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welche waren wahr und welche waren erfunden?“
„Oh mein guter Doktor, sie waren alle wahr.“
„Auch die Lügen?“
„Ganz besonders die Lügen...“
- Gespräch zwischen Dr. Julian Bashir und Elim Garak; aufgezeichnet durch den Föderationsgeheimdienst
„Das war´s. Ich habe ihnen alles gesagt, was sie wissen wollten. Alles. Werden sie mich und meine Familie nun gehen lassen?“
Gespannt blickte Edward Jellico die Frau, die ihm gegenüber in dem Sessel saß, an und wartete auf ihre Reaktion. Ihr Phaser war immer noch lässig auf seinen Kopf gerichtet und sie schien keine Anstalten zu machen diese Position zu verändern. Neben Edward saßen auf dem zweiten Sofa seine Frau und sein Sohn, beiden stand die Panik deutlich ins Gesicht geschrieben. Während der vergangenen Stunden hatten sie hier sitzen müssen und den Albtraum teilen müssen, den Edward gerade durchlebte. Sie hatten Dinge erfahren, von denen der ehemalige Admiral ihnen eigentlich nie etwas erzählen wollte. Nun, nachdem dieses getan war, musterten die beiden den alten Mann kritisch und begannen sich zu fragen, ob sie sich in ihrem Vater und Ehemann vielleicht drastisch getäuscht hatten. Liebten sie ihn noch, jetzt wo sie die Wahrheit wussten?
Allein für das würde Edward Stella Tanner am liebsten umbringen. Doch er musste realistisch sein: so wie die Dinge momentan standen würde sie ihm wohl zuvorkommen und sein Leben beenden. Dann hätte Nathan Sloan doch noch seine späte, durch zweite Hand ausgeführte Rache. So furchtlos wie möglich beobachtete er die vor ihm sitzende entflohene Killerin und wartete auf eine Reaktion.
„Und nun? Werden wir hier bis ans Ende aller Tage hier sitzen bleiben und uns anschweigen?“ fragte er provokativ.
„Ich denke nicht, dass dies nötig sein wird“, ließ sich Stella Tanner endlich eine Reaktion entlocken. Schon im nächsten Moment wünschte sich Jellico, dass er gar nichts gesagt hätte. Die seltsam attraktive Frau richtete den Phaser auf ihr Ziel und lächelte ein letztes Mal, bevor sie den Abzug betätigte.
„Nein!“ schrie Edward, doch seine Reaktion kam zu spät...
Das Zuhause war seit Urzeiten ein Quell der Ruhe und Regeneration für jeden Menschen. Egal ob alt, jung, reich arm, gut oder böse, jede Person schätzte sein Heim und freute sich auf die Begegnung mit seinen Angehörigen, die dort auf ihn warteten. Auch für Edward Jellico stellte sein Haus einen Bereich dar, in den er sich zurückziehen und von der Welt abschalten könnte. Er besaß ein einfaches, aber doch komfortables Familienhaus, dass sich in den Wäldern Frankreichs befand und in dem er mit seiner kleinen Familie wohnte. Ganz bewusst hatte er es fernab der Zivilisation positioniert, nicht nur, damit ihn niemand bei der Austüftelung neuer perfider Pläne ausspionieren konnte, sondern auch um einfach nur seine Ruhe zu haben. Mithilfe seines Fingerabdrucks öffnete er die Eingangstür und betrat das traute Heim. Sofort stieg ihm der Geruch von frisch zubereitetem Essen in die Nase und ein Lächeln zauberte sich auf das Gesicht des ehemaligen Admirals der Sternenflotte. Dies war eine der ganz besonderen Fertigkeiten seiner Frau: sie verließ sich nicht auf den Replikator, sondern nahm sich die Zeit um immer wieder neues, von Hand gemachtes Essen zuzubereiten.
„Hallo Schatz“, begrüßte sie ihren Ehemann und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, nur um sich dann wieder dem Herd zuzuwenden, in dem das Essen freilich anzubrennen drohte. Edwards nächster Blick galt dem Esszimmer, in dem sein 17jähriger Sohn saß und vor sich hinstarrte. Vor ihm lag eine Jugendzeitschrift, doch er schien sie nicht zu lesen, eher durch sie hindurchzusehen. Edwards Frau Jessica bemerkte den fragenden Blick ihres Mannes und flüsterte:
„Es ist das übliche.“
„Wie?“ fragte Jellico erheitert. „Schon wieder Liebeskummer?“
„Ja, leider ist dem so. Mark hat es schon wieder erwischt, diesmal in ein Mädchen aus der Parallelklasse. Dummerweise ist sie schon liiert.“
„Genau wie das Mädchen davor, und das davor, und das davor...“ schloss der alte Mann den Satz und schüttelte leicht frustriert seinen Kopf. Er war so stolz auf die Leistungen seines Sohnes. Mark war ein aufgeweckter junger Mann mit vielen Talenten, insbesondere in Naturwissenschaften und Sport, doch wieso mussten ihm die Hormone in letzter Zeit nur so einen Streich spielen? Mehr als einmal hatte Edward ein Gespräch von Vater zu Sohn geführt und seinem Statthalter gesagt, dass der Moment kommen würde, in der er seine große Liebe traf, doch wie alle Jungs in seinem Alter neigte Mark dazu alles in den schwärzesten Farben zu sehen. Was konnte man da noch machen? Edward legte die kleine, aus künstlichem Leder bestehende Tasche im Esszimmer ab und wollte sich ins Esszimmer begeben, um seinem Sohn wie immer emotionalen Trost zu spenden. Dies tat er immer, denn er wusste wie wichtig dies für eine Person in Marks Alter war.
„Mark, ein Vater ist da!“ meinte Edward fröhlich, dann erblickte er seinen Sohn, der verwirrt auf einen Punkt im Esszimmer blickte. Irritiert folgte der geheime Verschwörer von Sektion 31 dem Blick seines Sohnes und erstarrte ebenfalls, als er eine Person sah, die im Zimmer stand und sie beide mit dem Phaser bedrohte.
Das Gras und die darauf liegenden Blätter verursachten so gut wie gar keine Geräusche, als sie sich darüber bewegte. Sie war alles andere als langsam, zügig durchquerte sie den stockfinsteren Wald, in dem sie sich mit einem Nachtsichtgerät orientierte. Stella Tanner gestattete sich ein kurzes, süffisantes Lächeln. Wie nah sie doch ihrem Ziel war. Aus dem Gefängnis auszubrechen, in das er sie gesteckt hatte, hatte sich als leichter herausgestellt als angenommen. Nach so vielen Monaten in diesem scheinbar so perfekt abgeriegelten Ort kannte sie alle Wachpatroullien, ihre Wege, Namen und sogar Marotten. Mit ihren typisch weiblichen Fähigkeiten war ihr bald klar geworden, dass ein junger Sicherheitsoffizier ein Auge auf sie geworfen hatte, was natürlich verboten war. Doch die Liebe kannte keine Grenzen und sie hatte diesen Umstand ausgenutzt. Ein paar Mal hatte sie sich ihm hingegeben, ihm Hoffnungen und Versprechungen gemacht, nur um ihn dann zur Flucht zu nutzen. Als finalen Abschluss ihrer „Liebe“ hatte sie ihm den Phaser abgenommen und ihn auf den jungen Mann gerichtet. Stella gönnte sich noch einmal ein perfides Lächeln, als sie an sein verdutztes Gesicht dachte, welches er gemacht hatte, als sie abdrückte. So waren Männer eben: leicht manipulierbar. Bis auf einen, wie sie fand, waren sie alle gleich dumm. Doch Nathan war anders gewesen. Nathan war, genau wie sein Vater, ein raffinierter Kopf gewesen, ein genialer Kopf und Stratege und trotzdem so altruistisch. Immer nur war Nathan Sloan auf das Wohl der Menschheit und der Föderation bedacht gewesen und wie hatte man es ihm gedankt? Man hatte ihn als Verbrecher hingestellt, als Mörder und Intriganten, den man ausheben musste. Und als tragischen Höhepunkt hatte ausgerechnet der Mann, den sein Vater damals angeworben hatte, ihn ermordet. Kaltblütig, aus dem Weltraum heraus, mit einem Photonentorpedo. Wenn er wenigstens die Ehre gehabt hätte ihm ins Gesicht zu sehen und ihm ein Messer in den Bauch zu rammen. Doch nein, Edward Jellico hatte den unehrenhaften Weg gewählt und von einem Raumschiff aus einen Knopf gedrückt. Tanner würde auch einen Knopf drücken, so viel stand fest, doch dieser Schalter würde nicht auf einem Schalter angebracht sein, sondern auf dem Föderationsphaser, den sie mit sich führte. Langsam kam das Anwesen dieses Bastards in Sicht. Still lag es da, einsam und verlassen, fernab von jeglicher Unterstützung. Oh, man sollte sich keine Illusionen machen, der Landsitz war exzellent geschützt, mit den modernsten Sicherheitssystemen. Doch Edward Jellico hatte einen Planungsfehler gemacht, als er diese Anlagen auf seinem Haus aufgestellt hatte. Der alte Mann hatte mit Eindringlingen der Sternenflotte gerechnet, mit der Justiz oder Spezialeinheiten, die möglicherweise sein Haus stürmen würden. Doch er hatte wohl niemals damit gerechnet, dass jemand von Sektion 31 selbst sein Haus angreifen würde und sich daher bestens mit den von der Geheimorganisation entwickelten Systemen auskennen würde. Wie einfältig, fand die Frau. Hätte er nicht mit ihrem Kommen rechnen müssen? Hatte er niemals damit gerechnet, dass sie mal aus diesem Hochsicherheitsgefängnis fliehen würde? Er schien sie gnadenlos zu unterschätzen, so viel stand schon einmal fest. Doch heute würde das letzte Mal sein, das er so denken würde, das allerletzte Mal. Mit ihrem speziellen Wissen war es für sie keine große Sache die vielen Sensoren, Detektoren und Fallen zu umgehen, die das Gelände säumten. Schneller als sie sogar angenommen hatte stand sie vor dem Fenster des Hauses und blickte in ein komfortabel ausgestattetes Esszimmer, in dem ein Junge saß. Sie wusste ganz genau, dass es sich um Jellicos 17jährigen Sohn Mark handelte. Einem Ass in Mathematik und Sport, mit gewaltigen Problemen beim anderen Geschlecht. Sektion 31 wusste alles und niemand konnte dieser Organisation entfliehen. Niemand!
Lautlos hebelten sie das altmodische Fenster aus und schob sich in das Esszimmer, so still und heimlich, dass der darin sitzende junge Mann es nicht einmal bemerkte. Erst als sie ihren Phaser auf ihn richtete, blickte Mark auf und erstarrte wieder. Die Situation wurde perfekt, als auch noch Edward ins Zimmer reinkam und sie ebenfalls bemerkte. Auf seinen Augen zeichneten sich deutlich die Überraschung und die Wut ab. Doch er saß in der Falle.
„Holen sie ihre Frau ebenfalls ins Esszimmer“, befahl Stella in einem seltsam neutralen Tonfall, der doch anzudeuten schien, dass sie keine Widerworte duldete. Für einen kurzen Moment überlegte Jellico, wie er diesen Moment nutzen konnte um seine Gegenüber zu überwältigen, auszutricksen oder was auch immer, dann entschied er sich jedoch dagegen. Noch war für eine solche Aktion nicht der richtige Zeitpunkt gekommen, als hieß es sich in Ruhe und Gelassenheit üben.
„Jessica, kommst du bitte mal“, rief Edward in die Küche hinein.
„Was ist denn, Ed? Du weißt ganz genau, das die Erbsen ganz genau abgekocht... kreisch!“
Der in der Hand gehaltene Teller zersplitterte auf dem Boden, nachdem Jessica Jellico ihn entsetzt fallengelassen hatte. Seine Frau, mit der er so lange verheiratet war, erstarrte zu einer Säule und auf ihrer Stirn brach Schweiß aus.
„Sie dürfen sich alle auf das Sofa dort setzen“, bedeutete ihnen die attraktive Stella Tanner und nach leichtem Zögern tat die Familie Jellico wie ihnen geheißen. Stella selbst nahm sich einen Stuhl und setzte sich ihnen gegenüber, strich dabei eine Strähne aus ihrem roten Haar zurück. Für eine Frau war sie ungewöhnlich groß, fast 180cm und doch bemerkenswert schlank. Auf eine bemerkenswerte Art und Weise war der angereiste Todesengel attraktiv, doch in einer solchen Situation konnte man wohl kaum Augen für so etwas haben. Stumm musterten sich die beiden Fraktionen, Jessica und Mark in Angst, Edward und Stella mit Abscheu in ihren Augen. Schließlich entschied sich der derzeitige Führer von Sektion 31 das frustrierende Schweigen zu brechen.
„Ich habe mir schon gedacht, dass sie eines Tages hier auftauchen würden.“
„Ach ja?“ entgegnete Stella gelangweilt. „Sie sollten ehrlich zu sich selbst sein, Edward.“
„Bin ich das nicht?“
„Hätten sie wirklich ernsthaft mit meinem Erscheinen gerechnet, dann wären ihre Sicherheitsmaßnahmen besser gewesen.“
Jellico rührte keine Miene, als er entgegnete:
„Sie mögen zwar Recht haben, Stella, aber ich habe nicht gesagt, dass ich hier mit ihrem Erscheinen gerechnet hätte. Eher in Paris oder San Francisco, aber nicht hier, in meinem Haus und mit meiner Familie. Wobei wir bei meiner Familie wären...“
„Ja?“
„Sie sollten sie gehen lassen“, feilschte Edward Jellico bestimmt, „sie hat mit unserer ganzen Angelegenheit nichts zu tun. Dies hier ist eine Sache zwischen uns beiden, Ms Tanner, nicht mehr und nicht weniger.“
Jessica und Mark blickten zu dem Mann in ihrer Mitte und setzten einen fragenden Gesichtsausdruck auf. Sie schienen nicht recht glauben zu können, dass ihr Ehemann und Vater diese Frau zu kennen schien.
Auch Stella bemerkte den Blick der beiden und lächelte amüsiert.
„Sie scheinen nicht zu wissen, wer ich bin?“
„Nein, das tun wir tatsächlich nicht“, entgegnete Jellicos Ehefrau mit bibbernder Stimme. „Oder ich vermute es zumindest: sie sind eine Fanatikern, eine Extremistin, die mit dem politischen Erfolg meines Mannes nicht einverstanden sind und ihm daher etwas antun möchte. Dass es dies heutzutage noch in der Föderation gibt...“
Wieder lächelte Stella Tanner amüsiert und ihre blauen Augen funkelten, was einen seltsamen Kontrast zu ihren brutalen Absichten darstellte.
„Sie scheinen wirklich keine Ahnung zu haben“, murmelte Stella und blickte wieder zu Edward Jellico. „Haben sie etwa all die Jahre ihr Tun verheimlicht?“
„Ich weiß nicht, wovon sie reden, Tanner“, entgegnete der alte Mann trotzig und blickte sie fest an. Er war von sich überzeugt, dass er sie als vermeintliche Irre und Lügnerin hinstellen konnte, doch so leicht schien es nicht zu sein.
„Diese Spielchen haben wir schon zu oft gespielt, Edward, sowohl zwischen uns beiden als auch innerhalb der Organisation. Ich schlage vor, dass sie jetzt einfach mal anfangen die Wahrheit auszupacken. Nicht nur ihnen zuliebe, sondern auch für ihre Familie.“
„Welche Wahrheit?“ stammelte Jessica und ihre Augen blickten wild zu Edward und Stella, hin und her, ohne in der Lage zu sein eine bestimmte Person zu fixieren.
„Stella, nicht!“ drohte der ehemalige Admiral der Sternenflotte, was jedoch nur noch größeres Amüsement bei der Geiselnehmerin hervorrief.
„Wissen sie denn was ihr Mann tut?“ fragte sie in Richtung der Ehefrau.
„Allerdings,“ erwiderte Jessica Jellico mit unerwartetem Trotz in ihrer Stimme, „mein Mann hat nach langer Karriere in der Sternenflotte eine politische Karriere gestartet, mit dem Ziel eine Organisation zu zerschlagen, die ihn fast getötet und für ein Jahr ins Exil gezwungen hat.“
Nun fiel es Stella doch schwer nicht lauthals loszuprusten. Spöttisch blickte sie zu Edward rüber.
„Das ist es was ihre Familie weiß? Nicht mehr?“
„Was sollten wir noch wissen?“ schrie Mark und brachte sich dann wieder unter Kontrolle.
„Die Wahrheit. Wahrheit oder Leben, “ offerierte Stella und brachte die Waffe neuerlich in Anschlag.
Fragend blickte sich Jellico um, doch es war niemand da, der ihm einen Rat erteilen konnte. Auch dieses Mal war er auf sich gestellt, doch es ging hier um sein Leben. Es gab keinen Raum für Fehler. Leben oder Tod, so einfach war das. Langsam holte er Luft.
„Um die Gegenwart zu verstehen muss man die Vergangenheit kennen“, meinte Edward.
„Gerne, beginnen sie nur“, stachelte ihn Stella an und grinste. „Rücken sie endlich raus mit ihrer Sprache. Sagen sie ihrer Familie wer sie wirklich sind.“
Kurz blickte der alte Mann zu seinem Sohn und seiner Frau, die ihn fragend anguckten. Dann begann er mit seiner Geschichte...
Wenn man 7 Jahre alt war, dann erschien einem die Welt noch ganz anders. All die kleinen Dinge im Leben erschienen einem riesengroß und die großen Dinge interessierten einen nicht. Edward kam aus der Schule und war erstaunt, was sie heute alles so gemacht hatten. Der kleine Junge hatte Buntstifte ausgehändigt bekommen und sollte als Aufgabe Schmetterlinge zeichnen. Mit großem Eifer war er ans Werk gegangen und hatte die verschiedensten Farben genommen, um seine Wesen zu kreieren. Freilich existierte keines der von ihm gezeichneten Objekte in der Realität, doch die Grundschullehrerin störte sich nicht an dieser Sache. Im Gegenteil, sie lobte Edwards Eifer und seine Phantasie vor der gesamten Klasse, was für einen kleinen Jungen wie ihn eine peinliche Angelegenheit gewesen war. Zuhause angekommen hatte Edward das gesamte Haus auf den Kopf gestellt um noch mehr Stifte zu finden sowie etwas Papier. Vor allem die Suche nach letzterem hatte sich als äußerst schwierig rausgestellt, wurde doch Papier im 24. Jahrhundert nicht gerade ausgiebig genutzt, aber schließlich hatte er im Schreibtisch seiner Mutter einen Stapel mit echtem Papier gefunden, welches für besondere Anlässe verpackt worden war. So hatte sich der kleine Sohn auf den Boden gehockt und mit dem Zeichnen begonnen. Er malte alles, was ihm in den Sinn kam. Menschen, Tiere, Raumschiffe und einen glubschäugigen Alien mit mehreren Tentakeln, welchen er „Simon“ taufte, was seiner Meinung nach ein äußerst passender Name bei diesem Erscheinungsbild war. In diesem jungen Alter konnte Edward natürlich noch nicht wissen, dass Außerirdische keine menschlichen Namen besaßen. Irgendwann gegen Abend summte der hauseigene Transporter und Sandra Jellico beamte sich in ihr Appartement, welches sich hoch über den Dächern San Franciscos befand. Die Frau, die sich in den Dreißigern befand, seufzte kurz und begann dann ihre rote Uniform abzulegen und akkurat auf einem Stuhl zu platzieren. Es war ein langer und äußerst zermürbender Tag in der Logistikabteilung der Sternenflotte gewesen. Und ein langweiliger obendrein. Abermals schüttelte Sandra den Kopf angesichts ihrer derzeitigen Stellung. Heute war sie zu ihrem Chef gerufen worden und der verdammte Commander hatte abermals ihren Versetzungsantrag abgelehnt. Mehr noch, er hatte sie gebeten in Zukunft doch bitte auf diese andauernden Anträge zu verzichten. Stattdessen solle sie sich mit ihrem momentanen Posten abfinden und vielleicht sogar die positiven Seiten ihrer Aufgabe erkennen. Angesichts dieser Worte schnaubte Mutter Jellico verächtlich. So hatte sie sich ganz sicher nicht ihr Leben vorgestellt! 12 lange Jahre war sie auf die Schule gegangen und hatte einen exzellenten Abschluss erreicht. Mit einer Durchschnittsnote von 1,7 standen ihr alle Türen offen und sie hatte die ausgewählt, welche ihr am meisten zusagte. Die Sternenflotte sollte es sein! Mit Leichtigkeit schaffte sie die Aufnahmeprüfung an die Akademie und wurde Offizier der Sternenflotte. Unmittelbar im Anschluss an ihre Beförderung zum Fähnrich schien ihr ganzes Leben dann aus den Fugen zu geraten. Trotz all ihrer Bemühungen, trotz ihres hervorragenden Abschlusses und ihrer Bewertungen auf der Akademie schien es ihr aus irgendeinem nicht zu definierenden Grund nicht möglich zu sein auf einem Raumschiff zu dienen. Stattdessen steckte man sie in eine Logistikabteilung, wo sie Materiallisten schrieb, Lagervorräte an Schiffe und Stationen verschickte und sich langweilte. Diese ganze Büroarbeit war eine Beleidigung ihrer Intelligenz. Und dann auch noch ihre Ehe... sie war vor einigen Jahren geschieden worden und nun musste sie allein den kleinen Edward großziehen. Sie liebte ihren Sohn über alles und daher schwor sie sich, dass ihm nicht ein solches Schicksal wie ihr zuteil werden sollte. Er sollte einmal ein Raumschiff kommandieren, eine glänzende Karriere hinlegen und so seine Mutter stolz machen.
„Da! Für dich!“ meinte ihr Sohn überschwänglich und drückte ihr ein Stück Papier in die Hand. Sie vergab ihm, dass es eines ihrer teuren Exemplare war und freute sich stattdessen über sein gut gemeintes Geschenk. In der Tat hatte er ein für sein Alter beachtliches Bild hinbekommen. Ganz fest drückte sie ihren Sohn an sich und fuhr ihm durch das dunkelblonde Haar. Aus ihm würde sicherlich etwas ganz großes werden. Definitiv!
„Was wollen sie eigentlich von uns?“ kreischte Jessica und schien sich immer noch kein bisschen beruhigt zu haben. Im Gegenteil, mehr und mehr zeichnete sich Verwirrung auf ihrem Gesicht ab. Doch Stella Tanner nickte.
„Sie mögen es mir kaum glauben, Ms Jellico, doch dies hat sehr wohl was mit der Situation ihres Mannes zu tun. Genauer gesagt mit seinem Drang zur Sternenflotte zu gehen.“
„Ja und?“ fragte Mark und war ebenso irritiert wie seine Mutter.
„Was denken sie: ist dies der Traumberuf ihres Mannes gewesen?“ formulierte die Geiselnehmerin und lächelte diabolisch.
„Selbstverständlich. So viele Jahre in der Sternenflotte, bis zum Admiral hat er sich hochgedient... was soll überhaupt die Frage?“
„Sagen sie es ihr, Edward!“ forderte Stella ihn auf.
„Was sagen?“
Verlegen drehte sich der alte Mann in Richtung seiner Frau und schluckte. Aus seiner Sicht nahm dieser Abend eine ganz und gar nicht gute Wendung. Eigentlich wollte er nur nach Hause kommen und seinen Feierabend genießen, nun wurde sein Leben bedroht, ja schlimmer noch, sein Geheimnis schien aufzufliegen. Es ging darum so viel Zeit wie möglich herauszuschlagen, die Wahrheit dadurch hinauszuzögern, dass man andere, weitaus unbedeutendere Geständnisse machte.
„Es stimmt, Liebling. Es war nicht direkt meine Entscheidung zur Sternenflotte zu gehen. Sicher, ich habe oftmals viele amüsante und fordernde Jahre durchlebt, aber ein Traumberuf... das war es niemals gewesen.“
Überrascht öffnete Jessica und schloss ihn sogleich wieder, da sie nicht wusste, was sie darauf sagen sollte. Nur sein Sohn war es möglich zu fragen:
„Wie meinst du das?“
„Es war meine Mutter“, erklärte der Familienvater und erstmals zeigte sich eine gewisse Traurigkeit in seiner Stimme. „Ihr Leben lang hatte sie davon geträumt auf einem Raumschiff zu dienen. Sie hatte hoch hinaus gewollt mit ihrem Abschluss, aber stattdessen hatte es das Glück nicht gut mit ihr gemeint. Ihr ganzes Leben war sie im Range eines Lieutenants geblieben und niemals hatte sie Dienst an Bord eines Raumschiffes getan. Meine Mutter starb sehr früh... manchmal glaube ich der Frust über ihr Leben war schuld daran. Was sie nicht werden konnte, das sollte ich sein und so förderte sie mich in Bezug auf die Sternenflotte. Sicher, ihre Bemühungen waren lieb gemeint, doch fehlgeleitet. Denn ich hatte niemals den Wunsch zur Flotte zu gehen. Ich erinnere mich da an einen besonderen Tag..., “ meinte Edward und erinnerte sich.
Perfekt! So und nicht anders sollte es sein. Mit einigen abschließenden Bewegungen schloss Edward Jellico sein Werk ab. Zufrieden betrachtete er sein eben beendetes Bild und legte glücklich den rötlichen Pinsel zur Seite, mit dem er die letzte halbe Stunde gearbeitet hatte. Mit einer Mischung aus Freude und Überraschung strich sich der 17jährige eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte. Ja, er lächelte über das, was er eben getan hatte. Sein erstes Bild, welches er gemalt hatte! Okay, korrigierte er sich selbst, das erste Bild, was er außerhalb der Schule gemacht hatte. Das Ergebnis war mehr als zufrieden stellend, es war außergewöhnlich gut für einen Mann seines Alters. Damit hatte Edward das getan, was ihm seine Kunstlehrerin empfohlen hatte. Diese hatte ihm ein außergewöhnliches Talent für die modernen Künste bescheinigt und ihm geraten sich auch mal zuhause an diesen Dingen zu probieren. Und Edward hatte dies ohne lange zu zögern getan. Schon vor einiger Zeit war ihm aufgefallen wie viel Spaß ihm dies alles machte. Einfach diesen Pinsel zu nehmen, ein altmodisches Werkzeug, welches Künstler seit Jahrhunderten verwendeten, und seiner freien Phantasie lauf zulassen, dies war herrlich. So konnte er sich selbst ausdrücken, seine eigene Persönlichkeit entfalten. Das Schott zu ihrer Wohnung öffnete sich und seine Mutter kam nach einem weiteren langweiligen Arbeitstag endlich nach Hause. Überschwänglich begrüßten sich die beiden und Ed wartete schon auf den passenden Moment, in dem er ihr sein Bild zeigen konnte. Für ihn stand fest, dass noch viele weitere Werke folgen sollten. Sein erstes Werk behielt aber jeder Künstler in freudiger Erinnerung und so sollte es auch bei ihm sein.
„Mutter, darf ich dir etwas zeigen?“ fragte der junge Mann höflich und lächelte angesichts der freudigen Erwartung.
„Natürlich Schatz, was ist es denn?“
Gespannt nahm der Sohn seine Mutter an die Hand und führte sie in das Wohnzimmer, wo das Bild auf einem Gestell angebracht war.
„Ich habe es selbst gemalt“, erklärte Edward stolz und präsentierte sein Gemälde.
Anerkennend betrachtete seine Mutter sein Werk und schien herausfinden zu wollen, was für ein Sinn hinter dem Bild stand. Leider stand es ihr nur zu deutlich ins Gesicht geschrieben, dass sie es nicht verstand.
„Sehr schön, Edward, gratuliere“, lobte ihn schließlich die Frau im Range eins Lieutenants. „Hast du dies für die Schule gemacht?“
„Nein, nur für mich selbst. Quasi zum privaten Vergnügen, “ erklärte der Sohnemann nicht ohne stolz.
„Wunderbar“, erklärte seine Mutter noch einmal in einem neutralen Tonfall und wandte sich dann urplötzlich von dem Bild ab, blickte konzentriert zu Boden. Scheinbar dachte sie über etwas nach; versuchte sich an etwas zu erinnern. Dann fiel es ihr wieder ein.
„Edward, hast du schon deine Bewerbung abgeschickt?“
Angesichts dieser Worte beschloss sich der junge Jellico dumm zu stellen.
„Öhm, welche Bewerbung?“
„Na du weißt schon... für die Sternenflottenakademie“, entgegnete seine Mutter und schien sich über die Zerstreuung ihres Sprösslings zu wundern. „Bald ist der Annahmeschluss für die Aufnahmen des nächsten Jahres.“
Nun gab es keine Möglichkeit mehr das Unvermeidliche hinauszuzögern. Der junge Edward nahm all seinen Mut zusammen und versuchte einen Satz herauszupressen, was ihm freilich nur mit Mühe gelang:
„Ähm... Mutter... ich habe mir überlegt... ich würde lieber Kunst studieren.“
Unerwarterweise lächelte seine Mutter ihm zu und schien sich sogar über die Entscheidung des Kindes zu freuen.
„Das ist doch gar kein Problem, Ed. Auch Kunst kann man an der Akademie studieren.“
Leicht frustriert nahm Edward zur Kenntnis, dass seine Mutter doch noch nicht ganz verstanden hatte. Also unternahm er einen neuen Anlauf, um seine Wünsche auszudrücken.
„Ich wollte eigentlich damit sagen, dass ich... nicht auf der Akademie studieren will. Eher... zivil.“
„Wie meinst du das?“
„Nun Mutter, wenn ich mir es recht überlege... während ich dieses Bild gezeichnet hatte... wurde mir klar, dass ich gerne ein Künstler werden möchte, ein Maler. Die Sternenflotte ist wohl nicht so mein Fall.“
Kurioserweise setzte seine Mutter einen verständnisvollen Blick auf und nahm ihren Sohn in die Arme. Sie drückte ihn kurz und führte ihn dann zu der Couch herüber, auf die sie sich beide gegenüber setzten.
„Ich weiß ganz genau, was in deinem Kopf vorgeht“, meinte sie.
„Ach ehrlich?“
„Ja, sicher. Du befindest dich nun in einer schwierigen Lebensphase. Alles ist im Umbruch und deine Wünsche und Träume scheinen sich Tag für Tag rasend schnell zu verändern. Dies ist normal in der Pubertät...“
„Mama!“ protestierte Edward, sauer darüber, dass wieder dieses peinliche Thema angeschnitten wurde. Doch seine Mutter ließ sich nicht abhalten.
„... lass mich bitte ausreden. Ich weiß, dass es dir in diesem Moment erscheint, als wäre die Malerei dein Traum. Doch glaube mir, dies ist nur eine Phase. Wir können es uns nicht leisten, dass du möglicherweise aufgrund einer Laune eine Karriere aufgibst, die du und ich so lange vorbereitet haben. All die Jahre haben wir darauf hingearbeitet, dass du auf die Sternenflottenakademie gehen und ein Offizier werden kannst. Edward, deine Noten sind hervorragend und du bist beliebt bei Kameraden und Lehrern für deine Zuverlässigkeit und deinen Einsatz. Du darfst dich jetzt nicht von diesem Pfad abbringen lassen. Verstehst du mich?“
Ehrlich gesagt verstand Edward überhaupt nichts. Wieso nur wollte seine Mutter ihn unbedingt auf die Akademie schicken? Sah sie nicht, dass dies überhaupt nicht sein Ding war und er stattdessen etwas gänzlich anderes tun wollte? Doch statt erneut zu protestieren, sich aufzulehnen, gab er wie so oft gegenüber seiner Mutter klein bei.
„Ja, Mama.“
Immerhin hatte sie ihn sein ganzes Leben lang allein großgezogen und weder Kosten noch Mühen gescheut, um aus ihm einen guten Menschen zu machen. Wusste sie vielleicht doch besser, was er aus seinem Leben machen sollte? Vielleicht war es ja doch nicht so schlecht bei der Sternenflotte und vielleicht konnte er ja immer noch hobbymäßig weitermalen. Sicherlich blieb die Zeit dafür, zumindest hoffte Edward dies.
Während Edward Jellico diese weitere Anekdote aus seinem Leben erzählte, hatte sich langsam und fast unmerklich seine rechte Hand von seinem Schoss und in Richtung Couch bewegt. Immer noch saß seine Familie zitternd neben ihm und lauschte irritiert vor ihm. Stella Tanner bedrohte sie alle immer noch mit einer Waffe und schien es geradezu zu genießen, dass er seine Seele vor seinen Angehörigen entblößen musste. Schon jetzt schwor er sich dafür tausendfach und Abertausendfach Rache dafür zu üben. Wenn er sie erst einmal schnappte, und daran bestand für ihn überhaupt kein Zweifel, dann würde er dafür sorgen, dass nicht die Föderationsjustiz, sondern seine eigenen Leute sie in die Finger bekamen. Und was das hieß, konnte sie sich ja selber gut genug ausmalen.
„Nehmen sie bitte ihre Hand da weg, Ed“, mahnte ihn plötzlich ihre Geiselnehmerin und verwendete dabei wieder einen skurril höflichen Ton.
„Darf ich meinen Arm etwa nicht ausstrecken?“ empörte sich der alte Mann.
„Doch, das dürfen sie schon. Nur dürfen sie dabei nicht nach der Waffe greifen, die genau unter ihrer Couch liegt und mit der sie mich erledigen möchten. So schnell können sie gar nicht zielen... in der Zeit hätte sich schon längst sie, ihre Frau oder ihren Sohn getötet. Wollen sie dieses Risiko etwa eingehen?“
Eindringlich blickten sich die beiden Kontrahenten in die Augen und erwarteten eine Reaktion des jeweils anderen. Dann hob Edward seinen Arm wieder an und verschränkte seine Finger ineinander. Leider hatte Stella Recht, sie war eine junge Frau und viel reaktionsschneller als er, auf diese stumpfe Art und Weise würde er sie niemals überwältigen können. Zwar blieb immer noch die Chance, dass irgendjemand von Sektion 31 diese ganze Situation bemerkte, doch wieso sollte ihm jemand einen Besuch abstatten und nach dem rechten sehen? Immerhin galt das Haus der Jellicos als einbruchssicher, zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt.
„Interessant zu wissen, dass sie eigentlich ein Künstler werden wollten“, meinte Stella und lächelte abermals, „aber irgendwie konnte man auch eine Leidenschaft in diese Richtung vermuten. Viele ihrer Pläne und Aktionen muteten wie ein Kunstwerk an: verschlungen, geheimnisvoll und sogar genial. Ja, sie haben richtig gehört Edward, ich bewundere tatsächlich manchmal ihre genialen Einfälle. Mehr als einmal haben sie für Sektion 31 sich etwas Geniales einfallen lassen.“
„Sektion 31? Du für Sektion 31?“ fragte seine Frau irritiert und fiel fast in dieses furchtbare Kreischen zurück, „was meint sie damit, Ed? Wieso bringt sie dich in Zusammenhang mit dieser furchtbaren Organisation?“
Verschwörerisch legte Ms Tanner einen Finger auf ihre Lippen und meinte:
„Alles zu seiner Zeit, gute Frau. Wir werden uns die Geschichte ihres Mannes Stück für Stück ansehen und so werden sie seine Wege nachvollziehen können. Was meinen sie dazu, Edward?“
Für diese Frage hätte er Stella am liebsten zerstückelt, doch die Chancen für eine solche Aktion standen im Moment äußerst schlecht. Stattdessen beschloss er noch mehr Zeit herauszuholen und auf ein Wunder zu hoffen, indem er fragte:
„Was wollen sie hören?“
„Erzählen sie uns doch mal von ihrer ersten Begegnung mit Luther Sloan.“
Überrascht wölbte Edward die Augenbrauen.
„Dies liegt sehr weit zurück.“
„Sie werden sich erinnern.“
Natürlich war es nicht seine bevorzugte Entscheidung gewesen auf die Sternenflottenakademie zu gehen, doch nun, wo er schon einmal da war, musste Edward zugeben, dass dies alles sehr aufregend war. Er war gerade 18 Jahre alt und schon seit einigen Wochen auf der Akademie und war immer noch beeindruckt von dem, was er tagtäglich zu sehen bekam. Prächtige Gebäude, minütlich startende Raumschiffe und eine schier unglaubliche Zahl an Außerirdischen. So viele hatte er noch nie in seinem Leben gesehen, einfach faszinierend. Was seinen momentanen Status anging, so musste er zugeben, dass er erschöpft war. Vier Jahre Akademie lagen noch vor ihm und wie jeder Kadett, der auf das Offiziersdasein vorbereitet wurde, musste er die ersten Monate eine Grundausbildung über sich ergehen lassen. Edward war zwar schon immer ein sportlicher Typ gewesen, er war Mitglied in der Leichtathletikmannschaft seiner Schule, doch mit solchen körperlichen Qualen hatte er nicht gerechnet. Unabhängig von elterlichem Status, Rasse oder Ausbildung wurden sie alle um fünf Uhr morgens geweckt, angeschrieen und belehrt. Jeder Tag hatte mindestens 12 Stunden, wenn nicht sogar mehr, in denen man ihnen alles beibringen wollte, was wichtig erschien. Und dann gab es diese so genannten Geländetage, in denen schwerste Übungen anstanden: Klettern, krabbeln, rennen, schießen, bergen, bauen und noch Tausende Sachen mehr, die ihnen ans Mark gingen. Die Kameraden halfen sich so gut es ging, stachelten sich gegenseitig an, um sich den Ausbildern nicht die Blöße zu geben und Schwäche zu zeigen. Alle von ihnen wurden hart, aber niemals unmenschlich behandelt. Eines Tages, es war Sommer und daher unglaublich heiß, stand ein weiterer Marsch an. Edward und seine Mitkadetten sattelten ihr 15kg schweres Gepäck auf und machten sich auf die 25km lange Strecke, auf der sich ihnen verschiedenste Aufgaben entgegenstellten. Stunden vergingen und in der prallen Mittagssonne marschierte die Kolonne weiter, versuchte sich zur Akademie zurückzukämpfen. Die meisten von ihnen hatten sich ihre Wasservorräte unklug eingeteilt und daher besaßen sie kein Wasser mehr. Irgendwann, während sie sie daherliefen, hörte Edward ein Plumpsen hinter sich. Er drehte sich nach der Geräuschquelle um und stellte mit Erschaudern fest, dass einer seiner Kameraden umgefallen war.
„Halt“, rief er seinem Gruppenführer zu und die Gruppe hielt an. Schnell begab sich Edward zu dem am Boden liegenden und stellte fest, dass der blonde junge Mann schwer am Keuchen war. Natürlich war ihnen allen klar, was das Problem war: der Kadett konnte nicht mehr und ihn so am Boden zu sehen machte ihnen nur allzu sehr ihre eigene Schwäche deutlich, was erheblich auf die Moral drückte.
„Kannst du noch weiter?“ fragte Edward und blickte zu seinem Gruppenführer, der hektisch auf das Chronometer. Sie alle hatten eine exakte Zeitvorgabe, die sie nicht überschreiten durften. Sollten sie es doch tun, dann würden sie alle zusätzlichen Dienst schieben müssen.
„Nein, ich will nicht mehr“, jammerte der am Boden liegende und trank gierig etwas aus Jellicos Wasserflasche. „Es tut mir alles weh, meine Knie, mein Rücken... ich habe keinen Bock mehr... lasst mich hier.“
„Dann fliegst du aus dem Programm“, erinnerte ihn Edward.
„Mir doch egal“, keuchte der Ermüdete und fuchtelte wild hin und her, „ich will einfach nicht mehr Laufen.“
Abermals mahnte ihr Gruppenführer sie zur Eile und Edward dachte nicht lange nach, ergriff den Kadetten und legte ihn auf seine Schulter. Mit dieser immensen Gewichtsbelastung machte sich die Gruppe wieder zurück zu der Akademie und kam anderthalb Stunden später dort innerhalb der Zeitgrenze an. Und das Unglaubliche war geschehen, Edward Jellico hatte den 70kg schweren Mann tatsächlich die gesamte Zeit übergetragen. Schwer atmend schnappte sich Jellico ein Glas Wasser und trank es gierig, während ihn der blonde Kadett dankbar anblickte. Er wusste sehr wohl, dass Edward ihm gerade den Verbleib auf der Akademie gesichert hatte.
„Danke“, meinte dieser.
Wie als ob eine solche Aktion völlig selbstverständlich war, nickte Edward und fragte stattdessen nur:
„Wie heißt du?“
„Sloan. Luther Sloan, “ stellte sich der blonde Mann vor und lachte dabei sogar, „freut mich deine Bekanntschaft zu machen.“
„Die Bekanntschaft hätte aber gerne zu seinem anderen Zeitpunkt kommen können“, feixte Jellico und grinste. Wie es aussah hatte er einen neuen Freund gefunden.
Für die nächsten Wochen unternahmen die beiden jungen Männer viel zusammen und unterstützten sich in der Ausbildung. Dann, eines Tages, war Luther Sloan von einem Tag auf den anderen verschwunden. Edward fragte viele Leute, wo denn sein Kamerad abgeblieben sein könnte, doch niemand konnte ihm eine Antwort geben. Wie es wohl aussah hatte Luther doch aufgegeben, was Edward mehr als schade fand.
Endlich, endlich hatte das nervige Schluchzen seiner Familie, welches ihn fast in den Wahnsinn getrieben hatte, aufgehört. Leider konnte Edward nicht gerade von sich behaupten, dass ihm der neue Zustand besser gefiel. Mit ungläubig geöffnetem Mund betrachteten ihn seine Frau Jessica und sein Sohn Mark, was bei Stella Tanner eine weitere ihrer zahlreichen amüsierten Reaktionen hervorrief.
„Du kanntest Luther Sloan? Einen der führenden Verschwörer der Föderation?“ fragte sein Sohn und konnte es immer noch nicht so recht fassen, was er da eben gehört hatte. All dies hörte sich für ihn so unwirklich an, als entstamme dies alles einem schlechten Buch oder Film. Doch diese blutrünstige Frau, die ihnen gegenüber saß, schien ihnen allen deutlich machen zu wollen, dass es die Wahrheit war.
„Flüchtig“, versuchte sich Edward schlecht herauszureden, „ich kannte ihn flüchtig. Wie ihr wohl gehört haben dürftet hatte ich nur einige wenige Wochen mit ihm zu tun, bis er von der Akademie abgegangen ist. Seitdem hatte ich nichts mehr von ihm gehört, seit bekannt wurde, dass er ein Führer von Sektion 31 war. Eine verabscheuungswürdige Organisation, da werdet ihr mir ja alle zustimmen... bis auf sie natürlich, Ms Tanner.“
„Aber wieso hast du uns nie davon erzählt, dass du ihn kanntest?“ fragte seine Frau verwirrt.
„Na wieso wohl! Um genau diese Reaktionen von euch nicht zu provozieren. Wer weiß, was ihr jetzt alles von mir denkt.“
„Vielleicht denkt ihre Familie ja gar nicht so falsch“, suggerierte Stella und beschloss das Thema voranzutreiben. Noch war es zu früh für Jellicos Familie um die Wahrheit zu erkennen, geschweige sie zu verstehen. Es musste noch etwas Vorarbeit geleistet werden, wie sie fand. Daher erklärte Tanner:
„Nun kennt ihre Familie also eine von drei wichtigen Personen in ihrem Leben, die ihren Weg kreuzten. Wie wäre es eine weitere Figur in ihre Lebensgeschichte einzuführen?“
„Ich weiß nicht von wem sie reden“, entgegnete der alte Mann trotzig.
„Sicher wissen sie das, Ed. Erzählen sie doch ihrer Familie von ihrem besonderen Verhältnis zu einem Mann namens John...“
Noch ein letztes Mal atmete Lieutenant Senior Grade tief durch, bevor er den riesigen Hörsaal der Akademie betrat. Die intelligent designten Lampen und Lichter richteten sich sofort auf ihm, als er zum Pult schritt und einen kurzen Blick auf die blank polierte Tafel neben sich richtete. Ja, es war alles perfekt für einen guten Tag. Zufrieden blickte Edward Jellico in den Hörsaal und sah an die hundert Kadetten vor sich, die bereit waren für die nächsten Stunden seinen Worten zu lauschen. Lieutenant Jellico war in diesem Moment sehr glücklich. Zwar war die Sternenflotte nie sein Traumberuf gewesen, doch inzwischen fand er Gefallen an seinen Aufgaben. Nach dem viel zu frühen Tode seiner Mutter hatte kurzzeitig überlegt, ob er wieder aus der Flotte austreten sollte, denn immerhin war es ihr Wunsch und nicht seiner gewesen ein Offizier zu werden, doch nach reichlicher Überlegung hatte er sich dagegen entschieden. Zu sehr hatte er schon die positiven Aspekte seiner Arbeit schätzen gelernt. Zwar hatte er wissentlich den Wunsch seiner Mutter nach dem Dienst auf einem Raumschiff gebrochen, aber er hatte etwas viel schöneres gefunden: Lehrer an der Akademie zu sein. Dort war es ihm am ehesten möglich frei und kreativ tätig zu sein, indem er seinen ganz persönlichen Unterrichtsstil durchzog und seine Vorlesungen so abwechslungsreich wie nur möglich durchführte. Mit Erfolg, denn viele Kadetten schätzten ihn und baten ihn des Öfteren der Doktorvater für ihre Dissertationen zu werden. In der Tat war Lieutenant Jellico ein glücklicher Mann. Da er außerdem seinen Dienst hier auf der Erde versah schaffte er es auch weiterhin in seiner Freizeit Bilder zu malen, sich von der reichhaltigen Landschaft zu immer neuen Werken inspirieren zu lassen. Sein größter Erfolg bis dato war es, dass eines seiner planetaren Gemälde in einem der zahlreichen Flure der Akademie hing. Es erfüllte Edward mit Stolz, wenn ab und an ein Admiral auf dem Weg zu einem Büroraum vor seinem Bild stehen blieb und es interessiert musterte. Die Welt war für Edward Jellico in Ordnung.
„Guten Morgen, meine Damen und Herren. Unser heutigen Thema sind die speziellen Taktiken des Weltraumkampfes. Ich werde mit einer kurzen Einführung in die Materie beginnen, dann ihnen einen Gesamtüberblick der gängigsten Varianten liefern und die dazugehörigen geschichtlichen Fakten. Am Ende besteht Raum für Fragen. Alles klar? Dann lassen sie uns mal loslegen.“
Die ersten von Jellico selbst vorbereiteten Projektionen erschienen im Raum, an denen der Lieutenant seinen Unterricht abhielt. Immer wieder hielt er kurz inne und schrieb Merksätze an die Tafel, die sich die Kadetten, die gebannt seinem Unterricht folgten, eifrig notierten. Der Unterricht kam wie sie oft gut voran... bis einer der Kadetten plötzlich das Wort ergriff:
„Lieutenant, bei allem Respekt, aber ich denke, dass ihre Schlussfolgerung nicht stimmt“, sprach der junge Kadett in den Raum hinein.
Überrascht drehte sich Jellico in die ungefähre Richtung des Störenfriedes und war viel zu perplex um sauer über diese außerplanmäßige Störung zu sein.
„Wie meinen sie das?“
„Ganz einfach“, sprach der junge Mann mit dem kurz geschnittenen dunkelblonden Haar weiter, „sie haben die geschichtlichen Daten, die dieser Taktik zugrunde liegen, falsch interpretiert.“
Ein aufgeregtes Raunen ging durch den Hörsaal, als die anderen Kadetten über diese Respektlosigkeit diskutierten. Bisher hatte es niemand gewagt die Ausführungen Lieutenant Jellicos in Frage zu stellen.
„Ich habe sie falsch interpretiert?“ fragte Edward noch einmal mit zunehmender Verärgerung nach. Sein Unterricht verzögerte sich durch diese ganze Sache unnötig.
„Ja, “ entgegnete der Kadett und schien sich nicht von seiner Meinung abbringen zu lassen, „sie haben Khans Pläne zur Zerstörung der Enterprise aus einem falschen Blickwinkel analysiert.“
Wieder tuschelten die anderen Kameraden aufgeregt vor sich hin, was Lieutenant Jellico dazu veranlasste mit seinem Datenpadd sachte auf sein Rednerpult zu schlagen, um so wieder Ruhe einkehren zu lassen.
„Kadett, wie heißen sie?“
Nun zögerte der junge Mann doch für einen winzigen Augenblick, dann nahm er doch all seinen Mut zusammen. Er erkannte, dass er schon zu weit gegangen war als dass er einen Rückzieher machen konnte. Also erhob er sich langsam und antwortete:
„Kadett erster Klasse John Lewinski.... Sir, “ fügte er leicht verspätet hinzu.
Bedächtig nickte Edward Jellico und er merkte sich den Namen des Störenfriedes. Er hatte schon eine Idee wie er den Mann zum Schweigen bringen konnte. In Zukunft würde er sich nicht mehr trauen den Unterricht zu stören:
„Kadett Lewinski, wenn sie so sicher sind, dann freue ich mich schon ihre Dissertation zu diesem Thema zu lesen. Bitte legen sie sie morgen spätestens 8:00 Uhr ab.“
Kurz öffnete und schloss Kadett Lewinski seinen Mund, als ihm klar wurde, wie wenig Zeit er für diese schwierige Aufgabe hatte. Doch er war nicht gewillt nun kleinbei zugeben. Also nickte er bloß und setzte sich wieder. Zufrieden grinste Lieutenant Jellico und fuhr mit seinem Unterricht fort. Er bezweifelte, dass Lewinski bis morgen diese langwierige Aufgabe wahrnehmen könnte.
Wenn das doch nur seine Mutter hätte sehen können, sie wäre glücklich gewesen. Mit einer unerwarteten Portion an Stolz saß Lieutenant-Commander Edward Jellico im Kommandantensessel des neuen Schiffs der Ambassador-Klasse und betrachtete wie auf dem Hauptschirm die Sterne am Schiff vorbeizogen. Nun gut, er war nicht der Kommandant des Schiffes, aber temporärer erster Offizier dieses Neugebauten Schiffes der Föderation, welches zu den größten der Flotte zählte. Die Teneriffa war in der Tat ein wundervolles Schiff, voller Kraft und Eleganz, und Edward bereute es tatsächlich, dass er sich hier nicht dauerhaft ansiedeln konnte. Doch er musste bald wieder seine Aufgaben auf der Akademie wahrnehmen und ihn wenigen Tagen würde der reguläre erste Offizier des Schiffes an Bord kommen. Die Schotts zu dem Bereitschaftsraum des Captains öffneten sich und Captain Zakirk betrat die Brücke. Sofort machte Jellico Platz für den Tirrionen, der sich dankbar in seinen Angestammten Sessel setzte. Gespannt stellte sich der Frischbeförderte Lieutenant-Commander neben Zakirk und beobachtete wie die Teneriffa unter Warp ging und in den Orbit eines Planeten einschwenkte. Ja, für solche Missionen, die der Forschung, war dieses Schiff gebaut worden und sie wollten seinem Ruf gerecht werden. Vor ihnen lag ein neuentdeckter Planet der Klasse M oder zumindest würde es bald ein Planet dieser Klasse sein. Gegenwärtig befand sich P-723 noch in einer Phase des Entstehens. Es gab reichlich Gesteinslandschaften, einige wenige Flüsse und ab und zu Vulkanausbrüche. Ein aufregendes Ziel für jeden Forscher.
„Wie sieht es bei den Landekoordinaten aus?“ fragte Captain Zakirk und erhielt die Antwort, die er erhofft hatte:
„Alles sauber da unten. Wir erwarten keine nennenswerten Probleme. Die Epizentren und Vulkane sind weit genug entfernt um uns keine Probleme zu bereiten.“
Mit einem freudigen Lächeln drehte Zakirk seinen Sessel in Richtung Jellicos und fragte:
„Commander Jellico, möchten sie der erste Mensch sein, der Fuß auf diesen Planeten setzt? Zusammen mit einem Außenteam natürlich. Ich würde ja selbst gerne gehen, aber als Captain muss ich auf meine Sicherheit bedacht sein... zumindest sagt dies die Vorschrift. Blöde Sache, wie ich ja finde.“
Stolz schwellte Edward seine Brust und lächelte angesichts dieser Ehre.
„Sehr gerne, Sir!“ antwortete er enthusiastisch.
„Wunderbar. Gehen sie zum Transporterraum, dort wird sich das von mir zusammengestellte Außenteam treffen.“
Ein neuer Planet, gerade im Frühling seines Lebens, Menschen die zum ersten Mal einen Fuß darauf setzten... wie aufregend das doch alles war. Commander Jellico musste sich hüten um nicht zum Transporterraum zu rennen, was zweifelsohne einen seltsamen Eindruck machen würde. Dort angekommen schlug Edwards Begeisterung jedoch schnell in Ärger um.
„Was machen sie denn hier?“ fragte er entgeistert und musterte verärgert den jungen Mann vor sich.
„Ich gehöre zum Außenteam, Sir“, antwortete Fähnrich Lewinski ihm und machte ebenfalls keinen Hehl draus, dass er lieber einem anderen Außenteam angehören wollte. Jellico seufzte und versuchte einfach diese kleine Unannehmlichkeit auf dieser Reise zu vergessen. Der Captain hatte das Außenteam zusammengestellt und er mochte den jungen John Lewinski, der vor kurzem die Akademie abgeschlossen hatte. Das 4-Mann Team stellte sich auf die Transporterplattform und ließ sich auf den Planeten transportieren. Sofort fiel ihnen allen auf wie düster die ganze Szenerie doch war. Sogleich teilte Jellico die Gruppe ein und, als ob er sich selbst überwinden wollte, wählte er Fähnrich Lewinski aus ihn zu begleiten. Die beiden Gruppen gingen in verschiedene Richtungen, scannten die gesamte Umgebung eifrig mit ihren Tricordern und bewunderten die felsige Landschaft. Eifrig gingen die beiden Männer umher und versuchten auf geradezu lächerliche Art und Weise sich nicht gegenseitig zu beachten. Dies fiel Commander Jellico irgendwann auf und er beschloss mit der Sprache rauszurücken:
„Ich habe sie gehasst, Lewinski“, gab er unumwunden zu.
Der angesprochene Fähnrich blickte nicht einmal von seinem Tricorder auf, als er entgegnete:
„Ich weiß.“
„Ach ja?“
Nun blickte John Lewinski doch auf und blickte seinen Vorgesetzten mit einer gewissen Erheiterung an.
„Ja. Sie konnten es einfach nicht wahrhaben, dass ich ihre Ansichten über Khans Taktiken widerlegt habe. Meine Facharbeit sprach für sich selbst.“
„Sie war... akzeptabel“, meinte Jellico und führte einige wenige geologische Untersuchungen an.
„Nein, sie war mehr als das, “ fuhr Fähnrich Lewinski fort und ging nun ganz nahe an den Lieutenant-Commander heran, „es war das erste Mal, dass jemand ihren Unfehlbarkeitsnimbus widerlegt hat. Natürlich war ich stolz auf mich und meine Leistung, wer wäre dies nicht gewesen, aber es war nicht meine Schuld, dass sie daraus eine Privatfehde gemacht haben.“
„Meine Schuld? Sie waren es doch, der mich in jeder Vorlesung unterbrochen und mit Fragen genervt hat.“
„Die alle interessenhalber gestellt wurden, ich hatte Spaß an einer guten Diskussionen, die durchaus hätte konstruktiv sein können“, verteidigte sich Fähnrich Lewinski, „doch sie werteten das ganze als Angriff auf sich selbst.“
„Was es auch war!“
„Nein“, schrie Lewinski ärgerlich zurück. „Sie haben ein Problem mit mir, Commander? Fein, man kann nicht jeden Menschen mögen und ehrlich gesagt bin ich froh, wenn sie bald abgelöst werden und die Teneriffa verlassen. Ihren Zorn gegen mich kann ich nicht mehr ertragen. Jedoch kann ich nicht mehr tun als ihnen immer und immer wieder zu versichern, dass es nie etwas Persönliches war.“
Gerade wollte der Frischbeförderte erste Offizier etwas zu dieser Sache sagen, da zirpte sein Kommunikator:
„Teneriffa an...enteam... rein...“
„Teneriffa, hier Außenteam, bitte wiederholen, wir haben sie nicht verstanden!“
Verwirrt blickten sich der Commander und der junge Fähnrich gegenseitig an, dann brach schon die Hülle über ihnen los. Mitten aus dem Nichts erklomm nur wenige hundert Meter vor ihnen ein Vulkan die Erde, bereitete sich immer weiter aus und wuchs an. Entsetzt schauten die beiden Offiziere diesem Naturschauspiel zu, als der Vulkan Feuer spuckte und mehrere Felsbrocken sich aus seinem Schlund lösten. Die Brocken segelten wild durch die Luft und donnerten einem Asteroideneinschlag gleich auf der Landschaft ein.
„Jellico an Kensington, wir müssen uns zum Schiff hochbeamen...“ brüllte der erste Offizier in sein Kommunikator, dann jedoch wurde er von Lewinski umgerissen und zur Seite geschubst. Noch bevor Edward den jungen Offizier anschreien konnte krachte es neben ihnen, als ein Shuttlegroßer Felsbrocken an der Stelle einschlug, auf der Jellico eben noch gestanden hatte. Verwirrt und dankbar blickte er Fähnrich Lewinski an, der ihm so eben das Leben gerettet hatte. Unmittelbar im Anschluss wurden sie endlich an Bord gebeamt.
„Lewinski? Der Name sagt mir nichts, “ meinte Mark Jellico trocken.
„Kann es auch gar nicht. Der Mann existiert eigentlich offiziell gar nicht, “ erklärte ihm Stella auf eine seltsame Art und Weise fürsorglich. „Er gehört zum Geheimdienst der Sternenflotte.“
„Und was hat er mit dir zu tun, Ed? War er dir unterstellt?“ fragte seine Frau unwissend.
„Ja, quasi.“
„Oh, sie schmeicheln sich aber selbst, Edward“, lächelte Stella abermals, „sie kennen ihn besser als sie vielleicht zugeben möchten. Man könnte in der Tat sagen, dass sie eine gemeinsame Geschichte haben.“
„Und hier endet die Sache“, entgegnete Edward plötzlich mit einer Bestimmtheit, die ihn selbst überraschte. Der Einspruch kam in der Tat so unerwartet, dass Stella ihn für einen Moment ungläubig anstarrte. Mehrfach blinzelte sie ihn an, ein überdeutliches Zeichen für ihre Konzeptlosigkeit, die auf seinen Einspruch folgte. Dann jedoch geschah das Unerwartete:
„Edward, ich möchte, dass du mit deiner Erzählung fortfährst.“
Waren die Worte von Mr. Jellico schon unerwartet, so kam die Aufforderung seiner Frau nun einem Schock gleich.
„Wie bitte?“
„Ich will die Wahrheit“, forderte Jessica abermals und ein dünnes Lächeln zeichnete sich auf Stella Tanners Gesicht ab. Sie hatte die ganze Familie in der Tasche. So gedrängt von seinen liebsten blieb Edward nichts anderes übrig als Weiterzusprechen. Die Wahrheit, die er so viele Jahrzehnte geheim gehalten hatte, ließ sich anscheinend nicht mehr verbergen.
Dies würde wahrscheinlich der wichtigste Tag seines Lebens werden! Unglücklicherweise bedeutete dies jedoch nicht zwangsläufig, dass dieser Tag auch erfolgreich enden würde. Ganz im Gegenteil, die ganze Angelegenheit konnte genauso gut in einer Katastrophe enden. Als Edward Jellico in den Spiegel sah, sah er jedoch nichts anderes als einen selbstbewussten Mann, der bereit war, den Sieg zu erringen. Noch einmal ließ er kaltes Wasser durch seine Hände rinnen und warf sich etwas davon ins Gesicht, genoss seine Frische und Klarheit. Dies hier war die Lexington, sein privates Reich, seine Domäne. In wenigen Minuten würde sich Captain Jellico aufmachen, um einen Konflikt zu beenden, der Tausenden von Lebewesen das Leben gekostet und unzählige Güter zerstört hatte. Konnte es eine verantwortungsvollere Aufgabe als diese geben? Jellico fand nicht.
Der Chronometer erinnerte ihn daran, dass es an der Zeit war. Der Kommandant des stolzen Föderationsraumschiffes verließ sein Quartier und machte sich per Turbolift auf den Weg zum Konferenzzimmer, wo seine Verhandlungspartner warteten. Oder sollte er sie lieber Feinde nehmen? Immerhin waren sie genau das, aggressive Invasoren, die unzählige Föderationsbürger getötet haben. Schon im nächsten Moment schüttelte Edward diese überflüssigen Gedanken ab. So konnte er auf keinen Fall an die Sache herangehen, mahnte er sich selbst. Auch nach all diesem Schmerz mussten seine Gegenüber auf gleicher Höhe mit ihm sein, ansonsten würden diese Verhandlungen scheitern und dies konnte sich die Föderation, ja der gesamte Alpha-Quadrant, nicht leisten. Die Türen des Konferenzraumes öffneten sich und sofort erblickte Captain Jellico den Feind, der schon an dem großen Tisch Platz genommen hatte. Der stämmige Cardassianer hatte zwei Berater mitgebracht, während Edward selbst sich nur auf seinen taktischen Lieutenant beschränkte. Es kostete ihn große Mühe, aber der Captain schaffte es auf den Cardassianer zuzugehen und ihn zu begrüßen.
„Ich bin Captain Edward Jellico und im Namen der gesamten Vereinigten Föderation der Planeten darf ich sie auf dem Sternenflottenschiff USS Lexington willkommen heißen“, sagte er.
Die drei Cardassianer erhoben sich höflich, verzichteten jedoch darauf dem Captain die Hand zu reichen, da dies eine typisch menschliche Eigenschaft war, die die Kriegerrasse nicht teilte.
„Es freut mich sie kennen zu lernen, Captain. Ich bin Gul Dukat und dies sind meine beiden ersten Offiziere, Glin Orlok und Glin Tan. Wir werden in dieser Verhandlungsrunde die Cardassianische Union repräsentieren.“
„Ich darf sie bitten Platz zu nehmen“, bedeutete ihnen Jellico und beide Parteien setzten sich auf ihre Plätze, von wo sie sich aus beobachten konnten. Die Karten lagen nun offen auf dem Tisch und es lag an ihnen, das bestmögliche Ergebnis hinauszuschlagen. Ein letztes Mal schnaufte Edward tief durch, eindringlich betend, dass seine Strategie aufgehen würde. Intensiv hatte er die cardassianische Psyche studiert, in der Hoffnung so einen Anhaltspunkt zu finden, wie er am besten seine Forderungen durchbringen und einen Erfolg erzielen konnte. Schlussendlich war er zu der Meinung angelangt, dass nur ein konsequentes und selbstsicheres Verhalten einen Erfolg sichern konnte. Daher beschloss er gleich zum Punkt zu kommen.
„Dieser Konflikt zwischen unseren beiden Regierungen schwelt nun zu lange,“ begann Captain Jellico und faltete die Hände vor sich, „seit zwei Jahren bekämpfen sich unsere beiden Spezies in einem erbitterten Stellungs- und Grenzkrieg, ohne dass eine der beiden Seiten nennenswerten Boden gut machen könnte. Die Verluste gehen auf beiden Seiten in die Hunderttausende, Zivilisten miteingerechnet.“
Schon im nächsten Moment bedauerte Edward diesen Satz, als sich Gul Dukats Nasenflügel aufplusterten.
„Die Cardassianische Union hat niemals mit Absicht Zivilisten der Föderation angegriffen. Viel eher war es doch so, dass die Sternenflotte diese als Schutzschilde benutzt hat, in der Hoffnung, dass wir dadurch ihre Stützpunkte nicht angreifen würden, “ bellte Dukat beleidigt.
„Natürlich nicht“, bestätigte Jellico und ließ sich nicht provozieren. Natürlich traf dies zu, man musste sich da nur die schmerzlichen Erinnerungen der Schlacht um Setlik Prime ins Gedächtnis zu rufen, doch hier ging es nicht um gegenseitige Schuldzuweisungen. Dies konnte auch später geschehen, hier ging es einzig allein darum, einen Waffenstillstand zu erringen. „Gul Dukat, ich möchte ganz offen mit ihnen sein: unsere Geheimdienstquellen wissen, dass dieser Krieg ihrer Regierung so gut wie keine Vorteile, jedoch nur Nachteile bringt. So ist uns zum Beispiel bekannt, dass ihre Bevölkerung inzwischen unruhig wird, da immer noch nicht der Sieg errungen worden ist. Auch neigen sich ihre vorläufigen Reserven dem Ende zu. Man sollte sich also tatsächlich die Frage stellen, ob dieser Krieg für sie überhaupt noch sinnvoll ist.“
Eindringlich musterten die drei Cardassianer ihn, offensichtlich überrascht darüber, dass er so schnell und so direkt zur Sache gekommen war. Scheinbar hatten sie mehr Geschwätzigkeit und Winkelzüge von einem Menschen erwartet und Unglaublicherweise schienen sie sogar diese Erfahrung zu begrüßen.
„Ich denke, dass wir generell mit ihnen übereinstimmen: ein Waffenstillstand wäre äußerst sinnvoll... aber von einem Frieden möchte ich nicht sprechen, “ warnte ihn Gul Dukat.
„Dies wäre ein Anfang“, entgegnete Captain Jellico und war hochzufrieden. „Dann schlage ich vor, dass wir uns Gedanken über ihre Forderungen bezüglich eines Waffenstillstandes machen.“
Endlich herrschte für einen kurzen Moment Abwechslung. Nicht das Gefühl der Angst, sondern Stolz und Bewunderung war bei der Familie Jellico zu spüren, als man diesem Tatsachenbericht lauschte. Sogar ein Lächeln zauberte sich auf das Gesicht Jessica Jellicos, als sie sich an den größten Triumph ihres Mannes erinnerte. Es war nicht zuletzt ein Verdienst Edward Jellicos gewesen, das es nach fast zwei Jahren Krieg zu einem Frieden zwischen der Föderation und Cardassia gekommen war. Sein hartes und gleichzeitig faires Auftreten hatte für den nötigen Respekt gesorgt, den die Cardassianer vorher nicht vor der Föderation gehabt hatten und doch war Edward damals zu beachtlichen Konzessionen bereit gewesen.
„Ein großer Tag war das damals für sie gewesen“, fasste Stella Tanner in einem Satz die Bedeutsamkeit dieses Ereignisses zusammen.
„Ja, das war es in der Tat gewesen“, seufzte Edward und blickte sehnsüchtig gen Decke, „gleichzeitig war dies auch der Wendepunkt in meinem Leben. Von da an ging es nur noch abwärts.“
Verwirrt musterten ihn seine Frau und sein Sohn, überrascht über das, was sie eben vernommen hatten.
„Wie meinst du dies?“ fragte Mark und runzelte die Stirn. Das einzige Kind der Familie Jellico schien die gegenwärtige Krise weitaus besser als seine Mutter wegzustecken. Zumindest machte er äußerlich diesen Eindruck. Was in dem Jungen innen vorging, darüber konnte Edward nur spekulieren. Doch er hatte ihn stark erzogen und er war nicht zu unrecht stolz auf seinen Sohn, der Captain eines Parises Squares Team war.
„Ja, wie meinen sie das, Ed?“ fragte Stella noch einmal süffisant nach, obwohl sie die Antwort natürlich längst kannte. Mit jeder Sekunde, die hier verstrich, hasste Edward Jellico diese Frau unermesslich. Genüsslich träumte er davon, wie seine Finger ihre schlanke Kehle umfassen und zudrücken würden, so die gesamte Luft aus ihrem Körper quetschten. Doch diese Option stand derzeit nicht zur Verfügung und wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann standen seine Überlebenschancen derzeit mehr als schlecht. Gut möglich, dass es sich hier um die letzten Stunden seines Lebens handelte. Erst wurde er vor seiner Familie gedemütigt, als Lügner hingestellt und dann erschossen. So musste wohl der Plan von Stella aussehen. Verlogene Schlange. Ahnte sie nicht, dass sein Tod gerächt werden würde? In der neuen Sektion 31, die sich Edward gerade aufbaute, würden mehr als genug Leute bereit sein für ihn in den Tod zu gehen, ihn zu rächen. War dies dieser fast schon zynisch attraktiven Frau etwa egal? Oder lachte sie nur über seine Gefolgsleute, über diese neue Sektion, die ihr Eindringen in dieses Haus nicht hatte verhindern können?
„Nach diesen Friedensverhandlungen verließ mich das Glück“, erklärte Edward seiner Familie. „Ihr habt dies alles nicht allzu deutlich mitbekommen, denn vieles, was nach diesem Punkt folgte, habe ich vor euch verheimlicht. Mein Werdegang ab diesem Zeitpunkt... er ist nicht so wie ihr vielleicht meint. Natürlich war ich die ersten Wochen und Monate der gefeierte Held, der Mann, dessen Admiralsstern als sicher galt und der den Menschen Frieden brachte. Welch Ironie: erst brachte ich den Frieden, dann den Tod. Mit meiner zeitweiligen Versetzung auf die Enterprise-D begann der Abstieg. Ich war aufgrund meiner Erfahrungen während der Verhandlungen damals geholt worden, um einen neuerlichen Krieg gegen die Cardassianer zu verhindern, stattdessen hätte ich fast einen ausgelöst. Dieses Mal hatte ich mich verschätzt, mein hartes Auftreten falsch kalkuliert. Ich ging als Verlierer wieder von der Enterprise,
als Captain Picard zurückkehrte.“
Verständnisvoll nickte seine Frau und streichelte ihm gar zärtlich über den Rücken. Über all dies wusste sie doch Bescheid, wieso gab es dann also Grund davon zu sprechen.
„Ich weiß doch davon, Schatz. Es war eine harte Zeit für dich gewesen und es hat tatsächlich einige Zeit gebraucht, bis du dich davon erholt hattest, aber schließlich hast du irgendwann wieder die Kurve gekriegt, wie man heutzutage sagst.“
„Nein, es lief nicht ganz so, wie du es vielleicht gesehen hast“, erwiderte Edward resignierend und bereitete sich darauf vor, seiner Familie von Sektion 31 zu erzählen. All die Jahre war sein Doppelleben ein gut gehütetes Geheimnis gewesen, nun würde es also ans Tageslicht kommen. Alles was einen Anfang hatte, hat auch ein Ende...
„Nun kommt also eine Person ins Spiel, die der Chef unserer Kidnapperin hier gewesen ist“, meinte Jellico und deutete auf Tanner, die ihn nur stumm musterte. „Sein Name war Luther Sloan...“
Der Wind war in diesen kalten Herbsttagen fast schon schneidend, ungemütlich und ein untrügliches Zeichen dafür, dass man eigentlich besser in seinem warmen Heim sitzen sollte. Doch Edward wollte in diesem Moment, wie so oft in letzter Zeit, lieber allein sein. Verloren schlenderte er durch den Park der Sternenflottenakademie. Laub wehte umher, streifte ihn ab und an und erinnerte ihn so daran, dass er noch am Leben war... auch wenn er sich nicht danach fühlte. Sein ganzes Leben war ruiniert. All die mühsamen Jahre des Studierens, des Arbeitens und des Dienens waren umsonst gewesen. Müde blickte er sich auf dem menschenleeren Park um, in der Hoffnung jemand zu erblicken, der ihm Trost spenden konnte. Ja, zum ersten Mal in seinem Leben brauchte er eine andere Person und zu seinem Unglück war niemand da. Niemand, der ihn in den Arm nehmen konnte, niemand der ihn tröstete oder ihm Mut zusprach. Natürlich, seine Frau wartete zu Hause auf ihn, doch seine geliebte Jessica wollte er nicht damit belasten. Diese ganze Sichtweise war ein Paradoxon, in der Tat, aber Edward empfand so. Und es war in diesem bitteren Moment, als Captain Edward Jellico zum ersten Mal in seinem Leben weinte. Es war kein Heulkrampf oder ein Flennen, stattdessen rann nur eine einzelne, kümmerliche Träne über seine Wange. Doch ihre Symbolwirkung war so heftig. Als dieser winzig kleine Salzwassertropfen gen Boden schlug, kam es Edward so vor als würde ein Donnerschlag erklingen. Ein einziges Mal in seiner Karriere hatte er unbedarft gehandelt, sich auf seine Taktik versteift und nicht auf die mahnenden Worte seines temporären ersten Offiziers Commander Riker sowie von Counselor Troi gehört. Als Held des Friedens war er an Bord der Enterprise-D gekommen, als Relikt einer alten Zeit war er wieder von Bord gekommen. Er hasste niemanden für diese Ereignisse, nur sich selbst. In den nächsten Wochen hatte Captain Jellico am eigenen Leibe gespürt, wie seine vormals so hohe Reputation geschwunden war. Freunde meldeten sich weniger bei ihm, heikle Aufträge gingen an ihm vorbei und ein neues Kommando, dem er schon so lange entgegengesehnt hatte, zeichnete sich auch nicht gerade ab. Seine Karriere war zerstört und der Traum, den er und seine verstorbene Mutter gehegt hatten, ein Schiff zu kommandieren und dazu noch Admiral zu werden, schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
„Ein kalter Herbsttag“, meinte eine Stimme plötzlich von hinten und Edward wirbelte herum, überrascht darüber, dass doch noch eine Person im Park anwesend war. Er musterte den Mann, der ungefähr Ende dreißig sein musste und in einen ebenso dicken Mantel wie er selbst gehüllt war, den er bis zum Kragen geschlossen hatte. Die Hände hatte der Fremde, der scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war, in die Taschen gegraben, so als wollte er so seine friedlichen Absichten demonstrieren.
„Captain Jellico?“ fragte der Besucher noch einmal freundlich nach und Edward nickte nach kurzem Zögern. Auf den ersten Blick konnte er nicht erkennen, welchen Rang sein Gegenüber bekleidete oder ob er vielleicht ein ziviler Mitarbeiter der Sternenflotte war. Für einige Minuten schwieg der Fremde wieder und hielt buchstäblich seine Nase in den Wind. Jellico schickte sich an den Weg zurück ins Büro zu gehen, als der Fremde ihn anhielt und seine Hand entgegenstreckte.
„Dass sie mich nicht wieder erkennen, Edward“, meinte der Fremde und lächelte.
Verwirrt musterte der Captain noch einmal das Gesicht seines Gegenübers, ohne jedoch schlauer zu werden und so stellte er sich vor:
„Ich bin Luther Sloan.“
Und mit einem Mal hatte Jellico all seinen Ärger vergessen. Für einen kurzen Moment kehrte die Freude in sein Leben zurück, als ein längst verschollener Kadettenfreund wieder auftauchte.
„Luther!“ rief der Captain erfreut aus, „Was machst du denn hier?“
„Nun ja, ich hatte gedacht, nach all dem was in letzter Zeit geschehen ist könntest du mal wieder die Nähe eines alten Freundes gebrauchen.“
„Du bist mir auch einer! Nach so vielen Jahren, in denen ich dich nicht gesehen habe, tauchst du einfach aus dem Nichts wieder auf und möchtest mir beistehen? Ungewöhnlich, doch mich freut es allemal! Lass uns ein Stück spazieren gehen.“
Die beiden Freunde aus alten Tagen machten sich auf den Weg und schlenderten durch die Parkanlage der Akademie, frischten alte Erinnerungen auf und lachten ab und zu über Anekdoten. Für einen kurzen Moment gelang es Captain Jellico gar den Ärger, der ihn seit Wochen verfolgte, zu vergessen. Dann brachte Luther Sloan diesen Punkt wieder zur Sprache:
„Du hattest in letzter Zeit auch nicht mehr so viel Glück, oder?“ fragte er feinfühlig.
„Nein, das kann man nicht gerade behaupten.“
„Ich bin nie ein Freund großer Worte oder Umschweife gewesen, Ed, und das weißt du. Sieh es mir also nach, wenn ich sogleich zum Punkt komme. Es gäbe da einige Möglichkeiten wie du deinen Stern wieder steigen lassen könntest.“
Jellico hielt an und blickte seinen Freund aus alten Tagen überrascht an. Kritisch wölbte er eine Augenbraue und fragte:
„Wie meinst du das?“
„Ich habe niemals das Sternenflottenprogramm damals aufgegeben. Sicher, ich war von einem tag auf den anderen verschwunden gewesen, doch tatsächlich könnte man sagen, dass ich befördert worden bin.“
„Befördert?“
„Ja, ich arbeite für eine Föderationsorganisation, die sich solcher Probleme annimmt, die ihren Bürgern helfen und ein besseres Leben ermöglichen möchte.“
„Ein ehrenwertes Ziel“, wie Captain Jellico fand.
„Das könnte man so sagen. Ich bin nicht gerade ohne Einfluss innerhalb dieser karitativen Organisation und ich möchte dir, einem alten Freund, helfen.“
„Das könntest du tun?“
„Aber sicher“, bestätigte ihn Luther und nickte. „Du musst nur sagen, dass du meine Hilfe annehmen möchtest und dann hat sich das ganze.“
Edward überlegte. Was hatte es nur mit diesem Angebot auf sich? Und wie sollte man ihm aus seiner gegenwärtigen Krise heraushelfen können? Lange überlegte der Mann, der so vieles erreicht hatte und antwortete schließlich:
„Ich fürchte, ich werde dein Angebot ablehnen müssen.“
„Das höre ich ja gar nicht gerne“, entgegnete Sloan betroffen. „Darf ich den Grund erfahren?“
„Der Grund ist nur schwer zu erklären, Luther. Ich bin ein Mann, der in seinem ganzen Leben alles durch Handarbeit, durch seine eigene Leistung erreicht hat. Nun sich auf andere verlassen zu sollen oder zu wollen... das behagt mir nicht.“
„Ich verstehe“, meinte Sloan und sein Gesichtsausdruck brachte dies auch zu Tage. Im Laufe ihres weiteren Gespräches kam er nicht mehr auf dieses Angebot zurück.
Ein paar Tage später befand sich Captain Jellico abermals im selben Park und wie es für den Herbst üblich war, war die Temperatur noch mehr gesunken, der Wind peitschte ihm noch unerbittlicher um die Ohren. Jedoch, am heutige Tage, bemerkte er von diesen Natureigenschaften nicht sehr viel. Denn Edward Jellico kochte innerlich. Heißer, brodelnder Zorn war in ihm, in jedem Moment bereit überzuschwappen und sich auf die nächstbeste Person zu entladen. Solche Gefühle kannte Edward gar nicht bei sich oder zumindest hatte er seit Kriegsende schon nicht mehr so empfunden, denn immerhin waren dies damals andere Zeiten gewesen. Endlich, nach fast zehnminütiger Verspätung, kam die Person, auf die er gewartet hatte und die der Grund für seinen Zorn war.
„Luther, was soll dieser Mist?“ fauchte Jellico dem Besucher entgegen, wobei ihm alte Höflichkeitsfloskeln völlig fremd waren. Dieser Mann, von dem er früher gedacht hatte, es sei sein Freund gewesen, hatte ihn tief enttäuscht. Doch der Angesprochene schien bei der ganzen Sache sich keiner Schuld bewusst zu sein, denn er lächelte süffisant und begrüßte ihn mit einem lockeren:
„Hi Edward, wie geht es dir? Hoffe es ist alles in Ordnung bei dir zu Hause.“
„In Ordnung?“ fluchte Jellico und musste sich beherrschen seinem Gegenüber nicht die Faust ins Gesicht zu rammen. „Du fragst ob alles in Ordnung ist, du verlogenes Schwein? Allein dafür sollte ich dich der Polizei ausliefern.“
„Nanu, woher der Gram, alter Freund? Ich muss in der Tat gestehen, dass ich durch deine Worte tief verletzt bin.“
Luther Sloan schien tatsächlich den Nichtsahnenenden zu spielen, was bei Edward nur noch mehr Zorn hervorrief. Wie konnte man sich nur so in einer Person täuschen? Wütend holte der Captain ein Foto aus einer Seitentasche und hielt es dem vermeintlichen Freund unter die Nase. Es zeigte Mark Jellico, den kleinen Jungen von Edward und eine andere Person, die dem Sohn seinen Arm umgelegt hatte. Beide Personen lächelten in die Kamera, es schien ein friedliches, freundliches Bild zu sein. Nur war es das nicht.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Edward.
„Ach diese kleine Sache! Wieso sagst du nicht gleich worum es geht? Dies hier ist Commander Ali Waseri, ein Freund von uns. Wir dachten es wäre eine nette Geste von uns gewesen, wenn wir deinen Sohn Mark aus der Schule abholen und einen Tag mit ihm verbringen würden.“
„Uns? Wir?“ fragte Edward misstrauisch. „Sprichst du etwa von dieser Organisation?“
„Sektion 31.“
„Wie auch immer...“
„Ich möchte dir an dieser Stelle noch einmal raten mein Angebot anzunehmen. Wieso zierst du dich so? Jede Menge Vorteile würden auf dich warten und ich muss wohl nicht erwähnen, dass wir uns ansonsten noch öfters in der Lage sähen deinen Sohn... sagen wir mal auf Ausflüge mitzunehmen, die mehrere Wochen dauern könnten. Oder Monate; wenn du verstehst was ich meine.“
Mit seinem Blick schien der Captain Luther Sloan durchbohren zu wollen, doch dieser hielt seinem Ausdruck in den Augen scheinbar mühelos stand. In seinem Kopf ging er die Alternativen durch, Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten seinen Sohn zu schützen, doch ihm fiel derzeit keine ein. Vielleicht war es tatsächlich angebracht sich mit dieser Sektion 31 einzulassen, nur temporär natürlich, um dann einen geeigneteren Weg zu finden. Ja, so würde er es machen. Er würde ihr Spiel mitspielen und dann versuchen es von innen heraus zu manipulieren. Hoffentlich gelang ihm dies auch, denn eine andere Möglichkeit fiel ihm weiß Gott nicht ein.
„Okay, ich verstehe“, entschied sich Edward schließlich und Sloan nickte zufrieden.
„Ich erinnere mich an diesen Ausflug“, sagte Mark Jellico und schien nun endlich zu verstehen, was vor mehr als zehn Jahren wirklich geschehen war. „Ali Waseri war doch tatsächlich ein Arbeitskollege von dir gewesen und so habe ich mir all die Jahre nichts bei diesem Vorfall gedacht. Wenn ich nur geahnt hätte...“
„Ja, wenn sie alle doch nur geahnt hätten“, kommentierte Tanner diese Aussage.
„Seit diesem Augenblick warst du Mitglied bei dieser Organisation?“ fragte Jessica irritiert. Auch für sie war es absolut unerwartet all diese Sachen zu hören. All die Jahre hatte sie nie etwas von diesem Doppelleben ihres Mannes geahnt oder vermutet. War sie tatsächlich betrogen worden?“
„Ja, seitdem war ich ein Mitglied von Sektion 31, “ erzählte das ehemalige Sternenflottenmitglied, „und all die Jahre habe ich wirklich versucht gegen sie zu arbeiten. Doch im Laufe der Zeit wurde dies immer schwieriger.“
„Wieso?“ fragte Mark.
„Recht schnell nach meinem Eintritt in die Gruppe begann mein Aufstieg, von dem ich nicht mehr geglaubt hatte, dass ich ihn noch erleben würde. All die Schande, all die Gerüchte, die nach dem Enterprise-Debakel geherrscht hatten, schienen sich nach und nach in Luft aufzulösen. Ich begann wieder von den anderen als geachteter und respektierter Offizier angesehen zu werden. Schon kurz darauf wurde ich zum Admiral befördert. Ein Ziel, von dem ich gedacht hatte, ich würde es niemals erreichen können. Auf einmal war ich sogar dem großen Jean-Luc Picard einen Schritt voraus. Mehrere Jahre lang hörte ich nichts mehr von Sektion 31. Ich versuchte Informationen über diese Gruppe zu sammeln, sie tatsächlich zu bekämpfen, doch meine Suche blieb erfolglos. Und nach einigen Jahren gewöhnte ich mich an meinen steilen Aufstieg, ja nahm ihn sogar für selbstverständlich und ich begann meine Intention zur Bekämpfung dieser Organisation zu vernachlässigen. Ich denke, dies gehörte ebenso zum Plan von Sektion 31, mir erst einmal die angenehmen Seiten dieses Engagements zu zeigen, bevor man mit den hässlichen Dingen auf mich zuging. Nach drei Jahren war es nämlich soweit...“
„Was?“ fragte seine Frau.
„Sein erster Mord“, erklärte Stella Tanner und bedeutete ihrer Geisel mit seiner Erzählung fortzufahren.
Arbeit, nichts als Arbeit! Und doch war es angenehme Arbeit, eine, die einem nicht zu Kopf steigt und so zur Last wird. Edward ging in seiner Arbeit mehr und mehr auf. Sicher, oft vermisste er es nicht mehr an Bord eines Raumschiffes zu sein und von dem Kommandosessel aus eine Crew zu kommandieren, doch seine neue Position schuf ihm neue Herausforderungen. Seitdem er vor zwei Jahren zum Admiral befördert worden war ging es wieder mit seinem Leben aufwärts. Vergessen war all der Ärger und die Wut um den vor einiger Zeit erfolgten Rückschlag. Nun war Edward Jellico wieder wer und dieses Gefühl gefiel ihm. Er kommandierte Dutzende von Raumschiffen, Tausende von Matrosen und erforschte hunderte von Planeten parallel. Ja, er war sogar mächtiger als der legendäre Captain Picard und dieser Gedanke gefiel ihm mehr als er sogar zuzugeben bereit war. Der bürointerne Kommunikator piepte und seine Ordonanz erklang vom anderen Ende der Leitung:
„Sir, hier ist eine Person, die sie sprechen möchte. Sie hat keinen Termin, verlangt aber zu ihnen hineingelassen zu werden.“
„Lieutenant, ich hatte doch darum gebeten nicht gestört zu werden“, entgegnete der Admiral leicht entnervt. So kurz vor Dienstschluss hatte er nicht gerade das Verlangen noch einen Gast zu empfangen.
„Es tut mir leid, Sir, aber es sei angeblich sehr dringend.“
„Wie heißt diese Person denn?“
„Luther Sloan, Sir. Er sagt, sie beide würden sich kennen.“
Ein bedrohliches Grollen schien in seinem Kopf anzuschwellen, just in dem Moment, als er den Namen gehört hatte. Sloan. Seit seiner Beförderung vor rund drei Jahren hatte er nichts mehr von dieser Person gehört, ein Umstand der ihm nicht gerade Bauchschmerzen bereitet hatte, ganz im Gegenteil. Im Laufe der Zeit hatte er sogar die Erinnerung an diese Person und die mysteriöse Organisation um ihn herum aus seinem Gedächtnis verdrängt, wie ein altes Buch, welches man auf den Speicher packte, nachdem man es durchgelesen hatte. Doch seine Vergangenheit schien ihn tatsächlich einzuholen, denn Luther Sloan war hier und er wollte ihn sehen. Worum mochte es dabei nur gehen?
Zischend öffnete sich die Zugangstür in Jellicos Büro und Luther Sloan trat hinein. Nur wenig hatte sich der Kamerad aus alten Tagen verändert, noch immer trug er gepflegte Kleidung und hatte ein Auftreten an sich, welches eher an einen Geschäftsmann denn eines Verschwörers denken ließ. Oder gingen diese beiden Profile Hand in Hand miteinander?
„Edward!“ rief Luther freudig aus und reckte ihm der Hand entgegen, „es ist lange her gewesen!“
„Ja, das war es in der Tat“, entgegnete der Admiral perplex und ergriff die ihm dargebotene Hand.
„Wie ich sehe ist es dir gut ergangen. Die Beförderung scheint deinen alten Ruf wieder hergestellt zu haben und ich habe auch vernommen, dass es deiner Familie gut geht. Dein Sohn soll sich ja prächtig entwickeln habe ich gehört. Vielleicht wäre er ja etwas für die Akademie.“
„Ich möchte ihn nicht drängen“, war die Antwort Edwards, sich sehr wohl seiner eigenen Vergangenheit bewusst.
„Natürlich, “ stimmte ihm Luther seltsamerweise zu, „ich habe selbst einen Jungen und ich denke da genauso wie du: man sollte nichts überstürzen, seine Kinder nicht drängen. Irgendwann werden sie schon ihren Weg finden und wir als Väter werden dann sehr stolz auf sie sein.“
„Was willst du, Luther?“ fragte Admiral Jellico schließlich frei von der Leber weg. Er hatte genug von diesen Spielchen, er wollte wissen, was Luther von ihm wollte.
„Ich bin der Tod, ich komme um dich zu holen“, erklärte Sloan mit düsterer Stimme, nur um dann lauthals loszuprusten.
„Sehr witzig.“
„Sorry, ab und an ein kleines Scherzchen muss schon sein. Aber ich möchte nicht mit der Wahrheit hinter dem Zaun halten. Wir sind gekommen, um den Tribut einzufordern.“
„Ich nehmen mal an, mit dem Wörtchen wir beziehst du dich auf Sektion 31.“
„Exakt. Schön, dass du so aufmerksam bist.“
Jellico beschloss zu zocken. Immerhin hatte er keine Lust der Spielball irgendeiner obskuren Macht zu sein, deren Intentionen er nicht kannte und die sich nur im Hintergrund hielt.
„Nein!“
„Wie nein?“ fragte Luther und blinzelte irritiert. Ob seine Reaktion jedoch nur gespielt war, darüber war sich Edward nicht ganz klar. Mit einer irritierenden Endgültigkeit kehrte Sloan zur Ernsthaftigkeit zurück und erklärte:
„Edward, du solltest mir nun ganz genau zuhören. Bei dieser Sache gibt es kein Nein. Es gibt auch kein Zurückziehen oder Raum für späte Reue. Was denkst du wohl woher der Wohlstand der letzten Jahre gekommen ist? Deine Beförderung? Deine neuen Anerkennung? Das waren alles wir. Und nun, nachdem wir so viel in dich investiert und dir so viel geschenkt haben, da möchten wir nur etwas von dir zurückhaben. Ist das denn zuviel verlangt?“ fragte Luther mit einem Engelsgesicht.
Für einen sehr langen Augenblick dachte Edward nach. Alles in ihm sträubte sich dagegen darauf einzugehen, aber dann erinnerte er sich an das Bild, welches man ihm vor ein paar Jahren gezeigt hatte und ihm fiel auf, dass dieser Mann von damals, Ali Waseri, inzwischen zum Captain befördert worden war… und er hatte sein Büro direkt gegenüber von Edwards. Was für ein Idiot er doch gewesen war? Ein Spion direkt vor seiner Nase und er hatte es nicht bemerkt; welch Schande. Es war in genau jenem Moment, als er bemerkte, dass er in eine Falle manövriert worden war. Ohne sein Wissen hatte er sich auf einen faustischen Pakt eingelassen, aus dem er sich nicht mehr lösen konnte. Was blieb ihm da noch anderes übrig als sich einverstanden zu erklären? Admiral Jellico konnte nur hoffen, dass es um keine schlimme Sache ging…
Wie konnte jemand nur so blöd sein und in der Abgeschiedenheit des Waldes wohnen? Wo es überhaupt keine Nachbarn gab, keine Polizisten oder sonstige Personen, die einem im Notfall helfen konnten? Dies mochte wohl daher herrühren, dass es auf der Erde praktisch kein Verbrechen mehr gab und die Menschen nachlässig geworden waren. Edward Jellico ging auf das große Haus zu und fühlte sich wie ein Richter, der sich auf den Weg zur Urteilsverkündung machte. Wohlgemerkt, er hatten schon die Strafe beschlossen und zudem war er Vollstrecker in einer Person. Die Person, um die es ging, kannte er nicht und ehrlich gesagt wollte er gar nicht allzu viel wissen. Er wollte so wenig von dieser ganzen Sache an sich heranlassen. Edward hoffte, dass es bei dieser einen Sache bleiben würde und dann Luther Sloan mitsamt seiner ganzen Sektion 31 zur Hölle fahren würde. Dann waren sie doch quitt und es gab keinen Grund mehr um noch mehr einzufordern.
Langsam kam Jellico die Auffahrt dies Hauses hoch und sah sich noch einmal in der Dunkelheit der Nacht um. Niemand zu sehen, keine Gefahr drohte. Noch einmal schluckte Edward. Ihm wurde mulmig, als er den Phaser, den er hinter dem Rücken versteckte, fester umfasste. Im Anschluss betätigte er die Türklingel des Hauses. Es dauerte, bis man ihm die altmodische Tür öffnete und Edward hatte schon gehofft, dass niemand zu Hause war. Seine Hoffnungen wurden zerstört, als eine wunderschöne junge Frau ihm die Tür öffnete und ihn freundlich anlächelte. Sie war nur mit einem weißen Handtuch bekleidet und Wasser tropfte aus ihren nassen Haaren. Offensichtlich war sie unter der Dusche gewesen, als der Admiral an der Tür geklingelt hatte. Überrascht musterte Edward sie. Natürlich hatte er ihr Foto schon in der von Luther übermittelten Akte gesehen, doch diese Person so lebendig vor sich zu sehen kam einem Schock gleich. Dann nahm er all seinen Mut zusammen und riss seinen Phaser hervor. Ohne darüber nachzudenken drückte er ab und beobachtete wie die Frau tot vor ihm zusammensackte. Irgendwie hatte er geplant noch einige letzte Worte zu sagen, sein Opfer um Verzeihung zu bitten, doch er konnte nicht. Stattdessen rannte er direkt nach dem Mord los, rannte so schnell er nur konnte vom Haus weg. Er hatte kein bestimmtes Ziel vor Augen, er wollte nur weg von hier.
Mord.
Natürlich hatte er schon ein paar Mal getötet, im Krieg, wo sein Leben direkt bedroht worden war. Doch diesmal war es eine andere Situation gewesen. Er hatte hinterrücks und ohne Vorwarnung einen Menschen getötet. Konnte er etwas schlimmeres tun? Als er durch den Wald rannte spürte Edward wie im Tränen das Gesicht herunter rannten.
Fassungsloses Entsetzen, dies war am ehesten das Gefühl, welches im Hause Jellico herrschte. Es war beleibe kein gewöhnlicher Abend gewesen, doch dies war der bisherige ( traurige ) Höhepunkt der ganzen Sache. Jessica und ihr Sohn Mark, beide hatten nicht im mindesten erwartet zu hören, dass ihr Edward einen Mord begangen hat. Mord, das schrecklichste Verbrechen, welches man begehen konnte und Edward Jellico hatte es begangen. Noch schlimmer, innerhalb der nächsten Minuten verkündete Jellico der Familie, dass dieses Ereignis noch häufiger stattgefunden hatte, was Stella heftig nickend bestätigte. Hatte Jessica Jellico sich etwa all die Jahre so sehr in ihrem Mann getäuscht? Niemals hatte sie Verdacht geschöpft, niemals diese Geschehnisse vermutet. Wut und Unverständnis kam in ihr hoch. Doch war ihre Einschätzung korrekt? Was war ihr Mann überhaupt? Täter oder Opfer?
„Wieso?“ fragte Mark desillusioniert nach. „Wieso hast du dich nicht weiter gegen Sektion 31 gestemmt?“
„Das kann man nur schwerlich erklären“, erwiderte sein Vater schwermütig und beschämt. Am Anfang hatte ich es auch noch versucht. Jede Möglichkeit der Widersetzung habe ich genutzt, doch es half nichts. Und im Laufe der Zeit… begann mir das Doppelleben zu gefallen. Ja, Sektion 31 eröffnete mir den Weg zu wahrer Macht. Nicht Macht über ein paar Schiffe oder ein paar Menschen, sondern Macht über die komplette Föderation. Diese Aussicht war so verlockend…. Irgendwann verstrickte ich mich innerhalb der Organisation und ich kletterte die Karriereleiter aufwärts. Schon bald erkannte ich, dass Luther Sloan nicht nur irgendwer innerhalb der Organisation war, nein, er war der Chef von Sektion 31 und ich begann sein ausführendes Organ zu werden. Und als Luther dann starb… machte ich mir Hoffnungen auf die Führung.“
„Starb? Luther Sloan ist tot?“ fragte Mark und beobachtete dabei überrascht das erste und einzige Anzeichen von Schwäche bei ihrer Geiselnehmerin, die bei diesen Worten kurz seufzte. Bevor Edward selbst diesen Sachverhalt erklären konnte, meinte sie:
„Ja, Luther Sloan starb nach einer großen Karriere. Sein Leben hatte er in den Schutz der Föderation gestellt und wie wurde es ihm gedankt? Man behandelte ihn wie einen Aussätzigen, einen Kriminellen. Und vor fünf Jahren starb Sloan endgültig. Seinen scheinbaren ersten Tod auf Deep Space Nine hatten wir im ersten Moment abwenden können, doch danach war Sloan nie mehr derselbe gewesen. Die kybernetischen Implantate und Operationen, die ihn am Leben hielten, sorgten auch dafür, dass nach und nach die Menschlichkeit aus ihm entwich. Schließlich war es die Crew der USS Voyager, die seinen finalen Tod besiegelte.“
„Ich sah meine Chance kommen“, kommentierte Edward sehnsüchtig.
„Die Chance Sektion 31 zu entfliehen?“ fragte seine Frau hoffnungsvoll, doch sie musste enttäuscht werden
„Nein, dazu steckte ich schon zu tief drin und ich hatte zu sehr Blut geleckt. Ich sah mich selbst endlich als Nummer 1 der Organisation und wurde dann bitter enttäuscht.“
„Wie das?“
„Nathan Sloan“, erklärte Stella wehmütig.
„Sein Bruder?“
„Sein Sohn“, erklärte Tanner und schien abermals leichte Emotionen zu zeigen. „Ein genialer Kopf mit einer neuen Vision für Sektion 31. Ein Mann, der das stolze Erbe seines Vaters antrat.“
Edward musste große Mühen aufbringen, um nicht lauthals loszuprusten.
„Ein genialer Kopf? Stolz? Jessica liebes, dies ist der Grund, wieso wir hier heute Abend sitzen. Ms Tanner hier hat ein völlig verzerrtes Bild von Nathan Sloan. Ja, Nathan hätte eine große Zukunft gehabt. Doch der Tod seines Vaters warf ihn aus der Bahn. Nathan war einfach zu jung für diese Position gewesen und der Tod machte ihn wahnsinnig.“
„Unsinn!“ kreischte Tanner und hob drohend ihren Phaser, ohne dadurch Jellicos Redeschwall unterbrechen zu können.
„Anstatt auf meine Ratschläge, die sich auf Erfahrung begründeten, zu hören, versteifte sich Nathan Sloan auf einen einzigen Mann: John Lewinski!“
„Der Captain Lewinski von vorhin?“ fragte Mark unsicher nach.
„Ja, genau der. Ihr müsst wissen, Sektion 31 wurde mit dem Ziel gegründet die Föderation zu schützen und ihren Bürgern ein besseres Leben zu ermöglichen. Doch Nathan Sloan benutzte die Organisation, um eine sinnlose Fehde gegen John Lewinski zu führen. Unglücklicherweise ließ ich mich zu Anfang sogar auf diese Sache ein. Wir wollten Lewinski demontieren…“
Halt! Sir, sie können da nicht rein!“
Admiral Jellicos Sekretärin, ein junger Fähnrich im ersten Jahr, konnte ihn nicht aufhalten. Wie ein Orkan raste Captain Lewinski an ihr vorbei, rein in das Büro des Admirals. Der betreffende Mann zeigte sich nur mäßig überrascht von dem Besucher und winkte seiner Ordonanz zu, dass alles in Ordnung war. Dann lächelte er den Kommandanten an.
„John, setzen sie sich doch!“
Wutschnaubend, was äußerst unhöflich war, schüttelte Lewinski den Kopf und blieb stehen. Jellico nickte und stütze die eine Hand auf seinem Schreibtisch ab, während er fragte:
„Nun, Captain, was kann ich für sie tun?“
„Sie können mir verdammt noch Mal die Wahrheit sagen!“
Solche Schreie kamen im Büro eines Admirals äußerst selten vor und daher war Edward Jellico für einen Bruchteil einer Sekunde eingeschüchtert. Dann fasste er sich wieder.
„Schreien sie mich nicht so an“, erklärte Jellico mit hochrotem Kopf und strahlte vollste Autorität aus, „ich bin immer noch ein ranghöherer Offizier.“
Lewinski stürmte vor und schlug mit beiden Fäusten auf den Schreibtisch.
„Ein Lügner sind sie! Ein Schwein! Jemand der sich kaufen lässt. Ich habe nicht den geringsten Respekt für sie.“
„Was wollen sie überhaupt von mir? Sie sollten sich lieber beruhigen, bevor ich ihnen ihr Patent entziehe.“
„Es war alles ein abgekartetes Spiel“, entgegnete John. „Seit Monaten schikanieren sie mich. Schieben mir Aufträge zu, die entweder äußerst heikel oder extrem einfach sind. Lange Zeit habe ich mich gefragt, was sie gegen mein Schiff haben. Und dann ging mir ein Licht auf: es ging gar nicht um die Monitor, sondern um mich! Ich bin ihnen unangenehm geworden.“
„Sie spinnen ja!“
„Ach ja? Als Sektion 31 mich mittels eines Klons ins Abseits drängen wollte, wie konnte ich die Monitor so einfach aus dem Dock holen? Wieso bekam ausgerechnet ich den Auftrag, den Mörder der Voyager-Crew zu finden? Ich muss annehmen, dass irgendjemand mich gezielt fertig machen will. Sektion 31 hat schon deutlich gemacht, dass dies ihr Ziel ist. Doch diese Organisation braucht Mittelsmänner, die ihnen helfen. Leute in hohen Positionen. Menschen wie sie, Jellico. Sie mochten mich doch von Anfang an nicht! Der junge Captain, der es schon so weit gebracht hat. Ich weiß nicht, wieso ich sie irgendwie in Gefahr bringe, aber ich weiß sehr wohl, dass sie nicht die Monitor demontieren wollen. Nein, sie wollten mein Potential schwächen. Aber das lasse ich nicht zu! Dies ist eine feine Crew, eine der besten. Sie können nicht dafür bestraft werden, dass ihr Kommandant das Opfer eines perfiden Schachspiels geworden ist!“
Auffällig ruhig lehnte sich Admiral Jellico nun zurück. So als ob er diesen Gespräch erwartet hätte.
„Was schlagen sie vor?“ fragte er gefasst.
„Lassen sie die Monitor im Dienst. Die Crew soll zusammenbleiben.“
„Und?“
„Im Gegenzug gebe ich ihnen, Sektion 31, oder wen auch immer repräsentieren genau das, was sie wollen: ich trete aus der Sternenflotte aus.“
Die letzten Worte hatte Lewinski stolz gesprochen. Er hatte lange über diese Entscheidung nachgedacht und sie erschien ihm mehr als richtig. Er würde es schon noch schaffen, die Verantwortlichen zu kriegen. Seine Freunde und Kameraden durften da aber nicht mit rein gezogen werden.
Und damit sprach Admiral Jellico das Wort aus, das eine bedeutende Karriere beenden sollte, die über zwanzig Jahre gedauert und einen bemerkenswerten Offizier hervorgebracht hatte:
„Einverstanden.“
„Lewinski, Lewinski? Was hat es nur mit diesem Mann auf sich?“ fragte Jessika verzweifelt. Sie war den Tränen nahe. Wenn sie die Wahl gehabt hätte, sie hätte sich dafür entschieden niemals von dieser schrecklichen Wahrheit zu erfahren. Doch nun, wo sie hier alle saßen, konnte sie nicht mehr aufhören nach allen Details zu fragen. Wenn schon, denn schon!
„Willst du es ihr sagen oder soll ich es?“ fragte Tanner provokativ, weswegen sie Edward Jellico mit seinem Blick durchbohrte. Ohne auf ein weiteres Wort von ihr zu warten erklärte er:
„Wie schon gesagt ist Captain Lewinski beim Sternenflottengeheimdienst. Trotz unserer privaten Differenzen ist er ein ausgezeichneter Offizier und er wird es weit bringen.“
„Das sagt man über viele“, meinte Mark verächtlich.
„Bei ihm wissen wir es“, entgegnete Stella wissend.
„Wie meinen sie das?“
„Sie meint damit“, erläuterte sein Vater, „dass Sektion 31, frag mich nicht wie, es geschafft hat einen Blick in die Zukunft zu werfen. Keine Ahnung ob dies eine spontane Idee war oder ob sie dies regelmäßig machen, um so ihre Machtposition zu stärken. Auf jeden Fall konnten sie evaluieren, dass John Lewinski nach einem sagenhaften Aufstieg im Geheimdienst in die Politik wechseln wird. Nach einigen Anläufen wird er eines Tages zum Präsidenten der Vereinigten Föderation der Planeten aufsteigen. Und mit seinem Wissen, dass er während seiner Zeit beim Geheimdienst angesammelt hat, würde er in der Lage sein Sektion 31 aufzudecken. Er könnte die Organisation diskreditieren und sogar zerstören. Das durften wir nicht zulassen.“
„Und da habt ihr ihn getötet?“
„Nein! Hast du mir nicht zugehört?“ fuhr Edward aus und bereute schon im nächsten Moment seine harschen Worte. Sie alle standen unter großem Stress, das durfte man bei der ganzen Sache nicht vergessen. „Durch den Tod Lewinskis würden wir einen Märtyrer schaffen. Also mussten wir ihn aus der Erfolgsspur werfen. Mein erster Plan war es also Lewinski von Bord seines Schiffes zu zwingen, mit dem er so viel erreicht hat. Und um zu gewährleisten, dass die zweifelsohne kompetente Crew seines Schiffes ihm helfen konnte, setzten wir ihnen einen mäßigen Kommandanten vor die Nase. Einer, der sich nie für Autorität und Regeln begeistern konnte. Jemand, den niemand ernst nahm: Matthew Price, ein Halbbetazoid.“
„Funktionierte es?“ fragte Jessica nicht ohne Interesse.
„Nicht ganz…“
Ganz ehrlich, dieses Gespräch hatte er gefürchtet. Doch es musste sein. Am anderen Ende der Leitung, auf der Erde, saß Admiral Edward Jellico, der Mann der ihm das Kommando über die Monitor gegeben hatte und verlangte nach Antworten.
„Ich muss ihnen leider gestehen, dass wir den Täter nicht gefunden haben“, gab Price zu.
Und wie erwartet, begann sich langsam sich das Gesicht des Admirals langsam in eine Fratze der Wut zu verwandeln.
„Ich verstehe sie nicht ganz, Captain. Sie wollen wir sagen, dass sie anderthalb Wochen hier ermittelt haben und immer noch keine Spur haben?“
Price räusperte sich, eine Tat die absolut ungewöhnlich für ihn war.
„Dies ist korrekt. Wir haben keinerlei Verdacht oder Hinweis.“
„Das ist ja unglaublich.“
Der Mensch schäumte vor Ärger. Fast schon war zu befürchten, dass er sich durch den Bildschirm hindurch Price packen und würgen wollte.
„Da in den letzten acht Tagen jedoch nichts passiert ist“, ergänzte Matthew, „müssen wir annehmen, dass der Täter Vulkan verlassen hat.“
„Mein lieber Captain, sie bewegen sich hier auf ganz dünnen Eis“, presste Jellico zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Erst sind sie nicht in der Lage, ihre Mission zu beenden und nun präsentieren sie mir auch noch eine solch billige Erklärung. Ich muss sagen, dass ich mehr als enttäuscht von ihnen bin.“
Nun reichte es jedoch auch für den Betazoiden. Lange genug hatte er so etwas im Sinn gehabt und sich im Laufe der letzten Tage darüber Gedanken gemacht. Es schien so logisch, es musste einfach gesagt werden.
„Aber dies haben sie ja erwartet.“
„Was? Wie meinen sie das?“ fragte Jellico überrascht.
„Na diese Mission hier, “ meinte Price und seine schwarzen Augen funkelten auf einmal gefährlich, „ein unglaubliches Verbrechen, ein kniffliger Fall. Und dann beauftragen sie mich mit ihm? Ich kenne meinen Ruf bei den Vorgesetzten gut genug, Jellico, dass ich weiß, dass ein Mann wie ich normalerweise nicht einen solch heiklen Fall bekommt. Aber sie haben ihn mir gegeben. Sie wussten und wollten, dass ich scheitern werde und tun nun so, als wären sie entsetzt und überrascht.“
Der Admiral wusste nicht, was er zu diesen Anschuldigungen sagen sollte und gab Price so weiterhin die Möglichkeit, zu sprechen.
„Ich weiß nicht, wieso sie dies gemacht haben; ob es eine Kampagne gegen mich, gegen jemand anderes hier oder das ganze Schiff ist, aber ich schwöre ihnen, dass ich sie durchschaut habe. Und ich werde sie im Auge behalten, das verspreche ich ihnen hoch und heilig.“
Mit diesen düsteren, unheilvollen Worten kappte Price ungefragt die Verbindung und ließ so Admiral Edward Jellico mit einem unguten Gefühl zurück.
„Ein guter Plan, der jedoch leider nach hinten losging“, gab Stella Tanner unumwunden zu. Eine groteske Situation: eine Geiselnehmerin und ihre Opfer im netten, fast schon familiären Plausch über längst Vergangenes. „Wer hätte gedacht, dass dieser mehr als mäßige Offizier namens Matt Price zu einem getreuen Verbündeten Lewinskis und ihn tatkräftig unterstützen würde.“
„Ja, wer konnte das ahnen?“ seufzte Ed und schaute gedankenverloren aus dem Fenster, der ihm die tiefste Dunkelheit der Nacht präsentierte.
„Und was hat das nun mit uns zu tun? Oder mit meinem Mann?“ fragte Jessica und begann wieder einen hysterischen Tonfall zu entwickeln. „Ich habe nichts von diesem Doppelleben meines Mannes gewusst und er hat sicherlich einige schreckliche Dinge getan, doch was wollen sie eigentlich hier?“
Stella blickte zu dem ehemaligen Admiral der Sternenflotte hinüber, bedeutete ihm so die eben gestellte Frage zu beantworten.
„Sie ist das letzte Führungsmitglied der alten Garde von Sektion 31, die letzte Überlebende, die für eine verlorene Sache eintrat.“
„Verloren?“
„Ich habe in letzter Zeit, seitdem ich wieder hier bin, versucht Sektion 31 wieder zu dem zu machen, was es früher einmal gewesen ist. Eine Organisation, die das Beste für die Föderation will. Ich will die Organisation zurück zu den Idealen führen, die die Familie Sloan pervertiert hat.“
Allein für diese Worte hätte Stella ihren Erzfeind am liebsten erschossen. Doch sie zwang sich selbst zur Geduld. Das Beste hob man sich immer für den Schluss auf.
„Und deswegen bedroht sie uns?“ fragte Mark. „Weil sie mit deiner Agenda nicht einverstanden ist?“
„Nein, es geht auch um etwas anderes“, erläuterte Stella und eine Mischung aus Hass und Schmerz funkelte in ihren Augen.
Über dem Mars, der Jahrhunderte lang den Menschen nur als „der rote Planet“ bekannt gewesen war, erschien die Xhosa und begann mit einer intensiven Sensorensuche. Natürlich war die Oberfläche des Planeten schon lange nicht mehr von dem rötlichen Sand geprägt. Jahrhunderte der Terraformarbeit hatte aus dem Mars einen erdähnlichen Planeten gemacht, auf dem man exzellent leben konnte. Doch diese Feinheiten interessierten derzeit die dezimierte Besatzung des Frachters nicht. Sie wollten nur einen Mann finden.
„Ich habe Nathan Sloan gefunden“, gab Jellico glücklich zu. „Wie ich mir gedacht habe befindet er sich in einem Geschäft in der Innenstadt von Mars-City.“
„Einem Geschäft? Was tut er dort?“ fragte Captain Lewinski irritiert. Die Anspannung war ihm nun deutlich anzusehen, immerhin bot sich hier ihm nun die Möglichkeit Sektion 31 einen entscheidenden Schlag zu verpassen.
„Suspekt, nicht wahr? Zu seiner Tarnung betreibt Sloan ein Antiquitäten-Geschäft. Ich denke, er mag ab und zu mal das einfache, handwerkliche Leben. Es entspannt ihn.“
Yates, die immer noch auf der Suche nach Vergeltung war, klatschte in die Hände.
„Also schön, beamen wir uns hinunter und schnappen wir uns den Mistkerl.“
„Oh, so einfach wird dies wohl nicht werden. Ich orte Sicherheitssysteme in seinem Geschäft. Transportblockierer, Kraftfelder, allerlei Zeugs, welches es uns unmöglich macht, da hinunter zu beamen.“
„Sie wollen uns doch nicht sagen, dass wir umsonst geflogen sind?“ fragte Lewinski wütend. Ein neuerlicher Trick von Jellico wäre in diese Situation äußerst kontraproduktiv.
„Nicht wenn ich mir das Inventarverzeichnis dieses Schiffes ansehe“, erwiderte der ehemalige Admiral mit einem Seitenblick zu Yates.
„Wie meinen sie dies?“
„Wie ich dies hier lese haben sie aufgrund des Krieges noch zwei Photonentorpedos an Bord?“
„Dies ist korrekt“, antwortete die Frachterkommandantin.
Ohne ein weiteres Wort betätigte Jellico den Auslöser und das Schiff erbebte unter dem Torpedostart.
Er genoss wirklich die Ruhe, wenn er hier war. Nathan Sloan atmete einmal tief durch und genoss das Ambiente, welches dieser Laden ausstrahlte. Er fühlte einen inneren Frieden, der ihm manchmal bei der Arbeit fehlte. Es war immer gut, wenn man Orte hatte, an die man sich zurückziehen konnte. Gerade beriet er ein Ehepaar, das auf der Suche nach einem alten Grammophon war. Ab und zu mal etwas ganz anderes machen, dies lockerte den Geist. Gerade wollte er über die Zahlungsmodalitäten verhandeln, da piepte sein Computerterminal. Nathan entschuldigte sich und rief die entsprechenden Daten auf. Es näherte sich ihm ein Objekt mit großer Geschwindigkeit... ein Gefechtskopf!
Sekunden nach der Realisierung dieser Nachricht explodierte das Geschäft.
„Was zum Teufel haben sie da getan?“ schrie Lewinski und stürmte vorwärts, packte Jellico am Kragen und drückte ihn gegen die Wand.
„Ich habe nur ein Problem beseitigt. Es war doch ihr Wunsch, dass Sloan neutralisiert wird, “ erklärte Jellico fröhlich und schien nicht den Zorn von John Lewinski nachvollziehen zu können.
„Ich wollte ihn schnappen und vor ein Föderationsgericht stellen, nicht ihn einfach umbringen. Wer gab ihnen überhaupt das moralische Recht diese Entscheidung zu treffen?“
Jellico riss sich los und ordnete erst wieder sein Hemd neu, bevor er antwortete:
„Moralisch, dies ist genau das worum es hier geht, John. Dieser Nathan Sloan hat Hunderte von Leben auf dem Gewissen. Er hat Tausende Existenzen zerstört. Es ist nur Gerechtigkeit, wenn ihm dasselbe widerfährt.“
„Es sind Unschuldige bei der Detonation gestorben!“
„Kollateralschäden“, winkte Edward Jellico verächtlich ab. „Wir führen einen Krieg gegen den Terror, John, und im Krieg gibt es Verluste. Ihre Familien können sich mit dem Gedanken trösten, dass sie für eine gute Sache gestorben sind.“
„Sie Schwein!“ brüllte John wieder, „sie verdammtes Schwein! Ich mache sie persönliche für den Mord an diesen Menschen verantwortlich.“
„Dies mag ja sein, “ erwiderte Jellico mit einem süffisanten Lächeln, „aber nichtsdestotrotz brauchen sie mich. Ich bin der einzige, der Sektion 31 ans Messer liefern kann. Und ich kann sagen, ich freue mich schon auf unsere weitere Zusammenarbeit.“
„Ja, ich habe Nathan Sloan getötet und deswegen hasst sie mich“, erläuterte Edward seiner Familie und bei diesen Worten schien er nicht einen Anflug von Reue zu empfinden. Er beobachtete sorgsam die Reaktionen seiner Widersacherin, die ihn bösartig anstarrte.
„Und dabei habe ich bisher nie die Art ihrer Beziehung ermitteln können“, fragte sich Jellico selbst. „Liebe? Freundschaft? Ich weiß es bis heute nicht. Wie wär’s wenn sie mir eine Antwort liefern? Das wäre wahrlich das letzte Geheimnis, was ich über sie lüften müsste.“
Statt einer Antwort brachte Tanner wie so oft an diesem Abend ihre Waffe in Anschlag und zielte auf Edward.
„Das war´s. Ich habe ihnen alles gesagt, was sie wissen wollten. Alles. Werden sie mich und meine Familie nun gehen lassen?“
Gespannt blickte Edward Jellico die Frau, die ihm gegenüber in dem Sessel saß, an und wartete auf ihre Reaktion. Ihr Phaser war immer noch lässig auf seinen Kopf gerichtet und sie schien keine Anstalten zu machen diese Position zu verändern. Neben Edward saßen auf dem zweiten Sofa seine Frau und sein Sohn, beiden stand die Panik deutlich ins Gesicht geschrieben. Während der vergangenen Stunden hatten sie hier sitzen müssen und den Albtraum teilen müssen, den Edward gerade durchlebte. Sie hatten Dinge erfahren, von denen der ehemalige Admiral ihnen eigentlich nie etwas erzählen wollte. Nun, nachdem dieses getan war, musterten die beiden den alten Mann kritisch und begannen sich zu fragen, ob sie sich in ihrem Vater und Ehemann vielleicht drastisch getäuscht hatten. Liebten sie ihn noch, jetzt wo sie die Wahrheit wussten?
Allein für das würde Edward Stella Tanner am liebsten umbringen. Doch er musste realistisch sein: so wie die Dinge momentan standen würde sie ihm wohl zuvorkommen und sein Leben beenden. Dann hätte Nathan Sloan doch noch seine späte, durch zweite Hand ausgeführte Rache. So furchtlos wie möglich beobachtete er die vor ihm sitzende entflohene Killerin und wartete auf eine Reaktion.
„Und nun? Werden wir hier bis ans Ende aller Tage hier sitzen bleiben und uns anschweigen?“ fragte er provokativ.
„Ich denke nicht, dass dies nötig sein wird“, ließ sich Stella Tanner endlich eine Reaktion entlocken. Schon im nächsten Moment wünschte sich Jellico, dass er gar nichts gesagt hätte. Die seltsam attraktive Frau richtete den Phaser auf ihr Ziel und lächelte ein letztes Mal, bevor sie den Abzug betätigte.
„Nein!“ schrie Edward, doch seine Reaktion kam zu spät...
Kraftlos hockte Edward auf dem Boden und hielt den leblosen Körper seiner Frau in den Armen. Er vergoss bittere Tränen, klagte und schrie, doch nichts brachte sie zurück. Neben der Leiche seiner Frau lag der Körper seines Sohnes, auch er war allen Lebens beraubt worden. Nein, womit hatten sie dies nur verdient? Wenn Stella wenigstens ihn getötet hätte, aber was hatte seine Familie damit zu tun. Die im Anschluss an den Mord entschwundene Person hatte scheinbar Freude am Sadismus. Anscheinend wollte sie, dass Jellico für den Rest seines Lebens leiden würde. Doch damit hatte sie ihr eigenes Todesurteil unterschrieben. Bei der geliebten Erinnerung an seine Familie, Edward Jellico schwor sich Stella zu finden und sie wie ein Tier abzuschlachten.
...und die Reise geht weiter - am Samstag, dem 03.07.2004
Ältere Episoden findet ihr in unserem Episodearchiv...
JELLICO
based upon "STAR TREK" created by GENE RODDENBERRY
produced for TREKNews NETWORK
created by NADIR ATTAR
executive producer NADIR ATTAR
producer SEBASTIAN OSTSIEKER lektor OLIVER DÖRING
staff writers CHRISTIAN GAUS & THOMAS RAKEBRAND and OLIVER-DANIEL KRONBERGER
written by NADIR ATTAR
TM & Copyright © 2004 by TREKNews Network. All Rights Reserved.
"STAR TREK" is a registered trademark and related marks are trademarks of PARAMOUNT PICTURES
This is a FanFiction-Story for fans. We do not get money for our work!
Quelle: treknews.de
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