheimnisvollen und Mystischen damit uns niemand zu nahe kommen konnte. Doch du sagtest es schon selber: Die Förderation hat uns enttarnt. Diese deltanischen Lämmer sind gute Soldaten. Sie denken vielleicht etwas mehr nach bevor sie zur Waffe greifen, aber sie tun es letztendlich dann doch. Sie sind Teil einer großen Gemeinschaft, der sie sich mit Leib und Seele verpflichten. Und sie opfern dabei das, was ihnen mehr wert ist als ihr Leben, nämlich den Glauben an ihre reine Seele. Schwester …“

Er drehte Assjima zu sich um und schaute ihr ernst in die Augen: „Du warst einst eine meiner besten Schülerinnen. Ich war unglaublich stolz als du vor dem Altar deine Weihe erhieltst. Ich sah dich im Geiste die Stufen der Priesterschaft hinauf schreitend. Ich sah dich inmitten vieler Novizen die Geheimnisse der Heilkunst lehren. Ich sah dich in überfüllten Hörsälen am Rednerpult stehen. In meiner Phantasie standen Heiler aus der ganzen Galaxie vor deiner Praxis Schlange, um deinen Rat einzuholen und von dir zu lernen. Doch die sterile Krankenstation eines Raumschiffes sah ich nie. Ich sah dich niemals auf den Schlachtfeldern ferner Planeten die Verwundeten und Toten zusammen tragend. Und schon gar nicht träumte ich davon, dich inmitten eines Kampfes dein Leben und das deiner Kameraden verteidigend. Diese Vorstellungen waren mir so fremd, dass sie in mir niemals existierten. Ich traute dir alles zu, was mein begrenzter Horizont erlaubte. Doch ich hatte dich immer noch unterschätzt. Du bist ganz einfach hinter meinem Horizont verschwunden um einen Weg zu beschreiten, der für eine deltanische Priesterin bis dahin einfach undenkbar war. Du hast das Paradies verlassen um es zu beschützen. Ich weiß … damals hast es als Flucht vor der heimatlichen Enge gesehen. Sogar als Flucht vor dir selber. Doch bist du immer wieder zurückgekehrt um einen Hauch der universalen Unendlichkeit mitzubringen. Du bist wie viele andere deltanische Sternenflottenmitglieder unsere Beschützerin, weil du unsere paradiesische Enge Stück für Stück erweiterst und lockerst. Ihr verhindert, dass wir Daheimgebliebenen an unserer eigenen Idylle ersticken. Doch im Gegensatz zu den anderen hast du eine Stimme, der die Nerillar Gehör schenken. Die Meisterin und ich sind selten einer Meinung. Doch in Bezug auf dich stimmen wir beide überein: Du hast den steinigsten Weg gewählt, den eine Absolventin der weißen Schule beschreiten kann. Und deswegen bist in der Lage, etwas zu bewegen. Deine Selbstzweifel machen dich nur noch glaubwürdiger. Wie auch sollst du unsere Welt aus den Angeln heben wenn du innerlich zu Stein geworden wärest?“

Assjima hatte dem Ausbruch ihres Lehrers mit unbeweglichem Gesicht gelauscht. Nicht einmal das Zucken eines Mundwinkels verriet den Sturm, der in ihrem Inneren ausgebrochen war. Wie oft schon hatte sie diese seltsamen Lobeshymnen gehört. Selbst von Leuten, von denen sie scharfe Kritik erwartet, ja sogar erhofft hatte. Ihr Vater, der früher immer nur an ihr herumgenörgelt hatte, dem sie nie etwas Recht machen konnte. Ischila, die über allen Dingen stehen und ihre Unzulänglichkeit mit dem ersten Blick erkennen sollte. Elemis, mit der sie sich nie so richtig verstanden hatte und die in ihr ein Hindernis auf der Karriereleiter sah … und jetzt auch noch Atemil … der Klügste aller Gelehrten. Sam, Lakia, Wesjla und selbst Malik hielten sich meist vornehm zurück um sie nicht zu verletzen. Das konnte sie durchaus noch nachvollziehen. Aber das hier … das war fast unerträglich!

Mit einem Male sehnte sie sich zurück auf die Community. Tanrim, der es liebte, ihr Widerworte zu geben und Milseya, die ihr ständig den Spiegel vor Augen hielt, so dass es oft tief schmerzte. Sie vermisste ihre Freunde bei der Sternenflotte, für die sie eine normale Frau mit Stärken und Schwächen sein durfte, die ihr meistens vertrauten, aber dennoch nie die Heilsbringerin in ihr sahen, wie es offenbar die Nerillar taten. Irgendwie steckte sie hier in einer Tretmühle fest. Sie rannte und rannte bis ihr die Zunge zum Halse heraushing und dennoch kam sie nicht vom Fleck. Ein Gefühl, an das sie sich noch zu gut erinnern konnte, das sie damals dazu veranlasst hatte, die Heimat zu verlassen und der Sternenflotte beizutreten.

Atemil betrachtete sie verwundert. Dieser bewundernde Zuspruch ihres alten Lehrers hätte ihr doch wenigstens einen Hauch von Freude ins Gesicht zaubern sollen. Aber da war nicht die geringste Bewegung zu erkennen. Er berührte sie erneut an der Schulter und spürte in diesem Augenblick eine starke Sehnsucht und tiefe Verzweiflung. „Was ist los, Assjima?“ fragte er ängstlich. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“

Die Ärztin schüttelte den Kopf. „Ja … nein …ach, ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich unsere Welt gar nicht aus den Angeln heben will. Das solltet ihr selber tun … wenn ihr es für notwendig haltet.“

Der Gelehrte zupfte sich verlegen am Bart und antwortete nach einem Moment des Nachdenkens: „Hm … du siehst dich nicht mehr als eine von uns? Zumindest nicht im Moment. Du bist Sternenflotte …“

„Nein! Ich bin Deltanerin! Aber ihr seid zurzeit alle auf einem seltsamen Trip. Ihr sucht ein Idol und glaubt, es in mir gefunden zu haben. Ich bin es aber nicht! Ihr macht es euch zu leicht. Wenn die Nerillar nach Veränderungen suchen, dann sollen sie diese selber in die Wege leiten. Ich aber werde auf Seyalia niemandem sagen, was er zu tun und zu lassen hat! Ich bin Heilerin, aber keine Heilsbringerin. Dieser Versuch, mich auf irgendein seltsames Podest zu stellen ist erbärmlich. Ich will keine Galionsfigur für was auch immer sein. Millionen von Nerillar sollten doch in der Lage sein, gemeinschaftlich eigene Ideen zu entwickeln. Wir sind doch keine Vulkanier, die stur den Lehren eines Einzelnen folgen. Mannigfache Vielfalt in unendlichen Kombinationen … wir mögen für Außerweltliche zwar alle irgendwie gleich aussehen, aber wir sind doch ein buntes Völkchen von Freidenkern. Die Priesterschaft kann vielleicht Anreize geben und Türen aufstoßen – dabei kann ich euch gerne helfen, wenn ihr es wünscht – aber den Rest müssen wir schon unseren Leuten überlassen.“

Atemil starrte sie überrascht an. Dann lächelte er plötzlich. „Oh verdammt! Ich habe dich schon wieder unterschätzt. Kein Wunder, dass du dich mit Elemis nicht so gut verstehst. Zwischen euren Denkweisen liegen wirklich Welten. Ich werde über deine Worte sehr eingehend nachdenken müssen. Aber jetzt zeige mir doch bitte, was du da in der Faust versteckst.“

„In meiner Faust?“ Assjima betrachtete verwundert ihre Hände. „Nichts …“

„Dann zeige mit bitte deine Handfläche.“

Sie streckte ihm beide Hände entgegen.

„Was ist das?“ Atemil deutete auf das Brandzeichen.

„Da hat sich das Medaillon eines Vorlok eingebrannt“

„Eines Vorlok?“ Der Lehrer betrachtete das Brandzeichen eingehend. „Das kommt mir bekannt vor. Erzählst du mir, wie das passiert ist?“

Bearbeitet von Assjima
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Hallo Doc,

es tut mir wirklich leid, dass ich mich nicht von Dir und den anderen verabschiedet habe. Aber ich weiß, dass du im Moment sehr viel um die Ohren hast und ich wollte nicht, dass du womöglich deine wenige Lebenskraft auch noch für mich vergeuden musst. Daher habe ich mich, wie man so schön sagt, heimlich still und leise auf den Weg zur Community gemacht, die ich in wenigen Stunden erreichen werde.

Denn die neuen Piloten haben vor ein paar Tagen ihren Dienst angetreten – und ich denke, es wird langsam Zeit, dass ich mich um sie kümmere...

Bei allen Höllen, wem will ich eigentlich etwas vormachen... Dass diese Ausrede nur zum Teil stimmt, dass die neue Piloten nur zum kleinen Teil der Grund für meine Abreise – nun, eigentlich trifft Flucht es viel besser - ist, wissen wir wohl beide.

Denn die Wahrheit ist, dass ich glaube, dass ein paar Lichtjahre Abstand im Moment das beste für uns beide und unsere Freundschaft ist – soweit diese überhaupt noch besteht. Zumindest gilt das für mich. Denn ich muss mir über einige Dinge Klarheit verschaffen – auch und vielleicht insbesondere über uns.

Bei allen Höllen, ich weiß wirklich nicht, was mich geritten hat, dir all diese Dinge über dich und dein Volk an den Kopf zu werfen. Ich wünschte, ich könnte es auf meine haliianische impulsive Natur schieben. Oder auf die Schwangerschaftshormone. Doch die hatten damit nur wenig zu tun. Nein, in Wahrheit hatten sie sogar nicht das geringste damit zu tun.

Die Wahrheit ist: Ich habe dich und deine Ethik auf ein Podest gehoben. Ich habe deine friedvolle Art und damit dein Volk verklärt und deine Schwächen als persönliche Marotten abgetan. Und als ich plötzlich feststellen musste, dass weder du noch dein Volk diesem völlig überhöhten Ideal entsprachen – nun ja, da war ich enttäuscht. Mehr noch: DU hattest mich enttäuscht. Ausgerechnet diejenige, von der ich das am wenigsten erwartet hatte. Diejenige, auf die ich mich immer und in jeder Situation hatte verlassen können...

Eigentlich kam wohl alles zusammen. Ich erinnere mich an unser Gespräch nach dem Angriff der Borg, erinnere mich daran, wie schwach, wie zerbrechlich du warst. Wie zum ersten Mal offenbar ich diejenige war, die die Mut zusprechen durfte. Wie ich die Stärke von uns beiden war. Wie oft hattest du das für mich getan...

Ich fühlte mich von dir gebraucht. Geehrt davon, dass du meinen Rat gesucht hattest. Dass ich dir beistehen durfte. Ich sah deinen Konflikt. Spürte deinen Widerwillen über das, was du getan hast. Litt mit dir.

Und dann erfahre ich, dass Tod und Zerstörung deinem Volk nicht fremd ist. Dass ihr in euch die Saat der Gewalt, der Vernichtung tragt. Selbst heute noch seid ihr nicht in der Lage diesen Teil von euch zu akzeptieren. Anzuerkennen, dass ihr euch in nichts von uns unterscheidet. Dafür hüllt ihr euch in einen Schleier des Mysteriösen, kapselt euch vom Rest des Universums ab, damit ja niemand erkennt, dass ihr genauso seid wie wir.

Genauso schwach. Genauso fehlbar. Genauso dem Schicksal und der Situation unterworfen, unterlegen wie wir.

Nein, ich hatte deinen inneren Konflikt gespürt, deine innere Qual - ich weiß, dass ich dir damit Unrecht tue. Ich weiß, dass du dich nie – oder nur selten – mir überlegen gefühlt hast. Aber ich habe es gedacht. Manchmal geahnt. Manchmal gespürt.

Doch kannst du mir ehrlich ins Gesicht sagen, dass du dich mir gegenüber nie, wirklich kein einziges Mal im Inneren überlegen gefühlt hast? Dass du niemals auf mich und meine Impulsivität, auf meine Art herabgesehen hast?

Dass du dich nicht in meiner Anerkennung gesonnt hast? Dass du meine Verehrung nicht genossen hast?

Und wiederum tue ich dir Unrecht. Denn das wolltest du nie. Ich weiß es. Vielleicht besser als manch anderer. Du wolltest nie eine moralische Instanz sein. Wolltest nie, dass man dich immer und überall um Rat fragt. Du wolltest ein ruhiges Leben. Deine Aufgabe als Heilerin erfüllen. Und der Enge deiner Welt entfliehen. Oh ja, ich weiß das.

Warum ist mir vorher nie aufgefallen, dass ich dir in diesem Punkt weit voraus bin? Warum habe ich mein Licht derart unter den Scheffel gestellt und dich dermaßen überhöht?

Vielleicht liegt es daran, dass ich so viel Böses unter all den Sonnen gesehen habe, dass ich von deinem Licht geblendet war. Vielleicht war ich dankbar, dass ich endlich etwas im Universum gefunden hatte, dass so rein, so frei von Arg und Bösem schien, dass ich alles andere an dir ausgeblendet habe.

Mein Fehler.

Ich hätte wissen müssen, dass dieses Universum nichts Unbeflecktes hervorbringen kann.

Dass soll dich nicht herabsetzen. Deinen Verdienst mich zu einer besseren Person zu machen, nicht schmälern. Denn wer wäre ich, wenn ich dich nicht kennen gelernt hätte? Wohl immer noch die gleiche unbeherrschte Person. Wohl noch immer ungebildet. Wohl noch immer feindselig allem und jedem gegenüber.

Du hast mich dazu gebracht, diejenige zu werden, die ich immer sein wollte. Doch bist du dabei die geblieben, die du warst? Konntest du die bleiben, die du warst?

Ich weiß es nicht.

Ich weiß vieles nicht.

Ich wünschte, es wäre anders.

Ich wünschte, ich wäre weise - so wie du. Ich wünschte, ich hätte Antworten. So wie du so oft.

Doch das habe ich nicht. Zumindest glaube ich das nicht.

Ich habe dafür Erklärungen. Vielleicht sind es auch Ausreden, wer weiß.

Es ist das, was ich fühle. Das, was ich dir sagen kann. Dinge, die du wissen solltest.

Was ich weiß, ist, dass ich mir dir immer noch verbunden fühle. Ob du das Gleiche empfindest, vermag ich nicht zu sagen. Ich wünsche es mir. Wir werden sehen. Du hast im Moment genügend damit zu tun, die Umwälzungen auf deiner Welt und in deinem Leben zu bewältigen. Ich wünsche dir Kraft und Weisheit dafür. Doch dessen bedarf es nicht, denn ich weiß, dass du die nötige Kraft und Weisheit dafür hast.

Sich mir und meinen belanglosen Vorwürfen zu stellen, dafür wird es in unserem Leben eine Zeit geben.

Bis dahin.

In Liebe

Mili

Die Bajohaliianerin las ihre Worte noch einmal durch. Dachte einen Moment lang darüber nach, während sie auf die Sterne blickte.

„Computer. Ankunftszeit bei der Community?“

„10 Stunden und 12 Minuten.“

Sie hatte über vier Stunden an diesem Brief gesessen! Und er würde nicht besser werden, wenn sie noch mehr darüber nachdenken würde. Wenn sie noch mehr ändern würde. Noch mehr versuchen würde, das zu erklären, was sie empfand...

Milseya atmete tief durch. „Computer, Nachricht an Assjima abschicken.“

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„Deglamesch vom Clan der Dilrak, Derlains verstorbener Gatte, Großvater von Dräng …“ Atemil rieb sich das behaarte Kinn. „Und du trägst nun einen Teil seiner Seele in dir.“

„Nein, nicht wirklich. Nur wenn ich das Amulett in das Brandmal lege.“

Schülerin und Lehrer saßen in der Nachmittagssonne auf dem Kai. Das Haus des Priesters lag am Stadtrand und hier war es angenehm ruhig.

„Und wie fühlt sich das an?“

Assjima lächelte verzagt. „Ich weiß es nicht … ich habe es noch nicht ausprobiert.“

„Wie? Dein Besuch bei den Vorlok liegt nun schon Wochen zurück und du hast noch immer nicht mit diesem Geist kommuniziert?“ Atemil lachte. „Ich hätte dich für mutiger gehalten.“

„Ich weiß … ich war auch schon ein paar Mal so weit … fast. Aber …“ Die Ärztin zeichnete mit dem Zeigefinger langsam die Linien des Brandmales in ihrer Handfläche nach. „Zu oft schon haben andere ungefragt meine Gedanken in Besitz genommen und gesteuert.“

Der Priester nickte verständnisvoll: „Es ist wie eine Vergewaltigung. Ich hätte wohl ebenfalls Angst. Vor allem wenn es sich um einen Vorlok handeln würde. Aber vielleicht könnte er dir … uns … Antworten geben.“

„Ich traue schon den lebenden Dilrak nicht über den Weg. Warum sollte ich einem Toten glauben?“

„Du hast ihm schon einmal vertraut.“

„Ich bin mir heute nicht mehr sicher, ob ich dort oben auf dem Staudamm tatsächlich ihm oder doch mehr meinem Instinkt vertraut habe.“

„Wenn du nicht mit ihm sprichst wirst du es nie herausfinden.“

„Ich weiß“ Assjima versank in Schweigen.

Nach ein paar Minuten der Stille setzte der Priester erneut an: „Ich könnte versuchen, etwas mehr über diesen Deglamesch in Erfahrung zu bringen. Dieser Abdruck in deiner Hand weckt eine wage Erinnerung in mir. Irgendetwas kommt mir daran bekannt vor. Hast du das Amulett dabei?“

„Ja. Es liegt im Falken.“

„Gut. Wenn du gestattest, dann würde ich es gerne genauer in Augenschein nehmen. Vielleicht wird meine Erinnerung dann etwas klarer.“

„Das können wir machen. Aber Malik hat es mit Hilfe von Doktor Niral schon eingehend untersucht.“

„Niral? Diese äußerst kompetente junge Sprachwissenschaftlerin? Ich hatte vor einiger Zeit mal mit ihr zu tun, da sie ein Schriftstück für mich übersetze. Sie hat inzwischen einen Doktortitel?“ Der Priester lächelte versonnen. „Eine wirklich hübsche Frau. Und klug. Haben die beiden etwas herausfinden können?“

„Es ist schon ein paar Tage her seit ich das letzte Mal mit Malik sprechen konnte. Da konnten sie mit der Inschrift immer noch nichts anfangen. Leider kann Dräng die Zeichen auch nicht verstehen. Deswegen ist Niral wohl dabei, Fragmente der alten Vorloksprache zu rekonstruieren.“

„Ein zeitaufwendiges Unterfangen. Vielleicht könnte Deglamesch eher von Nutzen sein? Er muss doch wissen, was die Inschrift auf seinem Amulett bedeutet.“

„Wenn wir ihm trauen wollen …“

Atemil nickte. „Du hast Recht. Wir sollten es ohne ihn verstehen lernen.“ Er deutete auf den Falken: „Ob dein Mann uns morgen nach Seyann Draschu fliegen könnte? Ich würde gerne mit Malik und Niral sprechen. Aber zuerst will ich es sehen.“

***

Der Priester hatte sich seit Stunden mit dem Amulett in seinem Arbeitszimmer vergraben und wälzte Bücher auf der Suche nach einer wagen Erinnerung.

Assjima hingegen hockte nachdenklich über einem Padd, das Sam ihr am frühen Abend gebracht hatte. Inzwischen war es dunkel geworden und die Ärztin saß noch immer auf dem Steg vor dem Haus und ließ die Füße ins Wasser baumeln. Wieder einmal hielt sie den Spiegel namens Milseya in den Händen und suchte nach Worten. Was war es, das Mili in ihrem Brief auszudrücken versuchte? Assjima war sich nicht sicher ob sie tatsächlich alles verstand, was dort geschrieben stand. War es ein Vorwurf? Oder eine Entschuldigung? Doch was wollte die kleine Pilotin ihr vorwerfen? Dass sie so ist wie sie ist und nicht das was Mili in ihr sehen wollte? Und wenn es eine Entschuldigung sein sollte … was sollte entschuldigt werden? Milis plötzlicher Aufbruch ohne Abschied? Die vorschnellen Unterstellungen gegenüber ihrem Volk? Womöglich sollte sie Milseyas Worte gar nicht werten sondern sie einfach nur als Erklärung betrachten. Für was?

Die Deltanerin war ratlos.

Sam trat mit zwei Tassen Tee aus dem Haus und setzte sich neben sie. „Was schreibt Mili?“ fragte er vorsichtig.

„Ich weiß es nicht … erklär du es mir.“ Assjima reichte ihm das Padd.

Während er las bildeten sich auf seiner Stirn immer mehr nachdenkliche Falten. Dann schüttelte er den Kopf. „Typisch Mili. Konfuse Gedanken, die sich nicht automatisch erklären. In welchem Punkt meint sie, dir voraus zu sein? Der Enge ihrer Welt entflohen zu sein? Das macht sie doch schon seit ihrer Jugend. Was ist daran so schlimm, seine Wurzeln nicht verlieren zu wollen? Und wieso wirft sie sich vor, dich erhöht zu haben? Statt dich runterzuholen stellt sie sich nun dazu? Muss man wirklich auf einem Podest stehen, um wahrgenommen zu werden?“

Assjima schüttelt den Kopf. „Nein … ich glaube so hat sie es nicht gemeint. Ich bin ihr Spiegel. Indem sie glaubt, mich von meinem vermeintlichen Podest herabzustürzen, erkennt sie, dass sie sich stets auf gleicher Ebene befunden hatte. Nur glaubt sie, nicht gewagt zu haben, den Kopf zu heben. Mein Licht ist für sie erloschen und sie sieht sich nun selber … in ihrem eigenen Licht.“

Sam fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ich weiß nicht … Mili machte nie den Eindruck, an Minderwertigkeitskomplexen zu leiden.“

„Tut sie auch nicht. Sie reflektiert und meint nun, unsere Beziehung aus rückblickender Perspektive so zu sehen.“

„Ich verstehe nicht, warum sie plötzlich Böses in dir erkennen will. Schwächen wie Zweifel und Angst sind doch nichts Schlimmes sondern Teil eines jeden lebenden Wesens. Jeder an Bord der Community war sich schon immer bewusst, dass du in Panik ausbrechen kannst und dabei durchaus auch mal die Kontrolle verlierst. Jeder hat es schon mit eigenen Augen gesehen. Und jeder weiß, wie sehr du mit deinen inneren Widersprüchen kämpfst. Warum sonst waren James und die anderen so darauf bedacht, die Ereignisse mit den Borg im Frachtraum so lange wie möglich vor dir zu verbergen? Du hast deine Schwächen nie vor den anderen geheim gehalten. Wieso will Mili das plötzlich nie erkannt haben? Und was ist daran böse?“

„Ich glaube, sie sieht das allgemeiner. Ich stehe für sie vermutlich symbolisch für alle Deltaner. Die Sache mit den Vorlok hat wohl ihre Sichtweise auf uns verändert. Aber ich verstehe nicht so richtig wieso. Es war nie ein Geheimnis, dass unsere Geschichtsschreibung uns glauben gemacht hat, ein Völkermord wäre Teil des Fundamentes unseres Selbstverständnisses. Auf dieser Erbsünde bauten wir eine friedliche Gemeinschaft auf. Dieser Völkermord ist selbstverständlich unentschuldbar. Aber wir haben Gutes aus Bösem geschaffen. Das kann doch nicht verkehrt sein. Und nun stellt sich die Möglichkeit dar, dass gerade dieser Völkermord eine Lüge sei … es könnte tatsächlich ein Unfall gewesen sein. Wir waren womöglich gar nicht so brutal, um mit vollem Wissen eine ganze Spezies in die Vernichtung schicken zu können. Das ist doch eigentlich eine erfreuliche Nachricht. Aber dann wurde eine Lüge in die Welt gesetzt. Eine Bösartigkeit mit anderer Qualität. Doch das Ergebnis war dasselbe: eine friedliche Gesellschaft. Schmälert das unsere Leistung? Ich verstehe nicht, warum Milseya uns nicht länger als das sehen kann, was wir seit vielen Generationen sind.“

„Nun ja … ich denke mal, dass sie sich nie die Mühe gemacht hat, in der Datenbank ein wenig über deltanische Geschichte nachzulesen. Und mit dieser Vorlok-Sache seid ihr ja auch nicht gerade hausieren gegangen.“

„Warum sollten wir auch? Es liegt fast zweitausend Jahre zurück und wir sind nicht mehr dieselben wie damals. Sollen wir herumlaufen und hinausposaunen, dass auch wir einst Kriege führen und gewinnen konnten? Es gibt anderes, mit dem wir uns heute Achtung verschaffen.“

Sam lachte: „Erklär das mal einem Klingonen!“ Dann legte er den Arm um ihre Schultern. „Für Milseya war die Sache mit den Vorlok offenbar eine Neuentdeckung, die ihr die Illusion geraubt hat. Finde dich damit ab, dass dein Glanz in ihren Augen erloschen ist.“

„Zum Glück. Ich hatte immer geglaubt, dass sie die Einzige auf der Community sei, die mich wirklich versteht. Jetzt besteht eine Chance, dass es tatsächlich einmal so sein wird.“

„Dann mach dich jetzt dran und beantworte diesen Brief. Damit du den Kopf für andere Dinge frei bekommst. Morgen steht dir wieder ein anstrengender Tag bevor.“ Er küsste sie, stand auf und ging.

Assjima starrte noch eine Weile auf das Padd in ihrer Hand und begann dann mit Schreiben:

Che Milseya minsa

Es freut mich zu hören, dass du wohlauf bist. Die letzten Nachrichten waren ein wenig nebulös und niemand konnte mir so richtig sagen wie es dir geht.

Deine plötzliche Abreise hat mich zugegebenermaßen tatsächlich verletzt. Umso mehr freut es mich zu hören das du inzwischen wieder auf dem Weg zur Community bist. Doch stellt sich mit immer wieder die eine Frage: Warum glaubst du, mich beschützen zu müssen indem du mich daran hindern willst, meine Lebenskraft an dich zu ... vergeuden ...? Was für ein furchtbares Wort in diesem Zusammenhang. Kann man seine Kraft tatsächlich verschwenden indem man seinen Freunden zur Seite steht? Ist nicht gerade Freundschaft der Quell aller Lebenskraft? Ist es bei dir nicht eher die Angst, etwas von anderen annehmen zu können, sich dadurch zu verpflichten, in Abhängigkeit zu geraten?

Freundschaft lebt vom Geben – und vom Nehmen. Warum fällt es dir so schwer, etwas von mir anzunehmen? Etwas, was aus der Tiefe meines Herzens kommt?

Habe ich nicht schon genug getan, um mich von diesem Podest, auf das du mich zu stellen glaubtest, hinunter zu stürzen? Was soll ich noch anstellen um dir zu zeigen, dass ich dort nicht stehen möchte weil ich dort schlichtweg nichts zu suchen habe?

Kein vom großen Geist geschaffenes Wesen verdient es, gegenüber anderen Wesen auf eine höhere Ebene gestellt zu werden. Idealisierung ist die größte Bürde, die einem freien, unabhängig denkenden Geist auferlegt werden kann. Sie legt Fesseln an, die eine Weiterentwicklung verhindern. Wohin soll man sich entwickeln wenn einem glaubend gemacht wird, man hätte schon alles erreicht?

Ich bin es so leid, als bordeigene Deltanerin das gute Gewissen in Person spielen zu müssen. Es nimmt mir die Luft zum Atmen!

Seid ihr es nicht – ihr, die Außerweltlichen – gewesen, die uns Deltanern dieses Lichtgestalten-Image aufgedrückt habt? Kein Nerillar hat je behauptet, perfekt zu sein. Wir waren und sind uns unserer Stärke bewusst, gehen damit jedoch nicht hausieren. Assjimagar hat uns mit körperlichen Attributen versehen, die uns in den Augen anderer Völker als schön erscheinen lassen. Hell, rein …nichts von dem Wilden, Dunklen, dass viele andere Völker an sich haben. Dazu unsere grundlegende Gutgläubigkeit … wir erscheinen schwach und zugleich liebenswert genug, um Beschützerinstinkte zu wecken. Doch wer hat sich jemals die Mühe gegeben, hinter diese hübsche Maske zu schauen? Ein Blick in die Borddatenbank würde ja schon genügen. Aber niemand will die Wahrheit sehen, denn alle wünschen sich, den Traum von der Existenz nahezu reiner Wesen aufrecht zu erhalten. Man kann uns vielleicht vorwerfen, nicht direkt gegen diesen Ruf vorgegangen zu sein. Aber wer sich die Geschichte der Förderation einmal genauer anschaut wird erkennen, dass wir Deltaner nie gezögert haben, sich mit dem Rest der Förderation gegen unsere Feinde zu stellen. Wir waren stets zur Stelle wenn wir gebraucht wurden. Und dies nicht nur mit Rat und Diplomatie. Warum glaubst du, dass wir uns dieser dunklen Seite in uns nicht stellen würden? Weil wir diese dunkle Seite nicht so ausleben wie andere? Weil wir versuchen, uns dahingehend zu entwickeln, wo wir uns selber sehen wollen, nämlich auf der lichten Seite des Lebens?

Gibt uns dieses Bestreben tatsächlich Grund, auf andere herabzusehen? Ich glaube nicht … nein … ich bin mir sogar sicher, dass sich nur wenige Nerillar diesem Irrglauben hingeben. Es entspricht einfach nicht unserem Naturell. Wir haben in unserer kleinen und noch lange nicht perfekten Welt viel geschaffen, auf das wir allen Grund haben, stolz zu sein. Aber wir haben niemals versucht, unsere Ideen anderen aufzuzwingen. Nicht weil wir andere Völker für unwürdig befinden würden, an unseren Errungenschaften teilzuhaben, sondern weil es uns ganz einfach ziemlich egal war. Früher waren wir uns stets genug. Doch wir sind nun schon sehr lange Teil einer größeren Gemeinschaft, in die wir uns eingepasst haben und unseren Teil zum Gelingen beitragen. Still und bescheiden, mit unseren Stärken und Schwächen. Aber ist es denn wirklich so verwerflich, dass wir Freude daran haben, uns ein wenig geheimnisvoll zu geben wenn wir andere an unserem geringen Wissen teilhaben lassen? Und ist es wirklich ein so großes Manko, wenn wir es genießen, Anerkennung von denen zu bekommen, die uns wichtig sind? Wer genießt es nicht, gefragt zu werden, um Rat gebeten zu werden? Wer freut sich nicht, wenn sich die eigenen Worte und Taten als richtig erweisen und man dafür Lob erhält?

Mir als Deltanerin ist diese Zuwendung wichtig. Sie ist für mich sogar lebensnotwendig. Das weißt du so gut wie jede andere. Doch habe ich mich nie überlegen gefühlt. Weder dir noch einem anderen gegenüber. Ich beobachte, versuche zu verstehen und zu lernen. Ich bin mir bewusst, dass es mir an Demut fehlt. Doch bin ich nicht als Priesterin an Bord der Community sondern als Offizier. Warum also soll ich nicht sagen dürfen, wenn ich etwas für falsch halte, wenn ich doch dieser Meinung bin? Warum fällt es dir so schwer, mich so zu sehen, wie ich als Offizier zu sein habe? Es mag sein, dass meine Zurückhaltung in manchen Dingen und mein verschärftes Eintreten in anderen Dingen als Arroganz interpretiert werden kann. Doch schwöre ich dir beim großen Geist der Sterne, dass dies nie in meiner Absicht lag. Und gerade dir gegenüber habe ich mich niemals überlegen gefühlt. Im Gegenteil: ich empfinde große Bewunderung für deine Befähigung, impulsiv zu denken und zu handeln. Und oft Neid, dass du ungebunden von Erwartungen und Zwängen frei agieren kannst.

Wenn du die Community erreicht hast, dann richte allen meine herzlichsten Grüße aus. Und eine Bitte aus tiefster Seele an meine Freunde an Bord: Lasst mich bitte, bitte endlich wieder runter von diesem verdammten Lichtgestalten-Podest und eine von euch sein! Es reicht mir schon, in meiner eigenen Heimat dafür zu sorgen, nicht noch mehr zu einer Person des öffentlichen Interesses mit Vorbildcharakter zu werden. Wie soll ich mich da noch weiter verändern können? Ich will nicht in Stein gemeißelt und zum Stillstand verdammt werden. Das ist schlimmer als der Tod, denn wer kann leben und dabei unverändert so bleiben wie er war? Ist es nicht das Ziel am Ende des Lebensweges, sich dahin entwickelt zu haben wie man selber sein möchte? Im tiefsten Innern seines Herzens? So wie du es getan hast?

Eine weiße Meisterin der Schule sagte einst, dass in jedem Nerillar zwei Mol'eg (ein Vierbeiner, am ehesten mit einem irdischen Wolf vergleichbar) miteinander kämpfen würden. Der eine ist böse. Er besteht aus Zorn, Neid, Selbstsucht, Intoleranz, Angst und Lügen. Der andere ist gut. Er ist die Liebe, Freude, Hoffnung, Einfühlungsvermögen, Menschlichkeit und Wahrheit. Eine der Schülerinnen fragte, welcher der beiden Mol’eg einst gewinnen würde und die weiße Frau antwortete: „Der, den du fütterst.“

Mein Ziel ist es, dass der böse Mol’eg am Ende meines Lebens verhungert – oder zumindest so geschwächt ist, dass er sich nicht mehr regen kann. In meiner Heimat ist es leicht, den guten Mol’eg zu füttern. Doch als Sternenflottenoffiziere geraten wir immer wieder in Situationen, die dem bösen Mol’eg Futter geben. Vor allem meine Angst und mein Zorn mästen den meinen. Wie konnte ich da die bleiben, die ich einst war, als ich im behüteten Schoß meiner Familie und der weißen Schule lebte? Doch je stärker der böse Mol’eg wird desto mehr Futter versuche ich dem Guten zu geben, damit er immer wieder die Oberhand gewinnen kann. Liebe, Freude, Hoffnung …von all dem gibt es in meinem Herzen nicht genug. Aber ich bekomme es von meinen Freunden … von dir, von Sam …

Mili … sei froh, dass du nicht alle Antworten kennst. Dass keiner von dir erwartet, alle kennen zu müssen … so wie es viele – zu viele – hier auf Seyalia von mir erwarten. Denn so wie du kenne ich sie auch nicht!

So unterschiedlich wie wir beide zu sein scheinen, so ähnlich sind wir uns doch. Wir stehen uns oft selber im Wege. Du, weil du glaubst, unkonventionell und ungebunden sein zu müssen und es doch nicht bist, ich weil ich denke, gebunden und regelkonform sein zu müssen und es doch nicht bin. Wir beide denken häufig quer und in überraschender Weise trotzdem in die gleiche Richtung. Du weißt die Antworten wenn sie mir nicht einfallen wollen, ich finde sie, wenn du sie nicht siehst. Und wir halten uns gegenseitig den Spiegel vor Augen, auch wenn es manchmal schmerz, da wir den bösen Mol’eg im anderen schon oft erkannt haben.

Dennoch versuchen wir stets, den guten Mol’eg im anderen zu füttern. Weil wir Freunde sind. Und nichts in diesem Universum kann das ändern. Denn unsere Freundschaft beruht nicht wie so oft auf einer Illusion der Ähnlichkeit sondern auf der Erkenntnis der Unterschiedlichkeit.

In Liebe

Assjima

Sie stand auf und ging hinüber zum Falken. In Sams Pilotensessel sitzend starrte sie ein paar Momente lang in den dunklen Nachthimmel, in dem vereinzelt ein paar Sterne funkelten. Doch die Wolken zogen sich immer dichter zusammen, bis auch der zweite Mond gänzlich verschwunden war. „Morgen wird es regnen“ dachte sie, während der Text vom Padd in die Bordkommunikation geladen wurde. Dunkle Ahnungen stiegen in ihr auf. Der morgige Tag würde mehr als anstrengend werden. Er könnte fundamentale Veränderungen mit sich führen. Veränderungen, die auf einer Begegnung basieren würden, vor der sie Angst hatte.

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Am nächsten Morgen erschien ein sichtlich unausgeschlafener Atemil am Frühstückstisch.

„Du siehst aus, als ob du deine ganze Bibliothek verschlungen hättest“ grinste Sam. „Hast du was gefunden?“

„Ja“ nickte der Priester. „Und wir sollten sofort nach Seyann Draschu fliegen. Wir müssen uns mit Malik und Niral treffen.“

„Was hast du entdeckt?“ fragte Assjima.

„Das kann ich dir nicht sagen. Noch nicht. Aber du solltest eine erneute Begegnung mit Deglamesch nicht zu lange herauszögern.“

Die Ärztin betrachtete den alten Lehrer nachdenklich. Dann nickte sie. „Ich verstehe.“ Ohne weiteren Kommentar schob sie das grüngelbe Stück Tominfrucht in den Mund, dass sie gerade in den Fingern hielt.

„Ich kann euch beiden gerade nicht folgen“ hakte Sam nach. „Warum kannst du nicht sagen, was du herausgefunden hast?“

„Damit Deglamesch durch mich nicht erfahren kann, was Atemil über ihn weiß“ erklärte Assjima tonlos.

„Verstehe ich das richtig? Atemil weiß etwas über diesen Vorlok, was vielleicht nicht zu dessen Vorteil gereicht und sie soll ihn dennoch in sich hinein lassen?“

„Wir werden sie beschützen“

„Wer wir? Du und ich?“

„Malik und Niral werden auch dabei sein.“

Sam atmete tief durch und antwortete leise: „Ihr seid alle total verrückt. Wann starten wir?“ Ihm war klar, dass sich weder Assjima noch Atemil von diesem Plan abringen lassen würden.

„Gleich nach dem Frühstück.“

***

Wenig später saßen Sam und Assjima in Merkalms Cafe während Atemil sich mit Niral und Malik beriet.

„Mir ist nicht wohl bei der Sache“ brummte der Betazoide missmutig und rührte lustlos in seinem Kaffee.

„Mir auch nicht … aber es muss sein.“

„Ich weiß.“

Beide schwiegen ein paar Minuten. Dann setzte Sam erneut an:

„Ich hoffe, dieser Atemil weiß was er tut.“

„Er weiß es, Sam“ Assjima legte ihre Hand auf die seine. „Er handelt immer mit Bedacht.“

„Außer damals, als Ischila ihn aus der Schule geworfen hat.“

„Zu Unrecht … aus heutiger Sicht. Damals war noch nicht die Zeit für seine Ideen.“

„Aber das hatte er nicht bedacht.“

„Doch, hatte er. Er konnte nur nicht anders. Wie sollte er weiter als Lehrer arbeiten, wenn er einen Teil der Lehren, die er unterrichten sollte nicht länger vertreten konnte?“

„Für Freidenker ist in der weißen Schule nie viel Platz gewesen, oder?“

„Nein … nicht damals. Aber die Zeiten ändern sich und Ischila ist weise genug, sich dem nicht in den Weg zu stellen.“

„Selbst für mich ist der Gedanke, männliche Priester in den obersten Rängen der Schule zu sehen, ein wenig befremdlich. Irgendwie war eure Religion für mich immer eine reine Frauensache. Ich bilde mir immer noch ein, dass den männlichen Deltanern dafür die Antennen fehlen.“

Assjima lachte leise. „Nicht alle sind wie mein Vater.“

„Weiß ich doch. Aber wenn selbst ich als Betazoide mich nur langsam an diesen Gedanken gewöhnen muss … wie schwer muss das erst den Nerillar fallen?“

„Wir leben in einer Zeit der Veränderungen. So viel ist in den letzten Jahren geschehen. Sie haben sich an Umbrüche gewöhnt. Da werden sie auch dies noch schlucken.“

„Also kommt er wieder aus seinem Loch gekrochen und nutzt die Chance, die sich ihm nun bietet um wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu treten. Du bist sein Sprungbrett.“

„Vergiss nicht, dass Ischila und ich ihn hervorgelockt haben. Die Zeit ist reif für ihn und seine Ideen. Und wir brauchen ihn.“

„Trotzdem gefällt mir die ganze Sache nicht. Da schimmert mir etwas zuviel Eigennutz durch den Deckmantel des unentbehrlichen Gelehrten.“

„Er will helfen und sieht gleichzeitig seine Chance. Zulange schon musste er auf eine solche Gelegenheit warten. Daran ist nichts verwerflich.“

Sam schüttelte missmutig den Kopf. „Du siehst immer nur das Gute im anderen. Du bist einfach unverbesserlich.“

„Ich sehe durchaus auch die negativen Seiten, Imzadi. Aber wenn das Gute überwiegt, so will ich einfach daran glauben.“

„Versprich mir, dass du heute Abend diesem Deglamesch gegenüber alles Misstrauen entgegenbringst, das du aufbringen kannst.“

Assjima nickte ernst. „Ja, das werde ich. Ich habe diesbezüglich in all den Jahren bei der Sternenflotte durchaus etwas gelernt.“

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„Öffnen Sie einen Kanal“, befahl der Zakdorn dem Offizier an der OPS-Konsole. Jener bestätigte mit einem Kopfnicken. „Kanal offen, Sir.“

„Hier spricht Captain Vartik Tanrim von der USS Community. Lieutenant! Wir haben Sie erst in einer Stunde erwartet.“

Auf dem großen Sichtschirm flackerte das Bild einer lächelnden Bajohaliianerin auf. „Tut mir leid, Sir“, entgegnete sie. „Soll ich in einer Stunde wiederkommen?“

„Nicht nötig“, meinte der Zakdorn und seine Lippen zogen sich zu einem Grinsen hoch. „Ich kann mir vorstellen, dass Sie ganz froh sind, der Enge des Shuttles zu entkommen.“

„Oh ja“, lachte Milseya. „Ich freue mich schon auf ein ausgiebiges Bad und eine gute Mahlzeit.“

„Nun, bei dem Bad kann ich Ihnen nicht zur Hand gehen. Aber was das Essen betrifft – was halten Sie davon mir heute Abend beim Diner Gesellschaft zu leisten. Sie könnten mir dann auch von den neuesten Geschehnissen auf Delta berichten.“

Überraschung spielte sich auf dem Gesicht der Pilotin wider. „Sehr gerne, Captain“, beeilte sie sich zu erwidern. „Danke für die Einladung.“

„Gut, gut. Dann also um 20:00 in meinem Quartier.“ Tanrim stockte kurz. „Wir können dann auch gleich über die neuesten Nachrichten von Admiral Akagi beratschlagen.“

„Sir?“

Der Zakdorn antwortete ihr nicht, deutete ihr aber mit einer Handbewegung, dass sie sich gedulden sollte und wandte sich an den Flugoffizier an der Konsole. „Fähnrich Vahdat, erteilen Sie dem Lieutenant Landeerlaubnis.“

„Aye, Captain. Lieutenant Anquenar, Landerlaubnis auf Hangardeck 1 erteilt. Gehen Sie auf automatische Steuerung auf dem Leitstrahl...“

„Tz, tz, tz“, unterbrach Tanrim den Piloten kopfschüttelnd. „Wollen Sie es sich wirklich schon an Ihrem ersten Tag mit Ihrer Vorgesetzten verscherzen?“

„Aber, Sir!“, entgegnete der Kelleruner, der sich zu diesem umgedreht hatte. „Das Protokoll...“

„Ich bitte um Erlaubnis, manuell landen zu dürfen“, wurde er nun von Milseya unterbrochen.

„Erlaubnis erteilt“, antwortete der Zakdorn und lächelte dem Fähnrich zu. „Wenn ich mich nicht täusche, dann sieht das Protokoll vor, dass Sie jetzt die Hangartore öffnen, Fähnrich. Und ändern Sie nicht unsere Fluggeschwindigkeit. Der Lieutenant wird sich schon helfen wissen, Nicht wahr, Lieutenant Anquenar?“

Milseyas Antwort bestand in einem Lächeln.

„Willkommen zurück an Bord.“

Die Videoverbindung war beendet – und verwirrt aktivierte Vahdat die Hangartore, damit sie sich öffneten.

Die Communityy glitt gleichmäßig bei Impuls durch den Raum. Ein kleines Shuttle, in der Föderation unbekannter Bauart näherte sich schnell dem Schiff der Prometheus-Klasse, umrundete es zwei Mal um seine Breite, während es sich dessen Geschwindigkeit immer mehr anpasste. Dann brach es die Umkreisung ab, ließ sich hinter die Community fallen, um erneut wieder leicht zu beschleunigen und schließlich das Kraftfeld am Heck zu durchbrechen. Sanft glitt das Shuttle auf den Boden des Hangardecks und als es den Boden berührte, konnte man hören, wie der Antrieb sich abschaltete.

Lieutenant Thomas Baum straffte seinen Oberkörper als sich das Schott des Shuttles öffnete. Unwillkürlich nahmen auch die beiden Fähnriche an seiner Seite Haltung an.

„Bei allen Himmeln, endlich!“ hörten sie eine weibliche Stimme aus dem Shuttle. Dann flog ein Koffer aus der Öffnung und landete laut polternd auf dem Boden. Ein zweiter, noch größerer folgte ihm keine Minute später. Unsicher sahen sich die drei Offiziere an.

„Können wir Ihnen helfen, Ma'am?“, rief schließlich Thomas Baum zum Shuttle und konnte gerade noch rechtzeitig seinen Kopf vor einem fliegenden Seesack in Sicherheit bringen.

„Ja“, antwortete Milseya, die nun schnaufend am Schott auftauchte. „ZUnächst mal: Nennen Sie mich bloß nicht Ma'am!“ Sie stieg die Stufen hinab und sah zu den drei Piloten. „Nennen Sie mich Milseya, Mili, Zwergenkönigin oder auch Giftzwerg. Wobei Sie beim letzteren darauf achten sollten, dass ich nicht in Hörweite bin.... Was ist denn mit Ihnen los?“, fragte sie, als sie feststellte, dass jene wie Wachsfiguren starr dastanden. „Haben Sie etwa alle Rückenschmerzen?“

Lieutenant Thomas Baum räusperte sich leise. „Nein, Ma' .. Milseya. Die Flugcrew ist zu Ihrer Ankunft angetreten.“

„Angetre..?“ Die Bajohaliianerin musterte den Menschen ungläubig. „Oh, bei allen Himmeln, stehen Sie gefälligst bequem! Sie alle!“ Sie wandte sich an Thomas. „Hören Sie, Lieutenant. Diesen Quatsch lassen Sie in Zukunft sein, ja? Ich brauche dieses ganze Brimborium wirklich nicht. Fähnrich Terk!“

Der Idanianer wandte sich ihr zu. „Sie wurden, wie gewünscht, der Nachtschicht zugeteilt?“, fragte ihn Milseya.

„Ja, Lieutenant.“

„Gut. Dann sollten Sie sich jetzt wieder zurückziehen. Danke, dass Sie gekommen sind, aber jetzt hauen Sie ab!“

Naviel Terk sah unsicher zu Baum, der nur leicht nickte.

„Das gleiche gilt auch für Sie, Fähnrich Joschu“, fuhr die Bajohaliianerin unbeeindruckt fort. „Runter von meinem Hangardeck.“

Kaum schlossen sich die Schotts hinter den beiden Ensigns, wandte sich Milseya zu ihrem neuen Stellvertreter. „Sie wollten doch vorher wissen, ob Sie mir helfen können?“ Sie zeigte auf die beiden Koffer, während sie selbst nach dem Seesack griff. „Die sind auch nicht sooo schwer“, meinte sie grinsend. „Dafür lade ich Sie auch auf ein Mittagessen in Zehn Vorne ein. Da können Sie mir dann ausführlich Bericht erstatten.“

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Malik betrat den Raum und schloss die Türe hinter sich. So geräuschlos wie für einen Mann mit seinen Ausmaßen möglich zog er einen Stuhl heran und lies sich neben Sam nieder, der hochkonzentriert durch eine Glasscheibe in einen anderen kleinen Raum starrte, in dem Assjima mit geschlossenen Augen auf dem Boden kniete. Ihre Hand umklammerte das Vorlok-Amulett und leuchtete eigentümlich blau.

„Und?“ flüsterte der Hüne. „Hat er sich schon zu Wort gemeldet?“

Sam nickte. „Ja. Sie reden schon ein ganzes Weilchen miteinander. Assjima war zu Beginn ziemlich angespannt, aber jetzt ist sie ganz ruhig.“

„Weiß er dass du dich eingeklinkt hast?“

„Ich bin mir nicht sicher. Ich versuche, mich auf Assjimas Emotionen zu begrenzen. Aber da sie von meiner Anwesenheit weiß, kann es natürlich auch sein, dass er etwas davon mitbekommen hat. Allerdings kann ich von seiner Seite her keinerlei Beunruhigung spüren.“

„Womöglich weil er dich ja auch schon ein klein wenig kennt.“

Sam nickte und richtete seine empathischen Sensoren erneut auf seine Frau.

Malik blieb noch etwas sitzen und beobachtete die Szene im Nebenraum. Dann legte er seine Pranke auf Sams Schulter und stand auf. „Du schlägst sofort Alarm, bevor das hier aus dem Ruder läuft.“ Dann ging er zurück zu den anderen, die einen Raum weiter saßen und auf eine dreidimensionale Computergraphik starrten.

„Sam und Assjima scheinen das im Griff zu haben. Wie läuft es hier?“

„Ich glaube, wir haben es nun verstanden“ Marlesia stand auf und gab ein paar Daten in die Konsole. Die Graphik veränderte sich. „Es sind eindeutig Raumsektoren.“

„Vre g’lesch ke tek!“ fluchte der Philosoph. „Das ist ja der halbe Alpha-Quadrant!“

Marlesia nickte. „Und etwas mehr. Sogar Romulus und Ferenginar sind zu erkennen. Ebenso das Sol-System und die südlichen Bereiche um Vulkan und Orion.“

„Wie konnten die so weit kommen?“

Atemil griff ein: „Niemand weiß, ob sie tatsächlich dort waren. Womöglich wussten sie nur durch Reisende von der Existenz dieser entfernten Kulturen. Um Genaueres in Erfahrung zu bringen müssten die Forschungen auf die Geschichtsschreibungen und Mythologien vieler Völker ausgedehnt werden.“

„Die Suche nach dem schwarzen Mann! Einen Mythos zu entmystifizieren dürfte Generationen von Forschern beschäftigen.“ Malik ließ sich in einen leeren Sessel fallen, der unter dem enormen Gewicht empört aufstöhnte. „Und nun?“

Der Priester zuckte die Schultern. „Wir warten, bis Assjima ihr Gespräch mit Deglamesch beendet hat. Vielleicht bekommen wir ja noch ein paar zusätzliche Informationen.“

„Nur gut, dass sie von all dem nichts weiß. So können wir diesen verdammten Geist im Schach halten“ brummte der dicke Deltaner und sah sich in der kleinen Runde um. Aban Walir hatte inzwischen seine Padds zur Seite geschoben und starrte nur noch auf das Bild eines Gehirns auf seinen Monitor. Dr. Niral hingegen tat nur so, als ob sie weiterhin in einem zerschlissenen Pergament las. In Wirklichkeit kannte sie inzwischen jedes Wort auswendig und war mit ihren Gedanken tief in den grammatikalischen Verwirrungen einer altertümlichen und fremden Sprache verhaftet. Nur Captain Marlesia hatte sich entspannt zurück gelehnt und schmunzelte leise in sich hinein.

„An was denkst du?“ fragte Malik verwundert.

„Ach … ich hatte mich gerade nur gewundert, wie schnell man doch bereit ist, ein ganzes Weltbild über den Haufen zu werfen, weil eine neue Idee ein besseres Licht auf einen werfen könnte.“

„Das ist wirklich ein unterhaltsamer Gedanke. Aber lass uns nicht zu vorschnell urteilen. Wir sollten erst hören, was Assjima zu berichten weiß. Vielleicht kann sie die fehlenden Puzzleteilchen ergänzen.“

„Was fehlt euch denn?“

Blitzschnell schaltete Marlesia die Computerdarstellung aus und Aban drehte seinen Monitor zu Seite. Assjima stand in der Tür und sah sich fragend um.

„Prinzesschen!“ dröhnte Malik und wuchtete sich aus dem Sessel. „Schon fertig geplaudert?“

„Schon?“ Assjima sah auf die Uhr. „Das hat immerhin fast zwei Stunden gedauert.“

„Wie geht es dir? Setz dich! Niral … hol ihr doch mal einen Raktajino!“

„Beruhige dich, Malik. Mir geht es gut“ Sie setzte sich, während Sam neben der Tür stehen blieb und die Arme vor der Brust verschränkte. Er wirkte angespannt.

Malik warf ihm einen fragenden Blick zu. „Das Amulett?“

„Ist im Nebenraum.“

„Gut. Assjima … lass Aban einen Scan von dir machen … vor allem von deiner Hand. Wir müssen alles sorgfältig dokumentieren.“

Der junge Arzt ging wirklich sehr gründlich vor während Malik vor Neugierde fast platzte.

Dann endlich konnte Assjima von ihrem Gespräch mit Deglamesch berichten:

„Es dauerte ein Weilchen bis er sich zu Wort meldete. Ich konnte spüren, dass er da war, aber es wirkte als ob er erst langsam wach werden müsste. Seine Gegenwart war dann aber keineswegs unangenehm. Anfangs sprach er in diesem seltsamen Vorlok-Deltanisch-Gemisch, in dem er in dieser Nacht auf dem Damm gesprochen hatte. Doch schon nach wenigen Minuten änderte sich das. Er wechselte in ein ziemlich gutes Deltanisch über um dann zum Schluss nicht mehr verbal sondern in Bildern zu kommunizieren.“

„Konntest du ihn auch sehen?“ unterbrach Malik.

„Ja …“ Assjima hielt inne und dachte nach. „Das war allerdings etwas seltsam. Es waren immer nur kurze Momente, die vor allem dann aufblitzen, wenn er von sich und seinen Handlungen berichtete. Doch veränderte sich sein Bild. Anfangs wirkte er grob, ungeschlachtet, fast ein wenig verwachsen. Ich machte mir tatsächlich Gedanken, was eine solch schöne Frau wie Derlain an ihm finden konnte. Doch veränderte sich sein Bild und zum Schluss sah er aus, wie alle Dilrak: Groß, schlank, fast ein wenig schlaksig. Er wurde Dräng immer ähnlicher. Ich denke, dass diese Wahrnehmung durch meine eigenen Vorstellungen forciert wurde.“

Atemil und Aban warfen sich einen bedeutungsvollen Blick zu. „Erzählte er etwas von seinem Aufenthalt auf Seyalia?“ fragte der Priester.

„Das war ihm sogar sehr wichtig. Er bestätigte Derlains Bericht, dass sie anfangs auf der Suche nach neuen Quellen für ihren Rohstoffbedarf, vor allem Gold, waren. Dann wurde es zu einer Suche nach einer neuen Heimat, nachdem sie erkannten, dass Ula’zen aufgrund der immensen Umweltverschmutzung nicht mehr zu retten war. Durch Händler hatten sie von Seyalia erfahren. Unsere Vorfahren haben sie sehr freundlich aufgenommen und die drei Jahre auf unserem Planeten hatte er sehr genossen. Doch dann begannen die Nerillar mit ihrem passiven Widerstand. An diese Zeit kann er sich nur schemenhaft erinnern. Diese telepathische Blockade hat seine Sinne und seine Erinnerung gelähmt. Er folgte mit den verbliebenen Raumschiffen den beiden gekaperten Schiffen zurück nach Ula’zen und wurde Zeuge, wie eines der beiden Raumschiffe außer Kontrolle geriet, in den verschmutzten Orbit stürzte und die Atmosphäre entzündete. Ich konnte den unsäglichen Schmerz spüren, den er seitdem in sich trägt. Dann erzählte er von der langen Suche nach einer neuen Heimat und der Freude, die er empfand, als sie Ula’ktos entdeckten. Und dann die Trennung von seiner Familie, weil er die Vorlok suchen wollte, die in anderen Regionen der Galaxie unterwegs waren und noch nichts von der Vernichtung ihrer Heimat wissen konnten. Er konnte einige der anderen Clans finden und schickte sie nach Ula’zen. Irgendwann führte ihn eine Spur nach Pelgra … dem heutigen Tau Piscis Australis. Dort wurde er von den Einheimischen entdeckt, geriet in einen Hinterhalt und wurde erschlagen. Er kann sich noch ganz schwach an sein Sterben erinnern. Der Rest besteht nur noch aus Schlaf und Träumen bis er auf dem Falken langsam wieder erwachte. Er vermutet, dass es meine Nähe war, die ihn ins Bewusstsein zurückholte.“

„Bekommt er denn was mit, wenn er da so in seinem Amulett vor sich hin döst?“ wollte nun Marlesia wissen.

„Wenn ich in der Nähe bin, dann kann er seine Umgebung schemenhaft wahrnehmen. Vermutlich durch meine Augen und Ohren.“

„Du spürst dann aber nichts von ihm?“ hakte die alte Kommandantin nach.

Assjima schüttelte den Kopf. „Nein … zumindest nicht bewusst. Ich fühle mich jedoch in der Nähe des Medaillons nicht sonderlich wohl. Vielleicht fühle ich mich irgendwie beobachtet … ich bin mir nicht sicher.“

„Und wie denkst du nun von Deglamesch? Ich meine: ist er dir sympathisch?“

„Das ist eine gute Frage, Marlesia. Er wirkt ruhig, bedacht, klug. Aber … ich möchte ihn nicht vorschnell verurteilen … aber irgendwie ist er mir zu bedacht, zu klug. Ich will sagen: er hat zweieinhalttausend Jahre in einem Amulett geschlafen. Er muss doch viele Fragen haben. Diese neue Welt muss ihn doch mit Neugierde erfüllen. Aber er überwiegend von den Vorlok und von sich erzählt. Als ob er etwas erklären wollte. Um Verständnis und Vertrauen bittend … fast bettelnd.“

Nun griff Atemil wieder ein: „Was für Fragen stellte er denn?“

„Er wollte die Sternenzeit wissen … nein, das ist nicht korrekt. Mit der Sternenzeit konnte er nichts anfangen. Er fragte, wie viele Jahre seit der Zerstörung seiner Heimat vergangen seien. Dann fragte er nach Derlain und seiner Tochter. Ich erzählte ihm von Dräng und das freute ihn.“

„Nein“ unterbrach nun Sam. „Er sagte vielleicht, dass es ihn freuen würde. Du hast seinen Worten gelauscht, ich hingegen habe auf seine Emotionen geachtet. Was er sagte konnte ich nicht wahrnehmen. Aber ich konnte genau spüren, dass er keine Freude und keinerlei Überraschung empfand. Es hätte ihn doch irgendwie erfreuen müssen, zu hören dass es seiner Familie nach all den Jahren gut ging, dass er inzwischen einen Enkelsohn hatte. Ich empfand jedoch nur großes Interesse und höchste Anspannung. Absolute Konzentration.“

Assjima drehte sich zu ihm um. „Er hat geschauspielert?“

„Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber ich denke, dass er sehr darauf bedacht war, die richtigen Worte zu wählen.“

Die Ärztin dachte nach. Dann nickte sie zustimmend. „Da magst du durchaus Recht haben. Zu bedacht … Er hatte viel Zeit gehabt, sich seine Worte zurecht zulegen. Womöglich ist es das, was mich stört.“

„Und er hat dir nichts Neues erzählt. Zumindest nichts Wesentliches. Das Meiste wussten wir schon“ ergänzte Malik. „Doch lass uns zum Kern der Sache kommen: Glaubst du, ihm trauen zu können?“

Diesmal zögerte Assjima nicht: „Nein. Nicht mehr und nicht weniger als ich Derlain traue. Bislang haben wir von den Dilrak nur Worte gehört. Eine Geschichte, die sich aus den verschiedenen Mündern zu ähnlich anhört. Ich würde zu gerne einen handfesten Beweis sehen, der die Geschichte der Vorlok bestätigt.“

„Damit können wir leider nicht dienen, Assjima“ schaltete sich nun die junge Linguistin ein. „Aber wir haben Beweise, dass hinter dieser Geschichte eine andere Wahrheit liegt. Eine ganz andere, von denen die Dilrak uns nichts erzählt haben.“

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Assjima betrachtete die hübsche junge Frau sehr lange und sehr nachdenklich. Bislang hatte sie noch nicht viele Gelegenheiten bekommen, sich eingehender mit ihr zu unterhalten. Aber sie wusste, dass die Sprachwissenschaftlerin einen sehr guten Ruf als Wissenschaftlerin hatte und dass Aban Walir unsterblich in sie verliebt war. Überhaupt war hier eine recht sonderbare Gruppe versammelt. Eine erfahrene, alte Sternenflottenkommandantin; ein dem Alkohol häufig und gerne zusprechender Philosoph; ein Priester zweifelhaften Rufes; ein junger Arzt im praktischen Jahr; eine Sprachexpertin am Anfang ihrer Karriere; ein Pilot, der lieber mit Werkzeug als mit Büchern rumhantierte … nicht gerade ein Team, das einen offiziellen Auftrag von der deltanischen Regierung oder dem Sternenflottenkommando erhalten würde. Und dennoch versuchten sie seit Tagen, seit Wochen, ein Rätsel zu lösen, das Einfluss auf die Entwicklung eines ganzen Raumsektors nehmen könnte. Und sie war sich sicher, dass diese bunt zusammen gewürfelte Gruppe die Lösung finden würde … ja, sie vielleicht schon gefunden hatte.

„Dann zeigt mir die Wahrheit hinter dieser Geschichte.“

Die anderen warfen sich fragende wer-fängt-an-Blicke zu. Dann stand Atemil auf und zog ein zerschlissenes Schriftstück unter einem Stapel Schriftrollen hervor.

„Du erinnerst dich, dass mir an dem Amulett etwas bekannt vorkam. Vor vielen Jahren war ich in Eschkarabu, weil die Mönche dort ihr Archiv neu sortierten und diverse Materialien, mit denen sie nichts anfangen konnten, sichten lassen wollten bevor sie entsorgt wurden. Ich fand damals dieses Pergament und bat darum es mitnehmen zu dürfen, obwohl ich auch keine Ahnung hatte, was diese Zeichnungen bedeuteten. Ich wollte nur nicht, dass es ins Feuer wanderte. Du weißt, dass ich immer schon Probleme damit hatte, alte Papiere wegzuwerfen.“

Er reichte Assjima das Blatt. Es zeigte sechs flüchtig gezeichnete Skizzen … sechs Vorlok-Amulette!

Assjima deutete auf die erste Zeichnung. „Das sieht aus wie meines.“

„Ja“ stimmte der Priester zu. „Es ist ein Amulett der Dilrak. Die anderen können wir inzwischen den fünf anderen Clans zuordnen. Dräng hat uns dabei geholfen. Leider konnte der Junge nicht sagen, was sie bedeuten. Beachte bitte die zwölf Zeichen, welche um ein dreizehntes in der Mitte angeordnet sind. Dieses Zeichen ist immer dasselbe. Doch die anderen haben auf jedem Medaillon eine andere Position. Allerdings verändern sie nicht die Reihenfolge. Es ist eher wie ein Ring, der um das mittlere Zeichen gedreht wird. Hier – bei dem Dilrak-Amulett steht dieses ganz oben. Bei dem der Gewtlen stehen zwei andere Zeichen oben und unten im Kreis, während das Zeichen der Dilrak im Uhrzeigersinn weiter gewandert ist.“ Atemils Finger wanderte erklärend über das Blatt. „Hier haben wir nun laut Dräng das Medaillon der Semitak. Und das gehört zum Clan der Kalandr. Dräng kann das an der Anordnung der Symbole erkennen. Den Dilrak wird nur ein Symbol zugeordnet, den Gewtlen zwei, den Semitak sogar drei, während den Kalandr, den Beklasch und den Retalk wiederum nur zwei zugeordnet werden. Ein Symbol steht immer oben im Kreis, das zweite unten. Warum die Dilrak nur ein Symbol, die Semitak aber drei haben, konnte Dräng leider nicht erklären. Doch vermutlich haben wir es auch ohne ihn herausgefunden.“

Jetzt ergriff Niral das Wort: „Wir fragten uns, warum die Vorlok im Oktalsystem rechnen. Das ist ganz untypisch für Humanoide mit jeweils fünf Fingern an zwei Händen. Das mag an der für sie magischen Bedeutung der Zahl acht liegen. Neugeburt, Neubeginn, Auferstehung … und das Oktaeder.“

„Ein platonischer Körper größtmöglicher Symmetrie“ kommentierte Assjima.

„Genau. Ich untersuchte nun die fünf platonischen Körper, kam aber nicht weiter. Dann habe ich meine Überlegungen auf die abgestumpften platonischen Körper ausgedehnt und gelangte so zu den archimedischen Körpern. Dreizehn an der Zahl. Doch störte mich immer wieder die den Vorlok so wichtige Zahl Acht, die ich bei den archimedischen Körpern nicht sinnvoll unterbringen konnte. Also dachte ich ein Weilchen über die dreizehn catalanischen Körper nach.“

Assjima horchte auf. „Die zu den archimedischen Körpern dualen Polyeder? Taucht dort die Acht systematisch auf?“

Niral nickte. „Ja … wenn man sie miteinander kombiniert. Das Triakistetraeder hat 12 Flächen und das Triakisikosaeder 60. Das ergibt zusammen 72 Flächen. Das Rhombendodekaeder hat ebenfalls 12 Flächen und das Pentakisdodekaeder 60 Flächen. Das ergibt erneut 72 Flächen. Beim Deltoidalikositetraeder mit 24 Flächen und beim Hexakisoktaeder mit 48 Flächen kommen wir wieder auf 72. Und wenn wir die 24 Flächendes Triakisoktaeder mit den 24 vom Tetrakishexaeder und den 24 vom Pentagonikositetraeder addieren haben wir erneut 72 Flächen.“

„Die drei Zeichen der Semitak!“ warf Assjima erstaunt dazwischen.

„Exakt. Dann haben wir noch die Kombination von Triakisikosaeder und dem Pentagonhexakontaeder mit jeweils 60 Flächen. 120 ist auch wieder durch Acht teilbar.“

„Bleibt noch das Hexakisikosaeder mit 120 Flächen … die Dilrak!“ Assjima starrte überrascht die sechs Zeichnungen in ihrer Hand an. „Doch was ist mit dem 30-flächigen Rhombentriakontaeder? Ist es das Zeichen in der Mitte?“

„Ja. Die Anzahl seiner Flächen ist nicht durch acht, aber durch sechs teilbar. Sechs Vorlok-Clans.“

„Das gemeinsame Zentrum …“

„Zudem ist 13 die sechste Primzahl. Eine Primzahl für jeden Clan.“

„Das System wird langsam sichtbar. Aber welche Bedeutung steckt dahinter?“

„Ich glaube, dass kann Marlesia besser erklären“ Die Sprachwissenschaftlerin gab die Würfel weiter. Doch die alte Kommandantin schüttelte den Kopf.

„Lass erst Aban zu Wort kommen. Der junge Mann hat ein paar erstaunliche Erkenntnisse gewonnen.“

Walir drehte seinen Monitor so, dass alle auf das Bild sehen konnten. Etwas verlegen erklärte er, dass es sich um einen Scann von Drängs Gehirn handelte. „Ich habe unseren Freund sehr eingehend untersucht. Seine Anatomie ist in vielem ähnlich der anderer Humanoider. Doch sind mir einige Besonderheiten aufgefallen. Seine sensorischen Fähigkeiten sind besonders ausgeprägt. Außerdem zeigen seine kognitiven Prozesse eine enorme Leistungsfähigkeit auf. Es zeigte sich, dass er ein fotografisches Gedächtnis besitzt. Hier können wir sehen, dass die Bereiche im Gehirn, die der Speicherung von Wissen und Erinnerungen sehr viel Raum einnehmen. Unser Freund lernt also nicht nur ungemein schnell. Er kann sein erworbenes Wissen auch hervorragend abspeichern.

Aber das ist noch nicht alles. Seine körpereigenen Selbstheilungskräfte sind enorm und Anatomie erweist sich als unglaublich anpassungsfähig. Und wenn wir und nun einmal seine Hände anschauen …“ Aban rief einen anderen Scann auf „ … können wir eigenartige, auf den ersten Blick überflüssige Nervenstränge erkennen.“

Assjima stand auf und beugte sich über den Monitor. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. „Das gibt es doch gar nicht!“ Sie schaltete auf den Gehirnscann zurück. „Hast du auch Scanns der anderen Extremitäten?“

„Sicher doch. Hier die Beine, die Füße … Finger … Unterarm …“

„Nase?“

„Auch die Nase“ Er schaltete weiter.

„So etwas Ähnliches habe ich nur einmal gesehen … vor vielen Jahren … bei einem Metamorphen. Nur ist das hier nicht ganz so ausgeprägt.“

„Ja … und es ist nicht direkt natürlichen Ursprungs.“

„Derlain! Sie betreibt ein Genlabor. Aber Dräng ist kein Metamorph.“

„Nein, ist er nicht. Aber er kann seine Gestalt sehr langsam verändern. Er kann sich anpassen. Über Jahre hinweg, ganz langsam, womöglich sogar unbewusst. Wenn es sein innigster Wunsch wäre, so könnte er in zwanzig oder dreißig Jahren aussehen wie ein Deltaner, oder ein Klingone, ein Betazoide oder ein Mensch. Welcher Humanoide auch immer. Auch eine Anpassung in Teilen wäre ihm möglich. Was ihm eben am besten gefällt. Eine andere Nase? Kein Problem – in zwei oder drei Jahren könnte er sie haben.“

„Und er kann Sprache, Kultur, Verhalten, das ganze Wissen anderer Spezies in Rekordzeit aufnehmen. Das ist unglaublich, Aban!“

„So können sich die Vorlok nahezu jedem beliebigen Lebensraum anpassen, solange die natürlichen Verhältnisse ein humanoides Leben ermöglichen. Wüste, Eis … diese Wesen können durch ihre anatomischen Besonderheiten nahezu überall überleben. Ich denke, dass sie einen Teil dieser Befähigungen schon immer hatten und dass dann durch Genmanipulation ein wenig nachgeholfen wurde.“

„Womöglich rennen hier bei uns noch immer ein paar angepasste Vorlok von damals herum?“ scherzte Assjima.

Doch Aban schüttelte ernst den Kopf. „Das glaube ich nicht, Doc. Die innere Organstruktur bleibt erhalten. Ebenso die Langlebigkeit. Außerdem glaube ich nicht, dass sie sich damals schon so schnell verändern konnten. Dräng ist das Ergebnis der ersten genmanipulierten Generation. Seine Eltern würden für eine solche Anpassung vermutlich drei oder vier Jahrhunderte benötigen. Ihre Langlebigkeit ermöglicht das, steht ihnen aber gleichzeitig im Weg. Die neu gewonnenen Erfahrungen und Veränderungswünsche werden dadurch nur sehr langsam weitergegeben. Deswegen wurde gentechnisch etwas nachgeholfen.“

„Und was denkt ihr? Zu welchem Zweck?“ fragte Assjima in die Runde.

„Das kann ich dir vermutlich erklären“ antwortete Marlesia und aktivierte das holographische Modell.

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Ein Wirrwarr von Linien erschien in der Luft schwebend.

Assjima stand auf und ging langsam um das Modell herum. „Es tut mir leid, Captain. Aber ich sehe hier nur ein kompliziert gesponnenes Netz.“

„Genau das ist es auch. Pass auf!“ Marlesia gab dem Computer einen Befehl: „Die catalanischen Körper mit Ausnahme des Rhombentriakontaeders anzeigen!“

Die Linien verfärbten sich und nun erkannte die Ärztin 12 Hohlraumkörper, die in geringen, unregelmäßigen Abständen zueinander platziert waren. „Inkugeln einfügen!“

In jedem Hohlkörper erschien nun eine Kugel, die sämtliche Flächen des Körpers von innen berührte. „Mittelpunkte der Kugeln anzeigen!“ Marlesias Finger huschten über die Konsole und jeder Mittelpunkt wurde mit einer der ersten 6 Primzahlen benannt. „Und nun die Mittelpunkte in numerischer Reihenfolge miteinander verbinden!“

Eine leuchtende Linie schoss durch das Hologramm und ein Würfel erschien im Zentrum des Konstrukts.

„Ein Hexaeder?“ Assjima schüttelte verwirrt den Kopf. „Sechs Flächen, acht Ecken, zwölf Kanten … okay, aber ich kann dem Ganzen definitiv nicht folgen … Was soll das?“

Marlesia lächelte. „Ich weiß … Mathematik war nie deine Stärke. Malik hatte sich in die Idee verbissen, dass dieses Amulett nicht einfach nur einen Leitstrahl auf den Heimatplaneten der Vorlok ausrichtet, sondern ein wichtiger Bestandteil eines ganzen Navigationssystems sein muss. Sam berichtete von den Aussagen dieses Gewtlen, der das Kraftwerk leitete. Demnach besitzen die Vorlok verschiedene Navigationssysteme unterschiedlicher Komplexität. Dieses Amulett jedoch musste in jedes System passen. Wir gingen deswegen davon aus, dass die Medaillons aller sechs Clans in ihrer Funktionsweise identisch sein müssen. Sie sind das Herzstück des Systems. Niral war überzeugt, dass die Symbole auf den Amuletten nicht nur Zierrat sein können, sondern in direktem Zusammenhang mit seiner Funktion stehen müssten. Wir haben eine raumfahrende Spezies, Navigationssysteme und dreidimensionale geometrische Körper. Malik hatte die Idee, dass es sich bei diesen Körpern um Raumsektoren handeln könnte. Deswegen wurde ich dazu gerufen. Doch du wirst gleich verstehen, worauf ich hinaus will. Computer: Außenkreis um das Hexaeder einfügen und diesen dann als Inkreis für ein Rhombentriakontaeder definieren. Rhombentriakontaeder einfügen und dessen Mittelpunkt bestimmen.“ Ein kleiner roter Punkt blinkte auf. „Sämtliche Hilfslinien entfernen. Nur die catalanischen Körper und deren Mittelpunkte stehen lassen.“

Jetzt wurde das Bild etwas übersichtlicher. Assjima deutete auf den blinkenden roten Punkt. „Ist das etwa Ula’zen?“ fragte sie vorsichtig.

„Ja“ nickte die alte Kommandantin. „Bei der Erstellung dieses Konstrukts sind wir natürlich in umgekehrter Reihenfolge vorgegangen. Wir sind vom Mittelpunkt der Vorlokschen Welt ausgegangen und kamen so zu dieser speziellen Anordnung der Raumsektoren. Doch es geht noch weiter. Computer: füge die wichtigsten Sonnensysteme in der Sternenkonstellation vor 2.700 Jahren ein.“ Diverse Sterne mit Benennung erschienen. „Und passe die catalanischen Körper proportional der aktuellen Konstellation an.“ Das Hologramm dehnte sich aus.

Assjima blieb beinahe die Luft weg. „Das ist ja fast der ganze nördliche Teil des Alphaquadranten! Sogar Vulkan und Orion werden von einem dieser Körper erfasst! Romulus … und Ferengiar! Wie konnten die Vorlok damals schon von diesen Systemen wissen?“

Atemil zuckte die Schultern „Reisende, Händler, Raumsonden … wir wissen es nicht. Aber mir war schon immer klar, dass sie nicht durch Zufall auf Seyalia gestoßen sind. Die wussten ganz genau, wo sie hinflogen. Und jeder Clan hatte seine eigene Region, die er zu erkunden hatte. Schau mal …“ Er deutete auf den Sektor, der unter anderem Orion umfasste. „Das ist das Pentakisdodekaeder welches wir den Gewtlen zuordnen. Sam erzählte, dass dieser Techniker, der euch geholfen hat nicht die gleiche Statur wie die Dilrak hatte. Er war wesentlich muskulöser.“

„Das ist richtig“ stimmte die Ärztin zu. „Genrat ist gebaut … wie ein Orioner! Du willst sagen, dass er auf Orion war und sich ein wenig deren Äußerem angepasst hatte?“

„Das wäre meine Vermutung.“

Assjima setzte sich wieder und starrte das Hologramm an. „Sie waren womöglich überall … haben sich die Eigenschaften der Völker angeeignet, die ihnen von Vorteil erschienen, haben deren Kultur untersucht, sich Technologien angeeignet … haben Erfahrungen gesammelt und viel gelernt. Und trotzdem sind sie in einer Raumtasche verschwunden und von der Welt vergessen worden. Sie hätten doch sehr viel mehr erreichen können.“

„Genau das ist der Punkt, Prinzesschen“ stimmte Malik zu. „Sie hätten viel mehr erreichen müssen!“

„Was womöglich auch geschehen wäre, wenn wir nicht ihre Heimatwelt vernichtet hätten.“

„Oder wenn man sie gelassen hätte. Wir sind in den letzten Wochen immer davon ausgegangen, dass Nagaschura uns eine gewaltige Lüge aufgebunden hätte. Wenn er nun doch die Wahrheit berichtet hat?“

„Brutale, hässliche Bestien, die uns unterdrückt und ausgeplündert haben?“ Assjimas Blicke wanderten von einem zum anderen. „Sie haben von uns die Telepathie erlernt und in den folgenden Jahrhunderten ihre Fähigkeiten verbessert. Die Dilrak haben sich sogar ein wenig unserem Geschmack bezüglich der äußeren Erscheinung angepasst. Wenn ich dieses Modell richtig deute, so ist Seyalia das der vorlokschen Heimatwelt nächstgelegenes System. Ihr habt den Dilrak die Primärzahl 1 zugeordnet, womit entweder ihr Rang unter den Clans gemeint sein könnte …“

„… oder die Aufgabe, als erster Clan ins All zu reisen“ ergänzte nun Marlesia. „Um bei uns zu lernen und die anderen vor deren Abreise mit den neuen Erkenntnissen auszustatten. Immerhin sind sie ein Clan von Kriegern. Man schickt als erstes immer die Krieger los …“

„… wenn man eine fremde Welt erobern will.“ Assjima lehnte sich zurück und dachte nach. „Als ich vorhin mit Deglamesch sprach veränderte sich nicht nur seine Sprache sondern auch sein Aussehen. Er wollte mir gefallen … er wollte Vertrauen erwecken.“

„Zum Glück ist er an eine Nerill geraten, die mit denen von vor fast dreitausend Jahren nicht mehr viel gemeinsam hat. Und Derlain hat es letztendlich auch nicht geschafft, dein Vertrauen zu gewinnen. Wer weiß, was wir angestellt hätten, wenn sie es geschafft hätte und du öffentlich als Fürsprecherin der Vorlok aufgetreten wärest?“ Die Sternenflottenkommandantin gab Assjima einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.

„Ohne euch hätte ich das womöglich auch noch getan.“

„Einen Teufel hättest du!“ mischte sich nun Sam ein. „Dazu bist du inzwischen viel zu sehr Sternenflotte.“

„Tja, mein Schatz. Auch wir lernen von anderen. Aber nicht gewaltsam.“ Assjima stand auf und ging hinüber zu der Konsole, an der noch immer Aban Walir saß. Sie betrachtete seine Scann noch einmal sehr intensiv. Dann deutete sie auf das Bild von Drängs Hand. „Hast du eine Theorie zu diesen seltsamen Nervenzellen in den Fingerkuppen?“

Aban zuckte erschrocken zusammen. Er war es nicht gewohnt, von seiner Chefin geduzt zu werden. „Ja …“ stotterte er verlegen. „Ich denke, dass diese Zellen noch nicht ganz ausgebildet sind. Irgendwann könnte er in der Lage sein, damit Informationen aufzunehmen … wesentlich differenzierter als mit normalen Tastzellen.“

Die Ärztin nickte. „Ich muss mir das so bald wie möglich genauer anschauen, aber wenn ich richtig liege, dann werden diese Zellen erst durch einen mächtigen Impuls aktiviert. Einen Impuls wie er bei einem Nahtoderlebnis und der anschließenden Verschmelzung mit einer alten Seele freigesetzt werden könnte.“

„Die jungen Vorlok erlangen ihre vollständigen Fähigkeiten erst durch die Verschmelzung … wodurch sie zu Kriegern werden.“ Malik wuchtete sich aus seinem Sessel. „Freunde … wenn wir richtig liegen, dann haben wir es mit ganz besonderen Vampiren zu tun. Sie saugen alles Lernenswerte in sich auf, setzen die neuen Erkenntnisse rasend schnell um und werden so immer mächtiger. Und nachdem Derlain immer noch an den Genen der Jugend herummanipuliert um diese Fähigkeit zu perfektionieren, können wir davon ausgehen, dass zumindest die Dilrak ihre Pläne trotz der Vernichtung ihrer Heimatwelt nicht geändert haben.“

„Und sie werden damit fortfahren, sobald wir ihnen aus ihrer Raumtasche heraus helfen.“ Assjima stützte sich schwer auf die Tischplatte und starrte das Hologramm an. „Sie ähneln den Borg. Sie wollen nicht langsam lernen sondern assimilieren das, was ihnen wertvoll erscheint.“

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„Übertreiben Sie jetzt nicht ein wenig, Commander?“ wagte sich Aban Walir vorsichtig vor.

„Vielleicht … aber wir sollten nicht zu naiv sein.“

„Man kann auch zu misstrauisch werden … im Laufe der Zeit …“

Assjima warf dem jungen Mann einen verwunderten Blick zu bis seine Segelohren vor Verlegenheit anfingen zu glühen. Aber er hielt ihrem Blick stand. Dann nickte sie und fragte in die Runde: „Was meint ihr? Hat mein junger Kollege Recht? Schieße ich über das Ziel hinaus?“

„Die Vorlok mit den Borg zu vergleichen ist womöglich tatsächlich etwas zu … gewagt“ setzte Niral an. „Aber Malik und ich haben die uns bekannten Schriften über die Vorlok sehr genau untersucht. Normalerweise lassen sich Verfälschungen der Geschichte in einem solchen Vergleich erkennen. Es sind oft nur Kleinigkeiten, die Unstimmigkeiten in den Aufzeichnungen anzeigen. Man muss genau hinschauen, aber sie lassen sich durchaus erkennen. Wir konnten nichts Entsprechendes finden. Als Atemil mit seinen Erkenntnissen dazu kam, wurde unser Ergebnis eher noch untermauert. Und wir sind ja nicht die Ersten, die sich mit den Vorlok beschäftigten. Niemand vor uns konnte in den Schriften auch nur den geringsten Hinweis auf eine Verfälschung finden.“

Malik nickte zustimmend. „In meinem ersten Urteil war ich zu schnell. Eine große Lüge aufzudecken ist für einen Philosophen eine Wahnsinnssache. Ich habe mich verleiten lassen. Tatsächlich gibt es keine Beweise für eine bewusste Geschichtsverfälschung durch Nagaschura und seine Nachfolger. Mea Culpa! Nur bei den Schilderungen der Zerstörung der vorlokschen Heimatwelt sind wir uns unsicher. Es kehrte nur das Schiff Nagaschuras zurück. Und es gibt nur einen einzigen Bericht über die Ereignisse. Dieser Bericht aus der Feder des großen Meisters ist sehr wage gehalten. Dass Derlain mit ihrer Version der Wahrheit näher kommen könnte, liegt durchaus im Bereich des Möglichen.“

„Und unterm Strich bleibt dann doch nur die unterschiedliche Sichtweise übrig“ schaltete sich nun Sam ein. „Nagaschura sagt, die Vorlok seien böse Bestien, die kamen um die Nerillar auszuplündern. Derlain behauptet, sie seien gekommen um die Nerillar kennen zu lernen, mit ihnen Handel zu treiben und von ihnen zu lernen. Sie räumt Fehler ein, die Nerillar hätten sich deswegen zum Aufstand aufgerafft, ein paar Schiffe gekapert und den Heimatplaneten nur wegen ihrer Unerfahrenheit vernichtet. Nagaschura hingegen behauptet, die Deltaner hätten den Planeten ganz bewusst zerstört. Eine Version, die behauptet, dass die Nerillar zu blöd waren und eine andere, die sagt, dass sie große Helden seien. Nagaschura verlangte, dass ihr mit dieser Erbsünde leben und darauf eine bessere Gesellschaft aufbauen müsst. Derlain hingegen behauptet, dass es diese Erbsünde nie gegeben hätte, dass alles nur ein Unfall war, dass ihr euch umsonst mit dieser Schuld herum geschlagen habt und dass die Vorlok euch schon längst vergeben hätten. Was davon stimmt kann ich nicht sagen. Aber momentan geht es doch eher um die Frage, ob die Vorlok tatsächlich die Bestien waren, als die sie von Nagaschura und seinen Zeitgenossen hingestellt werden oder ob sie in Wirklichkeit eher harmlos waren, diese ganze Freundschaftsache mit den Nerillar ein wenig falsch angegangen sind und deswegen missverstanden wurden. Verharmlost Derlain diese Episode? Vielleicht übertreibt Nagaschura auch? Oder liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen?“

„Eine ungewöhnliche Situation“ brummte der dicke Philosoph. „Normalerweise ist es doch umgekehrt. Der Schuldige untertreibt und der Ankläger übertreibt. Derlain will uns womöglich in Sicherheit wiegen. Nagaschura hingegen wollte uns warnen. Vor den Vorlok und vor uns selber. Er sagt, dass wir Bestien sein können, genauso wie es die Vorlok sind. Sie hingegen behauptet, die Deltaner seien nett, so nett wie es die Vorlok normalerweise auch sind.“

Assjima ging hinüber zum Replikator und bestellte sich einen neuen Raktajino. „Was ist eine Bestie?“ sinnierte sie, als sie mit der Tasse in der Hand zu ihrem Platz zurückging. „Die schlimmste Bestie ist zu 98 % genau wie alle anderen. Es sind die restlichen 2 %, die sie zu dem macht was sie ist – eine Bestie.“

„Wenn dem so ist, Schwester, dann hat Nagaschura Recht. Keiner leugnet, dass in allen Nerillar eine Bestie schlummert. Und dass sie gelegentlich erwachen kann.“ Atemil trommelte nervös mit den Fingern auf der Tischplatte. „Und auch in den Vorlok steckt eine Bestie. Der Unterschied könnte darin liegen, dass diese Bestie nicht so viel schläft wie die unsere.“

„Sie füttern den falschen Mol'eg.“

Die anwesenden Deltaner stimmten Assjimas Bemerkung mit heftigem Nicken zu, die fragenden Blicke der beiden Außerweltlichen im Raum ignorierend.

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Drei Wochen waren vergangen. Drei Wochen, in denen die Wogen auf Seyalia hoch geschlagen waren. In kleinen privaten Diskussionsgruppen und in den höchsten wissenschaftlichen Kreisen. Anfangs, nachdem Assjima den jungen Vorlok auf den Planeten gebracht hatte, verhielten sich die Deltaner wie man es von ihnen erwartete: überrascht angesichts der Neuigkeiten, aber freundlich und interessiert. Dann folgte eine Phase des gespannten Abwartens: wie würde es mit Vorlok und Deltanern weiter gehen? Welche neuen Wege würden durch die Diplomatie aufgezeigt werden? Wie würde sich die Politik entschieden? Wie würde sich die weiße Schule dazu stellen? Bis diese neuen Erkenntnisse der kleinen Gruppe um Assjima an die Öffentlichkeit gedrungen waren. Mit der abwartenden Ruhe war es nun endgültig vorbei. Während die Wissenschaftler die Schriften wälzten um Belege für oder wider Maliks und Atemils Theorien zu finden, schlugen sich die Politiker zumindest verbal die Köpfe ein, auf der Suche nach einem Weg, den Vorlok die Wahrheit zu entreißen.

In den ersten Tagen wurde Assjima von einem Gremium zum nächsten weitergereicht, musste Interviews geben, vor wissenschaftlichen Kommissionen aussagen … bis ihr der Kragen platzte und sie sich jeglicher weiterer Befragung verweigerte.

„Ich habe gesagt, was ich zu sagen habe. Es ist nun an euch, einen Weg zu finden“ hatte sie gegenüber einer Gruppe erstaunter Förderationshistoriker geäußert und erbost den Raum verlassen.

Seitdem hielten sie und Sam sich im Kloster Nelisch auf. Wesjlas Leute waren sehr darauf bedacht, das Gelände gegenüber Fremden abzuriegeln, so dass Assjima tatsächlich ein wenig Ruhe finden konnte. Eslau hatte inzwischen auch Dräng in das Kloster geschickt, da es ihm nicht mehr möglich war, sich der Journalisten und Fotografen zu erwehren, die um Interviews und Photoshootings mit ihm und dem Vorlok baten. Der Junge war bei der Wahrheitsfindung nur begrenzt von Nutzen, da er von den eventuellen Plänen seiner Großmutter und ihren Leuten ganz offensichtlich nicht die geringste Ahnung hatte. Er nutzte nun die Zeit, Assjima und ihren Freunden mehr vom Leben auf Ula’ktos zu berichten.

Der einzige Pressevertreter, der in diesen Tagen Zutritt zu dem kleinen Kreis hatte, war ein Trill namens Ketal Tran. Und einmal wieder zeigte er sich als guter Beobachter und sachlicher Berichterstatter. Er hielt sich meist dezent im Hintergrund und notierte seine Eindrücke. Ketal interessierte sich jedoch nicht nur für den jungen Vorlok sondern auch für die im Kloster lebenden Nerillar, die so ganz anders waren als die Deltaner, denen er in Seyann Draschu begegnet war. Oh ja – die Städter waren freundlich und fröhlich, schön anzusehen und überhaupt eine angenehme Gesellschaft. Er hatte sich in der unterirdischen Hafenstadt sehr wohl gefühlt. Doch hier war es anders. Auch die Bewohner von Nelisch waren fröhliche Wesen, die eigentlich immer in kleinen Gruppen auftraten und permanent das Gefühl vermittelten, gerade wieder irgendein Fest zu feiern. Doch strahlten sie trotz ihrer Lebhaftigkeit eine immense innere Ruhe aus, die nur noch von ihrer Sinnlichkeit übertrumpft wurde. Jeder alltägliche Handgriff hatte etwas Rituelles an sich und jeder noch so flapsig hingeworfene Kommentar zwang ihn unmittelbar nach einem tieferen Sinn zu suchen. Je besser er die Nerillar in Nelisch kennen lernte, desto mehr verlor Assjima für ihn an Einzigartigkeit. Keine Frage: Sie würde für ihn immer etwas Besonderes bleiben, aber es gab auch noch andere, die ihr ähnlich waren. Er begann zu verstehen, wie sehr die Ärztin von dieser basisdemokratischen Gesellschaftsform geprägt worden war. Jeder hatte seine Aufgaben und Pflichten, konnte sich blind auf den anderen verlassen, sprang ein, wenn der andere ausfiel, akzeptierte Stärken und Schwächen … abgesehen davon, dass Wesjla das Kloster nach außen hin vertrat und die Kinder den Erwachsenen meistens gehorchten, konnte er keine wirkliche Hierarchie erkennen. Die Grenzen der persönlichen Freiheit waren weit gesteckt. Sie endete erst dort wo die persönliche Freiheit des anderen begann. Und dieser Übergang war stets fließend. Diese kleine Gemeinschaft faszinierte den mit allen Wassern des Universums gewaschenen Journalisten und er ertappte sich immer wieder bei dem Gedanken, dass dies durchaus ein Ort sein könnte, an dem er sich einst zur Ruhe setzen könnte. Eigentlich könnte er gleich damit beginnen … so glaubte er zumindest bis zu dem Moment, in dem sein Kumpel Sam einmal wieder den Falken vor den Toren des Klosters landete und hilfreiche Geister herbeieilten um die Ladung zu löschen. Als das kurze Durcheinander wieder in Bahnen geordnet verlief, fiel sein Blick auf die Bolianerin, die mit einem ölverschmiertem Overall bekleidet, einen Container mit Hilfe eines Schwebegleiters aus dem Raumschiff bugsierte. Genau in diesem Augenblick platzte seine Sich-zur-Ruhe-setzen-Seifenblase.

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„Unerträglich“ schimpfte Sam als er sich neben Assjima ins Gras warf. „Ich hätte sie diesmal besser nicht mitgebracht.“

Assjima gähnte und blinzelte schläfrig in die Sonne. „Wen?“

„Gle’ma. Ketal ist kaum mehr zu ertragen, seit ich sie ihm vorgestellt habe. Er leidet wie ein Hund weil die Blaue ihm ständig nur die kalte Schulter zeigt.“

„Vermutlich befindet sich ihre Libido momentan wieder in ihrer feministischen Phase“ brummte die Ärztin und rollte sich auf die Seite um den Mittagsschlaf fortzusetzen.

„Ach Quatsch! Ketal ist ein prima Kerl und sieht auch noch gut aus. Er hat es nicht verdient, so behandelt zu werden.“

„Das Aussehen hat Gle’ma noch nie interessiert. Und Schreiberlinge auch nicht. Bringe ihm bei, einen Antrieb zu reparieren und sie wird ihn vielleicht beachten. Aber sein ständiges Balzen wirkt bei ihr mit Sicherheit nicht.“

„Eher könnte ich einem Fisch das Fliegen beibringen …“

„Und der Vogel würde sich dennoch nicht in den Fisch verlieben.“ Assjima rollte sich zusammen und schloss die Augen. „Er könnte einen Umweg über Blechbüx versuchen.“

Sam hingegen drückte ihr einen Kuss auf den Kopf: „Du bist wunderbar! Sich beim Blechlümmel einzuschleimen könnte wirklich helfen.“ Dann sprang er auf und rannte Wesjla beinahe über den Haufen, die von den Wohnhäusern her zu ihnen hinüber spaziert kam.

„Was ist denn in den gefahren?“ fragte sie kopfschüttelnd, als sie die Freundin erreicht hatte.

„Er hat wohl wieder einen neuen Plan, wie er Gle’ma erweichen könnte.“ Assjima richtete sich auf. „Was ist los? Du wirkst besorgt. Ist es wegen Ketal?“

„Nein“ Die Äbtissin schüttelte den Kopf. „Soeben ist eine Nachricht von der Förderationsniederlassung auf Seyann Draschu eingetroffen. „Amol Darg soll morgen abreisen um ins Sternenflotten-Hauptquartier gebracht zu werden. Doch vorher will sie noch mit dir sprechen.“

„Mit mir? Warum?“

„Das weiß ich nicht. Aber es sei wohl wichtig.“ Wesjla ließ sich im Gras nieder. „Ich weiß nicht, ob du dich wirklich mit ihr treffen solltest.“

„Weil sie mich wieder verwirren könnte?“

„Nein … weil sie Amol Darg ist. Du hast noch so viele Fragen zu lösen. Sie jedoch wird dir nur noch mehr Rätsel aufgeben.“

„Womöglich hat sie auch ein paar Antworten für mich?“

„Glaubst du das tatsächlich? Warum hat sie diese der Förderation dann noch nicht mitgeteilt? Immerhin wartet lebenslänglich Gefängnis auf sie. Einige passende Antworten könnten ihr vielleicht ein paar Jahre ersparen.“

„Amol denkt nicht in solchen Bahnen.“

„Aber du denkst in ihren?“ Wesjla schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. Ich habe da ein ganz ungutes Gefühl.“

„Hör auf, dir Sorgen um mich zu machen … ich bin doch schon groß“ lachte die Ärztin und legte den Arm um Wesjlas Schultern.

„Und landest trotzdem ständig mitten im Zentrum des Schlamassels. Ich habe keine Ahnung, wie du das immer wieder schaffst.“

„Solange ihr mich jedes Mal wieder heraus zieht, kann ich mir das erlauben. Wann will sie mich sehen?“

„Am besten noch heute.“

Assjima stand auf und reichte der Äbtissin die Hand. „Komm. Wir fragen Sam ob er mich nachher noch fliegen kann. Magst du mitkommen? Ich könnte eine Eskorte gebrauchen.“

Bearbeitet von Assjima
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Amol Darg war keineswegs in einem Hochsicherheitstrakt untergebracht. So etwas gab es weder in der Sternenflottenniederlassung auf Seyann Draschu noch irgendwo sonst auf Seyalia. Eine einfache Arrestzelle war wegen der langen Verweildauer auch nicht geeignet. So blieb letztendlich nur ein kleines Quartier, welches durch zusätzliche Kraftfelder abgesichert wurde. Das Wachpersonal war vorher sehr gründlich ausgewählt worden, um sicherzugehen, dass niemand auch nur im Entferntesten mit dem weit gespannten Netz der Terellianerin in Berührung gekommen sein könnte.

Amols Zöglinge Elin und Kalek waren schon seit einigen Tagen auf dem Weg ins Solsystem, was Assjima bedauerte, denn sie hätte den Orioner gerne noch einmal begrüßt. Aber vermutlich würde sie ihn auf der Erde wieder treffen, denn dort sollte in einigen Wochen das Gerichtsverfahren gegen ihn eröffnet werden und sie würde mit großer Sicherheit aussagen müssen – wie noch so einige andere aus der Community-Crew.

Wesjla und Sam mussten draußen warten, während Assjima das kleine Quartier mit sehr gemischten Gefühlen betrat.

Die alte Terellianerin döste in einem mächtigen Sessel sitzend. Ihre Augen öffneten sich langsam, als sie bemerkte, dass jemand den Raum betrat. „Lieutenant Commander Assjima … so sehen wir uns doch noch einmal. Bitte setz dich.“

Die Deltanerin griff in die Tasche und zog eine Packung der Salzstängel hervor, welche die Terellianerin so sehr liebte. „Vermutlich bekommst du hier nicht so viele davon“ sagte sie und legte das Päckchen auf den Tisch bevor sie den einzigen Stuhl im Raum heran zog. „Du hast es hier recht bequem“ eröffnete sie das Gespräch und schaute sich um. „Aber eingerichtet hast du dich nicht, wie ich sehe.“

„Ich benötige nicht viel. Sternenflottenstandart ist mehr als ich gewöhnt bin. Und meine privaten Besitztümer habe ich weggegeben.“

„Auch deine Sammlung?“ entgegnete die Deltanerin überrascht. „Wenn ich mich richtig erinnere, so hast du dich doch immer gerne an der Schönheit der Dinge erfreut.“

„Es ist alles in eine Stiftung eingeflossen, die dem Wiederaufbau Nerias dienen soll“ nickte Amol. „Ich habe erkannt, dass man loslassen muss um alle vier Hände frei zu haben.“

„Das ist wahr. Und mit kleinem Gepäck reist es sich zudem bequemer. Ist schon bekannt, wann dein Verfahren beginnt?“

Amol schüttelte den Kopf. „Nein. Es werden noch immer Beweise zusammen getragen. Aber womöglich kommt es erst gar nicht zu einer Verhandlung.“

Assjima horchte erstaunt auf. „Ist der Chefankläger womöglich auch einer deiner vielen Ziehsöhne?“

„So einfach ist die Sachlage nun auch wieder nicht“ schmunzelte die alte Frau. „Derlain möchte, dass ich nach Ula’ktos komme. Sie bietet mir Asyl.“

„Und die Förderation würde da mitmachen? Das zu glauben fällt mir irgendwie schwer.“

„Die Förderation hat möglicherweise keine Wahl. Derlain erwartet meine Überführung als … nun ja … ein Zeichen des guten Willens. Vorher ist sie nicht bereit, ernsthafte diplomatische Gespräche aufzunehmen.“

In Assjimas Kopf begann es zu arbeiten. Was sollte denn das nun wieder? Die Vorlok waren gegenüber der Förderation bislang als Bittsteller aufgetreten. Und nun stellen sie eine Forderung, die zu erfüllen schwer fallen dürfte, da sie den Gesetzen der Förderation gänzlich widersprach.

„Ich habe das auch nicht verstanden, Kindchen. Aber inzwischen habe ich das Gefühl, dass die Dilrak die Förderation mit dieser Forderung testen wollen. Ist diese Gemeinschaft in der Lage, über ihren eigenen Schatten zu springen und auf Rache zu verzichten um eine neue Entwicklung in die Wege zu leiten?“

„Hm … ich weiß nicht. Würdest du denn nach Ula’ktos gehen wollen, wenn man dich ließe?“

„Deswegen wollte ich mit dir sprechen. Soll ich dieses Angebot annehmen?“

„Die Förderation kann dir nur Gefängnis bieten. Was versprechen die Vorlok?“

„Freiheit. Sie würden sich um mich kümmern. Mir einen Platz in ihrer Gemeinschaft einräumen. Aber selbstverständlich würde ich ihren Planeten nicht verlassen können. Aber ich kann nicht erkennen, welchen Vorteil sie sich durch meine Person ausrechnen. Immerhin stellen sie durch diese Forderung der Diplomatie eine große Hürde in den Weg.“

„Und eine brauchbare Geisel wärest du auch nicht …“ murmelte die Ärztin.

„Wieso eine Geisel?“ Das ansonsten so unbewegte Gesicht Amols nahm einen überraschten Ausdruck an.

„Weil ich inzwischen glaube, dass die Vorlok nicht ganz das sind, was sie vorgeben zu sein.“ In knappen Worten schilderte sie der Terellianerin die neuesten Erkenntnisse.

„Ihr glaubt also, die Vorlok seien eine Art Parasit, der sich ohne Rücksicht auf Verluste nicht nur das Wissen sondern auch die körperlichen Vorzüge seiner Wirte aneignet?“ Der linke obere Arm Amols griff nun nach der Packung Salzstängel, riss sie mit Hilfe des rechten unteren auf und schob eine Stange zwischen die Zähne. Es knackte leise und Amol verzog genüsslich das Gesicht.

Assjima nickte zustimmend: „Inzwischen ist der größte Teil der deltanischen Wissenschaftler derselben Ansicht.“

„Wenn ihr Recht habt, dann habe ich mich einmal wieder geirrt. Ich glaubte, es mit einem Volk zu tun zu haben, das nicht viele böse Gedanken hegt, das das Prinzip der Rache nicht kennt … konnte ich mich so irren?“

„Ich dachte eine Zeitlang in dieselbe Richtung. Weil ich es mir wünschte.“

„Der Wunsch nach Vergebung ist in euch Deltanern tief verwurzelt. Wer sollte ihn euch auch absprechen wollen. Als ich zu den Vorlok kam, hatte ich immer noch dieses gewaltige Verlangen nach Rache. Rache an der Förderation, an den Nerianern, an der Community. Bei ihnen lernte ich, dass der Wunsch nach Vergeltung alles Positive aufzehrt und den Geist verdunkelt. Sie müssen überragende Schwindler sein, dass sie mir diese Erkenntnis so überzeugend vermitteln konnten.“

„Vermutlich denken sie tatsächlich nicht an Rache. Diese Art von Gefühl blockiert die Weiterentwicklung. Wer expandieren will, darf sich nicht mit solchen Gedanken belasten. Hast du nur Dilrak getroffen oder auch Vertreter der anderen Clans?“

„Nur Dilrak … die, welche nach eurer Theorie versucht haben, die Eigenschaften der Deltaner zu übernehmen.“

Assjima nickte. „Von Deltanern einer Zeit, in der wir keine Worte für Hass, Rache oder Krieg kannten. Es gab nur den Zorn, der schnell wieder verrauchte.“

„Vielleicht haben sie auch ein wenig von eurer Güte übernommen? Womöglich wollen sie mich einfach nur vor dem Gefängnis bewahren, nachdem ich ihnen einen so großen Dienst erwiesen habe?“

„Dankbarkeit?“ Assjima schüttelte den Kopf. „Das gehört in die Kategorie Selbstlosigkeit. Zumindest mit Derlain kann ich eine solche Eigenschaft nicht in Verbindung bringen. Ich glaube eher, dass sie sich von deiner Anwesenheit weitere Vorteile versprechen. Von dir könnten sie viel lernen. Dein Wissen über Kunst, über die Reichtümer dieser Galaxie. Deine vielen Kontakte und Verbindungen. Und deine Güte. Um Güte glaubhaft vorgaukeln zu können, muss man die Besonderheiten dieser Eigenschaft genauestens kennen. Wenn sie dies schon vor 2.700 Jahren gekonnt hätten, dann wäre die damalige Reise nach Delta für sie vielleicht erfolgreicher gewesen.“

„Wenn du richtig liegst, dann werde ich wohl lieber ins Gefängnis gehen.“ Eine weitere Salzstange zerbrach zwischen den Zähnen. Doch dann hielt Amol ganz plötzlich in der Bewegung inne. „Aber … Assjima – ich vermute, dass du trotz deiner außerordentlichen Begabung meine Gedanken nicht lesen kannst, oder?“

„Ich habe es noch nicht versucht.“

„Tu mir den Gefallen!“

Assjima konzentrierte sich auf ihr Gegenüber. Nach ein paar Augenblicken schob sie die Hand über den Tisch und legte sie auf Amols Arm. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, es geht nicht. Ich sehe gar nichts. Nicht einmal mit Körperkontakt.“

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch die Vorlok meine Gedanken nicht lesen, geschweige denn blockieren können. Sie haben nur immer meinen Worten gelauscht. Vielleicht würden sie es nach einiger Zeit lernen, aber das könnte dauern. Wenn ich nun zu ihnen ginge … ich könnte mich für euch umhören. Zumindest eine Zeitlang … solange ich meine Gedanken vor ihnen verheimlichen kann.“

„Du als Spionin der Förderation?“ Assjima riss die Augen auf und starrte die alte Frau überrascht an.

„Warum nicht? Sie wollen mich haben. Und wenn die Förderation mich nur widerwillig gehen ließe, dann wäre das doch ganz unauffällig. Eleganter könntet ihr keinen Spion platzieren.“

„Aber wenn sie dir dann doch irgendwann auf die Schliche kämen?“

„Dann was? Glaube mir Kindchen … nichts kann so schlimm sein, dass ich es nicht verdient hätte. Aber wenn ich der Förderation helfe, so kann ich vielleicht einen kleinen Teil meiner Schuld wieder abtragen. Auf eine sinnvollere Weise, als nutzlos im Gefängnis herum zu sitzen.“

„Das kann ich nachvollziehen. Wir müssten aber auch einen Weg finden, wie du aus dieser Raumtasche heraus mit der Förderation kommunizieren kannst.“

„Ich denke, dass euren Technikern da schon was einfallen würde. Wirst du mit den zuständigen Behörden meinen Vorschlag besprechen?“

Die Ärztin nickte. „Ja, das werde ich.“ Sie stand auf. „Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Deine Abreise muss aufgeschoben werden und die Kommunikation mit Ula’ktos ist immer noch sehr langwierig.“

„Ich habe alle Zeit der Welt. Aber es muss alles gründlich durchdacht werden. Besprecht es und teil mir eure Entscheidung mit. Ich bin zu allem bereit … was es auch sein mag.“

„Danke Amol. Ich melde mich so schnell wie möglich.“ Sie drehte sich um, um den Raum zu verlassen, doch die alte Frau hielt sie zurück.

„Assjima … da wäre noch etwas!“

„Was denn?“

„Du erinnerst dich an die Kommandantin des romulanischen Warbird Hiren?“

„Dalis? Selbstverständlich! Was ist mit ihr?“

„Sie steckt seit ihrem Einsatz um Neria in ziemlichen Schwierigkeiten. Meine Kontakte erzählen, dass sie seit einigen Wochen gänzlich von der Bildfläche verschwunden sei. Leider ist mein Handlungsspielraum derzeit etwas eingeschränkt. Aber vielleicht weiß die Sternenflotte etwas mehr. Sie könnte womöglich etwas Hilfe gebrauchen.“

„Ich werde mich umhören. Danke dir … ich hoffe, dass deine Informationen diesmal falsch sind, und Dalis einfach nur mit der Hiren auf einer Mission ist.“

Sie verneigte sich knapp und verließ den Raum.

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„Erstaunlich!“, meinte Vartik Tanrim und lehnte sich in seinem Stuhl zurück „Wie schaffen Sie alle es immer wieder in solche Situationen zu geraten?“

Milseya zuckte mit den Schulter, während der Löffel Kokoscremetorte mit weißer Schokolade in ihrem Mund dahinschmolz. „Keine Ahnung, Captain. Vielleicht fragen Sie da mal die anderen.“

Ihr Tag war interessant, wenn auch ereignislos gewesen. Thomas Baum hatte ihr Gepäck klaglos in ihr Quartier getragen, obwohl der Weg dort hin lange gewesen war und die Koffer offenbar immer schwerer geworden waren. Denn Milseya war alle paar Meter von Crewmitgliedern aufgehalten worden, die sie nicht nur gegrüßt hatten, sondern gleich nach den Ereignissen bei Delta befragt hatten.

Milseya hatte sich bei Thomas mit einem langen und hoffentlich auch amüsanten Mittagessen revanchiert. Nachdem sie die notwendigen Berichte durchgegangen waren, Thomas ihr seine persönliche und professionelle Einschätzung der neuen Piloten mitgeteilt hatte, begannen die beiden sich näher kennen zu lernen. Sie erzählten sich von besonderen Manövern, von ihren schlimmsten Abstürzen und von ihren Familien. Nach vier Stunden hatten beide das Gefühl, den anderen gut zu kennen. So gut, dass man einander vertrauen konnte. Kein blindes Vertrauen – es würde noch lange dauern, bis sie einander blind vertrauen würden. Doch war eine solide Grundlage geschaffen, auf der sie beide aufbauen konnten.

Anschließend war Milseya in ihr Quartier zurückgekehrt und hatte zunächst ihr Gepäck ausgepackt und dabei ihre Nachricht abgerufen. Assjimas hat geantwortet und Milseya hatte den Brief mehrmals gelesen, dann war sie für eine lange Weile in die Badewanne gestiegen und hatte einfach nur an die Decke gestarrt.

Schließlich war es Zeit gewesen, sich abzutrocknen und anzuziehen. Milseya wählte einen schlichten burgundfarbenen Kaftan, dazu eine dunkelviolette Hose, beide verziert mit feinen goldenen Stickereien an den Säumen und Bünden. Sie schlüpfte in kupferfarbene Ballerinas und flocht sich zum Schluss die Haare zu einem lockeren Zopf.

Tanrim Vartik hatte die Bajohaliianerin erfreut begrüßt. Bei einem Aperitif – Milseya hatte den Sekt abgelehnt – erzählte der Zakdorn von den Ereignissen an Bord und erklärte, wie sich die neuen Piloten seiner Meinung nach machten und vor allem, wo er noch Defizite sah. Milseya stimmte ihm bei den meisten Punkten zu und versprach, dass sie sich darum kümmern würde. Sie kamen auf Miauz zu sprechen – und der erste Gang des Menüs füllte sich mit allerlei Klatsch und Tratsch des Bordfriseurs, wobei Milseya dem Captain deutlich anmerkte, dass er nur ihr zuliebe diese Geschichten aufs Tablet brachte. Dankbar nahm Tanrim daher die Gelegenheit wahr und wechselte das Thema, als seine Chefpilotin ihm Grüße von Assjima ausrichtete. Und so erzählte Milseya ausgiebig von den Vorlok – von Assjimas Entführung an bis hin zu ihrer aller Rettung aus der Raumtasche. Die Bajohaliianerin erzählte detailreich, dennoch hakte Tanrim immer wieder nach. Schließlich war sie am Ende der Geschichte und beim Dessert angelangt.

Der Zakdorn lächelte leicht. Dann beugte er sich vor und bot ihr etwas vom saurianischen Brandy an, den Milseya mit einem Kopfschütteln ablehnte und stattdessen um ein Glas kalter Milch und eine weitere Portion des Kuchens bat.

„Was ich allerdings nicht ganz verstehe, Lieutenant“, sagte Tanrim „ist, warum Sie jetzt schon hier sind. Ich meine, das Rätsel um die Vorlok scheint ja noch nicht gelöst zu sein. Und selbst wenn Sie das nicht interessiert, dann wäre da ja noch immer diese ungewöhnliche Raumtasche, die Sie als Astrophysikerin doch faszinieren müsste. Dennoch sind Sie jetzt hier und nicht bei Delta.“

Milseya seufzte leise und legte den Löffel beiseite. „Assjima und ich hatten eine … Auseinandersetzung“, erklärte sie schließlich und als der Zakdorn sie daraufhin fragend anblickte, fasste sie ihre eigene Dummheit und Assjimas Reaktion darauf zusammen. „Ich denke, dass es im Moment gut ist, wenn wir beide ein wenig Abstand von einander haben“, erklärte sie. „Und was die Astrophysik betrifft, nun ja, ich lasse diese vorerst ruhen zu lassen , da ich darüber nachdenke, neue Studien zu beginnen.“

„Ach wirklich?“, kam es erstaunt zurück. „Und darf ich fragen, was das für Studien sind?“, fragte Tanrim.

„Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was Admiral Akagi Neues zu berichten hat?“, erwiderte Milseya, die nicht vorhatte ihre noch nicht ausgegorenen Pläne zu erläutern.

Der Zakdorn ließ es dabei bewenden und nickte. „Natürlich, verzeihen Sie. Sie müssen ja beinahe vor Neugier umkommen, nachdem ich es erwähnt habe.“ Er erhob sich von seinem Stuhl und trat mit nachdenklicher Miene an das große Fenster. „Wahrscheinlich haben Sie aber schon eine Ahnung davon, denn schließlich gibt es nur wenige Personen, die von dieser – von Ihrer – Geschichte wissen und Akagi und ich gehören zu diesen.“

„Wurde er gefasst?“, wollte Milseya wissen und ihre Stimme glich eiskaltem Stahl.

„Nein.“ Tanrim schüttelte den Kopf. „Aber man weiß, wo er ist.“

„Worauf wartet Akagi denn noch?“

„Er dachte, dass Sie vielleicht gerne anwesend wären, wenn er verhaftet wird.“

Milseya dachte eine Weile lang nach. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, das ist nicht möglich. Tut mir leid, Captain.“

Der Zakdorn sah sie ein wenig verwundert an. „Verzeihen Sie, Milseya, aber nach all dem was dieser Mann Ihnen und den anderen angetan hatte, nach allem wofür er verantwortlich ist, dachte ich, dass ...“

„Es ist nicht, dass ich nicht will“, unterbrach sie ihn sanft. „Bei allen Himmeln, wirklich nicht., Sir. Ich würde ihm zu gerne in die Augen sehen, wenn die Handschellen klicken. Damit er weiß, dass ICH ihn besiegt habe. Doch ich KANN nicht...“ Sie erhob sich ebenfalls und trat zu Tanrim. „Captain, ich bin schwanger – und ich werde das Leben meiner Tochter nicht für dieses Subjekt aufs Spiel setzen.“

„Lieutenant!“, entfuhr es dem Mann überrascht. Dann schalt er sich in Gedanken. Es hätte ihm auffallen müssen. Die Bajohaliianerin, die nie einen guten Tropfen verschmähte, hatte während des gesamten Abends keinen Schluck Alkohol getrunken. „Ich gratuliere! Man darf doch gratulieren?“, sagte er, nachdem er sich gefasst hatte.

„Natürlich – auch wenn es uns selbst überrascht hat“, erwiderte sie. „Schließlich hatten wir beide gedacht, dass es bei unser weniger guten Kompatibilität ein wenig länger dauern würde. Daher hatten wir auch keine Vorkehrungen getroffen.“

Tanrim runzelte kurz die Stirn. „Ich erinnere mich, dass Sie bei Ihrer ersten Schwangerschaft Immunsuppressoren einnehmen mussten – müssen Sie nun wieder in eine Quasi-Quarantäne?“

„Nein, das wurde behoben.“

„Behoben?“ Der Zakdorn glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. „Lieutenant, so weit ich weiß, ist das nicht...“

„Wenn Sie nicht möchten, dass ich Sie belüge, Sir, dann sollten Sie nicht weiter fragen“, unterbrach Milseya ihn sanft. „Kommen wir zurück zu Cayman. Benötigt der Admiral dabei Hilfe von, nun sagen wir, ganz speziellen Freunden?“

„Der Admiral erwähnte etwas in dieser Art“, erwiderte Tanrim und nestelte aus einer Tasche einen Datenchip, den er Milseya gab. „Sie finden hier sämtliche Informationen, die der Admiral mir gegeben hat.“

Die Bajohaliianerin zögerte keinen Moment als sie nach dem Chip griff und ihn in einer Tasche verschwinden ließ. „Vielleicht kann ja einer dieser Freunde dafür sorgen, dass ich zumindest mittels Stream mit dabei bin.“

„Und selbst wenn nicht“, meinte der Zakdorn, der nun galant Milseya wieder an den Tisch führte und ihr den Stuhl zurechtschob, „werden Sie genügend Gelegenheit haben, sich mit Cayman zu unterhalten.“ Er lächelte kurz als sie ihn fragend ansah. „Die Community wird den Gefangenen zum nächstgelegenen Sternenflottenposten befördern.“

Bearbeitet von Milseya Anquenar
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  • 3 Wochen später...

Sie wollen Amol tatsächlich als Spionin einsetzen und solange gute Miene zum möglicherweise falschen Spiel machen … Nachdem Assjima diese letzte Nachricht von der Sternenflotte bekommen hatte, streunte sie ein paar Stunden ziellos über die Wiesen bis sie eher zufällig am Ufer des kleinen Teiches landete, in dem die Kinder an heißen Sommertagen so gerne badeten. Der Sommer war vorüber, frühherbstliche Kühle breitete sich vom Wasser aus und erste Blätter schwebten von den Bäumen herab.

Sie setzte sich in den feinen Sand und blickte mit einem Hauch von Schwermut in den Augen über die Wasseroberfläche.

“Warum bist du so traurig? fragte der Stein neben ihr wortlos. “Du solltest doch glücklich sein. Das Gute in Amol Darg hat gesiegt. Sie stellt sich mit ihrem großen Herzen einmal wieder in den Dienst der Gemeinschaft.“

„Sie verschwindet in der Dunkelheit. Niemand wird von ihrem Einsatz erfahren. In den Augen der Öffentlichkeit wird sie immer die wahnsinnige Mörderin bleiben. Sie werden eine Geschichte erfinden um sie anschließend totzuschweigen.“

“Besser so als ein Leben hinter Gittern“ flüsterte der große Busch hinter ihrem Rücken.

„Gefängnis hätte Amol nichts ausgemacht. Ihre Gedanken wären trotzdem frei. Aber als Spionin bei den Vorlok zu leben … Freundschaften vorzutäuschen … echte Freunde hintergehen zu müssen … auf jedes Wort, jeden Blick, jeden Gedanken achten zu müssen … Familie, alte Freunde nie wieder sehen zu können … das Wissen, dass sie nach Jahren in der Raumtasche alle überlebt haben wird, die ihr wichtig waren …“ Assjima versuchte vergeblich, ein leises Schluchzen zu unterdrücken, auch wenn ihr bewusst war, dass niemand hier war, der sie hören würde.

“Kein zu großes Opfer wenn man bedenkt, was sie getan hat“ brummte der Stein missmutig.

„Eine Gefängniszelle, jede Menge Zeit zum Nachdenken, gelegentlicher Besuch von Familie und Freunden … das wäre die rechtmäßige Strafe.“

„Nicht für eine wie Amol Darg. Sie fühlte sich berufen, Gutes zu tun und hat trotzdem großes Leid über einen ganzen Planeten gebracht. Sie kann nur sühnen, indem sie wieder Gutes vollbringt“ wisperte der Busch.

Assjima schüttelte unwillig den Kopf. „Ihr Opfer wurde nur zu gerne angenommen. Und niemand erkennt die Größe des Opfers. Alle die den Plan kennen, gehen davon aus, dass Amol einmal wieder gekonnt den Kopf aus der Schlinge gezogen hat. Es sind immer die mit den großen Herzen, die ausgenutzt werden.“

„Sprichst du mit dir über dich selber?“

Die Ärztin hob erstaunt den Kopf. Das war nicht die Stimme des Steines oder des Busches. Es war keine ihrer inneren Stimmen. Sie kam von außen. Von Wesjla.

„Nein … ich rede nicht über mich. Wie lange stehst du schon da, Chemaschu?“ Sie hatte sich nicht einmal umgedreht sondern hob nur einladend die Hand.

„Nicht lange.“ Ein leises Lächeln umspielte die Lippen der Äbtissin als sie sich neben Assjima im Sand niederließ. „Aber lange genug um zu verstehen, dass du dich mit Steinen und Büschen über Amol Darg unterhältst. Doch möglicherweise würdest du es vorziehen, statt der eigenen Reflektionen lieber die Ansichten einer anderen Person zu hören?“

„Ich weiß nicht. Ich höre ständig die Meinungen von Sam, von Gle’ma, von Lakia, von Ketal und Malik. Manchmal habe ich das Gefühl, wegen all der Stimmen meine eigene nicht mehr zu hören.“

„Soll ich wieder gehen?“

„Nein!“ Assjima griff nach Wesjlas Hand. „Bitte bleib hier.“

Die beiden Frauen saßen ein Weilchen schweigend nebeneinander. Dann setzte Wesjla plötzlich unvermittelt an: „Ich vermisse dein Lachen, Assjima. Vielleicht solltest du auf die Community zurückkehren.“

„Warum das denn?“ hakte Assjima verwundert nach. „Wenn ich auf dem Schiff bin, kannst du mein Lachen doch auch nicht hören.“

„Das nicht. Aber ich weiß dass es die anderen hören. Du solltest weg von hier. Der ganze Kram um die Vorlok und dazu der Mist, den Ischila dir aufbürdet … das alles tut dir nicht gut.“

„Ich kann noch nicht abreisen.“

„Weil du noch gebraucht wirst?“ Wesjla schüttelte den Kopf. „Natürlich könntest du denen da oben noch viele Ratschläge geben. Aber zu welchem Preis? Du hast schon Recht: es sind immer die mit dem großen Herzen, die ausgenutzt werden. Du hast mehr als genug getan. Unser Rat, die Förderation … selbst die weiße Schule kommen auch ohne dich aus, wenn sie sich ein wenig anstrengen. Sie sind auf dem besten Wege, dich ganz und gar zu vereinnahmen.“ Sie zog Assjimas Hand an sich und betrachtete sie. „Du bist weder zur Politikerin noch zur Meisterin geboren. Assjimagar hat dir die Gabe des Heilens geschenkt. Einzig und allein das ist deine Berufung. Kehre zurück auf dein Schiff. Deine Freunde dort brauchen dich mehr als die Politiker hier. Und nur dort kannst du das sein was du bist – eine Heilerin.“

Als Assjima nicht gleich antwortete drehte die Äbtissin die Handfläche nach oben und fuhr mit dem Finger das Brandmal nach. „Den hier … diesen Vorlok-Geist … den lässt du am besten noch ein Weilchen schlafen. Wenn überhaupt, dann rede erst wieder mit ihm, wenn du weit fort bis von hier, von Dräng und von Ula’ktos. Soll er von dir lernen, soll er alles in sich aufsaugen, was er aufnehmen kann. Aber er darf keine Gelegenheit bekommen, sein Wissen in irgendeiner Form weiterzugeben. Sonst ist Amol verloren.“

Die Ärztin nickte zustimmend. „Aber was wird mit Dräng?“

„Wenn Malik und die anderen tatsächlich richtig liegen, wird Dräng diese assimilierenden Eigenschaften erst dann in ganzer Form entwickeln, wenn er die Metemsomatose vollzieht. Es ist doch richtig, dass die Seele von Deglamesch für ihn bestimmt ist? In diesem Falle wäre es interessant, zu beobachten, wie sich ein Vorlok ohne den Einfluss seines Ahnen entwickelt.“

„Das werden wir beide nicht mehr erleben, Wesjla. Die Vorlok sind wohl mehr als dreihundert Jahre alt, wenn sie die Verschmelzung eingehen.“

„Umso besser. Dann hat Amol ja noch genügend Zeit, uns die nötigen Informationen zu besorgen.“ Sie legte lachend den Arm um die Schulter der Freundin. „Ich werde den Jungen höchstpersönlich im Auge behalten und dafür sorgen, dass er nicht als Versuchsobjekt herhalten muss. Es wird ihm bei uns gut gehen. Auch dann, wenn du wieder auf der Community bist.“

„Ein bisschen darf ich aber noch hier bleiben, oder?“

„So blass, wie du momentan bist, werde ich dich doch nicht auf eine solch lange Reise schicken. Wir brauchen schon noch etwas Zeit um dich wieder aufzupäppeln.“ Sie zog Assjima an sich und küsste sie sanft auf den Hals.

Bearbeitet von Assjima
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Vartik Tanrim lehnte sich zurück und wartete geduldig, bis auf dem Monitor vor ihm wieder etwas geschah. Hier saß er nun in seinem Büro auf der Community und blickte in das Cockpit eines Raumschiffes, das auf der anderen Seite des Quadranten auf der Oberfläche des vierten Planeten im deltanischen System geparkt war. Der Monitor bildete ein kleines, aber viele Lichtjahre überbrückendes Guckloch. Devimar hatte versichert, dass Assjima nicht weit weg sei und es nur wenige Minuten dauern würde, sie zum Falken zu holen. Und so nutzte er die Gelegenheit, den Ausschnitt des Cockpits, den die Bordkamera frei gab, genau zu betrachten.

Das Sammelsurium an Instrumenten unterschiedlichster Herkunft faszinierte ihn. Und unvermittelt empfand er ein wenig Neid. Diese vielfältigen Instrumente zu konfigurieren, damit sie problemlos miteinander arbeiteten, erschien ihm als großartige Herausforderung. Ein Hauch von Abenteuer flimmerte durch sein elegantes Büro.“Das ist noch wahre Raumfahrt …“ brummte er unvermittelt und lehnte sich vor um eine eigenartige Konstruktion etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Dann hörte er eilige Schritte und richtete sich wieder aus, um möglichst würdevoll in die Kamera blicken zu können. Assjima erschien auf dem Bildschirm.

„Captain! Entschuldigen Sie bitte, dass Sie warten mussten.“

„Ich muss mich entschuldigen, Doktor. Ich hätte meinen Anruf vorher ankündigen sollen. Ich hoffe, ich störe nicht?“

„Aber keinesfalls, Captain. Ich war nur im Gemüsegarten beim Unkraut jäten. Was verschafft mir die Ehre?“ Assjima wischte sich mit einem Tuch die Erde von den Fingern.

„Eigentlich nicht Besonderes. Ich wollte Sie nur einmal wieder sehen und mich mit eigenen Augen überzeugen, dass es Ihnen gut geht.“

Die Ärztin lachte. „Mir geht es gut, Captain. Doch Sie sehen etwas blass aus. Kümmert sich Alice nicht richtig um Sie?“

„Doktor Summerfeld würde ja, wenn ich sie ließe. Aber ich warte mit der Generaluntersuchung bis Sie wieder an Bord sind.“ Er beugte sich vor, stützte das Kinn auf die Hand und betrachtete seinen leitenden medizinischen Offizier durch den Monitor. „Nach allem was ich gehört habe, hatte ich befürchtet, ein blasses Häufchen Elend vor mir zu sehen. Ich bin froh, dass dem nicht so ist.“ Er kniff ein Auge zusammen und legte den Kopf leicht auf die Seite. „Haben Sie zugenommen, Doktor?“

„Meine Schwägerin hat es sich zur Aufgabe gemacht, mich zu mästen. Und mit dieser Idee steht sie leider nicht alleine da. Mein Neffe und meine Freunde helfen ihr dabei mit allen Kräften.“

„Ich finde, es steht Ihnen gut, Doktor.“ Der Zakdorn verzog das faltige Gesicht zu einem Lächeln. Dann zog er ein PADD heran. „Hier habe ich eine ellenlange Liste von Leuten, die Grüße an Sie ausrichten lassen.“ Er warf einen Blick darauf und schüttelte dann den Kopf. „Ich glaube, es würde schneller gehen, wenn ich die Crewmitglieder nenne, die nicht grüßen. Das sind vor allem die Neuen, die Sie nur vom Hörensagen kennen. Aber der Rest wünscht gute Besserung, gute Erholung, einen schönen Urlaub und …“ Sein Lächeln wurde breiter „Nein, dass spreche ich auf diesem offiziellen Kanal lieber nicht laut aus. Ich denke, die Crew vermisst Sie, Commander. Und ich schließe mich da nicht aus. Ich hoffe inständig, dass Sie nicht Ihren ganzen Resturlaub am Stück nehmen wollen. Dann würden wir Sie erst in einem Jahr wieder sehen.“

Assjima schüttelte den Kopf „Keine Sorge, Captain. In ein paar Wochen haben Sie mich zurück.“

„Sehr gut!“ Tanrims Lächeln wurde einen Moment lang noch breiter und verschwand dann plötzlich ganz aus seinem Gesicht. „Ich habe die Berichte über die Ereignisse auf Ula’ktos gelesen. Und Lieutenant Anquenar hat mir auch noch einmal alles ausführlich erzählt. Sie verstehen sicherlich, dass ich ein wenig beunruhigt war, nachdem ich nichts von Ihnen persönlich vernommen hatte. Ich befürchtete, dass ich Sie an die Politik oder an die weiße Schule verlieren würde.“

„Eine Zeitlang sah ich mich auch vor dieser Wahl“ antwortete die Ärztin. „Aber ich habe mich entschlossen, meinen Dienst bei der Sternenflotte nicht aufzugeben. Zumindest jetzt noch nicht.“

Der Zakdorn nickte. „Was Sie aber noch nicht wissen, Commander: es liegen diverse Anfragen von meinen Kollegen vor, die fragen, ob Sie bereit wären, sich versetzen zu lassen. Die wollen Sie ernsthaft abwerben, Doktor!“ Tanrims Stimme klang jetzt etwas empört. „Admiral Kuranischkow von der medizinischen Zentrale der Sternenflotte fordert sogar, Ihren Beförderungsstopp umgehend aufzuheben, damit Sie die Prüfung zum vollwertigen Commander ablegen können. Er will Sie so schnell wie möglich im Range eines Captains sehen um Ihnen das Kommando über ein eigenes Lazarettschiff übertragen zu können.“

Die Deltanerin seufzte. „Captain“ antwortete sie tonlos. „Diplomatischer Dienst bei der Sternenflotte, Vorsitzende des neu gegründeten deltanischen Integrationsbüros, Meisterin der weißen Schule und jetzt auch noch Captain auf einem Lazarettschiff?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich will keine solche Position. Ich will nur eines, nämlich heilen.“

„Assjima …“ Tanrims Stimme wurde nun sehr ernst. „Sie müssen an Ihre Karriere denken. Solche Angebote schlägt man nicht einfach aus.“

„Meine Karriere ist mir egal, Captain. Ich bin genau da wo ich sein will. Ich arbeite auf einem guten Schiff, mit einer tüchtigen Crew unter einem hervorragenden Captain. Ich habe meine eigene Abteilung mit einer modernen Ausrüstung und allen dazugehörenden Freiheiten. Dazu fantastische Mitarbeiter und jede Menge Freunde. Außerdem habe ich den persönlichen Vorteil, dass mein Mann so oft wie es ihm möglich ist auf der Community verweilen darf ohne dass jedes Mal ellenlange Anträge gestellt werden müssen. Glauben Sie mir, Captain: Mehr will ich nicht!“

Die Bestimmtheit in Assjimas Stimme lies Tanrim nicht einen Moment an der Wahrheit ihrer Worte zweifeln. Dennoch musst er nachhaken: „Aber nach dem Zusammenstoß mit den Borg schienen Sie diesbezüglich gar nicht so sicher.“

„Das stimmt. Aber seitdem ist einiges geschehen. Überall öffneten sich plötzlich Türen, zeigten sich andere Karrieremöglichkeiten … Wenn man so viele Alternativen angeboten bekommt, wird einem erst klar, was man bereits hat. Ich habe lange und ausführlich abgewogen … ich bin keine Politikerin, ich bin auch keine Lehrerin und schon gar nicht will ich Kommandantin sein. Wann sollte ich da noch Zeit zum Forschen finden?“

„Sind Sie sicher, dass Sie nicht einfach nur Angst vor der Verantwortung in einer führenden Position haben?“

Die Deltanerin schüttelte den Kopf „Nein, Captain. Angst habe ich nicht. Doch reicht mir die Verantwortung als leitender medizinischer Offizier auf der Community vollkommen aus. Vielleicht wäre ich eine gute Diplomatin. Oder eine anständige Politikerin. Womöglich würde ich sogar eine ganz passable Meisterin der weißen Schule abgeben. Und der Kommandosessel eines eigenen Schiffes könnte mir eventuell auch gut passen. Doch diese Positionen können andere genauso gut ausfüllen, vermutlich sogar noch besser. Ich habe jedoch eine einzigartige Begabung geschenkt bekommen.“ Sie streckte ihre noch immer etwas erdverschmierten Hände ins Bild. „Wie könnte ich diese Gabe des großen Geistes einfach so ignorieren? Er hat mir meine Position in diesem Universum von Anfang an in die Wiege gelegt. Ich bin eine Heilerin. Nicht mehr und nicht weniger.“

Der Zakdorn hatte dem plötzlichen Ausbruch seiner Chefärztin etwas überrascht gelauscht. Doch jetzt, nachdem sie geendet hatte, lehnte er sich entspannt zurück und faltete die Hände vor dem rundlichen Bauch. Er hatte genau das gehört was er sich erhofft hatte und nickte zufrieden. „Danke, Commander. Jetzt bin ich mir sicher, dass wir Sie wieder zurück haben.“

„Aber erst in ein paar Wochen, Captain.“

„In ein paar Wochen … selbstverständlich. Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie noch brauchen. Trotzdem hoffe ich, dass wir bald einmal wieder bei einem gemeinsamen Abendessen plaudern können. Ich will alles über Ihren Aufenthalt bei den Vorlok wissen. Und außerdem muss ich zugeben, dass ich diese ganze Sache mit der weißen Schule immer noch nicht so richtig verstehe.“

„Ein paar Geheimnisse müssen Sie mir aber noch lassen“ lachte Assjima.

„Was wäre eine Hexe ohne heimliches Wissen?“

„Vermutlich ziemlich langweilig.“ Die Ärztin zögerte kurz. „Captain … wie geht es Milseya?“

„Kann ich nicht sagen. Sie scheint sich gleich. Aber ich bin mir nicht sicher.“

„Und die Schwangerschaft?“

„Das scheint in Ordnung zu sein. Sie behauptet, diesmal keine Immunsuppressoren zu benötigen. Verstehe dass wer will. Bezüglich Lieutenant Anquenar wäre mir wohler wenn Sie an Bord wären.“

„Vermutlich würde sie mich nicht einmal in ihre Nähe lassen. Aber grüßen Sie sie bitte trotzdem von mir.“

Er nickte. „Ja – das werde ich gerne machen.“ Zu gerne würde er wissen, was zwischen den beiden Frauen vorgefallen war, aber dies war nicht der passende Moment um nachzufragen. Vielleicht würden sie ihn eines Tages aufklären.

Sie plauderten noch eine Weile, tauschten Neuigkeiten und Grüße aus. Dann verabschiedete er sich und stand zufrieden auf. Einem plötzlichen Impuls folgend stieß der sonst so gelassene und zurückhaltende Zakdorn die Faust in die Luft und stieß ein heißeres „Yeah!“ aus.

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  • 2 Wochen später...

Ketal Tran war verliebt. Verliebt in eine Bolianerin, die lieber mit Drehmomentschlüsseln als mit ihm spielen wollte. In den ersten Tagen hatte er versucht, sie in intellektuelle Gespräche zu verwickeln. Als dies nichts half, zeigte er sich als perfekter Gentleman und überhäufte Gle’ma mit Geschenken und Einladungen, die sie allesamt ausschlug. Dann wechselte er die Taktik indem er seine humorvolle Seite mehr ins Rampenlicht stellte. Und nun saß er auf Wesjlas Terrasse und starrte trübsinnig in ein halbleeres Weinglas als Assjima und Sam Hand in Hand den Weg heruntergeschlendert kamen.

Sam stupste Assjima an und deutete auf den Trill, dessen Glücklosigkeit ihnen schon von weitem als finstere Wolke entgegenschlug. Die Deltanerin nickte und steuerte auf Ketal zu während Sam vor der nächsten Hausecke abbog bevor der Freund ihn entdeckte.

„Darf ich mich zu dir setzen?“ fragte Assjima und ließ sich auf der Bank nieder ohne seine Antwort abzuwarten.

„Bitte … nur zu“ brummte der Trill und schob den Weinkrug über den Tisch. „Trink einen Schluck mit mir. Wenigstens du.“

Assjima griff nach dem zweiten Glas und schenkte sich ein. Ihr Blick fiel auf einen welken Blumenstrauß und einen gepackten Picknickkorb. „Sie hat dich schon wieder versetzt?“

„Was heißt versetzt? Sie hat nicht auf meine Einladung reagiert. Aber ich dachte, ich bereite trotzdem mal alles vor. Falls sie sich spontan entscheiden sollte.“

„Ich bewundere dich für deine Ausdauer, Ketal. Jeder andere hätte schon längst aufgegeben.“

„Das wird bei mir auch nicht mehr lange dauern. Jedenfalls habe ich nicht vor, mich endgültig zum Hanswurst zu machen. Ein klein wenig Stolz ist mir noch geblieben … irgendwo zumindest.“

„Und dein Humor ist auch noch nicht ganz verschwunden. Ein Frauenherz zu erobern kann so schwer sein, wie eine Festung einzunehmen. Und Gle’mas Herz ist eine gute Festung.“

„Die Festung einer Walküre … überall nur eiserner Panzer!“

Assjima lächelte. Sie kannte die Bolianerin auch von einer anderen Seite. „Sie ist eine sehr starke Frau, Ketal. Gegenüber einem Mann Schwäche zu zeigen ist so gar nicht ihr Ding. Dir nachzugeben wäre für sie eine Niederlage.“

„Womöglich mag sie Männer gar nicht?“

„Oh doch. Aber sie will sich nicht erobern lassen. Sie holt sich was sie will … und dann lässt sie sie wieder fallen. Ein Mann ist ihr gut genug für eine Nacht, aber nicht für ein ganzes Leben.“

„Das ist eine dämliche Einstellung“ murrte der Trill und trank sein Glas aus, um es gleich wieder aufzufüllen.

„Ich denke, dass sie inzwischen selber an dieser Lebenshaltung zweifelt.“

„Wie kommst du darauf? Hast du mit ihr gesprochen?“ hakte Ketal nach und ein Fünkchen Hoffnung glimmte in seinen Augen auf.

„Das nicht. Aber sie hat dich ständig abblitzen lassen. Du siehst gut aus, bist ein netter Kerl … du unterscheidest dich nicht viel von den Männern, mit denen ich sie in diversen Bars habe rumhängen sehen. Dass sie dich nicht einmal für eine einzige Nacht rangelassen hat spricht dafür dass ihr etwas an dir liegt. Sie will dich vermutlich nicht verletzten.“

„Du redest Blödsinn, Doktor.“

„Mag sein. Aber dennoch bin ich der Überzeugung, dass Gle’ma Angst davor hat, einen Mann in ihr Leben zu lassen, der ihre Art zu leben ändern könnte.“

„Ich bewundere ihre Lebensart. Warum sollte ich sie ändern wollen?“

„Du wirst anders denken wenn sie wieder einmal monatelang mit einer Fracht unterwegs ist und du gerade dann, wenn sie etwas Zeit für dich hätte, einen dringenden Auftrag bekommst.“

Ketal wollte etwas einwerfen doch Assjima hob die Hand. „Lass mich ausreden, mein Freund. Ich weiß, man kann sich anpassen. Du könntest dich vielleicht sogar ganz auf ihren Rhythmus einstellen, doch vermutlich will sie gerade das nicht. Sowenig wie sie sich verändern will erwartet sie dies von einem anderen. Keine Opfer, keine Abhängigkeiten … so denkt Gle’ma.“

„So ein verdammtes Pech dass ich kein Frachterpilot bin sondern nur ein Schreiberling.“

„Was ist dein nächstes Projekt, Ketal?“

Der Trill zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich habe hier auf Delta noch genügend Arbeit für die nächsten Wochen. Diese Angelegenheit mit den Vorlok ist ja noch lange nicht ausgestanden.“

„Du könntest anschließend eine Live-Reportage über Raumfrachter schreiben.“

„Ich weiß nicht“ brummte Ketal. „Daran hatte ich auch schon gedacht, aber das Thema ist ziemlich ausgelutscht.“

„Hat jemand tatsächlich schon einmal über eine solche Crew geschrieben“ schmunzelte Assjima und deutete auf die Gruppe, die nun fröhlich schnatternd den Weg entlang kam und auf sie zuhielt. Allen voran Sam, rechts und links zwei hübsche Deltanerinen im Arm, gefolgt von Talana, ihrem Freund Telisch, Gle’ma und Blechbüx, auf dessen Ladefläche drei lachende Kinder saßen. „Denk darüber nach, Ketal. Diese beiden Frauen und die plappernde Blechkiste geben garantiert genügend Stoff für einen intergalaktischen Bestseller ab.“

„He! Da seid ihr ja, ihr beiden“ rief eine der jungen Deltanerinen. „Kommt mit zum See. Wesjla und Jalim haben ein Barbecue vorbereitet. Außerdem soll es eine Überraschung geben. Das wird bestimmt lustig!“

„Müsst ihr verdammten Deltaner eigentlich immer feiern?“ murrte der Trill, erhob sich aber dennoch. „Hier kann man nicht mal in Frieden Trübsal blasen.“

„Der Sommer neigt sich dem Ende zu – man muss die Chancen nutzen, wie sie sich bieten. Es ist doch ein wunderbarer Abend“ Assjima schnappte sich den Weinkrug und die beiden Gläser. „Vergiss den Korb nicht.“

Als sich die Gruppe wenig später dem Strand näherte, dröhnte ihnen ohrenbetäubender Lärm entgegen. Eine elektronisch verstärkte Stimme schmetterte: „Da ist sie ja, mein Lieblingsglatzköpfchen!“ Dann krachte es in der Verstärkeranlage – vermutlich wurde ein Mikrofon auf den Boden geworfen – und eine mächtige Gestalt eilte ihnen entgegen, legte Assjima zwei gewaltige Klauen um die Hüfte und wirbelte sie im Kreis herum.

„Captain Säuselstimmchen!“ rief die Ärztin und drückte dem Saurianer einen dicken Kuss auf die Nase, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte. „Was macht ihr denn hier?“

„Och … wir hatten mal wieder eine Fracht nach Seyann Draschu und dachten uns, dass ein kleiner Besuch bei euch bestimmt ganz lustig wäre. Dein Vater hat uns dann hierher geschickt.“ Er sah sich um. „Ist ein wirklich nettes Plätzchen, dieses Kloster. Ein wenig still vielleicht.“

„Dieses Manko werdet ihr heute Abend bestimmt beheben“

„Worauf du aber einen lassen kannst, Süße!“

Der Abend entwickelte sich beinahe so wie jeder andere der vielen deltanischen Festabende, nur dass er wesentlich lautstärker als gewöhnlich verlief und ein langer, schlaksiger Trill von auffallend vielen hübschen Frauen belagert wurde, die es sichtlich darauf abgesehen hatten, ihn bis zum Rand mit Wein abzufüllen.

Nachdem Sam seinem Freund einige aufmunternde Rippenstöße versetzt hatte schlenderte er hinüber zu Assjima, die von einem Haufen Kinder belagert wurde und mit dem sichtlich erfolglosen Versuch beschäftigt war, den Kleinen zum Punk halbwegs passende deltanische Tanzschritte beizubringen. Ein Unterfangen, das von vorne rein zum Scheitern verurteilt sein musste, da es vollkommen unmöglich war, auf diese Musik mehr als zwei geordnete Schritte aufeinander zu machen. Er beobachtete das fröhliche Treiben ein Weilchen, bis er den hilfesuchenden Blicken seiner Frau nicht mehr widerstehen konnte und mit einem mächtigen Satz geradewegs in die erschrocken auseinanderstiebende Kinderschar sprang.

„Saurianischer Punk …“ brüllte er gegen den Krach an „… ist Ausdruck in seiner lautesten Form! Lauscht nicht auf die Melodie – die gibt es nicht! Fühlt einfach nur. Fühlt das Dröhnen des Basses, das Scheppern der Öltonne. Horcht auf den Rhythmus, fühlt den Rhythmus!“ Er streckte die Arme nach oben und lauschte. Dann begann er, mit seinen schweren Stiefeln auf den Boden zu stampfen. Die Kinder beobachteten ihn verwundert. Erst als Assjima begann, es ihm gleichzutun wagten ein paar der Kleineren, die Bewegungen nachzumachen. „Jetzt Headbanging … Kopfschütteln meine ich … und Springen!“ rief der Betazoide und machte einige hohe Sätze in die Luft. Das gefiel auch den Kindern. Sie begannen, wie wild auf und abzuspringen und dabei die Köpfe zu schütteln. „Vergesst die Arme nicht, Kinder! Spürt ihr, wie euch schwindelig wird? Ja? Gut so! Und weiter zur nächsten Stufe: Slamdance!“ Er schnellte zur Seite und rempelte Assjima an, die dabei das Gleichgewicht verlor, von einem der größeren Jungen jedoch lachend aufgefangen wurde. Sam hüpfte derweil wie ein Gummiball durch die Reihen der vor Begeisterung kreischenden Kinder. „Prima! Jetzt habt ihrs kapiert“ grölte er, griff nach Assjimas Hand und zerrte sie aus dem tobenden Haufen. Nach Luft schnappend ließen sie sich etwas außerhalb des Lärmpegels ins Gras fallen. „Deltanischer Smo’ajas und saurianischer Punk …“ lachte er. „Das geht doch überhaupt nicht zusammen.“

„Stimmt“ kicherte Assjima. „Aber einen schnelleren Tanz haben wir nicht. Und die Kinder wollten nicht nur hüpfen, sondern richtige Schritte lernen.“

„Das haben sie ja nun. Morgen früh sind die alle perfekte Pogo-Tänzer.“

„Danke, dass du mich gerettet hast.“ Sie lehnte sich an seine Schulter. „Wie geht es mit unserem anderen Projekt voran?“

„Weiß nicht so recht. Die Mädchen geben sich große Mühe, aber Ketal benimmt sich wieder einmal wie ein steifer Bock. Mal sehen … wenn er nur noch ein klein wenig lockerer würde, dann könnte es klappen. Gle’ma jedoch schielt schon auffällig oft zu seinem Tisch rüber. Vielleicht sollten die Mädels die Pheromondosis noch etwas erhöhen.“

Assjima nickte und schickte den jungen Frauen einen kleinen telepathischen Hinweis. Bereits wenige Augenblicke später war dem Trill trotz der Entfernung anzusehen, dass er den Annäherungsversuchen der hübschen Deltanerinnen nicht mehr lange würde widerstehen können. Sein Gesicht nahm einen immer verzweifelteren Ausdruck an – den auch die Bolianerin bemerkte. Mit einem Mal knallte sie den Becher auf den Tisch, stand auf und steuerte entschlossen auf die Gruppe um Ketal zu.

„Jetzt bin ich aber gespannt“ flüsterte Assjima. „Gle’ma scheint wirklich geladen zu sein.“

„Oh ja … schau mal wie sie die Mädchen einfach beiseite schiebt. Jetzt müsste gleich der Einsatz von Eramil und Salische kommen. Da! Die Mädels halten sich wirklich gut an die Absprache“ kommentierte Sam vergnügt.

Zwei großgewachsene und sichtlich gut trainierte Schönheiten bauten sich vor der Bolianerin auf. Es folgte ein heftiger Wortwechsel, von dem wegen der Musik nichts zu verstehen war. Dann landete Gle’ma plötzlich der Länge nach auf dem Boden.

„Es ist schon ein wenig gemein, die Ärmste mit den beiden besten Re’slad-Kämpferinnen des Klosters zu konfrontieren.“

„Ach was – das steckt die weg. Schau mal, Imzadi. Sie steht schon wieder auf den Beinen. Hoffentlich hält Talana sich auch wirklich raus.“

„Sie hat es versprochen. He! Was macht Gle’ma denn nun? Die wird doch nicht … Autsch!“ Assjima verzog das Gesicht, als eine der beiden Deltanerin zu Boden ging.

Sam aber lachte laut auf. „Die kann ja auch Pogo tanzen!“

Es folgte ein kurzes Handgemenge, dann packte Gle’ma den verdutzen Trill am Kragen, zog in an sich und küsste ihn unter dem Gejohle der Deltanerinnen.

„Ja!“ rief Sam obwohl er sicher war, dass ihn außer Assjima niemand hören konnte. „So ist es richtig, meine blaue Schönheit. Jetzt hast du ihn im wahrsten Sinne des Wortes erobert.“ Dann rieb er sich verschmitzt die Hände. „Das dürfte so ziemlich nach ihrem Geschmack gewesen sein … Schatz, ich würde sagen: Sieg auf ganzer Länge!“

„Linie“

„Was?“

„Es heißt: Sieg auf ganzer Linie.“

„Ach so … egal … Hauptsache gewonnen.“ Er stand auf. „So, und nun zeige ich den Kids wie eine Wall of death funktioniert.“

Bearbeitet von Assjima
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  • 3 Wochen später...

Inzwischen sind mehr als drei Wochen vergangen, als George aus dem Koma erwacht war. Körperlich gesehen hatte der Ingenieur inzwischen alles überstanden. Leider hatte die medizinische Abteilung der Sternenflotte auf Seyann Darshu darauf bestanden, dass George mit einem Counselor den Vorfall verarbeiten soll.

Die Sitzungen fanden drei Mal in der Woche statt und es wurde immer mehr offensichtlich, dass George für diese soviel Begeisterung wie für eine Wurzelbehandlung empfand. Er war in seiner Dienstzeit schon mehr als einmal verwundet worden und musste nicht danach zu einer Therapie. Jedoch hütete George sich davor dies laut zu sagen, da sein Gegenüber, einen Hang dazu hatte eine recht aufdringliche hilfsbereite Art an den Tag zu legen.

Er wünschte sich Solak wäre hier und würde das Ganze durchführen. Bei ihm kamen sich die Patienten wenigstens nicht wie komplette Idioten vor, bei diesem Vertreter der Counselor Zunft hier wünschte man sich sehr schnell, die Sitzungen mit einem Handphaser oder anderem derart Wirkungsvollen zu beenden.

George hatte also die Wahl gehabt, zu Schweigen oder den Therapeuten zu verwunden. Er entschied sich lieber zur ersten Variante.

„Commander?“

George blickte auf und sah, dass fragende Gesicht seines Gegenübers. Seit 10 Minuten hatte sich George vom Monolog des Counselors ausgeklinkt. Er blinzelte leicht, bevor er antwortete.

„Alles in Ordnung.“

„Nun, wir konnten in der Tat Fortschritte verzeichnen. Ich denke, es dürfte ausreichend sein, wenn sich Counselor Valdez mit der weiteren Reha befasst. „

„Danke Counselor.“

„Ich habe nur meine Arbeit getan und Sie haben ebenfalls hervorragend mitgearbeitet.“

Ich habe nur zugehört und es mit geradezu vulkanischer Art ertragen, dachte George und schüttelte die Hand des Therapeuten, als beide gemeinsam aufstanden.

„Nun entlasse ich sie aus der Sitzung. Ich werde Sie ab Morgen wieder diensttauglich schreiben lassen.“

Auch wenn George es teilweise gelungen war, Desinteresse zu zeigen, so hatte er insgeheim sich mit dem Erlebnis auseinandergesetzt, dass er während seiner Bewusstlosigkeit hatte. Assjima hatte ihm erklärt, wie sie die Sache sah. Es klang auch plausibel, doch es blieben noch einige Fragen offen. Fragen, die er nicht unbedingt mit seinem bisherigen Therapeuten erörtern wollte.

Außerdem wollte George seinem Sohn beistehen, der hier auf Seyann Darshu am nächsten Tag seine erste Aufnahme Prüfung für die Sternenflotte vor sich hatte, welche kein Pappenstiel war.

Auf dem Anwesen von Michaels Urgroßmutter war es in der Zwischenzeit etwas ruhiger geworden. Marlesia wurde mit der America zur Sternenbasis 34 gerufen.

Michaels Vater befand sich immer noch in Behandlung. Der Teenager war sehr lange besorgt und diese Sorge lies erst nach, nachdem sein Vater mit der Reha begonnen hatte und nach und nach gelangweilter wirkte. Dies war ein sicheres Zeichen dafür, dass George sich erholte. Jedoch viel ihm das Lernen noch schwerer, nachdem es sehr ruhig geworden war. Jenax half ihm bei einigen Passagen der Prüfungsvorbereitungen, doch bei einigen Abschnitten musste Michael sich alleine vorbereiten.

Und diese Abschnitte waren es, die Michael Kopfzerbrechen bereiteten. Auch wenn die technischen Fragen ebenfalls alles andere als leicht waren.

Michael legte das Padd beiseite und begab sich zum Replikator.

„Großer Limoneneistee, kalt!“

Kaum erschien das Glas im Ausgabefach, da betrat Michaels Vater den Raum.

„Endlich frei!“ George verkündete dies mit ausgestreckten Armen.

„Wirklich? Ich dachte schon …“

„Glücklicherweise nicht Michael.“

Georges Blick fiel auf das Padd. „Mach dich nicht verrückt Michael. Das wirst du schon schaffen.“

„Im Moment kommt mir mein Schädel so vor wie, wenn er gleich platzen würde.“ Michael ging mit seinem Glas zur Sitzgruppe und lies sich in die Polster sinken.

„Oh ja, dieses Gefühl ist mir nur all zu vertraut“, George setzte sich zu seinem Sohn.

„Wirklich? Bei dir sieht dass immer so leicht aus.“

„Das täuscht Michael. Ich habe mir das Wissen auch erarbeiten müssen, das wird nie aufhören.“

„Ich habe befürchtet, dass du das sagen, würdest Dad.“

„Ich habe diesen Spruch von meinem Dad gehört, und wenn du eines Tages ebenfalls einen Sohn haben, wirst Michael, wirst auch du ihm diesen Rat geben. Und glaube mir, dieser Tag wird kommen, ob man will, oder nicht.“

Sternenbasis 34

Marlesia hatte sich im Büro des Basiskommandanten eingefunden, während die America an der Sternenbasis festgemacht hatte.

Bisher hatte sie noch keine weiteren Informationen erhalten, als dass sie sich hier herbegeben solle. Diese Geheimnistuerei war nie ein gutes Zeichen. Marlesia hasste dies und wirkte auch inzwischen einwenig ungeduldig. Was konnte so wichtig sein um ein Schulschiff der Sternenflotte hier herzurufen?

Die Antwort würde bald durch das Schott hereinkommen, was sie wenige Minuten später auch tat.

Admiral Alynna Nechayev betrat den Raum und nickte der alten Deltanerin zu.

„Captain Marlesia, schön Sie hier zu sehen, ich hoffe Sie hatten eine angenehme Reise?“ Nechayev bedeutete Marlesia Platz zu nehmen.

„Das war sie Admiral. Nur wäre ich froh, wenn ich den Grund für mein hier sein erfahren würde?“

Sie kommen gleich auf den Punkt Captain. Das gefällt mir.“ Nechayev setzte ihre berüchtigte Maske auf, die einem Kolinarmeister alle Ehre machen würde.

„Captain Marlesia, ich befehle ihnen hiermit, dass Kommando der USS America an ihren ersten Offizier zu übergeben und das Kommando über die USS Ambassador zu übernehmen.“

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Was Marlesia zu hören bekam, war eine echte Überraschung. Nechayev war dafür berüchtigt ihren Willen ohne Vorgeplänkel offen zu legen. Diplomatie wandte sie nur an, wenn es sich nicht umgehen ließ oder wenn sie ihr Ziel damit um so schneller erreichen konnte.

Andererseits hatte Marlesia was in der Art schon in dem Moment geahnt, als sie die Admiralin in den Raum kommen sah.

„Darf ich fragen, weshalb ich das Kommando über die Ambassador übernehmen soll?“

Alynna Nechayev legte ein angedeutetes Lächeln, das sogar für einen flüchtigen Moment herzlich wirkte.

„Ich bin überrascht dass Sie das fragen Captain. Es waren ihre Berichte, die des Sternenflottenkommandos auf Seyann Darshu und die Berichte von Captain Brody. Von allen beteiligten des Vorlok Zwischenfalls und der Gefangennahme von Armol Darg. „

„Verstehe.“

Marlesia tadelte sich stumm. Selbst ein Idiot hätte erraten können, weswegen sie hier herzitiert wurde. Doch warum gerade sie? Warum nicht Brody? Die Antwort auf diese Fragen begannen schon an die Oberfläche von Marlesias Gedanken zu dringen und sie gefielen ihr nicht. Trotzdem wartete sie ab, was Nechayev ihr mitteilen würde.

„Es gab wegen der Ergreifung von Darg einige Kontroversen im Föderationsrat, was ein offenes Geheimnis ist. Doch als wenn das nicht genug wäre, stießen die America und die Seaquest auf die Vorlok, eine Rasse die eigentlich bisher nur in den Legenden ihrer Welt existierte. Was bis zum jetzigen Zeitpunkt über dieses Volk bekannt wurde, ist gelinde gesagt alles andere als harmlos.“

„Admiral, bei allem Respekt, ich sehe, dass wir wachsam sein müssen, aber dennoch sollten wir denjenigen unter den Vorlok die Chance geben, dass diese sich auf friedliche Weise dem Rest der Galaxie anschließen können.“

„Ich stimme ihnen im Wesentlichen zu Captain. Aber um sicherzugehen, dass wir nicht übersehen was die Vorlok möglicherweise vorhaben, wurde beschlossen, die Ambassador als Kommandoschiff in den deltanischen Sektor zu entsenden. Und zur Stelle zu sein, falls Armol Darg eine Nachricht an senden will, die uns vor Schwierigkeiten warnen soll.“

„Mit anderen Worten, die Föderation misstraut den Vorlok und auch Dargs Sinneswandel. Indem man sie zu den Vorlok als – Spion – entsendet, will man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, da ein Prozess gegen Darg im Moment schwierig bis unwahrscheinlich ist?“

Nechayev nickte anerkennend. „Sie haben es erfasst Captain. Viele in der Admiralität mich eingeschlossen waren zunächst nicht erbaut, dass man Darg zu den Vorlok entlässt. Aber wir erkannten auch, dass Darg die allerbeste Wahl für diese Aufgabe ist. Jeder andere würde nur Verdacht oder den Argwohn der Vorlok früher oder später erregen.“

Marlesia legte ihre Stirn leicht in Falten, was einem Kopfschütteln gleichkam.

„Sie Captain sind jemand, der einen kühlen Kopf bewahrt, wenn es schwierig wird, aber auch weis, was zu tun ist, wenn ein Konflikt nicht mehr abwendbar zu sein scheint. Und sie haben Kenntnisse und zugriff auf Information den Vorlok betreffend, die ein anderer Kommandant nicht hat.“

Die Argumente waren nicht von der Hand zu weisen. Immerhin war Marlesia in einer Position, wo sie noch schlimmeres verhindern konnte, wenn es soweit sein sollte. Auch wenn sie viel von der America hielt, so war es eben eine Tatsache, dass dieses Schiff schon mehr als 100 Dienstjahre abgeleistet hatte und im Begriff war, die HMS-Victory (Ältestes im aktiven Dienst sich befindende Kriegsschiff der Royal Navy) der Sternenflotte zu werden.

„Mit der Ambassador bekommen Sie ein sehr gutes Schiff Captain. Die Überholungen wurden gestern abgeschlossen. Es ist somit auf den modernsten Stand der Technik und wartet noch, bis sie das Kommando übernehmen und die Aufnahme der letzten Vorräte abgeschlossen ist.“

„In Ordnung, ich werde das Kommando annehmen Admiral. Bitte darum, meine Besatzung auf der America zu informieren. Dann können wir die Kommandoübergabe Zeremonie vollziehen.“

„Ausgezeichnet Captain. Ich werde es um nichts in der Welt verpassen. Das war es fürs Erste. Weiteres werden wir nach der Übergabe besprechen. Sie können Wegtreten Captain.“

Marlesia stand auf, nickte und verließ das Büro.

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  • 2 Wochen später...

Im Hangar der America hatte sich die gesamte Besatzung zusammengefunden. Die Shuttles hatte man in die Seitennischen verfrachtet, um mehr Platz zu schaffen. Die Deltaner lauschten den Worten ihrer bisherigen Kommandantin.

Marlesia versuchte, die richtigen Worte zu finden und ihre eigenen Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Ihre Gedanken kreisten immer noch um das Gespräch mit der Admiralin und um die Vorlok. Um Dräng und seine Rolle als Botschafter seines Volkes auf Seyann Darshu und um die Absichten der Ältesten der Vorlok, welche immerhin noch jene Generation repräsentierten, die von den Deltanern beinahe ausgelöscht wurde.

Das Thema einer Vergeltung war nicht vollständig vom Tisch, eine Ansicht die Marlesia mit Nechayev insgeheim teilte und was auch der Grund war, warum man die Ambassador nach Delta Vier entsenden will.

Marlesia wünschte ihrem Nachfolger alles Gute, dann wurde die Übergabe vollzogen, in dem die Kommandocodes der America auf den ehemaligen ersten Offizier und frischgebackenen Captain übertragen wurde.

Als dies geschehen war, fühlte es sich für Marlesia seltsam an. Ungefähr so wie wenn man sich in einem Turbolift befand, der schnell nach unten fuhr, abrupt hielt und im gleichen Tempo, wie es abwärtsging, wieder nach oben fuhr.

Keine zwei Stunden später spielte sich eine ähnliche Szene auf Shuttlerampe 1 der Ambassador ab. Jene war beinahe drei Mal so groß wie der Hangar der America. Der bisherige Kommandant war vor der Umrüstung in Pension gegangen.

Auch die übrigen Führungsoffiziere, die bisher die Posten auf der Ambassador begleitet hatten, waren bereits versetzt worden. Bis die Nachfolger eintreffen würden, würden die Posten von den erfahrensten verbliebenen Offiziere und Feldwebel begleitet werden. Marlesia konnte sich bereits ein erstes Bild von ihrer neuen Besatzung machen. Je nach Leistung zog sie es in Erwähnung diese zu befördern und endgültig mit den entsprechenden Aufgaben zu betrauen.

Der Ranghöchste dieser Offiziere war ein junger Benzite im Range eines Lieutenant Commander. Jener war es auch, welcher das Schiff während der Umrüstung kommandiert hatte.

Bevor Marlesia ihre Worte, an ihre neue Besatzung richten konnte, betrat Alynna Nechayev den Hangar.

„Admiral an Deck!“ Kündigte ein Unteroffizier die Admiralin an.

Nechayev ließ ihren Blick durch die Versammlung wandern, bis sie bei Marlesia stoppte.

„Weitermachen.“

Dann begab sich Nechayev nach vorne und plazierte sich neben dem Benziten, welcher sichtlich leicht Nervös wirkte.

Marlesia begann ihre schnell einstudierte Ansprache zu halten. Es waren belanglose Worte, die bestenfalls dazu beitragen, sollten das Eis einwenig zu brechen, da die Besatzung noch immer unter dem Einfluss des ehemaligen Kommandanten stand und ein Kommandowechsel bei einer besonders gut eingespielten Mannschaft alles andere als leicht war.

Dann nahm Sie das Padd und begann zu lesen.

„Das Sternenflotten Kommando an Captain Marlesia. Ihnen wird befohlen, das Kommando über die USS Ambassador NCC 10521 umgehend zu übernehmen. Unterzeichnet Admiral Alynna Nechayev Starfleet Command.“

Nechayev trat zu Marlesia und nickte ihr leicht zu. Dann wandte sie ihren Blick an die Decke des Hangars.

„Computer, hier spricht Admiral Alynna Nechayev. Übertragung der Kommandocodes der USS Ambassador an Captain Marlesia. Genehmigung Nechayev 2289 Violet.“

Der Computer zirpte energisch.

„Genehmigung gültig. Kommandocodes wurden übertragen. Die USS Ambassador untersteht ab sofort dem Kommando von Captain Marlesia.“

„Gratuliere Captain“, sagte Nechayev und schüttelte die Hand der Deltanerin.

Marlesia wandte sich ihrer Crew zu.

„Ich weis, dass jeder von Ihnen sein Bestes geben wird. Commander Kendon? Ich möchte, dass die Ambassador in 30 Minuten bereit zum Verlassen des Orbits ist.“

„Aye, Captain. Die letzten Vorräte werden in zehn Minuten spätestens vollständig an Bord sein. Die Besatzung ist vollständig, Ma ´m.“

„Sehr gut. Besatzung, weggetreten. „

Die Besatzung im Hangar stand kurz stramm, bevor diese dann die Formation auflöste und durch das große Schott in die Korridore auf Deck drei strömte.

Auf der Brücke der Ambassador herrschte leichte Hektik. Kendon nahm auf dem linken Sessel Platz, der direkt mit dem Sessel des Kommandanten vor der taktischen Konsole stand. Die Anordnung wirkte wie eine Mischung aus der Sitzgruppe von Captain und XO wie man sie von den Raumschiffen der Intreprid Klasse kannte und die taktische Konsole, wie wenn diese direkt von einer Brücke eines Raumschiffes der Galaxy Klasse entnommen worden wäre.

Ansonsten war die ursprüngliche Konfiguration der Brücke Weites gehend erhalten geblieben. Der neue Teppich verströmte immer noch seinen Duft des Neuen und Unbenutzten. Kendon genoss diesen Duft für einen Moment, irgendwann würde dieser wieder durch den leichten sterilen Geruch weichen, der durch die Lebenserhaltung erzeugt wurde. Eine Deltanerin als Kommandant dieses Schiffes. Und dann noch jene, die sich mit einem hundert Jahre alten Schiff sogar mit einem Borg Kubus anlegen würde. Kendon war von der Vita seiner neuen Vorgesetzten fasziniert. Er freute sich auf die kommende Zusammenarbeit.

Nur die Anwesenheit von Admiral Alynna Nechayev störte ihn einwenig. Marlesia und Nechayev befanden sich nun im Konferenzraum, der achtern direkt an der Brücke lag. Er fragte sich nur, ob die Admiralin das Schiff nach diesem Gespräch verlassen würde oder nicht. Er konnte vernehmen, wie Crewmitglieder auf der Brücke im Flüsterton bereits Wetten darüber abschlossen. Er ermahnte die Betreffenden kurz, konnte sie aber verstehen. Ihm ging es genauso.

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  • 5 Wochen später...

Nervös sah sich Michael in einem der Aufenthaltsräume des Flottenhauptquartiers auf Seyann Darshu um. Obwohl er fleißig gelernt und auf der Krankenstation der USS Community auch in den Praktikas Erfahrungen sammeln konnte, war er dennoch von Prüfungsangst geplagt.

Sein Vater versicherte ihm, dass es so gut wie jedem, mit Ausnahme von Vulkaniern vor den Prüfungen so erging.

Ein schwacher Trost für den Teenager, für den die Prüfungen sich so derart auftürmten, wie vermutlich die Alpen vor Hannibal gewirkt haben mussten, als sich dieser mit seinen Truppen nach Rom aufmachte. Damals hatte es Hannibal auch geschafft, dieses natürliche Bollwerk zu überwinden. Also da dürfte eine schnöde Prüfung zu schaffen sein?

Michael versuchte den Rat von Suval zu beherzigen, seinen Geist nur noch auf die Aufgaben zu konzentrieren und die Fragen und Zweifel auszublenden. Am Anfang war dies alles andere als einfach gewesen. Doch irgendwann war es tatsächlich der Fall, dass sich Michaels Geist nur noch mit den Fragen der Test auseinandersetzte und auch jede Frage mit einer Antwort versehen ließ.

Die Fragen betrafen Anatomie, Bio Chemie, klinische Chemie, Histologie, Physik. Diesen Stoff mussten schon medizinische Laborassistenten und Techniker wissen. Jedoch wirkte der Umfang auch für Michael am Anfang richtig erschlagend. Nur durch die Hilfe von Assjima, Summerfield , Meg Harrison und Anna Ruski konnte Michael Zugang zum Stoff finden.

Nun waren die Tests zu Ende und man konnte nur noch auf die Ergebnisse warten. Was nun beinahe schlimmer war, als die Tests selber.

Er bemerkte beim Warten nicht, dass inzwischen sein Vater eingetroffen war und ihn eine Weile beobachtete. Ein leichtes Lächeln wurde auf Georges Gesicht sichtbar. Dann setzte er sich neben sein Sohn.

„Das wird schon Michael. Die Welt wird nicht untergehen, wenn es nicht klappen sollte“, versicherte George seinem erstgeborenen Sohn.

„Ich weis, trotzdem ist es ein beschissenes Gefühl.“

„Das ist wahr“, stimmte George zu. „Und wenn du auf der Akademie sein wirst, wirst du diese Gefühl auch nicht los werden. So ist es auch mir in den Jahren auf der Akademie ergangen.“

„Dazu muss ich erst es schaffen auf die Akademie zu kommen Dad.“

George verspürte ein deja vu . Vor fast 24 Jahren hatte er mit seinem Vater ein ähnliches Gespräch geführt.

„Schon komisch. Es kommt mir vor wie, wenn es gestern gewesen wäre, als ich an deiner Stelle war und dein Großvater an meiner. Und das Gespräch von damals ist beinahe mit dem unseren identisch gewesen.“

„Und? Hast du es damals geschafft?“

George schwieg kurz, bevor er zu einer Antwort ansetzte.

„Beim ersten Mal war ich durchgefallen.“

„Durchgefallen? Du Dad?“

„So ist es. Nach einem Jahr konnte ich erneut an der Prüfung teilnehmen. Und glaub mir, da habe ich wie ein besessener lernen müssen. Aber dann schaffte ich auch die Prüfung und dass nicht schlecht. Aber denk dran, du hast noch andere Möglichkeiten.“

„Danke Dad. Wenn nur dieses Warten nicht wäre.“

„Ja, sogar das Warten ist bei der Sternenflotte eine Art von Prüfung.“

Ein Signalton unterbrach das Vater Sohn Gespräch.

„Die Testergebnisse für die Aufnahme an die Sternenflottenakademie liegen nun vor. Sie können diese an Terminal 4 mit ihrem vorübergehenden Sicherheitscode abfragen“, verkündete die Stimme des Hauptcomputers so, wie wenn es um die Wettervorhersage ginge.

Michael stand auf und hielt dann in der Bewegung inne.

„Michael, es wird schon. Lass uns nachsehen, wie es ausgegangen ist.“

George legte seine rechte Hand aufmunternd auf Michaels Schulter. Dann machten sich die Beiden auf den Weg zum Terminal 4.

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Das fröhliche Geplapper im Speisesaal verstummte, als Sam von einer dunklen Wolke des Missmutes umhüllt, den Raum betrat. Talana, Telisch, Gle’ma, Ketal, Wesjla und Jalim warfen ihm fragende Blicke zu, während er einen freien Stuhl heranzog, seinen gepackten Rucksack auf den Boden fallen lies und sich zu ihnen an den Tisch setzte. „Morgen“ brummte er übellaunig und angelte nach einem Stück Brot.

„Was ist denn mit dir los?“ fragte Wesjla. „Willst du verreisen?“

„Wollen? Von wollen kann keine Rede sein“

„Musst du verreisen?“ setzte die Äbtissin erneut an.

„Ich gehe davon aus.“

„Wohin?“ hakte nun Jalim nach

„Vermutlich nach Eschkarabu. Aber fragt besser Assjima.“ Er schnitt sich ein Stück Käse vom Laib und steckte es in den Mund.

Ketal betrachtete den Freund verwundert, bevor er zu fragen wagte: „Wo ist sie denn?“

„Schläft noch.“ Dann packte der Betazoide ein paar Scheiben Brot und ein großes Stück Käse in den Rucksack, stand auf, brummte ein Tschüß und ging.

„Was war das denn?“ fragte Talana irritiert.

Der junge Schmied deutete mit dem Messer auf die Tür, durch den im selben Moment Assjima den Raum betrat. „Sie wird es uns bestimmt gleich erklären.“

Die Ärztin wirkte etwas abwesend, als sie die Freunde begrüßte und sich auf den nun wieder freien Stuhl setzte. „Habt ihr Sam gesehen?“

„Er ist vor einer Minute gegangen. Habt ihr euch gestritten?“ Wesjla reichte ihr eine Tasse Tee.

„Gestritten? Nein, wieso? Ich habe ihn heute Morgen noch gar nicht gesehen.“

„Er wirkte ziemlich ungehalten. Brummte etwas von verreisen müssen.“

„Wie?“ Assjima warf einen langen fragenden Blick in die Runde. „Verreisen?“ Dann sprang sie plötzlich auf. „Oh je … bitte entschuldigt mich!“

Mit langen Schritten eilte sie hinaus. Wenig später erreichte sie etwas außer Atem den Falken.

„Sam? Bist du hier?“

„Hier unten …“ klag es dumpf aus dem Maschinenraum.

Assjima kletterte durch die enge Luke hinunter. „Was machst du da?“

„Den Antrieb überprüfen.“

„Warum denn?“

„Weil ich nicht schon wieder tagelang durch irgendwelche Wälder stapfen will. Wir nehmen diesmal den Falken!“

„Ich verstehe nicht ganz …“

„Eschkarabu ist mir zu weit weg, um da hin zu laufen.“ Erst jetzt kam er unter der Konsole hervor gekrochen.

„Es war doch nur ein Traum … ein simpler Traum.“

„Das war kein Traum, Imzadi. Das war einmal wieder eine von deinen Visionen – reiche mir bitte mal den Drehmomentschlüssel.“

Assjima griff in die Werkzeugkiste und gab ihm das gewünschte Gerät. „Warum sollte ich nach Eschkarabu wollen?“

„Das weiß ich nicht. Ich habe nicht alles mitbekommen.“

„Ich reise doch nicht dahin nur weil ich geträumt habe, dass ich dort bin.“

„Du wirst reisen wollen … noch heute.“ Er kroch erneut unter die Maschine.

„Moment …“ Assjima rieb sich verwundert die Nasenwurzel. „Du bist böse auf mich weil ich verreisen werde, noch bevor ich von dieser Reise etwas weiß?“

„Die Ruhe hier tut gut. Ich hätte sie gerne noch ein paar Wochen ertragen“ klang es dumpf von unten.

Gleich darauf war von draußen Wesjlas helle Stimme zu hören. „Assjima? Bist du hier irgendwo?“

„Ich komme!“ Die Ärztin warf Sam noch einen verwunderten Blick zu und kletterte dann ins Freie. „Was ist denn?“

Wesjla war sichtlich außer Atem. „Atemil hat sich eben gemeldet. Er ist auf Eschkarabu und wünscht dich dort dringend zu sprechen.“

Assjima war jetzt sichtlich verwirrt. „Was … was will er denn?“

„Das weiß ich nicht. Er sagte nur, dass es sehr dringend sei und dass er deine persönliche Anwesenheit dort benötigen würde. Außerdem sollst du das Amulett mitbringen.“ Die Äbtissin sah Assjima eindringlich ins Gesicht. „Was ist hier eigentlich los?“

„Wenn ich das nur wüsste“ antwortete diese irritiert. „Ich hatte heute Nacht einen Traum. Er hatte irgendwie mit Eschkarabu zu tun, aber ich kann mich nicht mehr richtig erinnern.“

Wesjla schüttelte den Kopf, schob Assjima zur Seite und rief in den Maschinenraum hinein: „Hör mit dem Mist auf Sam, und komm endlich raus.“

Sie bekam nur ein unwilliges Brummen zur Antwort, aber nach wenigen Augenblicken erschien der Betazoide in der Luke. „Das Triebwerk warten ist kein Mist. Was willst du?“

Die Deltanerin klang ungewohnt scharf, als sie antwortete: „Ich will gar nichts. Aber dein Verhalten bedarf einer Erklärung. Was hast du heute Nacht in Assjimas Traum gesehen?“

„Seit wann begnügst du dich mit Wissen aus zweiter Hand? Frag sie doch selber.“

Da griff Assjima nach seiner Hand. „Imzadi … bitte! Ich kann mich nur bruchstückhaft erinnern. Und ich verstehe nicht, wieso du so aufgebracht bist.“

„Weil du sogar noch im Traum deine Gedanken vor mir versteckst.“

„Was mache ich?“ Über das Gesicht der Ärztin breitete sich Ratlosigkeit. „Warum sollte ich das tun?“

„Was weiß denn ich. Irgendein Hexengalama vermutlich.“

„Was soll das, Sam?“ fuhr Wesjla dazwischen.

„Du fragst mich, was das soll?“ brauste der Pilot auf. „Seit Tagen lässt sie mich immer weniger an ihren Gedanken teilhaben. Und heute Nacht … Sie träumt irgendwas Unheimliches, aber mir gaukelt sie nur Trugbilder von hübschen Blumen in romantischen Ruinen vor.“

„Man kann im Traum nichts vorgaukeln.“

„Ach nein? Dann beobachte du doch mal ihre Träume! Sie kann das inzwischen ziemlich gut.“

„Das bildest du dir nur ein. Selbst Assjima kann so etwas nicht.“

„Ihr Deltaner behauptet immer, dass ihr es nicht schafft, eure Gedanken zu verhüllen. Dann ist sie vermutlich die nächste Stufe der Evolution.“

„Das ist doch Unfug!“

„Ist es nicht. Ich merke sehr genau, wenn jemand etwas vor mir verbergen will. Ihr seit nicht die einzigen Empathen.“

„Assjima würde nie …“

„He!“ unterbrach die Ärztin die Streithähne. „Ich bin auch noch da.“ Sie sah Sam eindringlich an. „Bitte schildere uns genau, was du heute Nacht in meinem Traum zu sehen glaubtest.“

„Wir waren auf Eschkarabu. In einem Garten. Zwischen den Ruinen wuchsen Unmengen von Blumen.“

„Es gibt dort keinen Garten wie du in beschreibst“ unterbrach Wesjla. „Woher weißt du dass ihr auf Eschkarabu ward?“

„Weil Assjima träumte, dass wir dort hingegangen sind. Wir sind stundenlang auf diesen blöden Vulkankegel hinauf gestiegen. Ich habe die Ruinen auf Bildern gesehen. Das war ganz eindeutig Eschkarabu. Wir gingen durch das Tor. Dann waren da Malik und Aban Walir. Atemil und Niral habe ich auch kurz gesehen. Sie brachten uns in diesen Garten, baten uns, zu warten und verschwanden dann durch ein Tor. Wir warteten ziemlich lange. Dann begann Assjima plötzlich um sich zu schlagen. Aber in ihrem Traum saß sie weiterhin ganz ruhig da. Ich versuchte, sie zu beruhigen, musste sie sogar mit aller Kraft festhalten. Doch die Gedankenbilder, die ich von ihr empfing zeigten nur immer diese blöden Blumen … und die Ruinen. Ich versuchte, sie zu wecken, fing mir aber nur eine Ohrfeige ein. Dann wurde sie wieder ruhig und ich sah nichts mehr von ihrem Traum. Ich bin dann aufgestanden um meinen Rucksack zu packen. Weil ich noch Zeit haben wollte, nach dem Antrieb zu schauen. Denn auf eine solche Bergtour habe ich absolut keine Lust.“

Während Sams Schilderung nahm Assjimas Gesicht einen immer ratloseren Ausdruck an. „Das ist seltsam“ entgegnete sie, nachdem er geendet hatte. „Ich erinnere mich auch an diesen Aufstieg. Und an Atemil und Malik. Ich weiß auch, dass sie uns baten, kurz zu warten. Aber da ist nicht mehr …“ Sie dachte angestrengt nach und schüttelte dann den Kopf. „Nein … sie gingen weg und der Traum war zu Ende. Ich habe dich geschlagen?“

„Ja … und zwar richtig mit Pfeffer.“ Sam rieb sich die Wange. „Das zieht jetzt noch.“

„Das tut mir leid …“ Sie legte die Arme um seinen Hals und küsste ihn auf die Wange.

Wesjla hatte sich inzwischen auf einen Stein gesetzt und schien tief in Gedanken versunken zu sein. „Sehr ungewöhnlich …“ kommentierte sie nach einem Weilchen. „Dir werden beruhigende Bilder vorgegaukelt während Assjima offensichtlich etwas Unangenehmes erlebt, an dass sie sich nachher aber nicht mehr erinnern kann. Sam … du hast angedeutet, dass dies nicht zum ersten Mal geschehen ist. Was war da noch?“

„Vor ein paar Tagen waren wir doch bei ihr zuhause. Sie lag auf der Veranda in der Sonne und schlief, während ich im See schwimmen war. Ich habe mich tropfnass neben sie gelegt.“ Er schaute Assjima an. „Du hast am ganzen Leib gezittert. Ich legte dann meine nasse Hand auf deinen Rücken. Du hast nicht reagiert. Das Zittern hörte nach einer Weile auf. Aber es war seltsam, dass ich keine Traumbilder von dir empfing. Ich fragte dich später, was du geträumt hättest und du hast geantwortet, dass du dich nicht erinnern könntest. Und vorgestern … du bist über einem Padd gesessen. Doch anstatt in den News zu lesen, starrtest du nur ins Leere. Als ich wissen wollte, was es Neues in der Zeitung gäbe konntest du mir keine Antwort darauf geben.“

Assjima schüttelte den Kopf „Ich soll auf der Veranda geschlafen haben? Und die Zeitung habe ich seit mindestens einer Woche nicht mehr gelesen … ich verstehe das nicht.“

„Du scheinst Erinnerungslücken zu haben“ kommentierte die Äbtissin. „Aber das erklärt nicht, warum Sam entweder nichts oder nur Trugbilder von dir zu sehen bekommt. Du solltest mit Lakia darüber sprechen. Vielleicht handelt es sich um eine neurologische Nachwirkung deiner Erlebnisse bei den Vorlok.“

„Aber ich fühle mich total fitt!“

„Du solltest das keinesfalls ignorieren.“

„Gut … ich werde mit Lakia sprechen“ lenkte Assjima ein. „Aber zuerst müssen wir zu Atemil nach Eschkarabu. Und wir nehmen den Falken, Imzadi.“

Eine Stunde später flog das kleine Raumschiff auf den Bergkegel zu. Doch von dem Heiligtum war nichts zu sehen, denn der Gipfel war in eine mächtige Wolke gehüllt. Die beunruhigte Assjima rief über den Computer die aktuellen Wetterdaten ab.

„Laut der meteorologischen Orbitalstation sollte es heute in dieser Region keine Wolkenbildung geben.“

„Das ist auch keine Regenwolke …“ Sam überflog die Sensorendaten. „Das ist Rauch.“

„Es brennt in den Ruinen?“

„Nein … das sieht aus als ob der Rauch aus dem Berg käme.“ Sam nahm Schub zurück.

„Der Vulkan zeigte seit mehreren Jahrtausenden keinerlei Aktivität.“ Assjimas Finger flogen über die Konsole. „Aber du hast recht. Die Sensoren messen eine ungewöhnlich hohe Temperatur. Und es sind viele Aschepartikel in der Luft.“

„Du bist doch schon dort gewesen. Liegen die Ruinen direkt auf dem Gipfel?“

„Nein, sie befinden sich auf einem Plateau am nordöstlichen Hang. Ein paar Meter unterhalb des Gipfels, einen guten Kilometer vom Kraterrand entfernt. Ich versuche, Atemil oder Malik zu erreichen.“ Nach ein paar Minuten schüttelte sie den Kopf. „Nichts. Die Indifferenzen sind zu stark.“

„Mal sehen, ob wir etwas mehr erkennen können.“ In sicherem Abstand umflog Sam das gewaltige Naturschauspiel. „Es ist kein Magma-Austritt zu sehen.“

„Und die Sensoren messen keine Erdstöße. Der Vulkan raucht nur … noch. Aber die Kommunikation ist nicht nur nach dort unten gestört. Ich kann weder die Orbitalstation noch die Bodenflugkontrolle erreichen. Die müssten doch schon vor Stunden erkannt haben, dass der Vulkan erwacht ist. Es sind jedoch keinerlei Rettungskräfte zu sehen. Das große Archiv in den unterirdischen Gewölben würde man niemals einfach so seinem Schicksal überlassen.“

„Wir gehen höher.“ Sam zog den Steuerknüppel an sich und der Falke stieg auf, bis die Rauchwolke tief unter ihnen lag. „Bekommst du jetzt eine Verbindung?“

Die Ärztin nickte. „Ja … ich habe die Orbitalstation …aber nur Audio.“ Sie wechselte mit jemandem ein paar Worte auf Deltanisch. „Die haben diese Rauchbildung auch erst vor wenigen Minuten entdeckt. Die Rettungskräfte sind bereits alarmiert und befinden sich auf dem Weg. Aber noch ist niemand vor Ort. Und sie bekommen ebenfalls keine Verbindung zu den Mönchen. Vermutlich ist deren Kommunikationsanlage gestört.“

Sams Mine nahm einen besorgten Ausdruck an. „Wie viele Deltaner befinden sich wohl dort unten?“ fragte er nachdenklich.

Assjima schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Normalerweise leben etwa 15 Mönche in einem Gebäude auf dem Ruinenareal. Aber es sind doch immer recht viele Wissenschaftler, Touristen und Pilger in Eschkarabu zu Besuch. Glücklicherweise steht kein besonderer Feiertag bevor. Und es ist auch keine Urlaubszeit. Ich schätze, dass sich dort 30 oder 40 Personen aufhalten könnten. Vielleicht sind … mit etwas Glück … neben den Mönchen auch nur unsere Freunde da unten.“

„Und euer Nationalheiligtum … das große Archiv.“

Die Deltanerin nickte besorgt. „Schriften und Artefakte von unschätzbarem Wert.“

„Wir gehen runter und versuchen zu retten, was zu retten ist.“ Der Falke senkte seine Spitze nach unten und schoss mitten hinein in die Wolke. Draußen wurde es dunkel. „Behalt du die Anzeigen im Auge. Vor allem die des Antriebs und die Höhenkontrolle.“

„Die spielt gerade verrückt. Aber der Gipfel liegt noch ungefähr 900 Meter unter uns. Du solltest die Sinkgeschwindigkeit verringern …“

Sam drosselte den Schub und zog die Spitze wieder etwas nach oben. Der Falke verlor an Geschwindigkeit. Dann schaltete der Betazoide die Landetriebwerke ein. Langsam schwebte das kleine Raumschiff nach unten. „Siehst du das?“ fragte er leise und deutete nach unten. „Da wird es heller.“

Assjima richtete sich auf und schaute durch das Seitenfenster nach unten. „Das ist die Beleuchtung der Ruinen. Die Energieversorgung funktioniert also noch. Ich glaube, dass du auf dem Platz zwischen äußerem und innerem Mauerring landen kannst. Der Rauch ist hier auch nicht mehr so stark wie weiter oben.“

„Gut. Dann lass uns mal nachsehen, was hier los ist.“

Ohne Probleme konnte Sam den Falken aufsetzen. Während er die Maschinen auf Standby stellte, holte Assjima Schutzanzüge, Atemgeräte und Notausrüstung aus dem Lager. Wenig später stapften die beiden durch zentimetertiefe Asche auf den Hauptkomplex des Heiligtums zu, welcher nur schemenhaft zu erkennen war, obwohl er nur wenige Meter vor ihnen lag.

„Was denkst du …“ quäkte Sams Stimme durch ihre Kopfhörer. „Wo stecken die Mönche?“

„Vermutlich im Archiv. Sie werden versuchen, die wertvollsten Schriften zu bergen.“ Assjima wischte die Asche von der Schutzbrille und sah sich um. „Wenn ich mich richtig erinnere, so ist der Eingang dort drüben … drei Meter links von der Mauer.“ Sie ging voraus und schob die schwere Holztür auf. Über eine schmale Treppe stiegen sie immer tiefer in das Innere des Vulkans hinab. Hier, im Inneren des Gemäuers war die Luft noch sauber und die Beleuchtung funktionierte. So kamen sie schnell voran und hörten nach wenigen Minuten aufgeregte Stimmen. Sie traten in einen großen, mit einem mächtigen Tonnengewölbe überdeckten Raum. Endlose Regale verloren sich weiter hinten im Dämmerlicht. Doch rannten keinesfalls mit Kisten beladene Mönche hektisch herum. Stattdessen hörten sie metallene Schläge und heftiges Schnaufen. Im hinteren Teil des Raumes entdeckten sie eine Gruppe Mönche, die vor einer mit Reliefs überzogenen Mauer standen. Ein besonders großer und kräftiger Deltaner bearbeitete das Mauerwerk mit einem Vorschlaghammer. Er schlug mit aller Kraft immer und immer wieder zu. Ein anderer rammte an anderer Stelle ein Stemmeisen in eine Mauerfuge während der Rest das Geschehen mit lauten zurufen kommentierte.

„Was macht ihr hier?“ fragte Assjima.

Die Männer hielten inne und drehten sich um. Als sie die beiden Besucher in ihren Schutzanzügen sahen, machte sich Erstaunen in ihren Gesichtern breit.

„Wer seid ihr?“ fragte ein älterer Mönch und trat näher.

„Wir sind die Vorhut des Rettungstrupps“ antwortete Sam. „Sam Devimar von Betazed und Lieutenant Commander Assjima.“

„Schon wieder ein Außerweltlicher in Eschkarabu?“ antwortete der Mann beinahe erschrocken. „Und von was für einem Rettungstrupp sprichst du? Wir haben keine Hilfe gerufen.“ Dann wendete er sich Assjima zu und betrachtete sie einen Moment lang. „Du kommst mir bekannt vor.“

Die Ärztin nickte. „Ja … ich war schon einmal hier. Vor etwa 20 Jahren. Che tela ol Bruder Nelochme.“

Ein Lächeln glitt über das Gesicht des alten Mannes. „Schwester Assjima … ich erinnere mich an eine junge Novizin, die sich immer mehr für die Kräuter in Bruder Jeros Garten interessierte als für die heiligen Schriften in diesen Räumen. Lieutenant Commander …soso … du bist also der Sternenflotte beigetreten? Unser Planet hatte für dich wohl nicht genügend Kräuter aufzuweisen. Was macht ihr hier … in diesen seltsamen Anzügen?“

Assjima und Sam warfen sich erstaunte Blicke zu. „Wir sind hier, um euch zu helfen. Wieso kümmert sich niemand um die Schriften?“

„Was ist denn mit ihnen?“

Die beiden Besucher blickten in ahnungslose Gesichter. Konnte es wirklich sein, dass die Brüder keine Ahnung von dem hatten, was draußen vor sich ging? Assjima trat an Nelochme heran und legte die Hand auf seinen Arm. „Sieh selbst, Bruder.“

Die Augen des alten Mannes weiteten sich vor Schreck. „Der Vulkan ist zu neuem Leben erwacht …“ stammelte er heiser. „Wie ist das möglich?“

„Das wissen wir nicht. Aber was macht ihr hier unten?“

„Wir versuchen, die Mauer einzureißen. Um die Leute dahinter zu befreien.“

„Was denn für Leute?“ mischte sich nun Sam ein. Er trat an die Mauer und betrachtete die Reliefs.

„Bruder Atemil mit ein paar Wissenschaftlern. Es ist auch ein Außerweltlicher dabei. So ein junger Bursche mit Sommersprossen und Segelohren.“

„Aban Walir! Die sind dahinter eingeschlossen? Wie ist das möglich?“ Sams Hände glitten suchend über das Mauerwerk.

Jetzt trat ein junger Mönch hervor. „Ich bin Bruder Omesh. Ich war mit der Gruppe hier unten um bei der Suche nach einigen Schriften behilflich zu sein. Da entdeckte der Außerweltliche diese Reliefs und begann, sie zu untersuchen. Die anderen waren dann recht schnell bei ihm und begannen, wild zu diskutieren. Es ging mich nichts an, deswegen habe ich nicht so auf sie geachtet. Bruder Atemil rannte einmal noch nach draußen. Als er zurück war, zog der große Dicke etwas aus der Tasche. Was dann genau geschehen ist kann ich nicht sagen, weil ich da drüben am Regal stand und las. Aber plötzlich waren sie alle verschwunden. Die ganze Gruppe! Bis vor zwei Stunden hörten wir noch Klopfzeichen auf der anderen Seite. Aber seitdem ist es still. Und jetzt versuchen wir, die Mauer einzureißen um sie frei zu bekommen. Wir befürchten, dass ihnen die Luft ausgegangen ist.“

„Oder sie haben einen anderen Weg gefunden.“ Assjima trat neben Sam und lies die Augen suchend über den Wandschmuck gleiten, der flächendeckend aus ineinander greifenden Ringen bestand. „Bruder Nelochme … ist etwas über dieses Relief bekannt?“

Der alte Mann schüttelte den Kopf. „Nicht viel. Wir befinden uns im ältesten Teil der Anlage. Das Alter dieser Mauern wird auf etwa 4.500 Jahre geschätzt. Der Wandschmuck wurde jedoch wesentlich später in den Stein hinein gemeißelt. Dieser hier mag etwa 3000 Jahre alt sein und zeigt nur eine schlichte Ornamentik, die nicht einmal besonders fein gearbeitet ist. Wer der Künstler war ist nicht überliefert. Vermutlich einer der Laienbrüder, die sich in der kalten Jahreszeit gerne hier aufgehalten haben. Oder ein herumziehender Steinmetz, der für Unterkunft und Essen den Brüdern seinen Dank hinterlassen hat. In den Ruinen findet man viele Werke dieser Art. Aus allen Epochen.“

„Dieses Ringgeflecht erinnern mich irgendwie an ein Kettenhemd“ brummte Sam und trat etwas näher heran. „Moment …“ Er kratzte mit dem Daumennagel an einem der steinernen Ringe. „Die sind nicht rund … da sind Ecken dran … die wurden im Laufe der Zeit einfach nur abgenutzt.“

„Du hast Recht, Sam“ stimmte Assjima zu „Das sind Achtecke … schau mal … in der Mitte eines jeden …“ Erschrocken machte sie einen Schritt zurück, starrte zuerst die Wand an und drehte dann ganz langsam ihre Handfläche nach oben. Das Brandmal schien ganz leicht zu schimmern. „Das sind die Wappen der sechs Vorlok-Clans.“

Entsetzt wichen die Brüder zurück. Der alte Prior war blass geworden. „Vorlok? Hier in Eschkarabu?“

„Sie waren auf Seyalia um sich Wissen anzueignen. Was sie nicht in den Köpfen der Nerillar fanden, das konnten sie hier erfahren“ kommentierte der Betazoide grimmig und begann, das steinerne Geflecht genau zu untersuchen. „Assjima … schau mal!“ Er drehte sich um, als er keine Antwort bekam. Die Ärztin stand fast unbeweglich einen Meter hinter ihm und starrte mit leeren Augen auf die Wand. Nur die Faust mit dem Brandmal öffnete und schloss sich. „Imzadi? Was ist mit dir?“ Er trat an sie heran, legte die Hände auf ihre Schultern und schüttelte sie sanft bis ein Ruck durch ihren Körper ging.

„Entschuldige bitte …“ murmelte sie leise. „Was wolltest du mir zeigen?“

Er warf ihr einen besorgten Blick zu, ging aber dann wieder zurück zur Wand. „Hier … das ist das Wappen der Dilrak. Und hier kann man ein paar Kratzer erkennen. Die sind noch ganz frisch und ich glaube dass sie durch etwas aus Metall verursacht wurden.“

Die Ärztin griff langsam in die Tasche und zog mit spitzen Fingern Deglameschs Amulett hervor. „Ich glaube das passt da rein“

Doch bevor sie es in das steinerne Achteck legen konnte hielt Sam sie zurück. „Warte!“ Er winkte die beiden Brüder mit den Werkzeugen herbei. „Egal was sich da gleich öffnet – steckt das Stemmeisen hinein! Und ihr anderen tretet zurück.“ Dann nahm er Assjima das Medaillon aus der Hand. „Du bitte auch!“ Ohne Widerspruch folgte sie seiner Aufforderung. Dann legte er das Amulett vorsichtig in das Relief. Es ertönte ein kaum hörbares Quietschen und der Boden unter ihm schien sich plötzlich in Nichts aufzulösen. Doch bevor er in das Loch hinunter stürzen konnte, packte ihn der riesige Mönch mit dem Vorschlaghammer am Arm und riss ihn zur Seite, während der andere nach vorne hechtete und das Stemmeisen quer in die Öffnung hielt. Irgendwo schien ein Getriebe aufzustöhnen, als sich die Ränder des Loches wieder ein Stück zusammen zogen um sich dann festzufressen.

Sam wischte sich den Schweiß von der Stirn und gab dem hünenhaften Deltaner einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. „Ich danke dir, Bruder. Das hätte schmerzhaft werden können.“ Noch immer etwas zittrig fummelte er eine Taschenlampe aus der Jacke und leuchtete in das Loch hinein. „Da ist eine Treppe … sie geht nicht weit herunter. Vielleicht drei Meter oder so. Dann scheint da ein Gang zu sein.“ Er richtete sich auf und sah sich suchend um. „Wir bräuchten ein paar dicke Holzbalken oder Metallstreben um dieses Loch aufzuhalten. Ich weiß nicht, wie lange das Stemmeisen dem Druck noch standhalten kann.“

Nelochme nickte dem großen Mönch zu, der daraufhin mit langen Schritten die Treppe hinauf eilte um nur wenige Augenblicke später mit zwei Balken unter den Armen zurück zu kehren. „Es sieht nicht gut aus, da draußen“ meldete er dem Prior. „Die Luft ist voller Asche, so dass die Sonne nicht mehr durchkommt.“

Der alte Mann nickte und schaute dann Assjima prüfend an. „Irgendwas sagt mir, dass die plötzlichen vulkanischen Aktivitäten mit diesen Ereignissen hier zu tun haben. Oder irre ich mich da, Schwester?“

„Ich weiß zwar nicht wie, aber ich glaube auch dass dies hier kein Zufall ist“

Während sich Sam mit den beiden Mönchen abmühte, die Luke zu blockieren, nahm der Prior Assjima beiseite. „Wir leben hier sehr abgeschieden und interessieren uns nicht sonderlich für die Belange der Welt. Etwas, was unseren Orden von dem deinen unterscheidet. Aber auch wir bekommen doch gelegentlich etwas mit. So ist uns das erneute Auftauchen der Vorlok durchaus bekannt. Und auch die Tatsache, dass in dem Vulkan die Seelen der Krieger gefangen waren. Seitdem tauchen hier täglich Wissenschaftler auf, um in den alten Schriften nach Spuren der Vorlok zu suchen. Doch was hast du – eine Priesterin der weißen Schule - mit diesen schwarzen Gesellen zu tun?“

In knappen Worten schilderte Assjima die Ereignisse der letzten Wochen. Der alte Mann hörte gespannt zu. „Es scheint mir immer noch nicht ausgestanden zu sein“ kommentierte er, als sie geendet hatte. „So sollten wir versuchen, dies alles hier zu beenden. An diesem heiligen Ort, von dem wir glaubten, dass hier an dieser Stelle die Erlebnisse mit den schwarzen Kriegern schon vor langer Zeit abgeschlossen worden seien. Lasst uns sehen, was sich am Ende des Ganges befindet. Und ob wir dort eure Freunde wieder finden.“ Er deutete auf die beiden Mönche, die Sam zur Hand gegangen waren. „Bruder Walim, Bruder Onid … ihr kommt mit. Und ihr anderen geht nach oben und ruft die Gefährten zusammen. Vielleicht befinden sich Besucher in den Ruinen, die eurer Hilfe bedürfen.“ Er ließ sich eine Lampe geben und zwängte sich zwischen den Balken durch. Walim und Onid folgten ihm, während Sam Assjima bei der Hand nahm.

„Du musst nicht mitkommen, Imzadi. Vielleicht wäre es besser, wenn du hier auf uns warten würdest. Sicherer wäre es auf jeden Fall.“

Doch Assjima winkte entschieden ab. „Ich werde auf keinen Fall hier sitzen und lesen, während ihr nach Malik und den anderen sucht. Ich komme selbstverständlich mit.“

Entschlossen hangelte sie sich durch das Loch hinunter und Sam folgte ihr auf den Fuß.

„Ich bleibe hier und passe auf, dass das Loch nicht wieder zugeht“ rief der junge Bibliothekar hinterher und setzte sich mit einem Buch in der Hand neben die Öffnung.

Der Gang führte ein kurzes Stück durch roh behauenen Fels. Dann ging es über eine kurze Treppe wieder nach oben und endete in einen kleinen Raum. Sam bückte sich und hob ein paar kleine Felsstücke vom Boden auf. Dann leuchtete er mit der Lampe die Wand ab. „Seht her … hier ist der Putz abgefallen. Da hat jemand von der anderen Seite mit viel Kraft drauf geschlagen.

Der kräftige Walim grinste amüsiert. „Dann müsste das die Mauer zum Archiv sein.“ Er rammte seinen Hammer erneut gegen die Wand und brüllte: „He Omesh … hörst du mich?“ Von der anderen Seite ertönte ein schwaches Klopfen. „Der Kleine hat weder Kraft noch Stimme. Aber er ist auf jeden Fall dort drüben.“ Er schulterte sein Werkzeug und sah sich um. „Hier ist nichts. Da hinten könnte es weitergehen.“

Erneut übernahm der alte Nelochme die Führung und leitete die Gruppe zügig durch das Innere des Vulkans. Nach einigen Metern blieb Assjima stehen und betrachtete die Wände. „Die sind nicht künstlich hinein geschlagen. Das sieht nach einem magmatischen Gestein aus. Rhyolith, denke ich. Es gibt hier immer wieder partielle Gesteinschmelzen. Spürt ihr, dass es wärmer wird?“

„Oh ja“ stimmte Sam zu. „Das gefällt mir gar nicht … der Vulkan droht auszubrechen und wir latschen geradewegs auf seinen Hotspot zu. Eigentlich sollten wir in die entgegen gesetzte Richtung marschieren … und das auch noch zügig.“

Die Deltanerin zog ihren Scanner aus der Tasche. „Wir müssen auf austretende Gase achten. Helium und Radon sind in der Nähe sich füllender Magmakammern sehr präsent. Noch kann ich aber keine erhöhte Radioaktivität messen.“

„Dann sind wir wohl noch nicht nahe genug dran“ brummte Sam. Er nahm Assjima den Scanner aus der Hand und schob sich an Nelochme vorbei. „Ich geh mal voraus. Es reicht, wenn nachher einer von uns leuchtet.“ Mit langen Schritten eilte er voraus und verschwand hinter der nächsten Biegung. „He! Kommt schnell! Das müsst ihr sehen!“ tönte er plötzlich mit heller Piepsstimme.

Erschrocken rannte Assjima hinterher. „Helium … er hat Helium eingeatmet.“

„So ein bisschen Lachgas hat noch niemandem geschadet“ scherzte Onid, folgte ihr aber so schnell wie möglich.

Dann standen sie plötzlich in einem mächtigen Felsdom. Ganz weit oben in der Kuppel schimmerte dämmriges Licht. Sam stand auf einem Podest dicht vor dem Abgrund und lachte Assjima amüsiert an. „Keine Sorge … das war nur ein Scherz am Rande“

„Blödmann!“ Sie verpasste ihm einen kräftigen Stoß in die Seite. „In so einer Situation herum zu albern schaffst auch nur du. Was ist das da unten?“ Im dämmrigen Dunkel unter ihnen waren seltsame Formationen zu erkennen.

„Jedenfalls ist das hier keine aktive Magmakammer. Irgendwie sehen diese Dinger wie Maschinen aus … schaut mal: da führt ein großes Rohr nach oben.“ Der Lichtkegel seiner Lampe folgte einem dicken Gebilde, bis es sich in der Dunkelheit Der Kuppel verlor.

„Nelochme“ wandte sich Assjima nun an den Prior. „Könnte es sein, dass wir uns unter der Caldera des Vulkans befinden?“

Der Alte überlegte einen Moment und nickte dann zustimmend. „Das könnte hinkommen. Der Krater ist allerdings sehr groß. Sein Durchmesser beträgt mit Sicherheit ein Mehrfaches dieser Halle.“

„So ist es durchaus möglich, dass sich die Magmakammer noch ein Stück entfernt von uns befindet. Sozusagen im Nachbarraum?“

„Ja. Das wäre denkbar, Schwester. Die Geologen haben das Heiligtum bislang verschont. Der Vulkan ist nur oberflächlich erforscht.“

Die Ärztin nahm Sam den Scanner ab und studierte aufmerksam die Anzeigen. „Keine Gase, Temperatur und Strahlung im normalen Bereich … und diese Dinger unter uns sind eindeutig aus Metall. Da drüben scheint es runter zu gehen. Lasst uns das mal genauer anschauen.“

Sie stiegen eine Leiter hinab und befanden sich nun zwischen gut mannshohen metallenen Quadern, von denen ein leises Brummen ausging. Sam ging auf den nächstbesten Quader zu und inspizierte ihn im Schein seiner Taschenlampe während Assjima mit dem Scanner die Oberfläche untersuchte. „Das Gehäuse ist stark erodiert … laut den Daten handelt es sich um eine unbekannte Legierung“ kommentierte sie.

Der Betazoide betrachtete das dicke Rohr, das auf Bodenhöhe in den Quader führte. Er fasste es vorsichtig an und zog die Hand schnell wieder zurück. „Verdammt heiß! Hier sind noch Reste einer Isolation zu sehen, die wohl dem Zahn der Zeit zum Opfer fiel. Die Kisten sind mit einem dicken Kabel untereinander verbunden. Ich glaube, wir haben es hier mit sehr alten thermoelektrischen Generatoren zu tun.“ Er zog sein Messer aus der Tasche und begann, eine der Metallplatten zu lösen.

„Ich denke, ich habe das dazu gehörige Kühlsystem gefunden“ klang Onids Stimme aus einer anderen Ecke der Halle. „Hier kommt ein mächtiges Rohr aus dem Felsen und verzweigt sich … es sieht so aus, als ob eine jeder dieser Abzweigungen von unten her an diese Container heranführt.“

„Und in dieser Kiste befinden sich zwei ziemlich große Halbleiter. Assjima – gib mir bitte mal deinen Scanner“ Einen Moment später brummte er: „Oben eine Nickel-Chrom-Legierung, unten eine Kupfer-Nickel-Legierung. Wenig effizient aber sehr haltbar.“ Er gab der Deltanerin den Scanner zurück. „Leute … wir befinden uns in einem großen Kraftwerk“ setzte er erklärend an. „Hier wurde unter Nutzung des Seebeck-Effekt aus der Wärme des Magma elektrischer Strom hergestellt.“

„Und zur Kühlung des Kupfer-Nickel-Halbleiters wurde Meerwasser hinein gepumpt“ ergänzte Onid, der sich jetzt wieder zur Gruppe gesellte. „Aber das Kühlsystem ist defekt. Vermutlich sind die Ansaugrohre unten in der Bucht im Laufe der Zeit mit Muscheln und Algen zugewachsen.“

„Oder die Pumpe hat den Geist aufgegeben. Die dürfte in der gesamten Anlage die einzige mechanische Komponente darstellen und ist so die größte Schwachstelle. Außerdem ist die Isolation der Rohre fast vollständig zerfallen. Wenn dieses große Rohr …“ er deutete nach oben „… keine schützende Abdeckung mehr hat, dann ist im Laufe der Zeit mit Sicherheit sehr viel organisches Material von oben hineingefallen.“

„Diese Halbleiter nutzen den Temperaturunterschied zwischen der durch das Magma im Hotspot erhitzen Luft und dem kalten Meerwasser“ fügte Onid erklärend hinzu. „Da die Kühlung ausgefallen ist, kann kein Strom mehr erzeugt werden. Die heiße Luft strömt aber trotzdem in das System und weicht vermutlich durch dieses Rohr nach oben ab. Dabei wird das im Abluftrohr befindliche organische Material verbrannt.“

„Und lässt eine gewaltige Rauchwolke entstehen“ kommentierte die Ärztin. „Das bedeutet: der Vulkan steht nicht vor einem neuen Ausbruch …“

„… und unser Archiv ist nicht in unmittelbarer Gefahr“ atmete der Prior erleichtert auf.

„Glück gehabt, alter Mann“ grinste Sam amüsiert. Dieser Nelochme verwendete nicht einen Gedanken an die Auswirkungen, die ein Vulkanausbruch auf das gesamte Ökosystem Seyalias hätte haben können. Er dachte nur an die Schriftensammlung. „Die Verarbeitung der Maschinen erinnert mich ziemlich stark an das was ich auf Ula’ktos gesehen habe. Ich bin mir sicher, dass wir es mit antiker Vorloktechnologie zu tun haben.“

„Könnten unsere Freunde das System durch das Betätigen dieses Türmechanismus aktiviert haben?“ fragte Assjima.

„Das glaube ich nicht“ verneinte Sam. „Aber vermutlich konnte dein neugieriger Schwager die Finger nicht von irgendwelchen Hebeln lassen. Die müssen doch hier irgendwo stecken …“

„Dann hätten sie sich bestimmt schon bemerkbar gemacht.“ Assjima schaute sich suchend um und schüttelte dann den Kopf. „Bevor wir weiter nach ihnen suchen, sollten wir versuchen, das System irgendwie abzuschalten. Bevor es endgültig überhitzt und uns doch noch um die Ohren fliegt.“

Die kleine Gruppe teilte sich auch und machte sich an die Suche. Schon nach wenigen Minuten brüllte Walim: „Kommt mal hier rüber. Hier ist eine Art Schaltpult.“

Während Sam und der technikverständige Onid die Anlage einer gründlichen Analyse unterzogen, stolperten Nelochme, Walim und Assjima weiter im Lichte ihrer Lampen durch den dunklen Raum.

Der Prior blieb plötzlich stehen und schaltete sein Licht aus. „Schau mal, Schwester … da schimmert ein schwaches Licht durch.“ Er deutete auf die Wand vor der er stand. Tatsächlich war an ihrem Fuß ein schmaler Lichtstreifen zu sehen. „Da könnte sich eine Tür befinden. Walim?“

Der große Mönch nickte und stemmte sich mit aller Kraft gegen das glatte Mauerwerk, das gleich beim ersten Versuch nachgab und eine schmale Öffnung freigab. Warme Luft strömte ihnen entgegen „Das sieht nach einem Wartungsgang aus. Hier laufen wieder diese großen Rohre am Boden entlang.“ Er wollte weitergehen, doch Assjima hielt ihn am Arm zurück.

„Wir sollten auf die anderen warten. Und wir brauchen etwas, um diese Tür zu blockieren. Womöglich lässt sie sich von innen nicht so problemlos öffnen wie von außen. Schau mal …“ Sie deutete auf einen Rest verrottetes Metall auf dem Boden. „Das war wohl mal so etwas wie ein Schließmechanismus.“

„Du hast Recht, Schwester.“ Ohne weiteren Kommentar verschwand er im Dunkel.

„Das hier gefällt mir alles gar nicht“ flüsterte Nelochme als Walim weg war. „Ein Kraftwerk der Vorlok in unserem Heiligtum. Wie konnten die das damals bauen ohne dass die Brüder meines Ordens dies mitbekamen? Sie hätten eine solche Entweihung doch niemals zugelassen.“

„Vielleicht hatten sie keine Wahl?“

„Selbst dann wäre etwas in unseren Annalen überliefert worden.“

„Eure Annalen?“ Assjima setzte sich auf einen der vielen zerbrochenen Steinquader, zog eine Wasserflasche aus dem Rucksack und reichte sie dem Prior. „Gehen die so weit zurück?“

Nelochme nickte und trank dankbar einen Schluck. „Sie sind vollständig … bis zum Anbeginn der Zeit.“ Dann gab er ihr die Flasche zurück. „Sie beginnen, als die Nerillar anfingen zu denken.“

„Und zu schreiben“ ergänzte die Ärztin nachdenklich. „Der Orden der Wächter ist wesentlich älter als die weiße Schule.“

„Das stimmt. Wenngleich mein Orden auch lange nicht so einflussreich ist wie der deine, so hüten wir doch seit vielen tausend Generationen die niedergeschriebenen Gedanken der Nerillar.“

„Ich weiß. Von jedem Buch, das jemals auf Seyalia geschrieben wurde, wurde hier eine Ausgabe archiviert.“

„Oder die originale Handschrift.“ Der Alte schmunzelte. „Deine Werke haben wir übrigens auch. Alle … auch die digitalen. Sogar einige Briefe, die aus deiner Feder stammen. Wir verwalten nämlich auch Sikariis schriftlichen Nachlass.“

Assjima lächelte verlegen zurück. „Sie sind hoffentlich nicht zu intim?“

„Ach nein … nichts, wofür du dich schämen müsstest. Im Gegenteil. Einige deiner Briefe sind sehr wunderschöne Beispiele erotischer Literatur. Du solltest darüber nachdenken, sie zu veröffentlichen“ antwortete der Prior ernsthaft.

„Ich glaube, ich würde mich wohler fühlen, wenn ich sie sicher in euren Gewölben verwahrt weiß.“

„Da kannst du sicher sein. Deine persönlichen Schriftstücke werden nur mit deiner persönlichen Genehmigung freigegeben.“

„Na super …“ Gedankenverloren spielte Assjima mit der Flasche in ihrer Hand. „Aber eure Annalen … kann man die einsehen?“

Nelochme schüttelte verneinend den Kopf. „Die sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Nur Angehörige des Ordens dürfen sie lesen und kommentieren.“

„Ich verstehe. Darf ich dich fragen, ob du jemals eure eigene Schriften aus der Vorlok-Zeit studiert hast?“

„Nein.“ Jetzt setzte sich der Alte neben Assjima auf den Stein. „Ich wollte nicht. Diese dunkle Epoche ist lange vorbei.“ Er faltete die Hände in seinem Schoß und dachte nach. „Um ehrlich zu sein … ich glaube, ich habe Angst davor. Wir alle wissen, was damals geschehen ist. Ich wollte es nicht auch noch im Originalton erleben müsen. Ich kenne auch niemanden unter den Brüdern, der sich das jemals antun wollte.“

„Woher weißt du dann, dass in den Annalen nichts über den Bau dieser Anlage steht?“

Der Prior kratzte sich verlegen am Kopf. „Nun … ich weiß es eigentlich nicht. Aber ich gehe davon aus, dass wir von diesem Kraftwerk wüssten, wenn von ihm berichtet worden wäre. Nicht alle meine Vorgänger waren so feige wie ich.“

„Womöglich geriet es in Vergessenheit, weil niemand den Zugang finden konnte?“

„Das wäre durchaus denkbar …“

„Oder die Schriften aus jener Zeit existieren nicht mehr?“

„Nein!“ Der Alte warf Assjima einen empörten Blick zu. „Niemand würde unsere Aufzeichnungen vernichten! Sie sind heilig!“

„Nagaschura ließ damals alle Schriften über die Vorlok zerstören.“

„Was ein großer Frevel war! Die Wächter hatten sich mit allen Kräften dagegen gewehrt. Aber seine Männer verschafften sich gewaltsam Zutritt zu unseren Archiven!“

„Du wusstest also, dass unsere Geschichtsschreibung gefälscht wurde?“

„Wir behüten die Schriften. Es ist nicht unsere Aufgabe über deren Inhalt zu urteilen“ kam die Antwort fast ein wenig trotzig. „Und wir haben nicht das Recht, aus unserem heutigen Blickwinkel die Handlungsweise unserer Brüder vor fast dreitausend Jahren zu kritisieren. Nicht gegenüber Außenstehenden!“

Assjima schwieg. Sie wollte den alten Mann nicht unnötig verärgern. Aber dennoch …

„Nagaschura lies damals alles in den Vulkan werfen. Seine Männer gingen dabei verdammt gründlich vor. Aber an die Chronik des Ordens kam er nicht ran.“ Nelochme klang nun wieder etwas versöhnlicher. „Womöglich wusste er auch nichts von ihr. Sie wird nicht mit den anderen Schriften verwahrt.“ Seine faltige Hand legte sich auf Assjimas Schulter. „Ich habe es schon immer für einen Fehler gehalten, dass unser Orden mit diesem Wissen über die geänderte Geschichtsschreibung schon damals an die Öffentlichkeit hätte treten müssen. Aber du weißt es nur zu gut: Es gibt Regeln, an die wir Wächter uns halten müssen. Nur so können persönliche Gedanken vor der Öffentlichkeit geschützt werden. Stell dir vor, Bruder Walim würde Dritten erzählen, was du in deinen Briefen an Sikarii geschrieben hast.“

„Walim hat meine Briefe ebenfalls gelesen?“

„Und noch zwei, drei andere. Es wurde viel von dir in den Nachrichten gesprochen. Das hat die Brüder neugierig gemacht.“

Assjima seufzte. „Ich werde in Zukunft meine persönliche Korrespondenz wohl etwas vorsichtiger handhaben müssen.“

„Nein, das musst du nicht. Denn nichts davon wird ohne dein Einverständnis aus diesen Mauern in die Welt gelangen. Erst fünfzig Jahre nach deinem Tod. Und dann wird niemand aus den Reihen der Wächter Dritte direkt darauf stoßen. Sie müssen kommen und gezielt nach deinen Schriften fragen. Wenn sie sich als würdig erweisen werden ihnen zeigen, wo sie zu finden sind … dies und nicht mehr. Wir kommentieren nicht. Wir bewahren nur.“

„Wer bestimmt denn, ob jemand würdig genug ist?“

„Der Abt oder sein Stellvertreter.“

„In diesem Falle also du. Wo steckt Abt Endar eigentlich?“

„Er fühlte sich heute nicht besonders gut und hielt sich in seinem Zimmer auf als ich ihn zum letzten Mal sah. Dein Schwager hat ihn heute Morgen ebenfalls besucht. Er und Atemil wollten die Genehmigung, um einige Schriften einzusehen.“

„Du weißt nicht zufällig, was sie sehen wollten?“

„Nein. Da musst du unseren Bibliothekar Omesh fragen - der junge Mann, der oben neben dem Loch sitzt.“

„Gut … ich hoffe, Malik und Atemil sehr schnell persönlich fragen zu können.“

Irgendwo weiter hinten blitzte ein grelles Licht auf und man konnte Sam laut fluchen hören. Dann wurde es plötzlich still. Das Brummen in den Generatoren hatte aufgehört.

„Sie haben wohl den Schalter gefunden“ brummte Assjima und stand auf. „Wo steckt denn nur Walim?“

„Bin schon da!“ Der Bruder kam schnellen Schrittes auf sie zugeeilt und ließ mehrere dicke Metallstangen auf den Boden scheppern. „Ich denke, dass die stabil genug sein sollten.“

Er packte eine Stange und stemmte sie in die Öffnung. Dann klemmte er eine zweite zur Stabilisierung dazu.

„Hat es Spaß gemacht?“ fragte Assjima beiläufig, während sie dem Mönch bei der Arbeit zusah.

„Was denn?“

„Die Lektüre meiner Liebesbriefe.“

„Ja … die waren schön zu lesen. Du schreibst sehr anschaulich. Wirklich anregend“ antwortete Walim und klemmte eine weitere Metallstütze in den Rahmen. Nicht die geringste Spur von Befangenheit war ihm anzumerken. „Du solltest mehr in der Art schreiben. Ach ja … hast du bestimmt schon. Die bekomme ich dann vermutlich irgendwann auch noch zu lesen.“

„Das werde ich zu verhindern wissen, Bruder.“ Noch bevor sie sich für den bissigen Unterton entschuldigen konnte gesellten sich Sam und Onid zu ihnen.

„Wir haben den Stecker gezogen“ grinste der Betazoide. „Genauer gesagt ist er hier darüber gestolpert.“ Onid zuckte erschrocken unter dem kräftigen Schulterschlag zusammen. „Es sieht tatsächlich so aus, als ob jemand vor kurzem an dem Schaltpult herumgefummelt hätte. Und dann haben sie es wohl nicht mehr abstellen können.“ Er stellte sich in die nun abgesicherte Öffnung, stemmte die Arme in die Hüften und starrte gebannt den Gang entlang. „Ein Wartungsschacht, würde ich sagen. Ihr seid sicher, dass sie hier entlang sind?“

„Jedenfalls wurde die Türe erst kürzlich geöffnet. Lasst uns keine Zeit verlieren!“ Assjima schulterte den Rucksack und setzte mit gezücktem Scanner in Bewegung. Der Gang war größtenteils natürlichen Ursprungs. Die Ärztin war sich sicher, dass hier vor vielen Tausend Jahren immer wieder mächtige Magmaströme hindurch geflossen waren. Hin und wieder mussten sie über Schutthaufen hinweg klettern, aber im Großen und Ganzen schien der Felsen um sie herum stabil zu sein. Allerdings wurde es immer wärmer. Es konnte nicht mehr weit sein bis zu dem Hotspot, der das Kraftwerk einst mit Wärme versorgt hatte. Obwohl der Weg nicht allzu beschwerlich war, fühlte sich Assjima mehr und mehr unwohl. Immer wieder überkam sie ein leichtes Schwindelgefühl. Das Atmen viel ihr mit jedem Schritt schwerer und die Hand mit dem Brandmal schmerzte. Irgendwann bliebt sie abrupt stehen und stützte sich schwer atmend gegen den Felsen. Sofort war Sam bei ihr und legte seinen Arm um ihre Taille.

„Was ist los, Imzadi?“ fragte er besorgt.

„Ich … ich weiß nicht …“ stammelte sie. „Mir ist schwindelig … Wo … sind wir?“

Sam gab den Deltanern ein Zeichen, weiterzugehen. „Sucht die anderen. Wir kommen so schnell wie möglich nach.“ Dann packte er seine Wasserflasche aus und gab Assjima zu trinken. „Setz dich hin und ruhe einen Moment aus. Was zum Teufel ist mit deiner Hand?“

Sie stöhnte vor Schmerz auf, als er ihre fest zusammengeballte Faust ergriff und sie mit aller Kraft öffnete. Erschrocken starrte er auf das blau leuchtende Amulett. „Wieso hast du es aus der Tasche genommen?“

„Wie …? Ich weiß nicht …“ Mit großer Verwunderung betrachtete sie das Medaillon. „Was ist das?“

„Assjima … das ist doch … Imzadi?“ Weiter kam er nicht, denn sie sackte in sich zusammen und er konnte gerade noch verhindern, dass sie unsanft zu Boden fiel. Erschrocken tastete er erst nach ihrem Puls und wand ihr dann den Scanner aus der anderen Hand. Laut den Anzeigen des Gerätes schien alles in Ordnung zu sein, doch reagierte sie auf nichts mehr.

„Dieser verdammte Deglamesch!“ grunzte Sam aufgebracht und versuchte, das immer stärker leuchtende Medaillon aus der Hand zu winden, doch hatten sich ihre Faust inzwischen so fest um das Schmuckstück geschlossen, dass er es nicht heraus bekam ohne ihr die Finger zu brechen. Als ihr Körper plötzlich anfing, wild zu zucken als ob ein starker Strom durch ihn hindurchfließen würde, stieg Panik in ihm auf. Er legte die Arme um sie und presste sie fest an sich. „Es wird alles wieder gut, Imzadi“ flüsterte er ihr ins Ohr. „Deglamesch .. hörst du mich? Ich weiß, dass du da bist!“

“Hier bin ich, Samylax Devimar vom Betazed. Was willst du von mir?“

Sam zuckte überrascht zusammen, als er die dunkle Stimme im Inneren seines Kopfes hörte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der körperlose Vorlok tatsächlich antworten würde.

“Das wollte ich eigentlich dich fragen! Deine Leute hatten uns zugesichert, dass du dich nie unaufgefordert in ihr manifestieren wirst. Warum hältst du dich nicht an diese Absprache?“

„Weil ihr mich dazu zwingt!“

„Niemand zwingt dich zu etwas!“

„Oh doch … euer beschränkter Geist ist nur zu klein, um es zu verstehen.“

„Dann erkläre es mir.“

„Ich bin mit euch gegangen um mehr über die neuen Nerillar zu lernen. Um sie zu verstehen. Aber ihr sperrt mich weg und haltet meinen Enkelsohn von der Erfüllung seiner Aufgabe ab.“

„Dräng macht genau das, was Derlain ihm aufgetragen hat. Er lernt … auf natürliche Weise!“

„Das ist wider seine Natur. Ihr haltet seinen Geist im Verstande eines Kindes gefangen.“

„Er lernt verdammt schnell. Auch ohne die Methoden seiner Vorväter.“

„Es werden noch viele Jahre ins Land gehen bis er bereit ist, seine Mission zu erfüllen. Viel zu viele Jahre.“

Sam beschlich ein Gefühl von Ungeduld und großer Wut. Doch waren das nicht seine eigenen Gefühle. Der Vorlok war aufgebracht. Und er musste beruhigt werden. “Dräng erfüllt seine Aufgabe absolut perfekt. Er ist offen für alles Neue und hat bereits viele Bekanntschaften gemacht. Die Nerillar beginnen, ihn als Freund zu betrachten. In wenigen Jahren wird er der perfekte Diplomat sein, dessen Stimme nicht nur auf Seyalia sondern auch in der Förderation Gehör finden wird. Du hast allen Grund, stolz auf ihn zu sein.“

„Es ist nicht seine Aufgabe, uns mit Stolz zu erfüllen …“

„So? Was soll er stattdessen machen? Die Nerillar ausspionieren und euch Bescheid geben, wenn die Zeit für eine neue Invasion reif ist?“

Erschrecken, Betroffenheit … nein, das war es nicht, was Sam spürte. Es fühlte sich mehr danach an, als ob er jemanden auf frischer Tat ertappt hätte.

„Mein Enkel soll den Weg ebenen, damit die Vorlok wieder ein Teil dieses Universums sein dürfen. Und das so schnell wie möglich. Nicht erst in ein paar Jahren. Wir waren so lange in dieser Raumtasche eingesperrt. Haben wir nicht genug Buße getan? Wir möchten endlich wieder am Leben teilhaben.“

Die Stimme des Vorlok klang versöhnlicher, fast bittend. Aber hinter diesen Worten verbarg sich etwas anderes. Dessen war sich der Betazoide sicher.

“Buße getan? Wofür? Für das, was ihr den Nerillar angetan habt?“

„Ja. Das war ein großes Unrecht. Wir haben es nicht besser gewusst. Uns war die Macht über dieses wehlose Völkchen zu Kopfe gestiegen. Wir waren blind. Aber wir haben gelernt. Wir wollen einfach nur frei sein und uns mit all unserem Wissen und unseren Fähigkeiten einbringen.“

Er log! Und nun begriff Sam, dass dieser Vorlok es noch nie mit einem Betazoiden zu tun gehabt hatte und nicht die geringste Ahnung hatte, dass er eine Lüge sofort erkennen würde – egal was Worte und Bilder ihm vorgaukelten. Deglamesch war an Deltaner gewöhnt … an die harmlosen und leichtgläubigen Nerillar vor knapp 3000 Jahren. Doch durfte er es sich nicht anmerken lassen, dass er dem Vorlok kein Wort glaubte. Also musste er das Spiel weiter spielen: „Es wird daran gearbeitet, Ula’ktos aus der Anomalie zu befreien. Das wurde Derlain versprochen. Aber die Aufgabe ist kompliziert und kostet Zeit, sie zu lösen. Mit Ungeduld kommst du da auch nicht weiter, Deglamesch. Also lass Assjima in Ruhe. Sie wird dich rufen, wenn Fortschritte erzielt wurden.“

„Wie soll ich dir glauben, Samylax vom Betazed? Jedes Mal, wenn ich versuche, mit Assjima Kontakt aufzunehmen, blockt sie mich ab. Sie lässt mich nicht an ihren Gedanken teilhaben. Nur im Schlaf kann ich ihr etwas näher kommen. In der letzten Nacht sah ich, dass sie Eschkarabu besuchen würde. Ich wollte sie warnen, doch sie ertränkte mich in Bildern aus Blumen!“

Sam hielt die Luft an. Doch wagte er nicht, den Gedanken weiterzudenken, aus Angst dass der Vorlok ihn erkennen könnte. Denn mit jeder Sekunde in der er mit ihm kommunizierte würde der schwarze Geist mehr über die Natur der Betazoiden erfahren. Er musste weiter spielen. “Vor was wolltest du sie warnen?“

„Vor unserem Allerheiligsten! Vor dem Raum gefüllt mit unserer Macht. Der Macht aus vergangenen Zeiten.“

„Hier im Vulkan?“

„Ja. Wir haben das Heiligtum der Nerillar damals verschont. Aber wir haben seine Nähe - seine Energie - genutzt und unser eigenes Heiligtum in dessen unmittelbarer Nähe errichtet. Dieser Raum ist uns wichtig und er darf nicht geschändet werden. Wer dies tut, wird sterben. Dafür hatten wir damals gesorgt. Ich kann nicht zulassen, dass Assjima oder ihren Freunden etwas passiert. Deswegen musste ich sie warnen. Und deswegen habe ich all meine Kraft aufgebracht um jetzt hier zu sein!“

Wieder eine Lüge. Oder zumindest nur eine Halbwahrheit. Und das Spiel ging weiter: “Da hinten im Berg ist also euer heiliger Ort. Ein paar meiner Freunde sind womöglich schon dort. Sind sie noch am Leben?“

„Wenn sie den Raum betreten haben sollten, wurden sie sofort getötet. Ihr könnt nichts mehr machen. Außer, dass ihr euch selber fern haltet.“

„Vielleicht können wir sie noch einholen! Kehre in dein Amulett zurück, damit Assjima und ich noch eine Chance haben, sie zu warnen.“

„Viel Glück, Samylax vom Betazed!“

In Sams Kopf wurde es still, das Leuchten des Medaillons hörte auf, ebenso das Zucken in Assjimas Körper. Er atmete tief durch, als sie die Augen öffnete. Dann riss er ihr das Amulett aus der Hand und warf es ein Stück in den Gang wo es scheppernd zu Boden fiel. Noch bevor Assjima etwas sagen konnte brummte er grimmig: „Diesen Mistkerl will ich nie wieder durch dich sprechen hören!“ Er zog sie auf die Beine. „Wir müssen die anderen warnen! Ich werde es dir später erklären. Ich will dich aber nicht alleine hier zurück lassen. Geht es wieder?“

Die Deltanerin nickte stumm und versuchte stolpernd mit ihm Schritt zu halten. Nach zehn Minuten atemloser Hatz erreichten sie die drei Brüder. Sie standen vor einem gewaltigen Schacht und diskutierten miteinander.

„Sie waren doch auf der Suche nach einem Weg ins Freie. Sie müssen nach oben geklettert sein.“ Walim deutete hinauf, wo in der Ferne ein kleines Stück Himmel zu sehen war und dämmriges Licht verbreitete.

Doch der Prior schüttelte energisch den Kopf. „Ich kenne Atemil. Und auch mit Malik hatte ich schon des Öfteren zu tun. Der Weg nach oben ist zu eindeutig. Er führt direkt hinein in die Caldera. Dort werden sie frische Luft aber keine Lösungen finden. Sie folgten mit Sicherheit den Stufen hinab.“

„Aber sie haben weder Lampen noch Verpflegung dabei“ warf der stets logische Onid ein. „Ohne Ausrüstung wäre das Risiko sehr groß. Dieser Berg birgt seit fast dreitausend Jahren das Geheimnis der Vorlok. Warum sollten sie etwas überstürzen und sich unnötig in Gefahr begeben? Ich denke, sie würden sich zuerst einmal Verstärkung holen und dann erneut hinabsteigen.“

Als Nelochme die Ankunft von Sam und Assjima bemerkte kam er ihnen besorgt entgegen. „Wie geht es dir, Schwester?“

„Etwas besser …“ Die Ärztin setzte sich auf einen Stein und atmete tief durch. „Was ist hier los?“

„Wir befinden uns offenbar direkt im Hauptschlot des Vulkans. Der Weg gabelt sich. Es gibt Stufen, die hinab führen und einen schmalen Pfad, der nach oben geht. Wir sind uns nicht sicher, welchen Weg eure Freunde genommen haben.“

„Malik ist gelegentlich etwas unbedacht. Aber er überstürzt nie etwas. Ohne Lampe ist er nicht da hinunter gestiegen.“

„Aber dieser Außerweltliche mit den Segelohren hatte eine von diesen Sternenflottentaschen dabei. Und die junge Wissenschaftlerin einen Rucksack“ warf nun Walim ein. „Vielleicht haben sie ja Lampen dabei.“

Assjima dachte nach. „Wenn Aban die Standartausrüstung eingepackt hatte, so haben sie Licht. Vermutlich wären sie ohne erst gar nicht so weit gekommen. Doch mit einer, vielleicht zwei Lampen da hinunter?“ Sie deutete in den Abgrund und schüttelte sich. „Ich weiß nicht … Logisch wäre es, den Weg nach oben zu wählen.“

Sam seufzte. „Leute … ich glaube, wir haben keine Zeit, darüber zu grübeln.“ Mit knappen Worten schilderte er die seltsame Begegnung mit dem Vorlok. „Deglamesch hat mit Sicherheit nicht die ganze Wahrheit gesagt, aber ich bin mir sicher, dass da unten etwas ist. Und wenn unsere Freunde gegen alle Vernunft da hinab gestiegen sind, so sind sie in größter Gefahr. Assjima … du hast nicht zufällig einen Kommunikator dabei? Nachdem die Maschinen abgestellt sind könnte er womöglich wieder funktionieren und wir könnten die Brüder oben fragen ob unsere Leute dort aufgetaucht sind.“

„Nein, Sam. Habe ich leider nicht.“

„Mist! Dann bleibt uns nur eins: wir müssen uns aufteilen. Ihr drei geht nach oben und sucht sie dort, Assjima und ich steigen in den Schacht hinunter.“

Walim richtete sich auf. „Eine gute Idee. Aber ich gehe mit euch. Es könnten sich noch mehr verschlossene Türen auf dem Weg befinden.“

„In Ordnung“ stimmte Nelochme zu. „Machen wir es so. Sobald Onid und ich oben angekommen sind, schicken wir unsere Brüder mit zusätzlicher Ausrüstung hinunter. Und dann, Schwester Assjima, wirst du mir genau erklären, warum ein Vorlok durch dich spricht. Aber nun müsst ihr euch beeilen! Vielleicht ist es noch nicht zu spät.“ Er erhob sich, gab Onid ein Zeichen, ihm zu folgen und schritt die Stufen hinauf.

„Das wird eine anstrengende Tour für den alten Mann“ kommentierte Assjima, als die beiden Mönche im Halbdunkel verschwunden waren.

„Der ist zäh“ grinste Walim. „Unsere Kletterei wird anstrengender.“ Er funzelte mit der Lampe in den Abgrund hinunter. „Diese Treppe hat schon bessere Tage gesehen. Du hast nicht zufällig ein Seil in deinem Rucksack, Schwester?“

„Zufällig nicht. Das habe ich heute Morgen im Schlafzimmer vergessen.“ Assjima stand auf. „Kein Seil und keinen Kommunikator. Leider auch keine Raketenstiefel. Wir werden zu Fuß gehen müssen.“

Der Weg ins Innere des Vulkans war schwierig und nicht ungefährlich. Aber Assjima und Sam hatten schon schlimmere Klettereien überstanden. Und dem riesenhaften Walim mit seinen langen Beinen und der schier unerschöpflicher Kraft in den Armen schien all das überhaupt nichts auszumachen. Der alte Pfad führte immer tiefer hinab und mit jedem Meter wurde es dunkler. Während sie vorsichtig aber so schnell wie möglich hinunter stapften grübelte Assjima über die Ereignisse in dem Gang. Sie konnte sich nur noch daran erinnern, dass ihr plötzlich schlecht wurde. An dieses Gespräch zwischen Sam und Deglamesch hatte sie keine Erinnerung. Aber langsam begann sie zu verstehen. Diese Erinnerungslücken, die vergessenen Träume, Sams Klage, dass sie ihn aus ihrer Gedankenwelt aussperren würde, die vorgegaukelten Bilder, Deglameschs Behauptung, er hätte versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen … all das lies nur den Schluss zu, dass sie in sich unbewusst eine Blockade gegen den Vorlok aufgebaut hatte. Einen Schutzwall, der ihn daran hindern sollte, ihr Wissen über die wahre Natur der Vorlok zu sehen. Und nun – jetzt wo das Amulett weit weg von ihr in diesem Korridor lag – wurde ihr mit jedem Schritt, der sie weiter von diesem Medaillon trennte, leichter. Es schien ihr, als ob Deglamesch weit hinter ihr zurück geblieben war. Ihr war klar, dass sie es nicht dort würden liegen lassen können und dass es womöglich sogar ein Fehler gewesen sein mag, es jetzt nicht dabei zu haben. Aber sie fühlte sich leicht und frei. Sie würden es später holen und dann würde sie George bitten, ein Behältnis zu bauen, dass sie vor dem Einfluss des Geistes schützen, es aber dennoch erlauben würde, das Amulett bei Bedarf hervor zu holen. Vielleicht könnte auch Talanas Freund Telisch etwas Passendes entwerfen … er war immerhin ein begnadeter Schmied …

„Autsch!“ Der Betazoide war plötzlich stehen geblieben.

„Entschuldigung, Sam … ich war in Gedanken.“

„Du sollst nicht träumen und mir in die Fersen treten, sondern auf den Weg achten.“ Er deutete in die Dunkelheit vor ihnen. „Ich glaube, ich habe was gehört!“ Die drei lauschten angestrengt in das Nichts. Stille. Dann ein entferntes Klacken. „Das sind doch Schritte … sehr schnelle Schritte.“ Er legte die Hände an den Mund und rief „HALLO! Ist da jemand?“ Stille. Kein Klacken. „HALLO! MALIK? ATEMIL?“

„Mister Devimar? SAM? Sind Sie das?“

„Sam … das ist Abans Stimme!“ Assjima richtete sich auf „ABAN! Wir sind es!“

„DOC!“

„Bleibt wo ihr seid! Wir kommen!“ Sam griff nach Assjima Hand und zog sie hinter sich her.

Doch sie zischte ihn aufgebracht an: „Lass mich los … du bringst mich aus dem Gleichgewicht!“

„Lasst mich mal durch, ihr beiden Turteltauben“ grunzte Walim gutmütig, schob sich vorbei und sauste mit Riesenschritten nach unten.

„Ein wenig neidisch könnte man da schon werden“ brummte Sam und eitle dem Deltaner so schnell wie möglich nach.

Wenig später sahen sie einen vollkommen aufgelösten Kadetten vor sich. Er war leicheblass, wirkte restlos ausgepumpt, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und seine Lunge gab mit jedem Atemzug rasselnde Geräusche von sich. Als Assjima ankam, hatte Walim ihm schon eine Flasche Wasser gereicht und lies ihn mit gierigen Schlucken trinken.

„Aban! Bin ich froh, Sie zu sehen!“ Sie fiel vor ihm beinahe auf die Knie und griff nach seiner Hand. Ansprechbar, bei Bewusstsein, Puls erhöht, Temperatur zu niedrig, stark dehydriert, Pupillen erweitert … in Windeseile vereinigten sich diese Erkenntnisse zu einer ersten Diagnose. „Er steht unter Schock … Aban? Können Sie uns sagen, was passiert ist?“

„Da unten … ein Raum …eine Flamme … sie sind alle tot … glaube ich …“

Assjima warf Sam einen erschrockenen Blick zu „Wir sind zu spät!“

„Das werden wir erst noch sehen! Walim … du bleibst hier bei Aban. Assjima und ich haben Schutzanzüge. Wir schauen uns das erst mal an.“ Er riss die Atemmaske vom Gürtel und rannte los.

„Stabile Seitenlage, Bruder!“ rief Assjima dem Riesen zu während sie Sam so schnell wie nur möglich versuchte zu folgen.

„Stabile was?“

„Seitenlage“ ächzte Aban und verlor das Bewusstsein.

„Was soll das sein?“ Walim kratzte sich verwundert den kahlen Schädel. Dann drehte er den besinnungslosen Kadetten auf die Seite und überstreckte den Kopf. „Falls er kotzen muss …“ brummte er und setzte sich mit der Wasserflasche in der Hand daneben.

Etwa einhundert Meter tiefer blieb Sam abrupt stehen. „Da ist es!“ Der Vulkanschacht verengte sich und es schien, als ob sie endlich seinen Grund erreicht hätten. Doch im Lichte der Taschenlampen konnten sie deutlich erkennen, dass dieser vermeintliche Felsgrund ein gemauertes Gewölbe war, das wie ein Deckel quer im Schlund lag. An dessen höchstem Punkt befand sich eine große Öffnung. Der Weg führte jedoch an diesem Gewölbe vorbei und verschwand in einer Nische. „Die Vorlok haben eine Halle mitten in den Vulkanschacht gebaut. Ich dachte, der Vulkan sei damals noch aktiv gewesen?“

„Der Vulkan galt schon als erloschen bevor Eschkarabu lange vor der Ankunft der Vorlok errichtet wurde. Aber es gab wohl immer noch einen aktiven Hotspot … bis heute. Sonst wäre es hier unten wesentlich kälter und diese Generatoren hätten sich nicht überhitzt. Der befindet sich wohl noch weiter unten … irgendwo unter diesem … Ding. Siehst du die Rohre hier an der Wand? Die führen vermutlich direkt in das Kraftwerk.“

Der Pilot nickte zustimmend. „Du hast vermutlich Recht. Das da scheint der Eingang zu diesem Gewölbe zu sein. Wir müssen vorsichtig sein. Deglamesch meinte wohl diesen Raum als er von seinem Heiligtum sprach. Und dass jeder, der es betreten würde sterben müsse.“ Er setzte Atemmaske und Schutzbrille auf, Assjima folgte seinem Beispiel und zog den Scanner hervor. Vorsichtig tasteten sich die beiden an das Gebäude heran. In der Nische befand sich tatsächlich eine Tür. Eher ein Tor, das kunstvoll verziert war. Doch sie nahmen sich nicht die Zeit, die Ornamentik genauer zu bewundern. Sie schien der im Archiv zu ähneln, war jedoch feiner herausgearbeitet. Ein kurzer, breiter Gang führte in das Innere und plötzlich standen sie auf einer Art Galerie, die sich entlang der Wand erstreckte. Über ihnen befand sich eine mächtige Kuppel mit der bereits erwähnten Öffnung in der Mitte. Doch wesentlich eindrucksvoller war das, was sie unter sich sahen. Sam lehnte sich vorsichtig über die Brüstung und starrte in ein gewaltiges Loch, in dem sich tief unten ein glühender Lavastrom bewegte. „Da ist sie ja, die Magmakammer!“

„Und schau mal was wir hier haben!“ Assjima deutete nach oben. Über dem Abgrund schwebte eine eindrucksvolle Maschine, die nur durch vier stabile, mit Stufen versehene Träger in ihrer Position gehalten wurde. „Das ähnelt sehr dem Reaktor, den wir auf Ula’ktos gesehen haben.“

„Der den Leitstrahl auf Seyalia ausgesandt hat … verdammt!“ Sam sah sich mit großen Augen um. „Das sieht hier überhaupt so aus wie dort. Abgesehen von dem Lava unter uns. Aber eine kuppelförmige Halle, ein Reaktor, ein Kraftwerk, eine ergiebige Energiequelle … dort ein Staudamm mit Turbinen, hier eine Magmakammer mit Thermalgeneratoren. Das hier scheint mir einfacher und primitiver zu sein. Dreitausend Jahre älter eben.“

„Und auf Ula’ktos waren die Wände schmucklos. Aber hier ist alles mit dieser Ornamentik übersäht. Sogar die Träger, die den Reaktor tragen. Diese ineinander verketteten Achtecke scheinen auf die Maschine ausgerichtet zu sein.“

„Genauer gesagt auf diesen Kasten unterhalb des Reaktors. Sag mal … was zeigt eigentlich dein Scanner an?“

„Nichts Besonderes … eine ganz normale Atmosphäre. Keine nennenswerten Schadstoffe in der Luft.“

„Dann sprach Deglamesch von einem anderen Raum. Vermutlich ist es dieser Kasten. Oder kannst du noch etwas anderes erkennen?“

Assjima sah sich um. „Nein. Hier gibt es keinen weiteren Raum. Nur diese ringförmige Galerie. Es könnte hier natürlich ebenso eine Geheimtüre geben wie oben im Archiv. Doch ich halte das für unwahrscheinlich. Er sprach von einem Heiligtum. So etwas versteckt man nicht hinter Geheimtüren. Nicht an einem solch verstecktem Ort wie diesem. Ich denke auch, dass er den Kasten da oben meinte. Und vermutlich werden wir dort Malik, Atemil und Niral finden.“ Entschlossen marschierte sie auf den nächstgelegenen Träger zu und stieg die schmalen Stufen hinauf. Dabei vermied sie jedoch, nach unten in die rotglühende Lava zu blicken. Die Stufen endeten vor einer geschmückten, schmalen Pforte, die sie nun sehr zögerlich aufschob. Der sich bietende Anblick lies sie leise aufstöhnen. An den Wänden des kleinen Raumes befanden sich überall Schaltpulte und Monitore. Doch sie nahm die Geräte nur beiläufig wahr. Auf dem Fußboden lagen drei leblose Körper. Ihre Knie wurden weich und sie musste sich einen Moment lang gegen den Türrahmen lehnen. Dann streckte sie vorsichtig den Scanner in den Raum. Alles schien normal.

Sam nutzte die Gelegenheit und schob sich an ihr vorbei. Er ließ seine Blicke an den Wänden entlang gleiten, untersuchte vorsichtig den Eingangsbereich, atmete tief durch und wagte einen entschlossenen Schritt in den Raum hinein. Nichts geschah. Er beugte sich über den nächstliegenden Körper und drehte ihn um. Ein leises Stöhnen entwich seiner Brust als er in Atemils stark verkohltes Gesicht blickte. Assjima kniete inzwischen neben dem schmalen Körper der jungen Linguistin. Sie beantwortete Sams fragenden Blick nur mit einem stummen Kopfschütteln und ging dann hinüber zu Malik, der etwas seitlich hinter einer Konsole lag. Der Betazoide musste ihr helfen, den dicken Philosophen auf den Rücken zu drehen. Er war nicht so stark verbrannt wie die beiden anderen und Assjima begann, ihn zu untersuchen.

„Sam … er lebt noch …“ flüsterte sie leise. „Hole bitte Walim. Wir müssen ihn so schnell wie möglich nach oben schaffen.“

Noch bevor sie ausgesprochen hatte, befand sich der Pilot schon auf dem Weg nach draußen. Außerhalb der Kuppel legte er die Hände an den Mund und brüllte aus Leibeskräften „WALIM!“ Der Name hallte von den Wänden des Schachtes tausendfach zurück, arbeitete sich Meter für Meter nach oben und erreichte die Ohren des Mönches, der bei dem noch immer bewusstlosen Aban Wache hielt.

Stunden später saß Assjima auf einer Bank zwischen verfallenen Mauern. Auf den Blättern der knorrigen alten Bäume lag zentimeterdicke Asche und bildete seltsame kleine Gebilde, die sie beinahe an Blüten erinnerten. Tausende graue, welke Blüten und schwarze Ruinen … das Spiegelbild ihrer Seele. Nur noch schemenhaft konnte sie sich an die vergangenen Stunden erinnern. Wie sie verzweifelt versuchte, das letzte Fünkchen Leben in ihrem geliebten Freund zu neuer Flamme zu entfachen. Sam und Walim, die Malik den steilen Pfad durch den Schacht hinauf schleppten. Aban, der sich an ihr festklammerte. Die Mönche, welche ihnen auf halbem Wege entgegen kamen. Onid, der mit Sam zusammen sofort wieder hinunter stieg um den seltsamen Raum zu untersuchen und die Ursache des Unglücks in Erfahrung zu bringen. Die ihrer unendlich lang erscheinenden Minuten, in denen sie all ihre Künste auftischen musste, um ihn in der nur einfach ausgestatteten Krankenstube der Mönche am Leben zu erhalten. Und dann der Augenblick des Lichtes, als Malik die Augen aufschlug und sie mit einem fast unhörbaren „Hallo Prinzesschen“ begrüßte. Das Ambulanzteam traf irgendwann einmal ein und brachte ihn in das Krankenhaus von Semil Krulak. Inzwischen dürfte er dort schon im OP sein – mit Lakia an seiner Seite. Er war stark. Er würde es schaffen. Ebenso Aban, den sie natürlich auch mitgenommen hatten. Nicht aber Atemil und Niral.

Sie hatte die Zukunft gesehen. Sam hatte sie in ihrem Traum gesehen … so wie sie hätte sein sollen: Romantische, wilde Ruinen in einem Meer aus Blumen. Doch die Realität hatte alles verändert. Schwarze, verfallene Mauern und graue, welke Blüten aus Asche …

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Abt Endar war eine beeindruckend würdevolle Erscheinung. Wann auch immer er einen Raum betrat verstummten die Gespräche und die Blicke hängten sich an seine Lippen, denn er hatte stets eine Weisheit, einen klugen Kommentar, einen Trost oder auch einen Spaß in petto. Die Brüder liebten ihren Abt und der Rest der deltanischen Gesellschaft bedauerte, dass er sich so gut wie nie in der Öffentlichkeit blicken lies. Doch ein jeder hatte von ihm gehört und kannte sein Bild. Er war der oberste Wächter der Schriften. Der Herrscher über das gesammelte Wissen eines Volkes.

„Ein kräftiger Regen wäre jetzt sehr hilfreich. Es wird Tage dauern, bis der Dreck wieder weg ist.“ Mit einer Handbewegung lud er Assjima ein, auf der Bank neben ihm Platz zu nehmen. Von dem Balkon, auf dem sie sich befanden hatten sie einen guten Ausblick auf das Areal des Heiligtums. Von hier lies sich gut beobachten, wie die Mönche mit Hilfe vieler Freiwilliger aus der Umgebung bemüht waren, die Asche von den Grünflächen und Gehwegen zu entfernen. „Möchtest du eine Tasse Tee?“ Ohne eine Antwort abzuwarten griff er nach der Kanne und füllte einen Becher, den die Ärztin dankend annahm. „Konntest du dich ein wenig erholen? Ich hoffe, unsere einfachen Gästequartiere sind bequem genug.“

„Danke, Vater. Mein Raum ist vollkommen zufrieden stellend.“

„Du bist sicherlich besseres gewöhnt. So wie die meisten unserer Besucher. Aber wer hierher kommt sucht keine Erholung sondern Erkenntnisse. Nichts soll unsere Gäste vom Studium der Schriften ablenken. Wie geht es Mister Devimar?“

„Er kam heute Nacht erst sehr spät zurück und schläft noch. Er ist erschöpft, aber unverletzt.“

„Das freut mich zu hören. Ein paar Narben werden dennoch zurück bleiben. Wie gut kanntet ihr die beiden?“

„Bruder Atemil war einst mein Lehrer. Er war ein Freund. Doktor Niral habe ich erst vor ein paar Wochen kennen und schätzen gelernt. Sie war die Freundin meines Mitarbeiters. Aban ist eine sehr zurückhaltende Person, der es nicht leicht hat, andere kennen zu lernen. Ich freute mich sehr, dass er endlich seine große Liebe gefunden hatte. Und nun trauere ich über seinen Verlust.“

Endar nickte mitfühlend. „Die Trauer der Freunde ist nicht minder schmerzvoll wie die eigene. Ich habe jedoch gute Nachrichten für dich. Dein Schwager ist auf dem Weg der Besserung und auch Mister Walir erholt sich ebenfalls sehr schnell.“

Assjima atmete auf. „Danke … das sind wirklich gute Neuigkeiten.“

„Aber ich habe dich nicht zu mir gebeten, weil ich über deine Freunde sprechen wollte, sondern über dich. Du suchst Antworten.“

„Ja … Antworten, die vor langer Zeit vernichtet wurden.“

„Nicht alle, Assjima. Du weißt von Bruder Nelochme, dass Nagaschuras Männer nicht alles zerstört haben. Du weißt auch, dass niemand außerhalb unseres Ordens unsere Chroniken lesen darf. Das bedeutet aber nicht, dass es uns verboten ist, aus ihnen zu berichten. Ich habe mit Ischila gesprochen. Ihrer Ansicht nach solltest du die Antworten auf alle deine Fragen bekommen - sofern ich sie kenne.“

„Du hast die Annalen aus der Zeit der Vorlok gelesen?“

„Ja. Heute Nacht. Nachdem ich mit der Meisterin gesprochen hatte. Sie sagt, du seiest zu wichtig für die weiße Schule, ja sogar für alle Nerillar, als dass du ein so belastendes Rätsel unnötig mit dir herumschleppen müsstest. Und sie ist überzeugt, dass du dieses Wissen richtig einsetzen würdest. Die alte Frau kann sehr überzeugend sein.“ Endar lächelte still vor sich hin. „Immer noch.“

„Du kennst sie gut?“

„Oh ja … sehr gut. Auch wir hatten einst ein Leben vor diesem. Wegen euch beiden habe ich mir nun also die Nacht um die Ohren geschlagen und Relemas Handschriften gelesen. Als die Vorlok Seyalia heimsuchten war er der Chronist der Wächter. Ich muss zugeben – auch wenn die Schrift sehr schwer zu entziffern war – die Mühe hat sich gelohnt. Seine Kommentare waren recht … aufschlussreich.“

Assjima war sich nicht sicher, was sie von dieser Ankündigung halten sollte. Vor vielen Generationen wurde ein Geheimnis geschaffen, das wohl gehütet irgendwann vergessen wurde, obwohl es eines der fundamentalsten Ereignisse in der Geschichte ihres Volkes betraf. Und nun bedurfte es einfach eines Gesprächs zwischen zwei einflussreichen alten Freunden damit die Welt die Wahrheit erfuhr? Auch wenn sie nicht viel von Verschwörungstheorien hielt und gerade diesen beiden Personen etwas Entsprechendes nicht im Entferntesten zutraute, so machte sie diese offenherzige Ankündigung des Abts doch misstrauisch. Insbesondere die Argumentation, man wolle ihr diese zusätzliche Belastung nicht zumuten, schien ihr doch sehr konstruiert. Dennoch war sie gespannt, was für eine Geschichte Endar ihr auftischen würde.

„Unsere Chronik wurde von jeher recht knapp gehalten. Man ging ja von Anfang an davon aus, dass sich die schriftlichen Aufzeichnungen zu allen jemals gedachten Themen im Archiv befinden würden. Deswegen beschränkten sich unsere Chronisten einzig auf die Ereignisse, welche unseren Orden betrafen. Und du weißt ja, dass hier nicht viel passiert. Relema berichtete nicht viel von der Besetzung Seyalias durch die Vorlok. Sie ließen Eschkarabu weitestgehend in Frieden. Doch hin und wieder erschienen einzelne oder auch kleine Gruppen dieser schwarzen Riesen, um sich umzusehen. Man hat sie gewähren lassen. Sie benahmen sich wie normale Besucher, wollten das Kloster, den Tempel und das Archiv sehen. Sie zeigten sich interessiert und freundlich. Relema erwähnt sie anfangs auch nur weil sie ihm durch ihre Andersartigkeit auffielen und man damals von Außerweltlichen noch nicht viel wusste. Doch einer Gruppe widmete er mehr Aufmerksamkeit. Diese Leute hielten sich hier wohl mehrere Tage auf und unternahmen ausgedehnte Wanderungen in die Umgebung. Einer von ihnen kehrte später wieder zurück und verbrachte sogar mehrere Wochen mit intensiven Studien im Archiv. Vermutlich war er es, der zum Dank für die Gastfreundschaft diese Wand mit den Ornamenten ausgeschmückt hatte. Er war der letzte Vorlok, der Eschkarabu besuchte. Zwei Jahre später waren sie vertrieben und vernichtet. Du siehst, Schwester … es gibt wirklich nicht viel Material aus dieser Zeit. Aber das wirklich Interessante passierte nach dem Verschwinden der Vorlok. Nagaschura war als Held von seiner vernichtenden Mission zurückgekehrt, hatte sich als Patriarch an die Spitze der Nerillar gesetzt und begonnen, unsere Gesellschaft neu zu ordnen. Eine seiner ersten Maßnahmen war es, die zurück gebliebenen Vorlok und alles, was an sie erinnerte zu vernichten. Ihre Kultur und Technologie sollte die Entwicklung unserer Gesellschaft nicht kontaminieren. Wie wir heute wissen, hat er bei der Raumfahrt eine Ausnahme gemacht. Alles, was sie zurück gelassen hatten, wurde in den Krater geworfen um von der glühenden Lava restlos verbrannt zu werden. Relema berichtet von tagelangen Materialtransporten hinauf auf den Vulkan. Er erzählt auch von deltanischen Milizen, welche in unregelmäßigen Abständen unangemeldet in Eschkarabu erschienen um das Archiv nach Berichten über die Vorlok zu durchsuchen. Mehre Male gab es auch Handgreiflichkeiten zwischen den Mönchen und Nagaschuras Männern. Die Wächter mussten sich letztendlich einer Zensur fügen.“

„Die beinhaltete, dass alle Schriften über die Vorlok von der Regierung geprüft wurden, bevor sie archiviert werden konnten?“ unterbrach Assjima.

„Genau so war es, Schwester. Über mehrere Generationen hinweg wurde so die Erinnerung an die fremden Krieger geformt und die Wahrheit vergessen. Doch dies ist keine Erkenntnis der letzten Nacht. Malik und Atemil haben diesen Gedanken ja schon vor Wochen ausgesprochen. Unsere Annalen bestätigen diese Erkenntnis lediglich. Was mich bei der Lektüre überraschte, war eine Schilderung aus Relemas Feder, die ungewöhnlich detailreich ist. Er beschreibt, wie die auf Seyalia lebenden Vorlok zum Vulkan geschafft wurden. Sie schritten in einer langen Prozession den Berg hinauf. Laut Relema müssen es hunderte gewesen sein.“

Assjima rutschte beinahe von der Bank. „Es wurden lebende Vorlok in den Krater geworfen?“

Der Abt schüttelte den Kopf. „Nein … nicht geworfen. Sie sprangen freiwillig. Und zum Schluss ihr Anführer, der sich vorher mit einer Verbeugung von Nagaschura verabschiedete. Es muss alles sehr würdevoll abgelaufen sein. Kein Gezeter, kein Heulen, keine Drohungen und Verwünschungen, kein Betteln um Gnade … Relema schien sehr verwundert.“

„Ich bin es auch, Vater Endar. Berichtet er auch von toten Vorlok, die in den Krater geworfen wurden?“

Der alte Mann dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. „Nein. Nur von Lebenden, die freiwillig sprangen.“

„888“ murmelte Assjima leise vor sich hin. “Warum waren es exakt 888? Warum nicht 883 oder 927?“

„Von was sprichst du, Schwester?“

„Es wurden 888 Seelen zurückgeholt Die Seelen der Vorlok, die hier auf Seyalia gestorben sind. Es könnte sich eventuell um die Stärke eines Battalion handeln. Vielleicht haben die Vorlok immer 888 Soldaten ausgesandt wenn sie eine neue Welt erobern wollten. Aber es sind ja welche entkommen. Es waren ursprünglich also wesentlich mehr. Doch nur 888 Seelen wurden befreit.“

„Womöglich waren immer nur 888 Vorlok gleichzeitig auf dem Planeten und der Rest in den Raumschiffen im Orbit?“

„Das wäre eine Möglichkeit“ stimmte die Ärztin zu. „Schade, das Relema die lebenden Vorlok nicht genau gezählt hat. Es wäre interessant zu erfahren, ob die Nerillar damals überhaupt einen von ihnen erschlagen haben. Aber es reichte ja aus, die Amulette der Gefallenen in den Vulkan zu werfen. Die Toten konnte man einfach irgendwo verscharren, nachdem ihnen die nichtorganischen Komponenten abgenommen wurden. So würde der Nachwelt keine Spur von ihnen erhalten bleiben.“

„Keine Amulette, keine Waffen, kein Schmuck“ Endar seufzte leise. „Das würde erklären, warum unsere Archäologen nie eine Spur dieser Eroberer finden konnten.“

„Es gäbe noch eine andere Möglichkeit …“

„Die da wäre?“

Assjima dachte nach. Diese Idee schien ihr doch ein wenig gewagt. Aber Abt Endar würde sie für sich behalten. „888 Vorlokseelen verschwanden im Vulkan, ein paar flüchteten mit den Raumschiffen und der Rest blieb hier auf Seyalia um sich anzupassen.“

„Du weißt, dass es hier keine Vorlok mehr gibt.“

„Nein … ich weiß es nicht. Niemand kann es wissen. Ich bin mit fast sicher, dass sie ihr Äußeres sehr langsam transformieren können.“

Endar starrte sie erschrocken an. „Du meinst …“

„Sie könnten noch unter uns sein.“

„Vre g’lesch ke tek“

Den Fluch des ehrwürdigen Abtes empfand Assjima als durchaus erheiternd und der Schreck, der sie bei diesem Gedanken ergriffen hatte, verflüchtigte sich. „Ich glaube nicht, dass sie seit fast dreitausend Jahre darauf lauern, sich zu erkennen zu geben und erneut eine Eroberung wagen. Sie könnten sich anfangs versteckt und nach vollendeter Transformation unter die Nerillar gemischt haben. Sie gingen Verbindungen ein, gründeten Familien, setzten Nachkommen in die Welt. Vermutlich waren es nicht sehr viele. Eine Handvoll, vielleicht ein paar Hundert. Nach knapp tausend Generationen dürfte ihr Genpool so stark verdünnt sein, dass er kaum mehr nachweisbar wäre. Aber dies würde bedeuten …“

„… das jeder Nerill ein paar Vorlok-Gene in sich trägt.“ Endar schlug die Hände vor das Gesicht und dachte nach. Als er wieder aufblickte schmunzelte er: „Es hat uns nicht viel geschadet, würde ich jetzt einfach mal behaupten. In jedem von uns könnte ein Stück unseres schlimmsten Feindes stecken. Ein sehr interessanter Gedanke.“

„Atemil hätte er mit Sicherheit gefallen. Yin und Yang haben sich zu einem Ganzen vereint. Hell und Dunkel …“

„… wird zu einem einheitlichen Grau. Nein, Schwester … das sind wir nicht. Aber wir tragen Gegensätze in uns.“

„Und wir wären nicht länger die ersten Nerillar, sondern eine Mischung aus den ersten und den zweiten.“ Jetzt lächelte auch Assjima. „Diese Idee mag ich irgendwie. Sie stutzt den Hochmut etwas zurecht.“

Endar legte seine Hand auf ihren Arm. „Ich verstehe langsam, warum Ischila darauf bestand, dass ich für dich in den Annalen nachlesen sollte. Hast du auch eine Erklärung warum sich nicht noch mehr Vorlok versteckten? Warum wurden genau 888 Seelen in den Vulkan geschickt?“

Assjima schüttelte den Kopf. „Nein … noch nicht. Ich muss erst mit Sam sprechen. Vielleicht konnte er etwas über diese Maschine über der Magmakammer in Erfahrung bringen.“

„Lassen wir ihn noch ein wenig schlafen. Erweist du mir so lange die Ehre, mit mir zu speisen?“

„Gerne. Ich habe einen Bärenhunger.“

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„Talana! Talana!“ Telisch schoss die lang gezogene Böschung hinunter zum Strand, wo die Andorianerin gerade ein morgendliches Sonnenbad genoss. „Hast du schon die Zeitung gelesen? Ketal ist heute Nacht tatsächlich noch vor Redaktionsschluss fertig geworden! Er ist auf der ersten Seite gelandet!“

Talana sprang auf, riss ihm das PADD aus den Händen und begann zu lesen. „Cool! Ketal schreibt so, dass selbst ich anfangen könnte, Zeitungsleserin zu werden … irgendwann mal … vielleicht … wenn ich zweihundert Jahre alt bin …“

***

“Wieviel Vorlok sind wir?“

Eslau legte die Zeitung beiseite und schob die Tasse über den Tisch, so dass Issaya frischen Tee nachfüllen konnte.

„Wir? Wie kommt Ketal dazu, in der ersten Person Plural zu sprechen? Er ist Trill!“

Issaya stellte die Teekanne ab und antwortete gutmütig: „Les erst weiter bevor du dich echauffierst. “

Der alte Richter griff erneut nach dem PADD. „ Ah!“ Seine Miene hellte auf. „Das dürfte sich seit gestern Abend so mancher Einwohner Seyalias gefragt haben …“

***

“Semil Krulaks Provinzpatriarch Jel lies es sich nicht nehmen, die Ergebnisse der Untersuchungskommission persönlich der Öffentlichkeit bekannt zu geben.“

„Wie … nicht der oberste Patriarch? Sie schicken Jel vor? Das überfordert den alten Herrn emotional doch ganz gewaltig“ unterbrach Jalim.

Wesjla lachte. „Ketal schreibt auch, dass Jel auf der Pressekonferenz vor Aufregung sein Script fallen lies. Weiter steht hier: Das Team um den Philosophen Mailk, dem in der vergangenen Woche die Ehrenprofessur der Hochschule von Semil Krulak zuteil wurde, konnte aufgrund der Ereignisse in Eschkarabu einen ersten vorläufigen Bericht zur Vorlokfrage vorlegen …“

***

„Ein Titel schützt vor Torheit nicht!“ Mit vor Zorn funkelnden Augen beugte sich Lakia über ihren auf der Couch liegenden Gatten und drückte ihm den Zeigefinger auf die Brust. „Wurde dir nicht strengste Ruhe verordnet? Aber kaum bin ich zur Tür raus und schon hast du nichts Besseres zu tun, als die Kommunikation anzuwerfen und dich mit irgendwelchen Leuten zu besprechen. Und Ketal war gestern vermutlich nicht nur zum Kaffeetrinken da. Du hast ihm ein Interview gegeben!“

„Wie kommst du darauf?“ fragte Malik erschrocken.

„Weil er es hier schreibt!“ Sie warf ihm das PADD in ihrer Hand an den Kopf und verließ den Raum.

„Aber …“ Malik angelte nach dem PADD und las. Dann sprang er auf und humpelte in Lakias Zimmer. „Chemaschu … wir haben doch nur geplaudert. Es war überhaupt nicht anstrengend! Ketal hat doch so eine nette Art, Gespräche zu führen.“

„Darum geht es doch nicht, Malik.“ Lakia stand vor dem Fenster und schaute hinaus auf die gegenüberliegende Häuserfront. „Es ist viel zu anstrengend für dich, ständig über diese Erlebnisse zu sprechen. Du weißt das und trotzdem hast ihm alles noch einmal bis ins kleinste Detail berichtet. Wie du mit deiner Replik des Amuletts diese Geheimtür geöffnet hast, wie ihr kollektiv in das Loch gefallen seid – ich kapiere immer noch nicht, wie ihr das hinbekommen habt – wie ihr das Kraftwerk gefunden habt und Atemil die Finger nicht von den Hebeln lassen konnte.“ Sie drehte sich um und schaute ihn streng an. „Du warst das – da bin ich mir sicher!“

Malik blickte schuldbewusst zu Boden. „Nun ja … das war ein kleiner Moment der Schwäche … ich meine, als ich gegenüber Ketal die Wahrheit ein wenig korrigiert habe. Aber dafür habe ich Atemil immer mutig voranschreiten lassen. Zumindest in der Version für die Öffentlichkeit. In Wirklichkeit bin ich die ganze Zeit immer voraus gegangen während Atemil sich lieber ans Ende gehängt hat.“

„Wer von euch beiden hat denn nun die Tür zu dieser Kammer geöffnet?“

„Das war wirklich Atemil. Er und Niral hatten diese Stufen eindeckt und begannen, sie hinauf zu steigen während Aban und ich noch mit der Ornamentik an der Wand beschäftigt waren. Wir liefen dann hinterher.“

„Nach deiner Aussage - so schreibt Ketal – befand Atemil sich bereits mitten im Raum, Niral dicht hinter ihm und du standest auf der Schwelle, als sich dieses Gasgemisch entzündete und den Raum beinahe explodieren lies. “Professor Malik warf sich nach vorne und versuchte, Dr. Niral zu Boden zu reißen. Doch die Druckwelle schleuderte ihn zur Seite, so dass er hinter einer Konsole landete, deren Schutz ihn vor Schlimmeren bewahrte …“

***

„ … und deswegen gab’s dann nur leicht angebratenes Malik-Steak.“

„Blechbüx!“ Gle’ma verpasste dem Roboter einen kräftigen Klaps hinter die Okulare. „Du bist echt unmöglich! Da sind zwei Leute gestorben!“

„Diesen Atemil kannte ich nicht. Der ist mir schnurze. Die Niral war zwar total süß, aber ich habe die auch nur einmal gesehen und mit mir sprechen wollte sie nicht. Der Aban tut mir aber schon leid. Endlich findet er mal eine, die zu ihm passt und dann so was. Es wird ewig dauern, bis dieser Langeweiler wieder eine abkriegt.“

„Hast du irgendwie verdorbenes Öl in dich hineingeschüttet?“

„Nö. Aber ihr redet doch immer davon, dass ihr Seelen habt und mit dem Tod etwas Neues beginnt. Atemil und Niral sind zu Assjimagar aufgestiegen und schweben nun mit dem Sternenstaub. Das dürfte ziemlich cool sein. Euer Gejammer um den großen Verlust hingegen ist doch nur Selbstmitleid. Leute, die ihr kennt und mögt sind für euch nicht mehr verfügbar. Ihr habt was verloren und seid deswegen nun traurig. So einfach ist das. Ich wäre auch traurig, wenn ich dich verlieren würde. Aber die beiden kannte ich nicht. Ich vermisse sie nicht und bin deswegen auch nicht unglücklich.“

„Hm …“ Gle’ma rutschte von der Tragfläche herunter und wuchtete einen Kanister Lackpolitur von Blechbüx’s Laderampe. „So habe ich das noch nie betrachtet.“

„Wenn bei mir mal alle Sicherungen irreparabel durchbrennen sollten, dann hast du einen wirklichen Grund, traurig zu sein, denn ich habe keine Seele die nach meiner Verschrottung zu Sternenstaub wird.“

„Was erst noch zu beweisen wäre. Dir traue ich inzwischen nämlich alles zu. Sogar eine Seele. He … da ist noch ein fetter Rußfleck, den du übersehen hast.“

Der Roboter fuhr seinen Montagearm aus und sprühte erneut dicken Schaum auf die Außenhülle des Falken. „Diese Vulkanasche ist ganz schön schwierig wegzubekommen. Was stand da noch über Aban? Bei der Explosion meine ich.“

Die Bolianerin scrollte durch den Text. „Hier ist es: Der Sternenflotten Kadett Aban Walir befand sich noch auf der Treppe, als ihn die Wucht der Explosion über das Geländer schleuderte. Er bekam dieses gerade noch zu fassen und schwebte einen Moment lang über dem glühenden Abgrund bevor er sich mit letzter Kraft und halbblind auf die Galerie retten konnte.“

***

„Vielleicht wird die Erinnerung an diese Minuten nach der Explosion irgendwann zurückkehren. Das könnte erneut schmerzhaft werden. Wie geht es den Augen heute?“ Assjimas Hand strich sanft über Abans geschlossene Augenlider.

„Wenn Sie Ihre Hand so liegen lassen tut es gar nicht weh“ murmelte der Angosianer. „Was steht da weiter?“

Assjima nickte der wartenden Krankenschwester ein Bitte-noch-fünf-Minuten zu. „Ob Aban Walir je wieder seine volle Sehkraft zurück gewinnen wird ist zurzeit noch ungewiss. Führende Experten der Augenheilkunst sind jedoch zuversichtlich ...“

„Commander“ unterbrach Aban. „Wann ist die Trauerfeier für Niral?“

„Morgen Mittag.“

„Ich möchte dabei sein.“

„Das werden Sie. Dafür werde ich sorgen.“

„Hat Mister Tran auch noch was über sie geschrieben?“

„Er schreibt über Nirals Untersuchungen der Vorlokschen Sprache. Außerdem erzählte Malik, dass Niral die Bedeutung der Ornamente an den Wänden dieser Halle erkannt habe.“

„Ja … sie ist … war … verdammt klug. Dass diese Ornamente nichts anderes als eine Sternenkarte sind … so eine, wie wir sie vorher schon holographisch dargestellt hatten.“

„Selbst das Forschungsteam, das sich anschließend zwei Tage dort unten aufgehalten hat, konnte das nicht erkennen. Und sie brauchte dafür nur wenige Minuten. Keine Sorge, Aban. Niral wird den Nerillar in bester Erinnerung bleiben.“

„Hätten wir doch nur auf euch gewartet. Wir wussten ja, dass ihr kommen würdet. Wir hätten diesen ersten Raum hinter der Wand nie verlassen dürfen. Die Mönche wussten ja, dass wir dort feststeckten.“

„Warten war noch nie Maliks Stärke. Und auch Atemil hasste es, untätig herum zu sitzen.“

„Spätestens im Krater hätten wir nach oben steigen und Verstärkung holen sollen. Aber da war es Niral, die unbedingt nach unten wollte. Sie konnte es nicht einmal logisch begründen.“

„Ja. Ketal schreibt, dass Malik den Eindruck hatte, etwas würde sie fast magisch nach unten ziehen. Meine Forschungen in den letzten Tagen haben ergeben, dass deltanische Frauen ein wenig stärker auf die Hinterlassenschaften der Vorlok reagieren als die Männer.“

„Ich weiß … ich habe mir Ihren Bericht vorlesen lassen. Ein paar vorloksche Gene mehr als bei den Männern. Nur über die weibliche Linie vererbt …“

***

„Kein Wunder, dass Assjima so stark auf diesen schwarzen Geist reagiert hat“ Sam lies den Bierdeckel knallend durch die Luft fliegen. „Dein Artikel ist ziemlich gut geworden, Ketal. Da du ja die meisten Informationen schon vor der Pressekonferenz hattest, bist du der einzige Journalist, der es mit einem ausführlichen Bericht noch in die heutige Ausgabe geschafft hat. Nicht schlecht.“

„Ich war ja auch der Einzige, der in den letzten Wochen ständig mit euch rum hing. So war diese Quälerei wenigstens für etwas gut.“ Lachend streckte der Trill die Beine aus und blinzelte in die Morgensonne. „Ich werde Assjimas Veranda vermissen. So schön ist es nicht mal bei mir zuhause.“

„Du bist hier immer willkommen. Auch wenn wir nicht da sind.“

„Danke dir, Kumpel. Sag mal … ich habe immer noch nicht ganz verstanden, wieso gerade du die wahre Aufgabe dieser Maschine erkennen konntest. Da waren doch jede Menge Techniker vor Ort.“

„Ich hatte das andere Gerät auf Ula’ktos gesehen. Und nachdem ich erfahren hatte, dass Niral die Ornamentik für eine Sternenkarte hielt, war ich deswegen derjenige, welcher erkannte, wo die Zielkoordinaten eingestellt werden.“

„Ist irgendwie seltsam, dass die Maschine ausgerechnet auf das Solsystem ausgerichtet war.“

Sam zuckte mit den Schultern. „Finde ich eigentlich nicht. Vor 3000 Jahren waren die Menschen zwar eine wilde, aber dennoch recht viel versprechende Spezies. Außerdem gibt es auf der Erde große Goldvorkommen. Genau der richtige Planet für eine neue Invasion.“

***

„Jemand zuhause?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schlüpfte Resal ins Haus, schüttelte den Schnee von der Jacke und zog die Stiefel aus. „Misia?“

„Bin in der Küche … komm’ rein“

„Guten Morgen, Frau Nachbarin“ Die Schweinsäuglein des Bauern strahlten. „Hast du heute schon die Zeitung gelesen?“

„Nein. Setz dich doch. Hast du schon gefrühstückt?“

„Ja … Ein Tee wäre trotzdem ganz wunderbar. Es ist kalt draußen. Aber deswegen bin ich nicht hier.“ Er legte ein PADD auf den Tisch und lachte. „Dein Sohn ist zum ersten außerweltlichen Ehrenbürger Seyalias ernannt worden.“

„Wie bitte?“ Misia stellte die Teekanne auf den Tisch, setzte sich und griff nach dem Artikel.

„Es steht heute überall auf der ersten Seite. Ein Betazoide wurde zum ersten deltanischen Ehrenbürger in der Geschichte.“ Resal stand auf und nahm eine Tasse aus dem Schrank.

Misia bemerkte ihren gastgeberischen Fauxpas nicht einmal, so tief war sie in der Lektüre versunken. „Hier! Hier steht es: Patriarch Jel überreichte im Anschluss dem betazoidischen Frachtschiffer die Ehrenbürgerschaft der Stadt Semil Krulak. Samylax Devimar ist somit der erste Außerweltliche, der sich nun offiziell als Deltaner bezeichnen darf. Mister Devimar bedankte sich für diese Ehrenbekundung, versprach aber vor den laufenden Kameras, sich auf keinen Fall den Kopf kahl scheren zu lassen. Er wolle diese doppelte Staatszugehörigkeit mit Würde tragen ohne seine betazoidische Herkunft zu verheimlichen. Das ist mein Junge!“

***

Walim, Onid und Omesh standen in der Steinwüste der mächtigen Kaldera und starrten in den dunklen Schlund hinab.

Der Bibliothekar kratzte sich verwundert an der Stirn. „Dass in all diesen Jahren nie jemand diese Treppe entdeckt hat, ist schon etwas eigenartig.“

„Sie war so gut versteckt dass wir selbst von unten kaum durchgekommen sind“ erklärte Onid.

„Es war gut, dass ihr sie dann gleich frei geräumt habt. Sonst wären wir mit den beiden Verletzten nicht so schnell durchgekommen.“ Walim stieg die ersten Stufen hinab. „Komm schon, Bruder Omesh. Da ist nichts Gefährliches mehr. Wenn du die Ereignisse in den Annalen korrekt aufführen willst musst du dir das schon mit eigenen Augen anschauen. Es reicht nicht, wenn du dich ausschließlich auf diesen Artikel beziehst. Wir haben ja selber miterlebt, wie schnell die Geschichte verfälscht werden kann und wie wertvoll deswegen eine zusätzliche, unabhängige Chronik ist.“

Der Abstieg war nun wesentlich unkomplizierter als noch vor wenigen Tagen. Die Treppe war überall gesichert und hell ausgeleuchtet. In den abzweigenden Versorgungsschächten waren immer noch Techniker und Wissenschaftler zugange. Omesh blieb vor einem dieser Gänge stehen und schaute hinein. „Die haben wirklich das ganze Baumaterial über diese Gänge in das zukünftige Kraftwerk geschafft, ohne dass unsere Brüder etwas bemerkten?“

Onid nickte. „Es sieht ganz danach aus. So steht es jedenfalls in dem offiziellen Bericht. Wie sie das geschafft haben muss allerdings noch geklärt werden.“

„Dieser dicke Philosoph, den ich hier rauf geschleppt habe, hat laut dem Artikel schon eine handfeste These.“ Walim zog ein PADD aus der Kutte und scrollte sich durch den Text. „Die Kaldera des Vulkans Eschkarabu war ein unheimlicher Ort, oft in Nebel gehüllt. Die ersten Nerillar fürchteten ihn. Selbst die Wächter stiegen nur selten bis zum Gipfel empor. Den Aufzeichnungen des damaligen Chronisten kann entnommen werden, dass den Vorlok die Besonderheit dieses Ortes kannten. Sie hatten im Vorfeld als Besucher getarnte Spione geschickt. Sie wussten, dass die Kaldera des Vulkans so gut wie nie von einem Deltaner aufgesucht wurde.“

„Und es mussten auch keine Sprengungen vorgenommen werden. Schau dich hier um, Omesh.“ Onid drehte sich um die eigene Achse und zeigte in verschiedene Richtungen. „In diesem Schlot musste nicht viel umgebaut werden, die Seitenkanäle waren auch schon vorhanden. Auch die große Halle, in der sich das Kraftwerk befindet war schon lange vor den Vorlok hier. Hier und da ein wenig Schutt wegräumen, einzelne Stützmauern, kleine Sprengungen, die an der Oberfläche nicht zu bemerken waren. Wenn sie das Material von der Meerseite her bei Nacht herangeschafft haben, so konnte selbst dies unbemerkt bleiben.“

„Und der Gang zum Archiv?“

„Sich in einem Vulkanschlot aufzuhalten war für die Vorlok sicherlich kein angenehmer Gedanke. Wenn ich einer dieser schwarzen Bauherren gewesen wäre, hätte ich mir auch irgendetwas einfallen lassen, um einen Notausgang zu schaffen. Ein vorlokscher Steinmetz, der vorgibt, zum Dank für die Gastfreundschaft eine Wand zu verzieren, ist doch eine wunderbare Tarnung. Sollte beim Bau dieses Ganges doch mal etwas von dem Geklopfe im Archiv zu hören sein, so war es eben dieser fremde Handwerker.“

„Deine Worte, Bruder Onid, haben Hand und Fuß. So muss es gewesen sein. Aber ich werde beim Verfassen des Textes dennoch darauf achten, dass es sich hier nur um Vermutungen handelt. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Wissen und Vermuten.“

„Du wirst das schon richtig machen, Kleiner!“ Walim gab dem Chronisten einen liebevollen Klaps auf die Schulter.

Onid ignorierte Walims Kumpelhaftigkeit und deutete hinunter in den Schacht. „Hat dieser Malik denn auch eine Theorie, wofür dieser ganze Aufwand betrieben wurde?“

„Es gibt eine … aber nicht von Malik.“ Walim warf einen erneuten Blick auf das PADD. „Dieser Ketal Tran schreibt, dass Schwester Assjima eine plausible Erklärung liefern konnte.“

***

„Eine Halle der Seelen?“ Endar wälzte sich auf die Seite und betrachtete Ischilas Profil, das im schwachen Licht des PADDs bläulich leuchtete.

„Ja. Tran schreibt, dass Assjima das gesagt hätte.

„Was soll das sein?“

„Hm … also … ein alter Mythos auf der Erde, der besagt, Gott hätte eine Halle geschaffen, in der sich die Seelen aller Menschen befänden. Diese Halle leert sich zusehends und wenn das erste Kind ohne Seele geboren wird, beginnt der Untergang.“

„Und was hat das mit den Vorlok zu tun?“

„Ich lese dir das am besten mal vor: Die Vorlok sahen sich damals mit einem kniffeligen Problem konfrontiert: Der scheinbar harmlose Gegner war unterschätzt worden und in einen passiven Widertand getreten. Was würde geschehen, wenn es den Nerillar gelingen würde, sie zu überwältigen? Wer sollte im schlimmsten Falle die Amulette mit den Seelen der gefallenen Krieger in die Heimat zurück bringen? Dann entdeckten sie Eschkarabu und errichteten dort ihre Rückversicherung. Eine Halle mit einem Reaktor, der die Seelen im Notfall auch ohne Amulett zurück schicken konnte.

„Das ist ja dann auch geschehen. Etwas verspätet, aber immerhin.“ Endar zog die Decke bis unter das Kinn. „Es wird Herbst. Hier oben können die Nächte jetzt sehr frisch werden.“

Ischila schien ihn gar nicht gehört zu haben. „Es geht noch weiter: Nachdem die Heimatwelt der Vorlok vernichtet war, war ihnen auch dieser letzte Ausweg versperrt. Deswegen wurde der Reaktor auf eine neue Welt ausgerichtet: Das Solsystem. Den vorlokschen Eroberungstraditionen entsprechend wurde ein Battalion, bestehend aus 888 Kriegern, ausgewählt, sich für diesen Feldzug vorzubereiten. Der Rest der auf Seyalia befindlichen Vorlok sollte versuchen, sich eines kleinen Raumschiffes zu bemächtigen, zur Erde zu reisen und dort den Empfänger aufzubauen. Die Deltaner jedoch hatten es mit der Weiterentwicklung der Raumfahrt jedoch nicht eilig. Sie konzentrierten sich lieber auf den Ausbau ihrer Gesellschaft und ließen interstellare Raumschiffe nur auf Seyann Draschu landen, was die Durchführung dieses Planes extrem erschwert haben dürfte. Die Seelen der 888 Krieger warteten 2700 Jahre in dieser Halle auf ihre Befreiung, während sich die übrigen Vorlok langsam transformierten und sich in den Nerillar verloren. Durch die Transformation ging auch die Langlebigkeit verloren und mit dem Tod der alten Seelen wurden die der wartenden Krieger vergessen.

„Das alles hat Assjima in den letzten Tagen herausgefunden?“

Ischila lachte. „Nicht sie allein. Ihr stand ein gewaltiges Wissenschaftsteam zur Seite. So ziemlich jeder deltanische Genetiker wollte dabei sein. Und natürlich auch die Experten der Förderation. Dräng musste sehr viel genetisches Material hergeben. Mischka hat ihm mit großer Begeisterung den Kopf kahl geschoren.“

„Das dürfte für ihn ein adäquates Opfer an die Wissenschaft gewesen sein. Aber jetzt komm wieder unter die Decke, bevor du dich erkältest. Wir beiden sind nicht mehr die Jüngsten und müssen gut auf uns aufpassen. Außerdem sollten wir die Zeit nutzen. Wer weiß, wann wieder ein derartig globales Ereignis eintrifft, dass du dich gezwungen siehst, deinen alten Freund auf dem Berg zu besuchen.“

***

Mit beiden Händen fuhr sich der junge Vorlok über die Glatze und starrte leicht vorgebeugt in sein Spiegelbild.

„Die wachsen wieder nach.“

„Was meinst du?“

„Na deine Haare.“ Mischka stellte sich auf die Zehenspitzen um ebenfalls einen Blick in den Spiegel erhaschen zu können. „Außerdem muss Dafu den Spiegel noch ein Stück höher hängen. Wenn dein Bart irgendwann mal anfängt zu wachsen, bekommst du morgens bei Rasieren ja Rückenschmerzen.“ Sie wedelte mit einem PADD in der Luft herum. „Hast du schon gesehen? Der Artikel von Ketal steht ganz groß auf der ersten Seite.“

„Und? Ist er gut geworden?“

„Ich finde schon. Musst du aber besser selber lesen.“

„Vielleicht nachher … nach dem Frühstück.“

„He!“ Die kleine Deltanerin griff nach Drängs Hand und schaute zu ihm auf. „Was ist los mit dir? Du müsstest doch vor Neugierde platzen. Hast du Kummer?“

„Nun ja …“ Etwas verlegen setzte sich der lange Vorlok auf einen viel zu kleinen Hocker, um mit der Zehnjährigen auf gleicher Höhe zu sein. „Jetzt weiß es die ganze Welt.“

„Was meinst du?“

„Die ganze Welt weiß nun dass wir Vorlok böse sind. Dass meine Großeltern und Eltern Eroberer waren, die nur das Ziel hatten, möglichst viele Zivilisationen zu unterwerfen, ihnen ihr Wissen auszusaugen, ihre Bodenschätze zu plündern … und dass sich diese Ziele bis heute nicht geändert haben.“

„Das ist doch Quatsch! Niemand weiß, was deine Großmutter plant. Vielleicht will sie genau das, was sie sagt. Vielleicht hat sie auch noch irgendwelche Hintergedanken … die du irgendwann einmal aufdecken wirst. Es ist vollkommen egal, was deine Vorfahren getan haben. Die jungen Vorlok sind anders. Das wirst du allen beweisen.“

„Ich bin mir da nicht so sicher, Kleine. Ich weiß nicht was aus meinen Freunden geworden ist, nachdem sich die Seelen der gefallenen Krieger mit ihnen vereint haben. Vielleicht sind sie inzwischen genau wie meine Großmutter? Und was für ein Untier wird aus mir werden, wenn Deglamesch irgendwann zu mir kommt?“

Mischka seufzte. Sie konnte es kaum ertragen, ihren großen, starken Freund so traurig zu sehen. „Du hast doch erzählt, dass er eine gute Seele sei.“

„So wurde es mir gesagt. Doch was kann ich überhaupt noch glauben?“

„Wenn er böse wäre, so hätte er Assjima und Sam nicht gewarnt. Er konnte doch nicht wissen, dass diese Todesfalle in der komischen Kammer inzwischen kaputt war. Er musste doch davon ausgehen, dass es jedes Mal eine Explosion gibt, wenn jemand den Raum betritt ohne das System vorher abzuschalten.“

„Trotzdem … er hat Druck auf Assjima ausgeübt. Hat sich immer mehr Platz in ihr genommen. Obwohl er nicht eingeladen war.“

„Versuch ihn zu verstehen. Er war 2700 Jahre lang eingesperrt. Und jetzt, wo er endlich hätte frei kommen können, wird er von seiner eigenen Frau auf eine neue diplomatische Mission geschickt. Und dann auch noch in einem deltanischen Körper. Diese blöde Tante hat Angst vor ihm und lässt ihn so gut wie nie raus. Niemand redet mit ihm. Er wird von allen ignoriert. Ich an seiner Stelle würde auch versuchen, mir etwas mehr Raum zu schaffen. Dass Assjima sich mit ihm nicht wohl fühlt ist doch nicht seine Schuld.“

„Hm … so könnte man es natürlich auch sehen.“ Dräng versank in nachdenkliches Schweigen.

Nach einem Weilchen stand Mischka auf und legte das PADD neben ihn. „Ketal schreibt von der Hoffnung, die alle in dich setzen. Eine neue Generation von Vorlok, die stark genug sein wird, die Geister der Vergangenheit zu umarmen und trotzdem einen neuen Weg zu beschreiten. Ich verstehe zwar nicht so richtig, was er damit meint, aber ich finde es hört sich toll an. Les es selber nach. Und erkläre es mir dann später.“ Sie drückte ihm einen dicken Kuss auf die Glatze. „Die steht dir. So bist du jetzt ein bisschen Deltaner – so wie ich ja auch ein wenig Vorlok bin.“

***

„Chelama Olina!“ Jel streckte der knochigen Frau beide Hände entgegen. „Schön, dass du etwas Zeit für einen ratlosen alten Politiker hast.“

„Für dich habe ich immer Zeit, mein Freund. Setz dich doch!“ Sie deutete auf den schweren Ledersessel gegenüber. „Was kann ich für dich tun?“

„Du hast die News bestimmt schon gelesen?“

„Aber sicher doch. Für mich beginnt der Tag erst so richtig mit der Zeitungslektüre. Ist es der Artikel dieses Trill, der mir deinen überraschenden Besuch verschafft?“

„Nun ja … ich wollte schon länger mit dir über diese Vorlok-Sache sprechen. Ich bin zugegeben etwas ratlos.“

„Ist es die Erkenntnis, dass du ein paar Vorlokgene in dir trägst?“

Jel lachte. „Nein … ich wäre nicht einmal überrascht, wenn ein Genetiker auch noch Springfrosch-DNS in mir finden würde. Es ist Uvarimn, der mir Sorgen bereitet.“

„Der Verkünder? Der sitzt doch im Gefängnis … warst es nicht du persönlich, der ihn wegen Volksverhetzung angeklagt hatte?“

„Man kann ihn zwar einsperren, aber leider nicht auch noch mundtot machen. Er wettert aus seiner Zelle weiter wie eh und je. Seine volksverdummenden Elaborate finden immer noch ihre Abnehmer.“

„Ich dachte, dass die Auflage seiner Schriften inzwischen um mehr als die Hälfte geschrumpft sei.“

„Und es sind immer noch zu viele. Aber diese Sache mit den Vorlok … was denkst du: wie werden seine Anhänger reagieren? Muss ich eine Miliz bereitstellen?“

„Du hast Angst, dass diese wahren Nerillar gewalttätig werden könnten?“

Jel nickte. „Du bist doch Psychologin und hast dich lange mit diesen fremdenfeindlichen Ansätzen in unserer Gesellschaft beschäftigt. Wie denkst du, werden die Bürger meiner Stadt das alles aufnehmen?“

„Die meisten werden lachen, sich eine schwarze Maske aufziehen und sich über ihre genetische … Verunreinigung … amüsieren. Ich habe heute Morgen schon ein paar junge Leute mit solchen Masken gesehen. Sie trugen dazu ein T-Shirt mit dem Aufdruck Sind wir nicht alle ein bisschen Vorlok?

„Die habe ich auch gesehen. Aber nicht sie sind es, die mir Sorgen bereiten.“

„Ich verstehe schon.“ Die Professorin stand auf und holte ein PADD von ihrem Schreibtisch. „Dieser Ketal Tran hat die ganze Angelegenheit sehr gut zusammengefasst und analysiert. Er schreibt Folgendes: Der völkische Rassismus, welcher den Nährboden bildet für den aristokratischen Grundgedanken der Natur, in dem das Gesündere und Stärkere siegt, wird durch die beginnende Neuinterpretation der Vorlok-Epoche bereits jetzt ad absurdum geführt. Nicht der scheinbar Stärkere siegt. Es sind die Kleinen, die Schwachen, welche durch gemeinsames Agieren und etwas Glück durchaus die Oberhand gewinnen können. Doch nicht die gewaltsame Vernichtung des gemeinsamen Feindes führte letztendlich zum Sieg, sondern Verständnis und Einsicht. Einsicht auf der Seite der Vorlok, die ihre Sache verloren sahen und nicht mit blindem Hass und Berserkertum reagierten, sondern den für beide Seiten sinnvolleren, weil friedlichen Weg wählten. Verständnis bei den Nerillar, allen voran bei Nagaschura, welcher die biologischen Besonderheiten und religiösen Riten des geschlagenen Feindes respektierte und sie ihren eigenen Weg gehen lies. Nicht ahnend, dass die Vorlok mehr als nur den Mythos von der deltanischen Stärke hinterließen.“

„Das hat er sehr schön gesagt. Aber ich verstehe nicht ganz, wieso dieses Fünkchen vorlokschen Erbgutes in uns diesen ewig Gestrigen den Wind aus den Segeln nehmen soll.“

„Weil es uns ganz deutlich vor Augen führt, dass wir uns durch die Begegnung und Vermischung mit anderen Kulturen zum Besseren hin immer noch weiterentwickeln können. Haben wir doch selbst von den Vorlok viel Positives geerbt!“

***

„Du gehst so nicht auf die Straße!“

Helamir blieb stehen und drehte sich langsam um. „Du hast mir nicht zu sagen, was ich anziehen darf und was nicht!“ zischte sie wütend.

„Ich bin immer noch dein Vater! Und solange du deine Beine unter meinen Tisch stellst …“

„Unter DEINEN Tisch?“ Die junge Deltanerin lachte laut auf. „Das ist schon lange nicht mehr DEIN Tisch. Ohne uns wäre das Bergwerk schon vor Jahren pleite gegangen und du könntest deinen Tisch auf der Straße aufstellen.“

Der alte Mann erhob sich umständlich und wackelte mit Hilfe eines Krückstocks auf seine Tochter zu. „Das war nicht meine Schuld. Diese verdammten Betazoiden haben mich über den Tisch gezogen.“

„Ja ja … ich weiß, Vater. Die Schuld tragen immer die Außerweltlichen. Zumindest in deiner verschrobenen Welt. Hättest du nicht den größten Teil unserer Rücklagen diesen wahren Nerillar überschrieben, hätten Lemas und ich nicht so hart kämpfen müssen. Es war mein Bruder, der diese vorteilhaften Verträge mit der Förderation ausgehandelt hat, während du - der ehrenhafte Bergwerksbesitzer Kamisch - seine Zeit, sein Geld und vor allem seinen Ruf mit Hilfe dieser Rassisten vernichtete. Das Erbe unserer Familie und viele Arbeitsplätze wären durch deinen Wahn beinahe zerstört worden.“

„Ich verfluche den Tag, an dem du auf diesem Flug von Betazed diese verdammte Ärztin kennen gelernt hast!“

„Diese Ärztin war es, die uns wieder auf den Boden zurückgeholt hat! Wenn du endlich mal diese dämlichen Heftchen des Knastbruders Uvarimn beiseite legen und stattdessen eine normale Zeitung lesen würdest, dann könntest du vielleicht auch begreifen, wie schädlich eine solch strikte Abschottung ist, wie es der Verkünder fordert. Wir wären ohne die Außerweltlichen in der Förderation bankrott. Ganz Seyalia könnte einpacken! Dein Lieblingsgericht Pizza, dein unentbehrlicher saurianischer Brandy, dein Bettzeug aus terranischer Baumwolle – auf all das müsstest du verzichten und stattdessen überwiegend Reschanguma essen. Um wie viel ärmer wäre unsere Welt ohne die Außerweltlichen. Und nun stelle sie dir doch mal vor, diese armen Vorlok in ihrer Raumtasche … seit über 2000 Jahren vom Rest des Universums abgeschnitten. Egal was sie planen … Teilhabe oder Invasion … wir müssen ihnen da raus helfen und ihnen den richtigen Weg zeigen.“

„Was willst du nur von diesen schwarzen Gesellen? Sie haben genug Böses angerichtet und dafür sollen sie in ihrer Anomalie verrotten!“

„Sie haben uns auch Gutes hinterlassen. Hier … in der heutigen Ausgabe steht es gleich auf der ersten Seite: Das medizinische Team um Professor Doktor Assjima konnte eindeutig nachweisen, dass die genetischen Einflüsse der vorlokschen Einwanderer bei ihren deltanischen Nachkommen zu einem verstärkten Körperwuchs führte. Auch die beachtliche Lebenserwartung der Deltaner ist auf die vorloksche DNS zurück zu führen. Ohne Vorlok-Gene wären wir vermutlich so kurz geraten wie die Ferengi und hätten die Lebenserwartung der Ocampa. Und deswegen gehe ich jetzt ins Büro und werde mit Stolz dieses Shirt tragen. Denn wir sind alle ein bisschen Vorlok!“

***

„Sie hat einen Professorentitel? Das wusste ich gar nicht.“ Die Hohepriesterin legte das PADD beiseite und betrachtete ihr Gegenüber ernst. „Warum bist du heute hier, Schwester Dalishae? Du verlässt deinen Wald doch sonst nie. Hat dich die Meisterin geschickt?“

„Ischila weiß nicht, dass ich hier bin. Sie ist auf Eschkarabu.“

„Ah – der würdige Abt Endar. Ich verstehe.“

„Nichts verstehst du, Elemis. Sonst hättest du gegenüber diesem Journalisten etwas besonnener reagiert.“

„Was meinst du denn?“

„Deine Antwort auf die Frage, welche Auswirkungen diese neuen Erkenntnisse auf das religiöse Leben der Nerillar haben könnte.“

„Ach … du empfindest es als unüberlegt, dass ich die Untersuchungsergebnisse hinterfragen möchte?“ Elemis lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

Der hochmütige Ausdruck in ihrem Gesicht brachte die alte Priorin innerlich zum Kochen und sie wäre ihr am liebsten ins Gesicht gesprungen. Aber Dalishae hielt sich zurück und antwortete mit ruhiger Stimme: „Laut diesem Artikel sagtest du, Assjima sei als Leiterin des medizinischen Ausschusses eine Fehlbesetzung. Sie sei sicherlich eine hervorragende Ärztin, aber keine Genetikerin. Zudem wäre durch ihre persönliche Verwicklung in diese Angelegenheit ein neutrales Gutachten doch eher fraglich. Auch den frischgebackenen Professor der Philosophie Malik könne man als Experten der vorlokschen Geschichte keineswegs akzeptieren. Sein Leumund sei durch seinen unsteten Lebenswandel nicht der Beste und auch als Historiker hätte er sich bislang nicht sonderlich ausgezeichnet. Deswegen würde die weiße Schule ihre eigenen Untersuchungen vornehmen und erst dann öffentlich Stellung nehmen.“

„Ja und? Was willst du von mir, Schwester?“

„Dich warnen!“ Die alte Frau beugte sich vor und warf der Hohepriesterin einen grimmigen Blick zu. „Assjima und Malik genießen das volle Vertrauen Ischilas. Und das weißt du nur zu genau.“

„Ich muss deiner Ansicht nach also immer der Meinung Ischilas sein?“ fauchte Elemis zurück. „Wir leben in einem freien Land!“

„Als Hohepriesterin bist du das Sprachrohr der Schule. Privat darfst du denken was du willst, aber in Ausübung deines Amtes hast du den Vorgaben von oben zu folgen. Du hast die Meisterin und somit die Einheit unseres Ordens in aller Öffentlichkeit untergraben, während sich Ischila auf Eschkarabu befindet, um mit Abt Endar genau diese Frage nach den anstehenden Veränderungen zu erörtern. Sie bereiten ein Konzil vor, dass schon nächste Woche zusammen treten soll. Nicht nur die weiße Schule und die Wächter der Schriften werden eingeladen, sondern die Vertreter aller religiösen Gruppen Seyalias. Und in dieser wichtigen Phase hast du nichts Besseres zu tun, als die vorläufigen Ergebnisse der Untersuchungskommission umgehend in Frage zu stellen? Hunderte von Wissenschaftlern, die in den letzten Tage bis zum Umfallen geschuftet haben, werden von der Hohepriesterin der weißen Schule gerügt, weil sie die Koordination ihrer Arbeit einem Philosophen mit schlechtem Leumund und einer einfachen Schiffsärztin überlassen haben.“ Dalishae stand auf. „Du kannst dir vorstellen, dass die Meisterin momentan wichtigere Dinge zu tun hat, als ihrer allzu ehrgeizigen und profilierungssüchtigen Hohepriesterin auf die Finger zu klopfen. Trotzdem wird sie im Laufe des Tages eine Gegendarstellung verfassen, die dich als Hohepriesterin mit Sicherheit in Frage stellen wird. Deswegen kann ich dir nur den Rat geben, deine Aussagen in aller Öffentlichkeit zu korrigieren und dich zu entschuldigen. Und das umgehend! Bevor die Meisterin sich gezwungen sieht, kräftig an deinem Stuhl zu rütteln.“

Sie drehte sich um und ging ohne eine Antwort abzuwarten.

Elemis blieb mit steinernem Gesicht zurück. Nach einigen Minuten drückte sie den Knopf ihrer Kommunikationsanlage. „Shelar - Ich benötige dringend eine Verbindung zu Ketal Tran. Vermutlich befindet er sich im Kloster Nelisch oder auf dem Anwesen von Doktor Assjima.“

***

Irgendwo auf einem ungemütlichen Asteroiden im orionischen Sektor saßen in der dunkelsten Ecke einer finsteren Spelunke zwei grüne Riesen und steckten die kahlen Köpfe zusammen. Vor ihnen auf dem schmierigen Tisch lag ein PADD, das sie sichtlich aufgeregt studierten.

„Manomann Kalek! Das ist ein echter Knüller! Du, Amol und diese umwerfende Ärztin gemeinsam in einem universalen Ereignis verstrickt.“

„Na ja … das war ja nicht das erste Mal. Aber es fühlte sich eindeutig besser an, den Vorlok zu helfen als irgendeinen blöden Planeten in die Luft zu jagen.“

„Diese Sache mit Neria war auch eine wirklich dämliche Idee von Amol. Ich habe die Crew der Community ja erst später kennen gelernt. Ich muss schon sagen … gegen die Borg schlugen sie sich wirklich wacker. Und der Deltanerin hätte ich so was nie im Leben zugetraut.“ Kelam-Het stieß sein berühmtes dröhnendes Lachen aus. „Sie hat ihr Versprechen tatsächlich eingelöst und mich Admiral Janeway vorgestellt. Ich – der alte Kelam-Het – flankiert von den beiden unglaublichsten Frauen des Universums! Das Bild hängt gerahmt in meinem Quartier. Ich muss es dir gelegentlich mal zeigen.“

„Dann hast du auch diese kleine Promenadenmischung von Pilotin kennen gelernt, oder?“

„Ja doch … warte mal … wie hieß die doch gleicht? Die war soooo winzig, hatte aber eine soooo große Klappe!“ Kelam-Het breitete die Arme aus und schob dabei beinahe Kaleks Bier vom Tisch.

„Milseya Anquenar …“ Der junge Orioner ignorierte den Teilverlust des geliebten Getränkes, stützte nur das Kinn in die Hand und träumte versonnen vor sich hin. „Soooo klein und soooo süß …“

„Vergiss es, Junge! Die ist doch mit einem Klingonen liiert.“

„Ja leider. Aber man wird doch noch träumen dürfen.“

„Klar. Aber ich habe dich nicht zum Träumen vor dem Knast gerettet.“

„Dieser Überfall auf den Gefangenen-Transporter war eine ziemlich gewagte Aktion. Ich verstehe aber nicht, warum du das auf dich genommen hast. Wozu braucht mich das Syndikat?“

„Das Syndikat war nur offiziell für den Überfall verantwortlich. Inoffiziell kam der Auftrag direkt von der Förderation. Hat die einiges gekostet, aber sie brauchen dich ganz dringend da draußen und nicht in irgendeinem Gefängnis. Dich offiziell frei zu lassen würde nicht nur gegen ihre eigene Rechtsprechung verstoßen, sondern auch die Vorlok misstrauisch stimmen. Also gaben sie den Auftrag an mich weiter. Hier … das muss du dir mal anhören“ Sein dicker grüner Finger schob sich über die Oberfläche des PADDS. „Die Kommunikation mit den Vorlok auf Ula’ktos erweist sich wegen der enormen temporalen Verschiebung nach wie vor als sehr problematisch. Verschiedene Versuche, den Planeten mit einem Raumschiff anzufliegen mussten abgebrochen werden. Es scheint, dass er momentan nur mit einem von der Oberfläche aus gesteuertem Leitsystem zu erreichen sei. Die Techniker arbeiten mit Hochdruck an der Lösung dieses Problems.

„Ja und? Wozu brauchen die mich?“

„Die Förderation will, dass du nach Ula’ktos fliegst. Die Vorlok kennen dich, Amol kann darauf bestehen, dass sie dich um sich haben will, du kennst den Weg … für dich würden sie das Leitsystem vielleicht einschalten“

„Was soll ich da? Elin ist doch bei Mom. Und einen Piloten braucht sie momentan wirklich nicht.“

„Das könnte sich sehr schnell ändern. Nachdem was wir inzwischen über die Vorlok wissen, könnten sie für Amol gefährlich werden … sobald sie erfahren, dass wir mehr wissen als wir vielleicht wissen sollten. Du sollst ihr Leibwächter sein und mit ihr abhauen wenn es zu gefährlich werden sollte. Außerdem sollen ein paar Geräte installiert werden, welche eine direkte Kommunikation mit Amol ermöglichen. Heimlich, versteht sich. Von einem geheimen Leitsystem ist auch noch die Rede. Ich kenne die Einzelheiten nicht so genau. Mein Auftrag war es nur, dich raus zu hauen. In den nächsten Tagen wirst du einen Vertreter der Förderation treffen, der dich genauer instruieren wird.“

Ketal grinste über das ganze Gesicht. „Das hört sich nach einem richtig guten Abenteuer an. Besser als Knast ist es allemal und vielleicht bekomme ich dann irgendwann mal wieder die Gelegenheit, die Zwergenkönigin zu treffen. Ohne ihren ollen Klingonen!“

***

„Es ist einfach unglaublich“ stöhnte Meg und schob das PADD von sich. James schnappte es sich sofort und begann eifrig zu lesen während die Afrikanerin mit den Augen rollte und weiter lamentierte: „Egal was sie macht, sie gerät ständig in Schwierigkeiten. Mit und ohne uns. Sie scheint die bösen Mächte des Universums magisch anzuziehen.“

„Wie sagt man so schön? Gegensätze ziehen sich an. Soll ich dir auch einen Raktajino rauslassen?“ Sid stand vor dem Replikator und bestellte dreifach stark und gar nicht süß für sich.

„Ja bitte. Den könnte ich jetzt brauchen! Und der arme Aban! Wir hätten uns mehr um ihn kümmern sollen, als er noch an Bord war.“

„Perkele … der ist so ein verfluchter Langeweiler“ kommentierte Miki grimmig. „Aber er scheint doch irgendwo etwas Mumm in den Knochen zu haben. Um eine Deltanerin anzubaggern braucht es durchaus Mut. Vor allem, wenn man solche Segelohren hat.“

„Du wirst ihn ein wenig unter deine Fittiche nehmen müssen, wenn er wieder zurück ist.“

„Wieso?“

„Weil er vom Meister persönlich lernen sollte. Danke, Sid.“ Meg griff nach dem Becher und schüttete das heiße Zeug in sich hinein.

„Einen Teufel werde ich tun. Er wird erst einmal jede Menge Trost brauchen. Elijah ist da viel besser geeignet. Der kann gut Händchen halten und tröstende Gedichte aufsagen.“

Die Tür zum Büro des leitenden medizinischen Offiziers öffnete sich und Alice trat heraus. „Was haltet ihr denn hier für eine Versammlung ab? Wollt ihr in Streik treten?“

„Gott bewahre! Deine Rache wäre fürchterlich.“ James reichte ihr das PADD. „Hast du schon gelesen? Diese Sache mit den Vorlok scheint endlich ausgestanden zu sein.“

Alice holte sich einen Tee und begann zu lesen, während die anderen sie gespannt beobachteten. Dann breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht. „Endlich! Assjima wird dann hoffentlich ganz schnell wieder zurückkommen.“

Meg stellte den leeren Becher beiseite. „Du wirst das Büro räumen müssen“

„Am liebsten würde ich meinen Kram sofort zusammen packen. Assjima hat ganz eindeutig weniger Probleme damit, euch im Griff zu behalten.“

„Sagt mal, Leute …“ James deutete auf das PADD in Alices Hand. „Berichtet der Ketal eigentlich, was mit diesem Amulett passiert ist?“

Die junge Ärztin überflog den Text noch einmal. „Nein … kein Wort davon …“

***

„Auch kein Wort zu Lieutenant Commander Assjima! Wir haben uns verstanden, Vartik?“

„Selbstverständlich, Kathryn. Diese Information wird meinen Raum nicht verlassen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mich eingeweiht haben.“

„Sie sollten vorbereitet sein, falls die Community eingreifen muss. Aber wir gehen davon aus, dass dieser Orioner seinen Auftrag ohne Hilfe von außen erledigen wird. Janeway Ende.“

Vartik Tanrim lehnte sich zurück und starrte einen Moment lang nachdenklich auf sein Schachbrett. Immer wieder diese Amol und ihre Gang … werde ich diese Frau jemals wieder los werden?

Er nahm erneut das PADD vom Schreibtisch um seine Lektüre fortzusetzen. Als er fertig war, trank er noch einen Schluck von Assjimas Teemischung 149, verzog wie üblich das Gesicht zu einer Grimasse, dachte an die wohltuende Wirkung auf seinen Verdauungstrakt und schlug plötzlich mit der Faust auf den Tisch. „ENDLICH! In ein paar Wochen wird sie wieder an Bord sein!“

***

Die Wasseroberfläche kräuselte sich nur leicht als der Gleiter fast geräuschlos von ihr abhob und hinter den Wipfeln der Bäume verschwand. Der schlanke Mann mit den mandelförmigen, dunkeln Augen, langem schwarzem Haar und rotbrauner Hautfarbe drehte das Päckchen verwundert hin und her. Es stand kein Absender drauf. Dann stieg er die wenigen Meter zu dem geräumigen Holzhaus hinauf und trat ein.

„Schatz - Ein Eilbote hat eben ein Paket für dich abgegeben.“

„Von wem ist es denn?“ tönte es aus der oberen Etage.

„Keine Ahnung. Es steht nichts drauf. Hat aber ein Sterneflotten-Signum“

„Ich komme …“ Ein paar ellenlange blaue Beine erschienen auf den oberen Treppenstufen. „Hast du schon nach der übrigen Post geschaut?“

„Nein. Das werde ich aber gleich erledigen.“ Er gab der Andorianerin das Paket und verschwand im Nebenraum. „Hier steht ein ewig langer Artikel über Delta gleich auf der ersten Seite!“

„Lass mich erst nachschauen, was in dem Päckchen ist“ Metaxa stellte es auf den Küchentisch und öffnete es vorsichtig. Eine kleine Schatulle und ein Brief lagen vor ihr. Sie setzte sich und faltete das Papier auseinander, auf dem in Assjimas flüchtiger Handschrift nur einige wenige Zeilen standen:

“Che Metaxa minsa

Auch in der Abgeschiedenheit deiner geliebten finnischen Wälder wirst du sicherlich gelegentlich die Nachrichten verfolgt und immer wieder über Seyalia gelesen haben. Ich brauche dir also nicht lange erklären, was geschehen ist. Dir als einer meiner ältesten Freundinen möchte ich einen Teil meinerselbst, die Seele eines alten Kriegers, die Zukunft einen Jungen und womöglich das Schicksal zweier ganzer Völker anvertrauen. Eines Tages wird es zurück gefordert werden um den Lauf des Schicksals zu vollenden. Verwahre es gut irgendwo in deiner Sammlung und rede gelegentlich mit ihm. Er wird dich hören.

In Liebe

Assjima“

Die Andorianerin öffnete die Schatulle und untersuchte das achteckige Amulett mit fachmännischem Auge. Dann sah sie sich im Raum um, stand auf und hängte es zwischen der Figur eines grönländischen Tupilak und der Maske eines bajoranischen Traumtänzers an die Wand.

„Hier wird es dir gut gehen, alter Krieger.“

Bearbeitet von Assjima
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Die Nachricht erreichte auch die Ambassador, welche gerade unter Warp gefallen war, als diese das deltanische System erreicht hatte und mit voller Impulskraft auf Delta IV zuhielt.

Marlesia hatte sich in ihren Bereitschaftsraum zurückgezogen und las den Text von Ketal Tran auf ihrem Deksviewer.

Dieser Reporter hatte Assjima und Sam begleitet, wodurch er sehr schnell seinen Bericht bei seiner Zeitung einreichen konnte. Die neuen Erkenntnisse waren vor allem eines: Wasser auf Nechayevs Mühlen. Als sie die Stelle erreichte, in der erwähnt wurde, dass die Vorlok bereits die Erde als nächstes Ziel erkoren hatten, entglitt ihr ein leises: „Auch dass noch!“

Was dennoch wirklich alles vor 2700 Jahren geschah, wussten nur noch die Ältesten der Vorlok, welche man als Zeitzeugen beschreiben konnte. Doch dass war das Problem, sie stellten die einzige authentische Informationsquelle dar. Dies war auch der Grund, weswegen man einen Informanten bei den Vorlok einschleußen will.

Kaum hatte man also den Planeten verlassen, schon krempelten die anderen beinahe die ganze Föderation um. Marlesia blickte nun zu ihrer Tee Tasse. Der Inhalt war inzwischen kalt geworden und sie verspürte momentan keine Lust sich einen neuen zu replizieren. Also nahm sie die Tasse und stellte diese wieder in das Ausgabefach und drückte die entsprechende Fläche um das Recyceln der Tasse auszulösen.

„Bericht Commander?“, befahl Marlesia, als sie die Brücke betrat. Commander Kendon erhob sich aus dem Kommandosessel und gab ihm seiner Vorgesetzten frei.

„Wir erreichen den Orbit von Delta IV in 20 Minuten Captain. Die America wird in einer Stunde im System ankommen. Dann wären noch die Berichte der Sternenflotte von der jüngsten Entdeckung auf Delta IV die Vorlok betreffend.“

„Ich habe sie gelesen und den Bericht von Ketal Tran.“

„Dann wird es nicht lange dauern, bis wir von Admiral Nechayev hören werden. Denn sie hat vor zwei Stunden um sämtliche Unterlagen zu diesem Vorfall gebeten, inklusive derer auf Delta IV.“

„Das war zu erwarten und befürchten.“

„Captain?“

„Der Admiral genießt ihren Ruf nicht umsonst Commander. Das heißt, wir werden sehr bald von ihr hören, spätestens, wenn wir im Orbit sind.“

Kaum hatte Marlesia ihren Satz beendet, als die taktische Konsole direkt hinter ihr zu zirpen begann. Der diensthabende Sicherheitsoffizier betätigte einige Schaltflächen.

Eingehende Nachricht für Sie Captain. Sie stammt von Lieutenant Commander George Sheridan.“

„Ich nehme sie in meinem Raum entgegen.“

Kaum hatte Sie wieder ihr Büro erreicht, aktivierte sie auch den Deskviewer.

„Hallo Großmutter. Ich wollte dir mitteilen, dass Michael es geschafft hat. Er hat die ersten Aufnahmeprüfungen für die Sternenflottenakademie bestanden.“

„Das ist die erste gute Nachricht, die ich heute erhalten habe.“

Marlesias Gesichtsausdruck entspannte sich sichtlich.

„Ach ja, gratuliere zum neuem Kommando. Wie macht sich dein neues Schiff?“

„Danke George. Es ist hervorragend in Schuss. Ich bin bisher zufrieden“, Marlesia setzte sich auf ihren Sessel.

„Ich nehme an Du hast heute die Zeitung gelesen?“

„Wenn du auf Ketal Trans Artikel ansprichst? Ja das haben wir alle Großmutter.“

„Das wird noch was geben George. Ich habe kein gutes Gefühl.“

„Das glaube ich dir. Aber wir können vorerst wohl nur abwarten. „

„Richte Michael aus, dass ich sehr Stolz auf ihn bin. Wenn ich auf dem Planeten bin, werden wir dies auch gebührend feiern.“

Schwenkte Marlesia wieder um. Sie würde noch oft genug mit Nechayev sich befassen müssen.

„Aber sicher. Michael hat schon Nachrichten an Assjma und an die Anderen auf der Community abgesendet, wo er von der bestandenen Prüfung berichtet. Wir erwarten dich dann.“

„Bis dann. Marlesia Ende.“

Kaum erschien Marlesia erneut auf der Brücke, da ertönte die Stimme der Admiralin aus den Lautsprechern.

„Nechayev an Marlesia. Bitte kommen Sie zu mir in den Besprechungsraum.“

Es geht also los! Dachte Marlesia und verzog keine Mine.

„Commander Kendon. Sie haben die Brücke!“

„Aye, Captain.“

Kendon sah kurz seiner Kommandantin hinterher. Dann nahm er auf seinem Sessel Platz und ließ die Konsole aufklappen, die sich zwischen seinem und dem Kommandosessel befand. Dort rief er noch mal Trans Artikel auf, um ihn nochmals gründlich zu studieren. Denn jegliches Detail, sei es noch so trivial, könnte sich in einigen Minuten oder auch später als sehr nützlich erweisen.

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