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09x08 Voyager9 - Der Diktator Zip File Rating Größe: 273 Kb |
Prolog
Es herrschte Stille. Schon vier Monate lag er in dieser Hülse, schwebte durch den Raum, und er hatte noch einen Monat, bis sich sein Exil in ein Grab verwandeln würde.
‚Dieses arrogante Volk! Warum haben sie meine Herrschaft, meine Güte nicht anerkannt! Was wären sie ohne mich?’, dachte er. Er blickte in den Weltraum, durch das Fenster an der Oberseite der Hülle. Er tat das immer, was sollte er auch sonst tun? Er war verzweifelt, sein Eitel, seine Ehre, sein Ruhm: Alles war verletzt worden.
Sein Volk hatte ihn verbannt, seine Macht und sein Handeln als Schreckensherrschaft abgetan, dabei wären sie ohne ihn verhungerte, schwachsinnige Landarbeiter gewesen. Aber er hatte ihnen alles gegeben: Ein Heer, Macht, Geld, Arbeit, große Tempel, ja gar eine Religion. Sie hatten ihn angebetet, verehrt, ihn von selbst zum Herrscher auf Lebenszeit ernannt. - Und dann, nur wegen einiger, unzufriedener Gruppen, wurde er gestürzt. Immer mehr Macht gewannen diese Verräter, überzeugten alle Bürger davon, dass er ein „größenwahnsinniger“ Herrscher sei, der nur das Ziel hatte, alle zu versklaven, den gesamten Planeten unter seine Kontrolle zu bringen.
„Demokratie! Mitbestimmung! Freiheit!“: Das waren ihre sinnlosen und verabscheuungswürdigen Parolen, die all seine Taten und Errungenschaften zunichte gemacht hatten.
‚Lächerlich, dieses System wird zusammenbrechen!’, dachte er und hätte es fast herausgeschrieen. Aber ihn konnte niemand hören. Niemand. Nur er selbst konnte sich hören, und daran würde er verzweifeln.
Sein Ende näherte sich immer mehr. Aber auch wenn er tot sein würde: Sein Sohn, seine Enkel, seine Familie, sie würden seine Ziele weiterführen. Er war unsterblich, immer würde es Anhänger geben, irgendwann würde er wieder alleine den Planeten beherrschen. Und dessen war er sich sicher. Ja, gewiss: Er würde zurückkehren...
***
COMPUTERLOGBUCH DER VOYAGER
CAPTAIN JANEWAY
STERNZEIT 56222,9
Die Voyager befindet sich im Erd-Orbit und hat an der McKinley-Station angedockt, um nach der Begegnung mit den Borg einige, noch immer beschädigte Systeme zu reparieren. Doch wir haben noch eine weitere Aufgabe zu erledigen: Commander Chakotay und die restlichen ehemaligen Maquis-Offiziere werden jetzt, nachdem wir etwa anderthalb Jahre wieder zurück im Alpha-Quadranten sind, verhört und vor einem Kriegsgericht für ihre Taten verurteilt. Man hat mir zwar zugesichert, Milde walten zu lassen, aber trotzdem sehe ich diesen Verhandlungen nicht wohl gesonnen entgegen.
Der Türmelder in Janeways Quartier piepste.
Die Kommandantin der Voyager erschrak, da sie gerade in „1984“ vertieft war. Sie war eigentlich nicht sehr weit gekommen, da sie sich nur schwer konzentrieren konnte. Dieser Roman, geschrieben von George Orwell, stammte von der Erde aus den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts und prophezeite eine dunkle Zukunft, einen Überwachungsstaat, kontrolliert von einem fanatischen und angebeteten Diktator namens „Der Große Bruder“. Doch soweit war es auf ihrer Heimatwelt zum Glück nie gekommen.
Sie warf schnell einen Blick aus den breiten Fenstern und sah die Erde an. Sieben Jahre hatte sie gebraucht, um in ihre Heimat zurückzukehren. Nun waren sie zurück und es standen die Verhandlungen in dem Fall „Maquis“ an. - Sie legte das alte und vergilbte Buch zur Seite, auf einen Tisch neben ihr, und begab sich zur Tür. Sie wusste schon, wer davor stand, tat aber trotzdem überrascht, als sie die Schaltfläche zum Öffnen benutzte und ihr erster Offizier vor ihr stand.
Er lächelte, wie immer, aber Janeway wusste, dass er sich Sorgen um seine Zukunft machte, um seine Zukunft auf der Voyager und seine Zukunft mit seinem Sohn und seiner Frau.
„Immer hereinspaziert...“, begrüßte sie ihn freundlich und wies ihn mit einer einladenden Geste an, einzutreten.
Chakotay trat ein und erblickte sofort das auf ihrem kleinen Tisch neben ihrem Ohrensessel liegende Buch. Er hob es hoch und begutachtete es: „,1984’... Anspruchsvolle Lektüre.“
Sein Captain blickte ihn lachend an und er legte das Buch wieder auf seinen Platz zurück. „Setzen sie sich!“ sprach sie ihn an. „Kaffee?“
Er nickte. „Ja, ich könnte einen gut gebrauchen...“ Chakotay nahm in ihrem Sofa Platz, während sie sich erschöpft in ihren Sessel fallen ließ und ihm eine Tasse lauwarmen Kaffees einschenkte.
„Und, genießen sie ihren Urlaub?“, wollte Chakotay immer noch mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wissen.
Janeway sah ihn an. „Nun ja, ich versuche es...“
Das Lächeln verschwand und er stand zum Fenster gehend auf. Mit einem Seufzer begann er das Gespräch, das ihm sehr am Herzen lag. Schwierige Tage, Wochen oder vielleicht sogar Jahre lagen vor ihm. „Wieso kann die Sternenflotte die Akten nicht ruhen lassen? Der Maquis ist doch zerschlagen worden...“, fragte er sich und indirekt auch seine Kommandantin, die an ihrem Kaffee nippend ihm zuhörte.
„Ja, das stimmt, aber ihre Taten sind nicht vergessen...“
Er sah sie verständnislos an, er brauchte nichts zu sagen, denn Janeway wusste bereits, was er dachte.
„Ich habe sie vergessen und ihnen verziehen, aber nicht die Cardassianer oder die Föderationspolitiker, die wegen dieser Taten noch heute Probleme bei Verhandlungen mit den Cardassianern haben...“
„... und wegen dem Dominion-Krieg. Und der hat auch gezeigt, dass die Cardassianer alles verdient hatten!“, wandte Chakotay bestürzt ein und beendete den Satz des Captains.
Auch Janeway seufzte. „Soweit waren wir vor weniger als 9 Jahren auch schon mal... Ja, die Cardassianer stecken natürlich auch hinter diesen Prozessen, aber ist es nicht verständlich, dass die Föderation endlich Frieden mit ihnen wünscht?“
Chakotay war an diesem Tag nicht zu überzeugen: „Wäre die Föderation bei der Belagerung Cardassias vor vier Jahren nicht so großzügig gewesen, dann gäbe es Cardassia jetzt nicht mehr... Aber nein, wir unterstützen sie ja beim Wiederaufbau so gut wir können! Verdammt, das macht doch alles keinen Sinn!“
Sie stand auf und näherte sich ihrem ersten Offizier. Sie berührte ihn sanft an seiner Schulter: „Sie sind nicht der einzige, und glauben sie mir: Ihre Strafe wird nicht so hart ausfallen, Ihr vorbildliches und loyales Verhalten auf der Voyager hat Sie vor größeren Strafen gerettet, und den Rest der Maquis an Bord auch...“
Chakotay atmete tief ein und ebenso tief wieder aus. Er drehte sich um, blickte Janeway in die Augen und wusste, dass sie Recht hatte.
„Der 9 Uhr-Flug startet in 5 Minuten! Wir bitten alle Passagiere, sich nun auf den Weg zu Schleuse 4 zu machen!“ ertönte es aus den Bord-Lautsprechern.
„Ich muss dann wohl...“, sagte Chakotay und ging auf die Tür zu.
Mit einem sanften Lächeln verabschiedete sich die Kommandantin der Voyager von ihrem ersten Offizier. „Viel Glück!“, wünschte sie ihm abschließend und dann verließ er schließlich ihr Quartier. Und als sich die Türen hinter ihm zischend geschlossen hatten, kam es Janeway wie ein Abschied für längere Zeit vor. Doch sie hoffte, dass er auch in Zukunft ihr erster Offizier sein würde. Sie setzte sich wieder in ihren Sessel und lehnte die Augen schließend ihren Kopf nach hinten. Sie dachte eine Weile nach, entspannte sich und wollte dann wieder ihr Buch zur Hand nehmen, doch ihr Blick fiel auf ein Gruppenfoto der alten Crew.
Alle waren dort noch zu sehen: Sie, Chakotay, Seven of Nine, B’Elanna, Harry, Tom, der Doktor, Tuvok und Neelix. Und nun waren davon nur noch wenige übrig: Sie, Chakotay, Harry, der Doktor und Tuvok waren noch auf der Voyager. - Aus Seven war eine schier völlig andere Person geworden, Annika. - B’Elanna war im Bürgerkrieg umgekommen, Tom hatte sich auf die Erde zurückgezogen, alleine lebte er nun mit Miral zusammen. - Und Neelix war über 30000 Lichtjahre entfernt im Delta-Quadranten, in einem Asteroiden, bei Talaxianern.
Die Familie, die sie einst so geschätzt hatte, war nach ihrer Rückkehr in den Alpha-Quadranten zerbrochen. Es waren neue Crewmitglieder dazu gekommen, jedoch hatten sich diese noch immer nicht vollständig integriert, ganz im Gegenteil: Es waren Außenseiter. Tema’na und Barclay waren einfach nicht fähig, mit dem Rest der Crew vernünftig und freundschaftlich auszukommen. Und Chell konnte Neelix auch nicht wirklich ersetzen. Und wenn jetzt noch Chakotay die Seniorcrew verlassen würde, dann wären die alten Zeiten für immer vorbei – falls sie das nicht sowieso schon waren.
COMPUTERLOGBUCH DER VOYAGER
CAPTAIN JANEWAY
NACHTRAG
Wir haben nun unterbesetzt den Erdorbit verlassen und machen uns nun auf den Weg zu einigen Test- und Erkundungsflügen außerhalb des Föderationsterritoriums. Nebenbei wird Lieutenant Kim nach einem möglichen Ziel für einen Landeurlaub Ausschau halten, auf dem sich die Crew während der zweiwöchigen Maquis-Prozesse erholen kann.
„Captain auf der Brücke!“, meldete Harry, als Janeway aus dem Turbolift kam und das Kommandozentrum der Voyager betrat.
Leidenschaftlich fuhr sie mit ihrer Hand über die Geländer der mittlerweile schon ein halbes Jahr alten Voyagerbrücke. Deren Design hatte sich im Vergleich zu dem der ersten Voyager nur leicht geändert.
Die neue Brücke war größer und wirkte eleganter, irgendwie auch funktioneller. Sie gefiel Janeway auf jeden Fall, das war sicher.
Langsam ging sie auf ihren Kommandostuhl zu und setzte sich. Der Platz neben ihr war leer. Es war sehr ungewohnt für sie, der Captain vermisste ihren ersten Offizier ein wenig. Aber er würde ja bald zurückkehren, das hoffte sie wenigstens. Sie hatte getan, was sie tun konnte. Die Kommandantin hatte ein gutes Wort beim Hauptgerichtshof der Sternenflotte eingelegt und um besondere Beachtung der Leistungen der Ex-Maquis-Crew während der Reise durch den Delta-Quadranten gebeten. Und diese Leistungen hatten – so dachten alle – ausgereicht. - Doch plötzlich war dem Kriegsgericht eingefallen, dass man ihnen nur vorübergehende, provisorische, Amnestie gewährt hatte. Und so sah man sie in der ganzen Föderation nun als Verbrecher an, die die Föderation, die Sternenflotte und unzählige Pflichten und Rechte gebrochen und missbraucht hatten.
Die Maquis an Bord waren 37 an der Zahl, ursprünglich waren es über 40 gewesen, aber die Odyssee durch den Delta-Quadranten hatte Opfer gefordert, auch bei den Maquis. Darunter auch B’Elanna.
Sieben Jahre war die Voyager verschollen, und es hatte neun volle Jahre gebraucht, um sie anzuklagen. Warum sah man ihre Vergehen nicht als vergessen an?
In so vielen Jahren, fast einem Jahrzehnt, hatten sie genug Zeit zur Verfügung gehabt, über ihre Schuld nachzudenken, über ihre Fehler. Und die meisten hatten ihre Zeit beim Maquis schon fast vergessen und die grausame Vernichtung der Befreiungsorganisation während des Dominion-Krieges war doch schon Strafe genug. Aber die Sternenflotte vergaß Fehler nicht.
Die Abwesenheit der Maquis-Offiziere machte sich auch auf der Brücke bemerkbar. Viele der Maquis waren Ingenieure und Techniker, und da der Maschinenraum nun unterbesetzt war, hatte Lieutenant Commander Barclay Offiziere von der Brücke abberufen.
Neben Janeway, Kim und Tema’na waren noch zwei andere anwesend.
„Ach, Harry...“, wandte sich die Kommandantin an ihren Kommunikationsoffizier.
Der Koreaner blickte sie freundlich dreinblickend an. „Ja, Ma’am?“
„Ich hatte sie doch darum gebeten“, fuhr sie fort und machte sich auf den Weg zu seiner Konsole, „einen Planeten für einen Landurlaub auszusuchen. Und je länger sie brauchen, desto kürzer wird er. Hatten sie Erfolg?“
Harry sah sie lächelnd an und gab einige Befehle ein. „Ich hatte gehofft, dass sie das fragen würden, die ganze Crew setzt mich schon unter Druck!“
Janeways Lippen formten sich zu einem breiten Lächeln, ihre gepflegten weißen Zähne blitzten im angenehmen Licht der Brückenbeleuchtung.
„Also...“, erzählte Harry weiter und auf einem Bildschirm hinter ihm leuchteten einige Namen auf.
„Legen sie es doch auf den Hauptschirm...“, bat Janeway und hörte auf, sich auf die Konsole zu stützen. Sie drehte sich zum großen Wandschirm um, der eine lange Liste von Planeten zeigte. „Puh... Fangen wir vorne an!“
Harry nickte und öffnete die Datei.
„Kessandra IV“, las der Captain laut vor. „Das Ferienparadies für die ganze Familie!“ Bei dem letzten Wort schmerzte es Janeway. „Besuchen sie den angenehmsten Planeten im ganzen Sektor! – Was?“, wunderte sich die Kommandantin, als sie die Entfernung las. „Im Sektor? Ich wollte eigentlich nicht 34 Lichtjahre weit fliegen...“
Harry schien da anderer Meinung zu sein und Janeway überzeugen zu wollen. „Aber wir wollten doch einige Testflüge machen...“
Janeway grinste und machte mit der Hand eine abweisende Bewegung. „Der nächste Planet!“
Auf dem Schirm leuchtet das Wort „Risa“ auf und ehe die ganze Grafik sich über den Schirm ausgebreitet hatte, stöhnte Janeway gelangweilt. „Nicht schon wieder. Risa ist der Standardplanet schlecht hin. Ich möchte die Crew auch mal an einen anderen Ort bringen...“
Harry öffnete die nächste Datei.
Wieder betätigte sich Janeway als Rednerin. „Aphrodita – der verführerischste Planet aller Zeiten. Lassen Sie sich betören von der atemberaubenden weiblichen Vielfalt und lösen Sie sich für ein paar besinnliche und erotische Stunden von der hoch technisierten Welt um sie herum. Alles ist Perfektion, vor allem die Rundungen unserer attraktiven Dienerinnen, die sich Ihnen vollständig unterwerfen. Ist es nicht schon immer Ihr Traum gewesen, Nächte mit den schönsten weiblichen Geschöpfen des ganzen Universums zu verbringen?“
Zwei männliche Offiziere auf der Brücke pfiffen als Ausdruck ihres Interesses, Janeway beäugte sie mit einem unterdrückenden Blick. „Harry?“, sagte sie sich umdrehend.
Dieser musste versuchen zu verhindern, dass er lauthals loslachte.
„Darüber sprechen wir noch mal...“
Schnell wechselte er zur nächsten Urlaubsmöglichkeit und die beiden Offiziere, der eine an der Taktik arbeitend oder besser gesagt den Bildschirm betrachtend, der andere an der Wissenschaftsstation, raunten leicht oder gespielt verärgert.
„Meine Herren, ich bitte sie...“, erwiderte Janeway in einer gespielt strengen Art und Weise auf die Meinungen ihrer begierigen Offiziere.
Der nächste Planet war an der Reihe: „Andor“.
Janeway winkte auch diesen ab, und auch die folgenden schienen ihr nicht zu passen. Schließlich waren sie am Ende der Liste angekommen, ohne zu einem Ergebnis gelangt zu sein.
„So, das waren alle...“
Janeways Stirn legte sich in Falten. Sie ging zu Tema’nas Konsole herunter und sprach ihre romulanische Steueroffizierin an. „Was denken Sie, Crewman?“
„Darf ich offen sprechen?“, erwiderte diese. Janeway nickte.
„Ich bitte darum!“
Tema’na erhob sich und sah ihrem Captain provozierend in ihre Augen und redete in einem lauten Ton, der alle Offiziere dazu veranlasste, zuzuhören. „Ich weiß nicht, warum auf Föderationsschiffen die wertvolle Arbeitszeit mit einem Landurlaub, mit reinem Vergnügen, vergeudet wird! An Bord von Romulanischen Schiffen wird ...“
Janeway unterbrach die fast schreiende Romulanerin. „Wir sind aber nicht an Bord eines Romulanischen Schiffes. Und wenn Ihnen das alles nicht passt, können Sie ja an Bord bleiben und für die Föderation arbeiten! Ich nehme das Protokoll und den Dienst sehr ernst Crewman und lasse mir von ihnen nicht vorwerfen, wie schlecht und arbeitsfaul Sternenflottenoffiziere sind!“ Der Captain konnte sich gerade noch ein „Wir können ja auf Romulus Landurlaub machen!“ verkneifen.
Tema’na beugte sich vor, nahm etwas Anstand und schrie ihre Vorgesetzte an. „Tol’pak norva julan!“
Janeway wusste nicht, was dieser romulanische Spruch bedeutete, aber alleine die Lautstärke Tema’nas reichte ihr. „In Ihr Quartier! Sie sind vom Dienst suspendiert...“, sagte Janeway mit einer absichtlich gelassenen und strengen Stimme.
Tema’na fauchte noch Harry an, verschwand dann aber im Turbolift.
„Wir nehmen wohl oder übel Risa...“, entfuhr es der Kommandantin plötzlich. Sie wollte so schnell wie möglich dieses peinliche Wortgefecht zwischen ihr und ihrer Steueroffizierin vergessen.
Harry sah sie verdutzt und noch immer verblüfft von Tema’nas Wutausbruch an. „Äh... Wie, bitte?“, fragte er.
„Wir machen Landeurlaub auf Risa...“, wiederholte sich die Kommandantin.
„Ach so, na dann...“
Sie setzte sich auf ihren Sessel und legte den Kopf auf das weiche Polster. ‚Tema’na wird sich niemals an die Föderation anpassen...’, dachte sie verzweifelt. Nach ihrer dreißigtägigen Haft war ihr Verhalten bedauerlicherweise noch schlimmer geworden. Und seitdem fühlte sich Janeway mit ihr am Steuer immer unwohler. „Harry, übernehmen sie bitte die Conn und setzten sie einen Kurs auf Risa!“
„Aye, Captain!“
New York war eine beeindruckende Stadt. Umgeben vom Meer, ragten unzählige Hochhäuser mehrere Kilometer weit in den blauen und nur von ein paar Wolken durchzogenen Himmel. Nicht wie früher, vor etwa zwei Jahrhunderten auf den Straßen, sondern in der Luft wickelte sich der größte Verkehr ab.
Von kleinen Shuttles, über schlanke und sehr schön aussehende Flitzer, bis hin zu schwerfälligen Transportern und leicht gelb gefärbten Taxen.
Auch im 24. Jahrhundert gab es noch immer private Unternehmen, die den Verkehr auf der Erde regelten.
Unter den großen und stark befahrenen Verkehrsstraßen in der Luft befand sich der Hauptgerichtshof der Sternenflotte, mitten im Herzen des alten Manhattans, im großen „Central Park“. Das Gebäude war wesentlich kleiner als die umgebenden Wolkenkratzer, wirkte aber nicht weniger prächtig mit seiner großen Kuppel. Dort hatten schon unzählige Prozesse stattgefunden, die sich mit untreuen und verräterischen Offizieren befasst hatten. So war es auch im Fall der von der Öffentlichkeit mit Interesse verfolgten Maquis-Prozessen.
Die Ex-Maquis saßen in dem Gebäude unter der großen gläsernen Kuppel auf der Anklagebank und hatten winzige Universaltranslatoren an ihren Ohren, damit sie die zum Teil cardassianischen Ankläger und die Geschworenen und Richter verstehen konnten.
Um die Cardassianer war es nach dem Ende des Dominion-Krieges still geworden. Die Föderation hatte alte und gebrochene Verträge wieder unterzeichnet und half den Cardassianern beim Wiederaufbau der zerstörten Städte, Infrastruktur, Raumhäfen und Raumstationen. Als Gegenleistung erhielt die Föderation eine Reihe unbewohnter Planeten. Das war der Gewinn der Föderation für den Verrat der Cardassianer an ihren ehemaligen Verbündeten. Sie hatten die Föderation an den Rand der Vernichtung getrieben und nun unterstützte man sie. Und man gewährte ihnen, ihre alten Rivalen, die aus ihrer Sicht als „Terrororganisation“ abzustempeln sind, anzuklagen.
Chakotay stand an einem Pult in der Mitte des Saales.
Ein bolianischer Richter, einer von zwölfen, vernahm ihn. „Es spielt keine Rolle, dass Sie auf der Voyager beeindruckende Leistungen erzielt haben. Wenn eine Mannschaft ein Spiel verliert, so spielt es auch keine Rolle, dass die Mannschaft gut gespielt hat!“
Chakotay schüttelte den Kopf. „Das ist doch ein völlig anderer Zusammenhang...“
„Ruhe! Das ist kein anderer Zusammenhang! Also: Leugnen sie ihre ehemalige Mitgliedschaft im Maquis?“
Chakotay schüttelte den Kopf. Ihm reichte das als Antwort. Die vergangenen Minuten und Stunden, die er bereits in diesem Kreuzverhör verbracht hatte, waren hart genug gewesen und der raue und ungerechtfertigt unverschämte und diskriminierende Umgang sowohl der Richter als auch der Kläger in Gestalt der Sternenflotte und den Cardassianern, hatten es ihm die Sprache verschlagen. Ja, wirklich: Er fühlte sich machtlos gegenüber einem solch unmoralischen Gericht, das ihm das Wort verbat und ihm in einem Wort Entscheidungsfragen stellte, die man nur auf „Ja.“ oder „Nein.“ beantworten konnte. So unfair, so die Wahrheit unterdrückend, hatte sich Chakotay ein Kriegsgericht der Sternenflotte nicht vorgestellt. Und vor allem nicht so parteiisch.
Die - von Vorurteilen geprägte - Meinung der Cardassianer war wichtiger als das, was diese mit dem Maquis gemacht hatten. Sie hatten seine Mitglieder grausam gejagt, getötet und zeigten sogar jetzt noch immer kein Zeichen von Reue.
Chakotay würde liebend gerne einen neuen Maquis gründen, gegen die Cardassianer. Doch dagegen sprach sein Vertrauen zur Sternenflotte, zur Voyager und zu Kathryn Janeway. Mit einem neuen Privatkrieg gegen die Cardassianer würde er alles nur schlimmer machen und alles, an was er die verstrichenen neun Jahre vorgegeben hatte zu glauben, verraten.
Der Rechtsanwalt erhob das Wort. „Ich werde nun eine Stellungnahme und Einschätzung von Commander Tuvok, Sicherheits- und Taktikoffizier an Bord des Raumschiffes Voyager, NCC-74656-A, vorlesen!“, rief er in den Saal.
Chakotay fuhr innerlich zusammen. Sein Freund Tuvok hatte eine Stellungnahme geschrieben, einst als Spion auf seinem Maquis-Schiff tätig gewesen, und wie alle Vulkanier würde er in diesem Brief die volle Wahrheit berichtet haben und gegen ihn aussagen. Oder würde seine Aussage Chakotays Position und die der übrigen Maquis stützen?
„Ich weiß auch nicht mehr weiter... Tema’na kann sich glücklich schätzen, dass sie nicht vor ein Kriegsgericht gekommen ist. Schließlich hat sie uns alle betrogen. Sie war Spionin des Tal’Shiar, und letztendlich ist sie mit dreißig Tagen Haft davon gekommen...“ Janeway, Kim, Barclay, der Doktor und Annika saßen im Konferenzraum. Sie saßen alle zusammengerückt an dem einen Ende des Tisches, bis auf Janeway, die wie sie es oft zu tun pflegte, in die Sterne sah, als ob sie ihr die Antwort auf ihre Fragen preisgeben könnten.
„Captain...“, ergriff Annika das Wort mit ihrer gewohnt kalten Stimme. Ihre Borgvergangenheit wirkte sich noch immer aus, obwohl sie in ihrem Gesicht keine Implantate mehr aufwies. „Auch mit mir gab es am Anfang... Probleme...“
Janeway drehte sich um und stützte sich auf der Lehne ihres Sessels auf. „Ja, aber Tema’na ist mittlerweile über ein Jahr bei uns und was ist passiert? Seitdem wir von ihrer wahren Mission Bescheid wissen, ist es noch schlimmer geworden!“
Annika hatte einen weiteren Einwand. „Romulaner sind eine äußerst eingebildete Spezies. Es wäre denkbar, dass Crewman Tema’na sich geehrt und respektiert vorkommen muss.“
Janeway schüttelte den Kopf und blickte wieder aus dem Fenster, das nun den Blick auf ein nahe gelegenes Asteroidenfeld preisgab. „Ich weiß es nicht...“
Stille herrschte im Raum.
Dann mischte sich der Doktor ins Geschehen ein. „Ich denke, dass mir Tema’na bereits recht... vertraut ist. Ich habe mich schon oft mit ihr unterhalten und sie sieht mich als einzig Vernünftigen an, da ich weder den Menschen noch sonst einer in der Föderation vertretenen Spezies angehöre. Und das scheint ihr Problem zu sein.“
Harry sah ihn an. „Was?“
„Dass Tema’na die Föderation nicht ausstehen kann. Denn sie unterscheidet sich sehr von dem Romulanischen Imperium, was die Einstellungen und Verfahrensweise, ja sogar die Nahrung und Lebensweise angeht. Sie hasst die Welt, in der sie festsitzt...“
„Wenn das so ist, lässt sich daran wohl nichts ändern...“, meinte Janeway immer noch abgewandt von ihren Offizieren. „Ich werde mich irgendwann noch einmal mit ihr unterhalten, oder vielleicht sie, Doktor. Wir müssen ihr klar machen, dass wir nicht so schlecht sind, wie sie denkt...“
Annika nickte. „Sie wird sich anpassen müssen...“
‚Sie wird sich anpassen müssen...’, rezitierte die Kommandantin in Gedanken die letzten Worte ihrer Ex-Borg. Ja, sie musste Tema’na genauso behandeln, wie einst Seven of Nine. Dann würde es eine reelle Chance geben, dass sich die Romulanerin an die Föderation und die Sternenflotte anpassen könnte. Die erste Romulanerin in der Sternenflotte, die erste Borg in der Sternenflotte: Janeway hatte Talent, neue Völker in die Föderation zu integrieren.
„Gut, wegtreten!“, befahl sie und alle Offiziere verließen den Raum. „Crewman Hansen“, hielt Janeway Annika im letzten Moment auf.
„Was kann ich für sie tun, Captain?“, fragte diese irritiert, woraufhin sie sich auf den Sessel neben ihr setzte.
Janeway tat es ihr gleich. „Nun... Mir ist aufgefallen, dass Sie sehr geistesabwesend und... kalt wirkten.“
Die Ex-Borg senkte den Kopf.
„Sie müssen sich wegen Chakotay keine Sorgen machen... Ich bin sicher, er wird diesen Prozess unbestraft überstehen...“
Annika erhob sich. „Das bezweifele ich. Chakotay und die anderen Offiziere sind in über 48 Punkten für schuldig erklärt worden!“ Sie drehte sich mit dem Ausdruck der Sorge und Verzweifelung um. Sofort spürte sie die Hand ihrer Kommandantin auf der Schulter. Sie wusste nicht warum, aber sie spürte eine sofort einsetzende Beruhigung, ein Gefühl der Geborgenheit.
„Annika... Sie haben in dem letzten Jahr beeindruckende Fortschritte gemacht... zu starke Fortschritte. Sie können mit diesen Gefühlen der Sorge und der Sehnsucht nicht richtig umgehen... Als Borg und als Kind waren Ihnen diese Gefühle nie begegnet. Aber jetzt, als reife und verheiratete Frau, fällt es Ihnen schwer. Das ist sehr natürlich...“ Janeway kam es vor, als würde sie mit einem pubertären Mädchen sprechen.
Seven befand sich in einer sehr wichtigen Phase ihres Lebens, an deren Ende sie Annika Hansen sein würde. Aber soweit war es noch lange nicht.
„Kim an Janeway! Kommen sie bitte auf die Brücke!“
„Verstanden!“, erwiderte der Captain, lächelte Annika freundlich an und die beiden gingen einige Treppenstufen hoch auf die Tür zur benachbarten Brücke zu.
Janeway kam ihrem Kommandostuhl entgegen, während Annika sich an die Wissenschaftsstation setzte. „Bericht!“, befahl die Kommandantin.
„Captain, wir haben in dem vor uns liegenden Asteroidenfeld eine Art... übergroße Torpedohülse entdeckt. In ihr befindet sich ein sehr schwaches Lebenszeichen und ein schwaches Signal wird ausgesandt!“
Janeway blickte sich zu Annika um. „Können Sie es auf den Schirm legen?“
„Ich werde es versuchen“, antwortete sie.
Auf dem Schirm erschienen einige seltsame Symbole, mit denen weder der Hauptcomputer noch die Brückenbesatzung etwas anfangen konnte.
„Entspricht dies irgendeiner uns bekannten Sprache, Schrift oder Symbolik?“
Harry schüttelte den Kopf. „Nein... aber de Hauptcomputer prüft diese Zeichen und versucht sie zu übersetzten. – Das wird sicher einige Stunden dauern... Aber soviel Zeit bleibt dieser Lebensform dort nicht mehr.“
Janeway schaute auf den Schirm. „Können wir diesen Sarg oder diese Hülse irgendwie an Bord beamen?“
Kim studierte die Anzeigen und tippte auf seiner Konsole herum. „Nun ja, dieser... was auch immer es ist... ist auf einen Asteroiden geprallt und hat sich dort mit dem Gestein verhackt. – Aber ich denke, es ist möglich, ihn herauszubeamen, wenn wir vorher mit den Phasern ein paar kleine Schnitte in das Gestein schneiden. Dann könnten wir trotz der ausgehenden Strahlung beamen!“
Janeway nickte. „Gut, machen wir es so!“ Und auf den Kommunikator tippend: „Brücke an Fracht-Transporterraum! Halten sie sich bereit, eine Art Kapsel an Bord zu beamen. Die Koordinaten werden übermittelt!“ Sie beendete die Verbindung und ging zu Tuvoks Arbeitsstation.
„Ich muss meine Bedenken äußern, Captain! Wir wissen nicht, warum sich diese Person in dem Objekt befindet...“
Die Kommandantin nickte. „Ich habe ihre Bedenken immer respektiert und tue es auch jetzt, aber wir sind verpflichtet, dieses Mitglied einer uns scheinbar unbekannten Spezies zu retten. Der Doktor wird seinen oder ihren Zustand überwachen...“
Mit einem Nicken des Vulkaniers gab sie sich zufrieden und wertete es als ein „Einverstanden!“.
Dann marschierte sie auf die Türen des primären Turboliftes zu und wählte „Frachtraum“. Während der Turbolift summte, dachte sie nach. Ihr Puls raste förmlich, wie immer vor neuen Entdeckungen. Doch sie schaffte es, ihre Besorgnis und ihre Aufregung vor dem ersten Kontakt mit einer unbekannten Spezies zu verbergen. ‚Warum zum Teufel befindet er sich in diesem Ding?’, dachte sie. Die Kommandantin wusste es wirklich nicht. Sie hatte keine Erklärung dafür. War es ein Sarg und wurde dort eine noch nicht endgültig verstorbene Person bestattet? War es eine Rettungskapsel? War es eine Art Transportmittel? Um was handelte es sich bloß?
Der Turbolift stoppte abrupt, und nachdem er angehalten hatte, trat der Doktor ein. „Frachtraum!“, befahl er dem Computer.
„Doktor!“, begrüßte ihn der Captain.
Er grüßte mit einem Nicken zurück. Mit einem kindischen Schmunzeln begann er zu sprechen: „Ach, ich bin schon so... aufgeregt.“
Janeway beäugte ihn skeptisch. „Na ja, es handelt sich doch um den Erstkontakt mit einer fremden Spezies“, verteidigte er seine Begeisterung mit wilden Gesten.
„Ja, aber nicht jeder Erstkontakt ist ein erfreuliches Ereignis. Ich erinnere nur an en Erstkontakt mit den Klingonen oder den Andorianern...“
Der Begeisterung des Doktors wich ein Ausdruck von Sorge.
Janeway hatte mal wieder Recht. Es könnte sich auch um eine kriegerische Spezies handeln, eine brutale und gefährliche Rasse, die die Voyager gefährden konnte. Jeder Erstkontakt war mit einem gewissen Risiko verbunden.
Der Turbolift stoppte und die Türen öffneten sich automatisch.
Nach einem kurzen Gehweg durch die Korridore näherten sich die Beiden dem Frachtraum und die schweren Eisentüren wichen behäbig beiseite.
In dem Frachtraum herrschte ein angenehmes, kühles Klima. Es war hell und der gesamte Raum war mit Kisten und Containern zugestellt.
Als der Doktor und Janeway um eine Ecke bogen, wurden sie sofort von mehreren Sicherheitsoffizieren zurückgehalten.
„Doktor, sehen Sie, was Sie tun können...“, befahl Janeway dem MHN.
Der Doktor nickte, zog seinen Tricorder und zusammen mit Chefingenieur Barclay untersuchte er das Gehäuse, das auf dem großen Frachttransporter stand. Es handelte sich bei dem metallenen Objekt um eine Art übergroßen Torpedo. Er schien ein kleines Lebenserhaltungssystem zu enthalten und durch eine Glasscheibe war ein in ihm liegender Humanoide zu erkennen.
Er hatte ein deutliche Auswülstung an seiner Stirn und scheinbar hatte seine Spezies einen sehr andersartigen Haarwuchs als Menschen. Seine Haare wuchsen ihm am Hals und nur wenige am Kopf. Dieser war jedoch von einer sehr stark gelb gefärbten Haut überzogen, möglicherweise wurde er zum Schutze vor Kälte stärker durchblutet. Der Humanoide hatte seine Augen geschlossen, und so waren seine gescheckten Augenlider gut zu sehen. Genau wie der Rest seines Gesichtes und auch scheinbar seines ganzen Körpers, wiesen sie unregelmäßige, grüne Kreisel auf.
Der Doktor hatte seinen Scan abgeschlossen und kam dem Captain entgegen. „Er lebt, aber der Sauerstoff in diesem Behälter reicht nur noch für etwa zwei Stunden und er kann jetzt schon nur noch minimal atmen und ist scheinbar bewusstlos!“
Janeway nickte nachdenklich. „Gut, dann warten wir noch anderthalb Stunden... und dann lassen wir ihn frei.“
Der Doktor blickte sie fragend an.
„Aus Sicherheitsgründen...“, fügte die Kommandantin noch hinzu. „Konnten sie irgendwelche Hinweise auf eine Krankheit oder ähnliches feststellen?“
„Er hat keine Krankheiten, zu mindestens keine, die in unserer Datenbank enthalten sind!“
„Danke, Doktor. Bereiten sie die Krankenstation vor! Mr. Barclay...“, rief sie und ging auf den Chefingenieur ihres Schiffes zu. „... ich möchte, dass Sie versuchen herauszufinden, wie man dieses Ding öffnet, und ob er unsere Luft atmen kann!“
„Aye, Captain“, bestätigte er und kniete an dem Objekt nieder, um mit seinen Nachforschungen beginnen zu können.
Janeway sah den bewusstlosen Fremden noch einmal an, drehte sich dann um und verließ den Frachtraum. Sie wusste nicht warum, aber in ihr keimte ein ungutes Gefühl auf.
Auf der Brücke arbeitete Harry noch immer zusammen mit dem Computer an der Entschlüsselung beziehungsweise der Übersetzung der mysteriösen Botschaft. Man konnte zwar noch nicht sagen, ob sie tatsächlich mysteriös war oder ob es sich einfach nur um einen Notruf handelte, aber definitiv war es seltsam anmutend, dass die Botschaft nur in einer Sprache verfasst war.
„Tuvok!“, rief Harry seinem vulkanischen Freund zu.
Auch wenn Tuvok das wahrscheinlich nie zugeben würde, herrschte zwischen ihm und Kim eine sehr enge freundschaftliche Bindung. Da momentan nur wenig zu tun war, verließ er seine Konsole ohne eine Ablösung und ging auf Harry zu. „Was kann ich für sie tun, Mr. Kim?“
„Äh... der Computer hat die Nachricht nun übersetzt, aber ich kann mir daraus keinen Reim machen!“
Tuvok sah die englische Übersetzung an. Sofort berührte er seinen Kommunikator und rief Janeway zur Brücke. „Tuvok an Janeway! Die Botschaft wurde übersetzt“
Es dauerte eine Weile, bis die Kommandantin antwortete. „Gut, ich komme auf die Brücke!“
„‚Wer auch immer ihn finde, er sei des Teufels geweiht für alle Zeit. Das Böse sucht das Böse, das Gute wird für alle Zeit überleben und Freiheit und Recht wird uns alle segnen.’“ Janeway hatte den Satz nun schon zum dritten Mal vorgelesen, trotzdem wurde sie aber immer noch nicht schlauer aus ihm. In ihrem Raum ging sie auf und ab, umringt von Annika, Harry, Tuvok und Barclay.
„Sehr poetisch...“, meinte der Chefingenieur ironisch.
„In der Tat“, stimmte der Captain in Gedanken versunken zu. Sie betrachtete das PADD erneut, aber sie konnte mit der Botschaft noch immer nichts anfangen. „Poetische Texte sind immer verschlüsselt geschrieben, wie dieser. Ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen!“
Tuvok mischte sich mit vulkanischer Logik in das Gespräch ein. „Ich vermute, dass mit dem Wort ‚ihn’ die Person gemeint ist, die sich in dem von uns an Bord geholten Objekt befindet. Aber es bleibt mir unverständlich, warum wir dem Teufel geweiht sind.“
„Es war vielleicht ein Fehler, dieses Ding an Bord zu holen... Aber nun ist es zu spät. Wir sind bereits dem Teufel geweiht, also können wir ihn auch aufwecken!“
„Oder wir sollten ihn lieber wieder dorthin zurückbringen, wo er hergekommen ist“, wandte Annika ein.
„Dann würde er sterben. Er wird in 20 Minuten tot sein, wenn wir ihn nicht aufwecken. Außerdem sind wir Forscher... und ich will herausfinden, was es mit ihm auf sich hat!“
Die Türen der Krankenstation öffneten sich und der Doktor kam sofort auf Janeway, Tuvok und zwei Sicherheitsleute zu.
„Doktor“, nickte Janeway dem Genannten zu.
Der Doc verstand sofort und tippte einige Befehle in die Konsole ein.
Dann trat Janeway näher an das zentrale Biobett heran, dicht gefolgt von dem sie schützenden Tuvok.
„Energie!“, befahl sie und auf dem Biobett materialisierte ein groß gewachsener Humanoide, offensichtlich derjenige, der in dem Objekt, das die Voyager in den Frachtraum gebeamt hatte, gelegen hatte.
Der Doktor durchschritt mühelos das das Biobett umgebende Kraftfeld und untersuchte ihn noch einmal. „Er lebt, aber es war knapp.“
„Wecken sie ihn auf!“
Der Doktor hatte gewusst, dass dieser Befehl kommen würde. „Ich rate davon ab, aber...“
„Tun sie es, Doktor! Ich will herausfinden, wer er ist!“ Sie war sehr neugierig, denn sie musste wissen, um wen es sich bei dem seltsamen Fremden handelte. Normalerweise wäre sie nicht so beunruhigt gewesen, aber diese Nachricht hatte sie und den Rest der Brückencrew sehr verunsichert. Es schien sich um eine Warnbotschaft gehandelt zu haben. Aber waren sie gewarnt worden?
Der Doktor setzte gerade an, um das Hypospray an der Halsschlagader – falls der Fremde so etwas besaß – anzusetzen, als Janeways Kommunikator piepste und sie mit einem Handzeichen den Doktor aufforderte, zu warten. „Kim an Janeway!“
„Janeway hier“, antwortete die Kommandantin angespannt.
„Das Objekt im Maschinenraum hat soeben ein Signal ausgesandt. Es wurde offenbar ein sehr kurze Nachricht über eine normale Trägerwelle übermittelt!“
„Wohin übermittelt?“, wollte der Captain wissen.
„Ich weiß es nicht, Ma’am...“
„Behalten sie das im Auge und scannen sie mit den Langstreckensensoren nach unbekannten Schiffen, Janeway Ende!“
Die Lage spitzte sich zu.
Ihr Gefühl, das irgendetwas an dieser Sache faul war, hatte sich verstärkt. Obwohl alles ruhig schien, etwas stimmte nicht. Und sie war sich fast sicher, dass es mit dem Fremden zu tun hatte. „Doktor, nun machen sie schon...“, wies sie nervös das MHN an, den Humanoiden aufzuwecken.
Der Doktor injizierte das Mittel des Hyposprays und verließ den abgeschirmten Bereich. Er gesellte sich zu seiner Vorgesetzten. „Die Wirkung kann sich etwas verzögern. Dieser Fremde hat eine andere Physiologie als wir...“
„Danke, Doktor. Ist der Universaltranslator der Krankenstation angepasst?“
„Ja!“
„Gut, dann warten wir eben, bis er aufwacht!“ Sie setzte sich auf einen Hocker, während Tuvok bewegungslos das Biobett betrachtete.
Das finstere Gesicht zuckte ein wenig, dann immer stärker. Ruckartig öffneten sich seine Augen. Grelles Licht blendete ihn. Er verhielt sich ganz ruhig. Wo war er? Wenigstens war er nicht mehr in seinem unwürdigen Sarg. Hatte ihn sein Volk befreit? Nein, sicher nicht. Und wenn doch? Er musste sich aufrichten und herausfinden, wo er war. Er nahm einen freundlicheren, aber verwirrten Gesichtsausdruck an. Sein Körper glitt sanft hoch, gleichzeitig stand eine... es musste eine Frau sein... auf.
Er stand behutsam auf und ging auf die Frau zu. Welch unwürdige Begrüßung. Durch eine Frau! Pah! Er versuchte so verwirrt wie möglich zu gucken und seinen Zorn im Zaum zu halten. Am liebsten hätte er dieses Weib erwürgt. Plötzlich stieß er gegen etwas.
Blaue Energie leuchtete vor ihm auf. Es musste sich um eine Art Schutzschild handeln. Wussten diese Fremden etwa, wer er war.
„Das ist nur eine Schutzmaßnahme“, sagte die Frau zu ihm. „Mein Name ist Captain Kathryn Janeway. Ich kommandiere dieses Schiff, die U.S.S. Voyager! Wer sind sie?“
Er wurde unruhig. Eine Frau kommandierte? Unvorstellbar! Was war das bloß für eine barbarische Spezies? Er versuchte zu sprechen, und es gelang ihm. „Mein Name ist Yklor...“ Er konnte nicht sagen „Yklor der Allmächtige.“ Dann würde seine Tarnung auffliegen. Und das wäre sehr schlecht für ihn. „... Yklor Teqklom... Was mache ich hier?”
„Wir haben eine Art Kapsel gefunden- und sie lagen in ihr.“
Sie konnten also noch keinen dringenden Verdacht geschöpft haben. „Ja... das ist meine... Rettungskapsel. Ich bin Kapitän eines Frachters. Eines der ersten Frachter meines Volkes, der den Weltraum befährt.“ Er musste vom Thema ablenken. „Sie scheinen technologisch wesentlich weiter fortgeschritten zu sein.“
Janeway nickte. „Ja, das ist durchaus möglich.“ Sie hoffte, dass seine Spezies über den Warpantrieb verfügte, denn sonst dürfte sie keinen Erstkontakt aufnehmen. „Ich gehöre den Menschen an. Mr. Tuvok, zu meiner rechten, ist ein Vulkanier. Unsere beiden Völker und viele andere sind Mitglieder in der Vereinten Föderation der Planeten. Dort ist die Technologie sehr weit fortgeschritten.“
Pah! Abschaum! Eine Föderation. Demokratie. Das waren all die Faktoren, die ihn vernichtet hatten, seine Macht entmachtet, seine glorreiche Diktatur zerstört hatten. Er kannte dieses Volk oder diese Völker noch nicht, aber schon jetzt war ihm bewusst, dass sie Schwächlinge waren. „Das ist... beeindruckend. Mein Volk ist nicht annähernd so weit entwickelt. Nun, wären sie so freundlich, diese Schutzmaßnahme auszuschalten und mich herauszulassen, Captain...“
„... Janeway. Nein, ich muss erst eine Frage an sie stellen.“
„Nur zu!“
Janeway hob das PADD und blickte dem Frachterkapitän in seine Augen. „Wie erklären sie sich die folgende Botschaft, die von ihrer Rettungskapsel ausgesandt wurde?“ Sie richtete ihre Augen auf das PADD. „‚Wer auch immer ihn finde, er sei des Teufels geweiht für alle Zeit. Das Böse sucht das Böse, das Gute wird für alle Zeit überleben und Freiheit und Recht wird uns für alle Zeit segnen.’“
Stille.
„Wissen sie...“, begann der Fremde, „Mein Volk ist sehr abergläubisch. Wir denken, dass der Verlust eines Schiffes nicht wieder gutzumachen ist, so wertvoll ist uns unsere Technologie!“
Tuvok hob eine Braue. Plötzlich schien der Boden unter ihren Füßen nachzugeben. Das Schiff bebte, der rote Alarm wurde ausgelöst.
Janeway ließ den Fremden außer Acht und rief sofort die Brücke. „Janeway an Brücke!“
Es wurde wieder ruhiger.
„Captain“, meldete sich Harry am anderen Ende der Verbindung. „Es ist soeben eine größere Flotte auf den Sensoren aufgetaucht. Sechzehn Schiffe eines unbekannten Typs. Sie kommen mit annähernder Impulsgeschwindigkeit auf uns zu und haben soeben Raketen abgefeuert. Es handelt sich um atomare Sprengköpfe!“
Janeway blickte Tuvok schockiert an, dann sah sie zu dem Frachtercaptain namens Yklor. „Ich komme sobald diese... Angelegenheit geklärt ist zurück!“
Die beiden gingen in schnellem Tempo aus der Krankenstation, während der Doktor sich dem Fremden widmete.
Die Wände zitterten unter einem neuen Treffer.
Tuvok wandte sich an seinen Captain, während sie in schnellem Tempo auf den nächsten Turbolift zumarschierten. „Captain, ich muss Ihnen etwas sagen. Dieser Frachterkapitän Yklor ist Angehöriger einer Spezies von Humanoiden, die als Beta-Rolki bekannt sind. Die Spezies hatte bis vor kurzem noch keine großen Fortschritte in der Weltraumtechnik gemacht, da auf ihrem Planeten eine primitive Diktatur herrschte.“
Janeway sah ihn im Gehen an. „Beta-Rolki... Nie von denen gehört. Ist ihr Planet in der Nähe?“
Tuvok bestätigte dies nickend. „Ja, er ist vier Lichtjahre von unserer derzeitigen Position entfernt.“
Dann näherten sie sich dem Turbolift und Janeway forderte ihn mit einem sanften Druck auf eine Schaltfläche an. Sie setzte die Konversation fort. „Sie haben kaum Fortschritte in der Weltraumtechnik gemacht. Aber Mr. Barclay meint, diese Person habe sicherlich fünf Jahre in dieser Kapsel verbracht.“
Der Vulkanier erwiderte ihren skeptischen Blick. „Eben. – Es gibt Grund zu der Annahme, dass seine Aussage gelogen ist.“
Der Turbolift war angekommen und die Türhälften glitten auseinander.
„Brücke!“
Das Schiff bebte erneut und der Turbolift schien tatsächlich zu schwanken.
„Aber was will er verbergen?“
„Ich weiß es nicht. Es scheint keinen logischen Grund zu geben, um uns zu betrügen.“
Die Kommandantin starrte vor sich hin. „Ich habe das Gefühl, diese Schiffe könnten eine Antwort parat haben...“
Als Tuvok und der Captain aus dem Turbolift kamen, wurde das Schiff erneut schwer durchgerüttelt und der Vulkanier hielt Janeway beschützend fest.
Nach einem dankenden Nicken ging sie auf ihren Kommandosessel zu. „Bericht!“
„Wir werden von atomaren Raketen getroffen und auf den Decks 14 bis 16 gibt es bereits Strahlungsschäden“, meldete Harry.
„Evakuieren sie die unteren Decks“, befahl Janeway. „Mr. Tuvok, versuchen sie diese Sprengkörper anzuvisieren und abzuschießen.“
„Es sind zu viele... Der Computer vermag es nicht, alle zu zerstören, bevor sie aufprallen! - Schilde bei 67 %!“
Es gab nur eine Möglichkeit, diesen Waffen auszuweichen: „Fähnrich Murphy!“, rief Janeway der an dem Steuer sitzenden Murphy zu. „Weichen sie diesen Dingern aus!“
Auf dem Bildschirm sah man, wie die Sterne vorbeisausten, und wäre die Voyager nicht im Weltraum, hätte die Überreste der verdauten Nahrung des Captains und mit ihr die der gesamten Besatzung wahrscheinlich einen anderen Weg als üblich genommen. Aber im Weltraum gab es kein oben und unten und keine Schwerkraft.
„Sehr gut, Fähnrich...“, lobte Janeway die sofort stolz blickende Telsia Murphy an der Steuerkonsole.
„Captain“, meldete sich Tuvok zu Wort, „Ich habe die sechzehn Schiffe gescannt. Es handelt sich um äußerst primitive Raumschiffe ohne vernünftige Sauerstoffversorgung noch mit einer künstlichen Gravitation. An Bord befinden sich... Beta-Rolki!“
Der Captain dachte nach. „Gut, wir müssen nun endlich herausfinden, was hier gespielt wird. Zielen Sie auf die Energiesysteme des Führungsschiffes, aber nur mit schwacher Phaserintensität. Wir wollen das System nicht zerstören!“
„Phaser abgefeuert... und getroffen.“
Janeway nickte und wirkte plötzlich ganz euphorisch und unternehmungslustig. „Hervorragend! – Haben diese... na ja, nennen wir es mal Raumschiffe, eine Art Kommunikationssystem; Harry?“
Der Koreaner studierte seine Sensorscans. „Ja, aber ein sehr primitives. Ich werde versuchen, unsere Kommunikationsphalanx auf eine Funkübertragung umzustellen!“
Die Kommandantin wartete.
Wenige Augenblicke später kam das erfreuliche Resultat: „Es hat geklappt. Ich denke, wir können nun eine Verbindung herstellen! Aber es gibt kein Bild und beschweren sie sich nicht über die Tonqualität...“
„Wir sind ganz schön verwöhnt, nicht?“, fragte Janeway selbstironisch in die Runde. „Also gut. Senden Sie folgende Nachricht ab: ‚Hier ist Captain Kathryn Janeway vom Föderationsraumschiff Voyager. Wir haben Ihre Energiesysteme beschädigt. Wir wollen den Grund für ihren Angriff erfahren. Ich rate Ihnen, zu kooperieren...’“
Mit einem knappen Nicken in Harrys Richtung wurde der altmodische Funkspruch abgesetzt. Es dauerte einige Sekunden, dann wurde das Schweigen durch eine verrauschte Kommstimme, die in einem schlecht übersetzten Englisch vorgetragen wurde (der Computer schien noch immer Schwierigkeiten mit der Sprache zu haben.), gebrochen. „Hier ist Raumschiff 1. Wir haben losgeflogen von Heimatplaneten, um zu vernichten sie. Sie Tyrann an Bord und daher sie zusammenarbeiten mit Bösen.“
Janeways Stirn legte sich in nachdenkliche Falten, Tuvoks linke Braue schnellte ruckartig hoch, Harry sah sich irritiert um.
Janeway begann wieder zu sprechen, um eine Antwort zu senden. „Wir haben lediglich den Captain eines Frachters an Bord.“
Wieder herrschte für eine obligatorische Zeit Stille. Dann kam die ersehnte Antwort. „Nein, Irrtum. Person an Bord Sie Schiff Besitz Diktator sein ---“ Eine Reihe unverständlicher Worte, gesprochen von dem Captain des Raumschiffes folgten.
‚An Bord Sie Schiff Besitz’ sollte im Übrigen wohl soviel heißen wie ‚An Bord ihres Schiffes’.
‚Eine sehr umständliche Art einen Genitiv auszudrücken’, dachte Janeway in der kurzen Pause.
Dann konnte der Computer beziehungsweise das Universaltranslator-Programm wieder übersetzen: „Er Diktator ist. Verbannt von Heimatwelt uns Besitz er wurde.“
Tuvok blickte Janeway an, die es ihm gleichtat.
Offenbar handelte es sich bei dem vermeintlichen Captain um die verhassteste und verbannte Person des gesamten Planeten der Beta-Rolki. Es musste der Dikator gewesen sein, der den Planeten für ein Betreten von Föderationsteams unmöglich machte. Und scheinbar hatten es die Beta-Rolki geschafft, ihn zu verraten und auszustoßen, in dieser ebenfalls vermeintlichen Rettungskapsel, die in Wahrheit ein ewiges Grab war, indem der Fremde durch ein kompliziertes Sauerstoffgewinnungssystem bis zu seinem natürlichen Tod am Leben erhalten werden sollte.
Die Botschaft, die man empfangen hatte, war eine Warnung gewesen und jetzt wurde Janeway der Sinn endlich klar. Sie hatten einen einstigen Herrscher an Bord. Plötzlich ertönte wieder die Kommstimme. „Wir gewähren Sie einen Gatagen, um ihn übergeben zu an uns.“
„Was ist ein ‚Gatagen’?“, fragte die Kommandantin an Harry gerichtet.
Dieser schien etwas in dem Archiv des Schiffes nachzulesen. „Nach dem Bericht eines Forscherteams, das vor einigen Jahren den Planeten inspiziert hatte, handelt es sich dabei um einen Tag auf ihrem Planeten. Für uns entspricht das etwa 37 Stunden, 41 Minuten und 13,3 Sekunden – um es genau zu halten.“
Janeway nickte und sprach mit einer verbitterten Mimik vor sich hin: „Gut, ich denke nicht, dass wir so lange brauchen werden...“
„Was sollen wir nun mit unserem ‚Frachterkapitän’ machen? Er stellt für das Schiff eine nicht zu unterschätzende Bedrohung dar“, stellte Tuvok fest, während er und Janeway durch die Korridore von Deck Fünf schlenderten.
Sie hatten es nicht eilig, denn der Captain wollte sich mit ihrem momentan engsten Vertrauten noch ein wenig beraten.
Chakotay und seine Weisheit, seine Ratschläge und seine Freundschaft fehlten ihr, das stand außer Frage. Auch wenn sie Tuvok, ihren alten vulkanischen Kumpel, schon bedeutend länger kannte – es mussten bald schon fast zwanzig Jahre werden -, so war Chakotay immer noch ihr offizieller Erster Offizier und ihr als Mensch vertrauter, was angesichts der Tatsache, dass Tuvok gar kein Mensch war, nicht weiter verwunderlich schien. Nein, Chakotay war ihr auch nach seiner Heirat mit Seven beziehungsweise Annika noch immer ihr persönlich wichtigster Berater, mit dem sie über mehr als alles reden konnte. Sie fühlte sich... handlungsunfähig. Ja, das war das richtige Wort. Normalerweise ging sie mit Chakotay in ihren Raum, besprach das Problem, hörte sich seine Meinung an und entschied sich.
Aber nun gab es nur Tuvok, und der half ihr immer mit den Gesetzten der Logik weiter, was keine echte Hilfe für einen Menschen darstellte. Aber was gab es großartig zu entscheiden? Sie würde diesen Herrscher ausliefern und dann die Beta-Rolki in Ruhe lassen, so wie es eigentlich sein sollte. Die ungewollte Einmischung in die Angelegenheiten dieses Volkes war schon fatal, noch fataler könnte sich in Zukunft aber der Umstand erweisen, dass die Beta-Rolki nun wussten, dass die Voyager und somit die Föderation angeblich mit ihrem gehassten Diktator zusammengearbeitet hatte. Damit sollten sie nun bei den Beta-Rolki verhasst sein, wie in der Botschaft angedeutet gewesen. „Ich weiß es nicht... Ich denke, ich werde ihn erst einmal vor vollendete Tatsachen stellen und ihn dann ausliefern, so wie es die Beta-Rolki wünschen. Wir können uns unmöglich ihren Forderungen widersetzen. Nicht nur, dass ihre Atomsprengköpfe auch unser Schiff bereits beschädigt haben, nein, wir dürfen uns einfach nicht in ihre Angelegenheiten einmischen.“
Tuvok nickte, während sie vor der Tür der Krankenstation standen.
Dann trat der Captain einen Schritt vor und zischend gewährte die Tür Zugang zur Krankenstation.
Der Diktator stand noch immer hinter dem Kraftfeld.
Mit einem nach rechts deutenden Blick wies Janeway Tuvok an, im Nebenzimmer zu warten. Dann ging sie auf den Betrüger zu. Sie hatte einen ernsten Blick angenommen.
Der „Frachtercaptain“ sah sie freundlich an, das Lächeln verschwand aber sofort beim Anblick der auf ihn zukommenden Janeway und verwandelte sich in einen bösartigen Blick.
Janeway ergriff das Wort, während der Doktor es Tuvok gleichtat und sein benachbartes Büro aufsuchte. „Wer sind Sie wirklich?“
„Aus Ihrer Fragestellung und dem Stoppen des Bebens entnehme ich, dass Sie das bereits wissen“, entgegnete er sachlich und kühl. „Mein Name ist Yklor der Allmächtige. Ich war einst Herrscher meines Planeten und über die, die sie als Beta-Rolki bezeichnen.“
„Sie waren nicht ihr Herrscher...“
„Nein“, kam er ihr zuvor, „ich war ihr Diktator... Ja, genau. Ich habe sie kontrolliert, unterdrückt, das ist es, was Sie sagen wollten, nicht wahr?“
Janeway starrte ihn an.
Er lächelte bösartig. Seine Augen funkelten vor Boshaftigkeit und Wahn. „Sie haben völlig Recht, wenn Sie denken, dass ich Sie verabscheue. Ich verabscheue Sie, weil Sie uns belogen haben und weil ich jede Diktatur verabscheue!“
„Ist Ihr Volk doch nicht perfekt?“
„Woraus schließen Sie das?“
„Aus der Tatsache, dass Sie sich ein Urteil über Diktaturen bilden konnten.“
Die Kommandantin verteidigte sich: „Ich habe nie behauptet, dass mein Volk, die Menschen, perfekt ist. Perfektion ist etwas Unerreichbares. Aber der bloße Umstand, dass man es nicht ist, entschuldigt keine Diktaturen. Da haben sie Recht. Mein Volk hat in der Vergangenheit, vor vielen Jahrhunderten auch Fehler gemacht.“
„Sehen Sie eine Diktatur als Fehler an?“
„Jedes normale Lebewesen tut das, wenn es nicht gerade der Diktator selbst ist. Eine Diktatur nimmt den Untertanen Freiheit und ihre natürlichen Rechte. Ich weiß nicht wie man so etwas tolerieren kann!“
„Haben Sie je unter einer Diktatur gelebt, Captain Janeway? Sie hätten festgestellt, welche Vorzüge es hat...“
„Wenn man mitmacht sicherlich. Aber die, die sich ihrer Ideologie verschließen und Widerstand leisten, sei es auch nur mündlicher, werden eliminiert oder psychisch vernichtet. Ist es nicht so?“, fragte Janeway in einer höheren Lautstärke und einem strengen Unterton.
Er ging an der Innenseite des Kraftfeldes entlang, den Captain stets im Blick. „Ich sehe, Sie haben die Grundstrukturen erkannt, aber sie kratzen doch nur an der Oberfläche. Die wahre Intuition, die Gründe, die Ideologie einer oder meiner Diktatur haben sie nicht erkannt. Wenn Sie die Macht hätten, die ganze Föderation oder wie ihre Vereinigung heißt zu kontrollieren, wenn Sie sie nach ihren Ansichten, nach ihrer Meinung formen könnten, wenn sie Gewalt und Ihrer Meinung nach unethische oder unmoralische Dinge auslöschen könnten, würden sie es nicht tun?“
„Nein!“, kam die schroffe und konsequente Antwort aus Janeways Mund. „Nein, weil ich gegen Freiheitsberaubung und für die Individualität bin.“
„Individualität? Wer will den Individualität vernichten? Wenn alle mir folgen, vernichte ich dann Individuen oder Freiheit? Captain, sagen Sie es mir: Würden sie dieses verlockende Angebot nicht annehmen?“
„Nein!“
„Warum nicht? Was spricht dagegen, wenn Sie der Föderation sogar helfen könnten? Würden sie es annehmen?“, fragte er erneut und fesselte ihren Blick mit seinen bösartigen Augen.
Janeway wandte sich ruckartig ab. „Nein! Ich würde niemals fast eine Billionen Lebewesen kontrollieren und alle, die mir nicht folgen wollen, umbringen. In der Vergangenheit meines Planeten gab es oft Diktaturen. Mal waren es wahnsinnige Geistliche, denen sich ihre Schüler willenlos anschlossen, mal waren es unbekannte Politiker, die von einem Tag auf den anderen die Macht an sich rissen, durch Intrigen und ohne Wahlen, und dann die Situation der Menschen ausnutzten. Das alles ist aber auf meinem Planeten vorbei! Nie mehr gab es seit zwei Jahrhunderten derartige Szenarien. Und mit ihrem Tod wird auch dies vorbei sein!“
„Ja, sie haben schon wieder Recht, Captain! Ich werde sterben. Die neuen Anführer meines ehemaligen Volkes werden mich vor den Augen von Milliarden hinrichten - auf grausame Art und Weise. Sind die dann besser als ich? Ich wollte einen perfekten und effizienten Staat erschaffen, Captain Janeway! Die paar Millionen, die wegen ihrem falschen Glauben umkamen, was ist das im Vergleich zu einem solch hervorragend funktionierenden Staat?“
„Sie können nicht ernsthaft behaupten, dass Ihnen ein paar Millionen nichts wert waren...“ Die Kommandantin war sprachlos.
Yklor der Allmächtige, wie er sich nannte, war ein Diktator wie die Erde ihn seit so langer Zeit nicht mehr gesehen hatte. Er versuchte sie zu verführen, ihr klar zu machen, wie gut und vorteilhaft eine Diktatur war. Aber dabei war er wahnsinnig, bösartig und machtbesessen.
Und Janeway hasste ihn. „Mein Entschluss steht! Ich werde sie innerhalb der nächsten Stunden ausliefern!“ Die Kommandantin machte kehrt und wollte die Krankenstation verlassen, da hörte sie wieder seine Stimme im Hintergrund.
Es war eine seltsame und Furcht einflößende Mischung aus einem flehenden, bemitleidenswerten und einem kalten, boshaften Ton aus dem Mund eines Wahnsinnigen. „Aber Captain!“ Es schien, als hätte Yklor den Captain am liebsten festgehalten und zu sich gezogen. Doch das Kraftfeld hinderte ihn daran. Er begriff nicht, wieso diese Frau ihn nicht verstand. - Sie wusste nichts über die Wunder, die er vollbracht hatte. Seine Welt hatte sich mit Atomwaffen und anderen scheußliche Waffen versucht gegenseitig zu vernichten.
Schwache Kaiser und Prinzen wurden von Völkern in unzähligen Ländern verehrt, von Massen umjubelt. Es hatte Chaos geherrscht, unkontrollierbares Chaos. Dann war eine Regierung an die Macht gekommen, die versuchte den Staat zu einen und mit tollkühnen wissenschaftlichen Fortschritten hatte sie es geschafft, die Massen in ihren Bann zu ziehen.
Die Politiker hatten den Beta-Rolki eine strahlende Zukunft vorgegaukelt. Und sie hatten behauptet, sie wären nicht die dominierende und einzig intelligente Spezies in diese Galaxie. Dann kam er langsam an die Macht. Freunde und mächtige Personen unterstützten ihn, als sich die ganze Welt in einer Krise befand. Durch fehlgeschlagene Experimente waren ganze Gegenden verseucht worden, Mitglieder seiner Spezies waren im Weltraum verschollen und sein Planet drohte an seinem technischen Fortschritt und einer schweren Wirtschaftskrise unterzugehen. Es hatten sich Slums gebildet, immer mehr Leute verfielen dem Hungertod. Städte waren Opfer von Zerstörungswut geworden. Alle hatten gegensätzliche Meinungen gehabt. Doch dann kam ein Wendepunkt, als er, Yklor der Allmächtige, den seit Jahrhunderten zugestaubten Thron betrat. Er führte eine Aristokratie ein. Doch immer noch waren alle ungeeint. Dann, in der großartigen Schlacht von Gojhtal wurde die Hauptstadt des auf seiner Welt nun vorherrschenden Imperiums durch angeblich feindliche Truppen vernichtet und mit ihr alle Senatoren der Adelspartei sowie viele Kritiker des neuen Systems und seiner Machtübernahme. Er aber war unter einem Vorwand zuvor aus der Stadt ausgereist und hatte mit seinen persönlichen Truppen abgelegene Forschungsstationen inspiziert und dann vernichtet. Das Volk liebte ihn und vergötterte ihn, weil er die Schlacht überlebt hatte. Er gab sich als Kämpfer aus. Langsam, aber sicher, wurde er zum alleinigen Herrscher des Planeten. Das Volk ließ in seiner Bewunderung nicht nach: Nein, es tat alles, was er wünschte, was er befahl, was er ihnen aufzwang und was er ihnen am Ende mit Bestechung anordnete. Doch die Untergrundorganisationen, die Freiheit und gleiche Rechte bevorzugten, gewannen immer mehr Anhänger. Er holte Kritiker und Widerstandspersonen aus dem Volk, versuchte sie mit Gedankenwäsche und Überwachung zu kontrollieren und von seiner richtigen Macht zu überzeugen. Doch es gelang nicht. Vernichtende Schriften wurden mit neuen Medien unter dem Volk verbreitet. Aus ein paar Tropfen wurde ein Wasserfall, ein Unwetter, ein Strom, ein gewaltiger Fluss und schließlich ein Meer. Ein Meer von Personen, die ihn hassten, verachteten und schließlich ihn und seine Ideologie zerstörten. Eines Tages drangen sie in seinen großen Tempel ein. Die Soldaten, die ihn verteidigen sollten streikten, wandten sich gar gegen ihn und er wurde überrumpelt. Als diese Nachricht bekannt geworden war, dass er, als der starke und allmächtige Herrscher wortwörtlich, vom Thron geschubst worden war, aus seinem prunkvollen und hoch abgesicherten Palast vertrieben, wandten sich an die größten Befürworter gegen ihn. In einem offenen Prozess, in dem alle Welt zuhörte, wurde er angeklagt. Er wurde beschuldigt, die „Grundrechte“ verletzt zu haben. „Grundrechte“, die nur in Phantasieromanen vorgekommen waren. Er wurde außerdem beschuldigt, ganze Völker, die nicht in seine Ideologie, in sein Konzept passten, vernichtet zu haben, Doch die Todesstrafe war den neu gewählten Herrschern oder „Volksvertretern“, wie sie sich nannten, nicht genug. Sie dachten sich einen ewigen Sarg aus und schossen ihn in den Weltraum. Das sollte sein Exil auf Lebenszeit sein.
Janeway blickte noch einmal zurück, obwohl sie eigentlich schon auf dem Weg nach draußen war.
„Captain... Ich werde brutal hingerichtet. Ich werde keinen Prozess bekommen... sie werden mich vor aller Öffentlichkeit entblößen, sie werden an mir grauenhafte Experimente durchführen. Sie werden mich langsam und qualvoll töten. Ich frage sie: Wo sind meine Rechte? Habe ich etwa keine, nur weil ich einst der vergötterte Führer von Milliarden war? Ist es ethisch vertretbar, zu foltern, zu quälen und hinzurichten?“
Janeway drehte sich endgültig um und winkte den Doktor und Tuvok zu sich. Zwei Sicherheitsoffiziere blieben zurück, während die beiden Offiziere und der Doktor (der Doktor hatte lediglich den Rang eines Crewman) die Krankenstation verließen.
Draußen wandte sich die Kommandantin an Tuvok. „Ich möchte, dass sich alle Führungsoffiziere im Konferenzraum versammeln. Veranlassen sie das!“
Tuvok nickte und verschwand hinter einer Ecke des Korridors.
Janeway wandte sich daraufhin an den Doktor. „Sie haben wohl den größten Sinn für Ethik und Moral, Doktor... Was...“
Der holografische Arzt schien Einwände zu haben. „Ich besitze nur ein Programm dafür. Moral und Ethik, wie sie sie kennen, entwickelt sich durch Erfahrung, nicht durch ein Programm...“
Janeway nickte. „Ich weiß, ich weiß, Doktor... Aber ich bin unsicher, was ich tun soll. In einem Buch, was ich lese, steht genau das geschrieben, was er mir versucht hat zu sagen. Was denn falsch an einer Diktatur ist? Bei näherer Betrachtung nichts. Sie ist zwar unterdrückend, aber auch vorteilhaft. Er hat eine unglaublich überzeugende Art...“
Der Doktor blieb stehen. „Captain. Ich denke, dass dieser Diktator dort drin wahnsinnig ist. Bei ihrer Unterhaltung habe ich in seiner Mimik und in seiner Stimme die typischen Symptome für Geistesgestörtheit festgestellt. Und er hat Recht: Er darf nicht hingerichtet werden, er muss geheilt werden!“
Die Kommandantin faste ihn mit einem leichten Druck an seine aus Photonen bestehende Schulter. Sie versuchte sich klar zu machen, dass diese Photonen genau so eine Illusion waren wie die von Yklor dargestellten Vorteile einer Diktatur. „Er hat so etwas... Besessenes und Bösartiges an sich...“, sagte sie vor sich hin.
„Selbst auf mich wirkt er mit dieser von Ihnen angesprochenen Besessenheit äußerst bedrohlich“, stimmte der Doktor zu. Janeway sah ihn an.
„Er wirkt nicht bedrohlich, Doktor. Bedrohlich kann jeder von uns sein. Sie können bedrohlich sein, ich kann es sein. Selbst der friedlichste Mensch vermag es, Angst einzujagen und zu drohen. Er ist bösartig, er verkörpert das Böse in den Augen eines ganzen Volkes. Böse zu sein, zutiefst böse, in unserem Inneren überzeugt, dass eine unethische Tat gut und nützlich ist, das gelingt nur den wenigsten...“
„Setzen sie sich“, befahl die Kommandantin wenige Minuten später in dem Konferenzraum.
Auch Tema’na war anwesend, obwohl Janeway dies eigentlich nicht wollte. Aber sie war nun mal Führungsoffizier. Daran ließ sich nichts rütteln, ohne eine Beschwerde bei der Sternenflotte. Und als sie diese Gedanken hegte, kam in ihr gleich wieder ein Gefühl von Mitleid mit der Romulanerin, die mit starrem und zornigem Blick auf die erleuchtete Tischplatte sah.
„Ich habe sie zusammengerufen, damit wir etwas besprechen, was im Konferenzraum ja durchaus üblich ist.“
Die Offiziere schmunzelten, mit Ausnahme von Tuvok – wie immer – und Tema’na.
„Sie alle haben mitbekommen, dass uns ein Ultimatum gestellt wurde und wir gezwungen sind, diesen einstigen Diktator an die Beta-Rolki auszuliefern. Ich dachte zuerst, dass eine Entscheidung leicht wäre oder überhaupt nicht notwendig wäre, aber der Doktor“, der Genannte nickte, „hat Yklor dem Allmächtigen, wie er sich nennt, Geisteskrankheit bescheinigt. Er scheint tatsächlich nicht bei Verstand zu sein...“
„Ma’am. Alle Diktatoren auf der Erde waren geisteskrank. Caesar, Dschingis Kahn, Hitler, Mussolini... Sie alle waren nicht bei Verstand und haben Millionen Unschuldiger umgebracht...“, meinte Harry.
„Ja“, bestätigte Janeway, hatte aber einen Einwand. „Aber ist es denn moralisch zu rechtfertigen, dass dieser Mann vor den Augen des ganzen Volkes hingerichtet wird, auf bestialische Weise? Ist er ein menschliches Wesen nach unseren Maßstäben oder ist er unmenschlich?“
Tema’na lachte auf und wurde mit verständnislosen Blicken überhäuft. „Hat die Föderation und haben sie eigentlich auch was anderes als Moral und Ethik und diesen Blödsinn im Kopf? Ich dachte, es gibt so etwas wie eine Oberste Direktive in Ihrem Saftladen...“
Der Captain ging um den Tisch herum und stoppte hinter Tema’na. „Sicherlich, unser ‚Saftladen’ hat eine Oberste Direktive, aber wir haben uns doch schon eingemischt. Wir haben ihn an Bord geholt...“
„... und dürfen es daher nicht noch schlimmer machen, Captain. Ich verstehe Ihre ethischen Bedenken in dieser Situation, aber es ist unsere Pflicht den Schaden zu minimieren.“
Alle nickten zustimmend.
„Gut...“, meinte Janeway scheinbar entschlossen, aber in Wahrheit unsicher, „Gut, dann werden wir ihn ausliefern... Wegtreten!“
Die Offiziere verschwanden aus den beiden Ausgängen, nur Tuvok blieb zurück und ging unaufgefordert zur Kommandantin, die aus den Aussichtsfenstern blickte.
„Tuvok... Ich weiß, dass wir ihn ausliefern müssen, aber... ich weiß auch nicht, es scheint ungerecht zu sein. Er hat seinem Volk offenbar Wohlstand gebracht...“
„... und viele Unschuldige mussten aufgrund seiner Ideologie sterben...“, fügte Tuvok hinzu.
„Er hat das Chaos beseitigt...“
„... aber wissenschaftlichen Fortschritt zugunsten seiner Macht gestoppt.“
„Ja, aber dieser Fortschritt hatte ihre Welt verseucht“, wandte Janeway ein. „Und hätte er sich nicht gegen die, die ihm Widerstand leisteten, gewendet, dann wäre wieder Chaos und Krieg ausgebrochen. Ohne ihn wären die Beta-Rolki vielleicht ausgelöscht.“
Ihr vulkanischer Sicherheitsoffizier hob eine Braue. „Ja, aber viele Beispiele aus der Vergangenheit unserer Planeten zeigen, dass Diktaturen mit sinnloser Gewalt verbunden sind und Völker auch ohne eine solche überleben können oder sich gar besser entwickeln.“
„Ja, das ist richtig...“. Janeway brauchte Chakotay, das wusste sie. Sie hatte das Gefühl, sich ohne ihren Ersten Offizier nicht entscheiden zu können.
Immer hatte sie ihn in ihre Entscheidungen einbezogen und nun war er für einige Wochen oder Tage abwesend. Sie war schier handlungsunfähig. Sie war abhängig von ihm, ob sie es wollte oder nicht, es war die Wahrheit. Und noch etwas war Wahrheit: Sie hatte Angst vor dem Diktator. Sie hatte es gegenüber Tuvok nicht zu Wort bringen wollen, aber sie hatte wirklich Angst vor ihm. Sie hatte noch nie so etwas gesehen, wie Yklor, den Diktator. Vielleicht hatte sie auch nur Angst vor der Vergangenheit, denn wie Lieutenant Kim es bereits gesagt hatte: Er war Hitler und all den anderen schrecklichen Herrschern sehr ähnlich. Und davor hatte sie Angst.
Tema’na schlenderte vor dem Kraftfeld vor dem Zentralen Biobett entlang.
Yklor beobachtete sie. „Wenn Sie mich und meine Ziele so respektieren, warum schalten Sie das Kraftfeld nicht aus?“
„Weil ich es nicht darf! Glauben Sie mir, ich bewundere sie in der Tat. Auch mein Volk hat in der Vergangenheit Diktaturen erlebt und im Prinzip herrscht auch jetzt noch eine...“
„Aber bei Ihnen wurde keiner bestraft, nur weil er mächtig war... Es ist wirklich interessant. Ich bin auf zwei neue, mir völlig unbekannte Völker getroffen. Blasse Wesen ohne irgendwelche körperlichen Verzierungen und auf Grünblutige mit mysteriösen Auswüchsen an den Ohren. Aber was höre ich? Überall gab es zuvor auch Diktaturen, aber ich bin der Böse. So ist es doch, oder?!“
Die Romulanerin blickte ihm in seine finsteren Augen. „Ja, denn in meinem Volk wurden nicht ganze Religionen ausgelöscht. Bei uns funktioniert der Staat, alle sind vereint und haben ein Ziel, aber bei Ihrer Diktatur wurden ganze Völker ausgelöscht und nicht alle hatten ein Ziel. Sie waren zu machtbesessen.“
Er war zu machtbesessen. Machtbesessen? Machtbesessen! Machtbesessen... Er war machtbesessen... Ja, diese Frau hatte Recht. Sie hatte tatsächlich Recht. Viele Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf. Er hatte viele umgebracht, zu viele... Aber nein, was dachte er da. Das alles war notwendig gewesen, um seine göttliche Macht zu erhalten ... seine Macht... Was hatte er getan? War er tatsächlich zu mächtig? Hatte er sein Volk nicht geführt, sondern sich nur in den Vorzügen seiner Macht gesuhlt und seinen Wohlstand schamlos ausgenutzt?
Hatte er wirklich nur Verräter getötet oder waren es Unschuldige gewesen, die nur nicht seinem Glauben folgten? Waren die Völker der Nedui, der Renuegiz, waren die vielen Millionen, die seinetwegen, wegen seiner Macht, über die er uneingeschränkt verfügen wollte, unnötig ausgelöscht worden?
„Verlassen... Sie mich...“, befahl er Tema’na unsicher, die ihn mit einem Stirnrunzeln beobachtete.
Innerhalb weniger Augenblicke war der Diktator, eben gerade noch mit einem besessen Blick und bösartig wirkend, scheinbar schwach geworden. Er klammerte sich verzweifelt an das Biobett.
Tema’na beobachtete, wie sich sein Gesicht verzerrte und einen wehleidigen Ausdruck annahm. Sie hielt es für besser, in ihr Quartier zurückzugehen, wie Janeway es ihr befohlen hatte.
Die Romulanerin verließ die Krankenstation, während der Doktor nun eine letzte Untersuchung Yklors machen wollte. Dies war schließlich eine einmalige Gelegenheit, Wissen über diese bislang unbekannte Spezies zu erlangen.
Da bemerkte er, was geschehen war. Er wollte sofort durch das Kraftfeld gehen, aber es hätte sich auch um einen Ausbruchsversuch des Diktators handeln können. Der Doktor war ein Hologramm und hatte nichts, was Yklor gebrauchen konnte, um auszubrechen. Also klappte er den Tricorder auf und ging schnellen Schrittes, das Kraftfeld mühelos durchbrechend, zu seinem „Patienten“, was ihm jedoch nur ohne seinen Mobilen Emitter möglich war.
Yklorys Adrenalinspiegel zeigte überdimensionale Werte. Er musste... Schuldgefühle haben, große Furcht vor irgendetwas. Anders konnte sich der Doktor den Zustand des Diktators nicht erklären. Er fasste ihn an der Schulter und half ihm auf das Zentrale Biobett. „Setzen sie sich... Ist alles in Ordnung?“, fragte das MHN freundlich und mit einem beruhigenden Unterton in seiner Stimme.
„Nein, natürlich nicht... Ich weiß auch nicht, es ist so...“
Der Doktor bemerkte eine Träne in den Augen Yklors.
„Ich...“ Plötzlich schien sich der Diktator wieder zu fassen und wurde wieder zu dem, was er vorher war.
Tuvok kam gerade herein und schien sich mit Yklor unterhalten zu wollen.
Der Doktor ging wieder in sein Büro, sprach vorher aber noch einmal Tuvok von der Seite an. „Ich weiß es nicht genau, aber es scheint mir, als habe unser Ex-Herrscher gerade Reue gezeigt...“
Tuvok hob eine Braue und nickte. „Verstanden, Doktor“, flüsterte er zurück.
Dann verschwand das MHN in seinem angrenzenden Büro.
„Ich wollte mich von Ihnen verabschieden und... Ich habe noch eine Frage an Sie“, begann Tuvok.
Yklor sprang auf und näherte sich ihm. „Na dann, nutzen Sie mich als Versuchsobjekt!“
„Wieso haben Sie derart viele Personen umgebracht? Warum haben Sie Personen und Meinungen unterdrückt?“
Der Diktator begann zu zittern. „Ich...“, er zweifelte, „Ich tat es für das Wohl des ganzen... Außerdem wissen sie nur aus Berichten meines Volkes und von einer meiner... Anmerkungen, dass einige Leute umgekommen sind!“
‚Für das Wohl des Ganzen’, dachte Tuvok. Genau diese Antwort hatte er erwartet. Es war beklemmend, aber die Logik gewährte Yklor dem Allmächtigen Recht. Nach diesem Grundsatz zu urteilen, wiegte das Wohl Einzelner, in dem Fall Millionen, nicht über das Wohl Vieler, in dem Fall Milliarden.
Sicherlich waren es andere Größenordnungen, wenn Millionen gegen ihren Willen umgebracht wurden, als wenn ein Besatzungsmitglied sich selbstlos und aus eigenem Willen zum Beispiel für die Voyager opferte. Aber er hatte Recht.
Sein Volk hatte sich wieder von ihrer Zeit des Leidens erholt. Yklor der Allmächtige hatte sie nach vorn gebracht, was Gesellschaft und Wohlstand betraf. Aber doch nur soweit, dass er sie noch kontrollieren konnte und stets der Mächtigste der ganzen Welt bleiben würde.
„Sie taten es also nicht, um Macht zu besitzen und zu bewahren?“
Yklor log: „Nein...“ Er wusste genau, dass es eine Lüge war, aber was spielte das nun noch für eine Rolle? Nein, es spielte eine Rolle: Er musste sich vor seinem Gewissen rechtfertigen. Doch dieses begann mehr und mehr die Kontrolle über ihn zu übernehmen. Genau wie sein Volk einst mehr und mehr Macht gewann. Es hatte doch etwas Ironisches, dachte er. Am Ende sah er seine Schuld ein. ‚NEIN!’, schrie er innerlich. Er musste Haltung bewahren. Er würde vor seinem Volk und möglicherweise letzten Anhängern gar nichts eingestehen, gar nichts. Er hatte Recht gehabt. Dass hatte er doch. Seine Diktatur war richtig gewesen, daran bestanden keine Zweifel? Oder?
„Erwarten Sie mich und ein Sicherheitsteam in wenigen Minuten. Wir werden Sie dann mit einem Shuttle auf das Führungsschiff Ihres Volkes bringen“, sagte Tuvok noch und schritt mit unbewegter Mimik durch den Raum. Doch in seinem Inneren war er überhaupt nicht geordnet. Was der Diktator zu ihm gesagt hatte, war... logisch. Und diesen zwielichtigen Widerspruch zur Ethik und Moral musste er vernichten, ehe er tatsächlich diesen - vom Standpunkt der Logik her - verlockenden Prinzipien verfiel.
„Gut, ich werde ihn betäuben, damit er Ihnen keine Probleme bereitet.“ Das MHN ging durch das Kraftfeld und ließ Tuvok und die zwei Sicherheitsoffizier hinter demselbigen zurück.
Diese hatten eine Antigravliege mitgebracht, um ihn zu dem Shuttle zu transportieren, dass den Diktator auf das Schiff der Beta-Rolki bringen sollte.
Beamen hatte Janeway als zu gefährlich erachtet, da die Beta-Rolki nicht noch verwirrter durch die Technologie der Föderation werden sollten.
Er setzte das Hypospray an die Halsschlagader des aufrecht sitzenden Yklor.
Der Diktator fuhr zurück.
„Es ist nur ein Betäubungsmittel, das sie in einen Ruhezustand versetzt.“
„Dass Sie einfach zusehen, wie ich dem Tod ausgeliefert werde. Sie haben doch gesehen, dass ich Reue gezeigt habe, Doktor!“ Er hatte einen letzten Versuch gewagt, sein Leben zu retten.
Doch das MHN antwortete trocken: „Ja, genau. Sie haben sich vom Bösen gelöst und das ist wohl das größte Geschenk ihres Lebens. Ich kann für Ihr Wohlergehen nicht sorgen, auch aus Gründen der Ethik nicht.“ Der Doktor nahm das Hypospray erneut und betätigte den Auslöser. Er musste ihn vorsichtig berühren, denn eine zu hohe Dosis des Mittels wäre tödlich.
Da griff der Diktator auf die Hand des Doktors und das ganze Mittel wurde ihm injiziert.
„Doktor...“ Tuvok war sehr beunruhigt.
„Oh Gott...“ Der Doktor musste schnell handeln. Er zog seinen Tricorder. „Es gibt für dieses Mittel kein Gegenmittel...“ Er scannte den Diktator, der nervös zuckte. Seine Augen waren weit geöffnet und seine gelbe Haut verblasste zunehmend.
Der Tricorder piepste in immer kürzeren Abständen, der Tod des Diktators schien unausweichlich.
Er zog den Doktor zu sich und hauchte dem Hologramm noch einige letzte Worte ins Gesicht, während Tuvok das ganze beobachtete. „Doktor... Ich...“ Er hustete und seine Hand zitterte. „Ich... habe meine Schuld eingesehen... bitte sagen Sie es... Capt... Janeway... und den Führern meines Volkes... dass... ich ihnen... eine glorreiche... Zukunft wünsche... Sie hatten immer Recht, ich lag im Unrecht... Eine Diktatur ist falsch... Mein Tod ist die Bestrafung für das, was ich... so vielen angetan hatte... Mein Traum von Macht... war zu mächtig... Er hat mich vernichtet... und meine Herrschaft... Ich hoffe... mein Volk wird wie Ihres... nie mehr von einem Diktator wie mir... beherrscht... Wer... den... ich verab... scheu...e ... mich... ich verabscheue mich!“
Der Tricorder gab plötzlich nur noch einen konstanten Piepston von sich.
Die letzten Worte hatte Yklor unter Schmerzen und wilden Zuckungen ausgestoßen.
Der Doktor sah bedrückt aus. Tuvok machte wie immer eine ausdruckslose Mine. „Er hatte Reue gezeigt, Tuvok. Er hat seine Schuld eingesehen...“
„Ja“, stimmte der Vulkanier zu. „Ich denke, sein Volk sollte ihn nicht so in Erinnerung behalten, wie sie ihn verbannt haben.“
„Ja, das hat er nicht verdient...“
Tema’na saß in ihrem Quartier und öffnete die zweite Flasche romulanisches Ale. Die blaue und stark alkoholische Flüssigkeit schmeckte der Romulanerin nicht besonders, aber sie erinnerte sie an ihre Heimatwelt. Allmählich begann sie bereits, die vom Alkohol ausgehende Wäre zu spüren.
Romulaner vertrugen eigentlich bis zu zwei Flaschen, aber es wechselte von Frau zu Mann und von Romulaner zu Romulaner.
Sie begann bereits leicht zu torkeln, als sie aufstand, weil sie das Türsignal vernommen hatte. Sie ging leicht wankend zur Tür, hielt einmal inne und schien sich dann wieder gefangen zu haben. Sie betätigte die Schaltfläche „Öffnen“ und sah die Person, auf die sie auf der einen Seite getrost verzichten konnten, die sie aber auf der anderen Seite gerne sehen wollte. „Ah... Captain Janeway.“
„Crewman Tema’na”, beantwortete die Kommandantin die Begrüßung und betrat das Quartier. „Sie trinken? Im Dienst?“
Tema’na grinste sarkastisch. „Ich bin nicht im Dienst!“
Sie hatte Recht, musste Janeway sich selbst eingestehen. „Ich würde sie aber gerne wieder im Dienst sehen. Am Steuer, um genau zu sein.“
Ein gewohnt freches Lächeln zierte die Lippen Tema’nas. „Wenn das so ist... Ich entschuldige mich für meine Untat, Captain!“
Die Kommandantin der Voyager sah sie ungläubig und verwundert an. Hatte Tema’na sich gerade wirklich entschuldigt? Oder tat sie das nur unter dem Einfluss des hochprozentigen Romulanischen Getränkes? Das würde sich noch herausstellen, aber definitiv war Tema’na bereit das Steuer wieder zu übernehmen, nachdem ihre zwei Romulanischen Lebern den Alkohol verarbeitet hatten.
Und wer weiß? Vielleicht hatte der erneute Streit zwischen Janeway und Tema’na ihre Beziehung und die Integration der Romulanerin gefördert. Aber auch das würde sich noch herausstellen und der Captain nahm sich vor, von vornherein pessimistisch an die Sache heran zu gehen.
Zu oft hatte sie bereits gedacht, Tema’na würde sich bessern.
Kerzenlicht flackerte und diente als einzige Lichtquelle, abgesehen von gedämpften Leuchten an den Fenstern und dem Sonnenlicht, das von der Sonne des Sol-Systemes ausging.
Tuvok meditierte und hatte – in gewohnter Weise – die Augen starr auf irgendeinen Punkt fixiert und die Fingerkuppen aneinander gesetzt. Er dachte noch immer über die Worte des Diktators nach und je mehr er mit seiner vulkanischen Logik versuchte, sie zu verstehen, desto unverständlicher wurden sie.
Er hatte das Gefühl, dass er nur mit menschlichem Verständnis an diese ethische Frage, die aufgeworfen worden war, herangehen konnte.
Das Unterdrücken von Meinungen und als ketzerisch bezeichneten Gedanken war eines der Hauptziele von Diktaturen. Ohne diese Unterdrückung waren sie überhaupt nicht lebensfähig, was die Geschichte der Erde oft gezeigt hatte.
Auch auf seinem Planeten gab es früher Diktaturen, zur Anfangszeit, als Chaos geherrscht hatte. Und das war auch der Anreiz für ihn, über Yklors Worte nachzudenken.
Er war ein verabscheuungswürdiger und brutaler, größenwahnsinniger Herrscher, ein machtsüchtiger Diktator gewesen. Aber trotzdem hatte seine am Ende gezeigte Reue und sein Selbstmord doch bewiesen, dass er durchaus fähig war, rationell zu urteilen. Daher waren seine Gedanken, seine Meinungen und Prinzipien vielleicht weitaus weniger anstößig, als alle dachten.
Diktaturen wurden allgemein als korrupt und grausam angesehen, aber in den richtigen Händen, konnten sie in der Tat einen gut strukturierten und effizienten Staat errichten. Zweifellos waren in der Vergangenheit und auch auf der Heimatwelt Yklors viele Menschen durch eine Diktatur gestorben, aber doch nur, weil diejenigen, die die Alleinherrschaft ausführten, immerzu größenwahnsinnig und geisteskrank gewesen waren.
Eine Diktatur vermochte es, wesentlich schneller Entscheidungen durchzuführen. Schon oft hatte sich die lange Bedenkzeit des Föderationsrates als Falle erwiesen. Fakt war natürlich, dass man alle Meinungen zu berücksichtigen hatte. Aber trotzdem erkannte Tuvok auch durchaus Vorteile. Doch er sah ein, dass die Nachteile ganz klar überwogen. Gleichzeitig war er schockiert, als er bemerkte, wie überzeugend ihm Yklor der Allmächtige die Vorteile einer Diktatur präsentiert hatte.
Schnell verwarf er seine eben noch gehegten Gedanken. Ethik und Moral vertrug sich offenbar nicht mit Logik. Er wurde aus seinen Gedanken geworfen, als der Türmelder summte.
Mit einem Seufzer stand er aus seinem Schneidersitz auf und ging in gemäßigtem Tempo zur Tür.
Commander Chakotay stand vor ihm, mit einer Reisetasche um den Arm.
„Commander... Es freut mich, dass sie wieder zurück sind.“
„Das mit dem Freuen glaube ich ihnen zwar nicht, aber trotzdem danke, Tuvok!“ Der Erste Offizier lachte und setzte sich auf Tuvoks Sofa, während der Vulkanier das Licht aktivierte.
„Habe ich Sie bei etwas gestört?“, fragte Chakotay, als er die Kerzen und Artefakte betrachtete.
„Nicht mehr als üblich.“
„Wie soll ich das verstehen?“, fragte Chakotay mit einem Ausdruck der Belustigung.
„Das sollte eine sarkastische Bemerkung sein, darauf anspielend, dass Vulkanier sich stets gestört fühlen, da wir immer Überlegungen durchführen.“
„Sie sind doch kein Android!“
Tuvok nickte. „Das stimmt, aber nichtsdestotrotz verfügen wir über mehr... Kapazität.“
„Wie Sie meinen“, sah Chakotay amüsiert ein. „Aber ich bin eigentlich nicht gekommen, um Sie zu stören, sondern um mich bei Ihnen zu bedanken.“
Der vulkanische Sicherheitsoffizier hob eine Braue. „Commander?“
„Dass ich noch Commander bin und die meisten anderen nicht verklagt wurden, haben wir Ihrer schriftlichen Einschätzung zu verdanken.“
„Diese Einschätzung ist alt, Commander. Ich habe sie lediglich noch um mir neu aufgefallene Aspekte ergänzt, aber der Grundtext ist ein Bericht, den ich während meiner Zeit als Agent verfasst habe und in dem ich zu Ihren Führungsqualitäten und wahren Zielen Stellung nehmen sollte. Ich hatte die Aufgabe, eine Art Kurzbiographie über sie zu verfassen.“
„Das... ist lange her. Aber trotzdem, danke!“
„Ich hatte nur logisch gehandelt!“
Chakotay hatte auf diese Antwort bereits gewartet und musste grinsen. „Und bestimmt nicht mehr als üblich?“
„Bestimmt“, erwiderte Tuvok. Und hätte es der erste Offizier nicht genauer gewusst, hätte man aus Tuvoks Stimme einen Hauch von freundschaftlichem Humor heraushören können.
Janeway saß unter dem Fenster in ihrem abgedunkelten Quartier. Die Sterne spiegelten sich in ihren Augen. Und sie wusste spätestens seit den Ereignissen der vergangenen Tage, dass dort draußen mehr Ungerechtigkeit, mehr Hass, mehr verwerfliche Regime und unmoralische, schier wahnsinnige Personen existierten, als sie es nach ihrer sieben Jahre langen Reise vermutet hatte. Sie wusste noch immer nicht, ob ihre Entscheidung richtig war, aber sie hoffte es.
Yklor der Allmächtige hatte seine „Allmacht“ genutzt und Reue, tiefe Reue gezeigt. Er hatte das eingesehen, was niemand vor ihm getan hatte.
Adolf Hitler hatte sich aus Feigheit selbst erschossen, Caesar wurde von vierundvierzig Dolchen erstochen. Dies war nur ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte von Diktaturen.
Sie wünschte den Beta-Rolki eine friedliche Zukunft. Möglicherweise würden sie bald sogar den Warpantrieb erfinden, wie einst auf der Erde, nach einem Atomkrieg und einem Zeitalter von Herrschern.
Ihre Entscheidung ihn ausliefern zu wollen, war richtig und hatte letztendlich zu dem geführt, was für alle und für Yklor selbst das Beste war. Sie war der Captain, sie hatte das Kommando, sie hatte die Befehlsgewalt. Daher musste sie ihre Befehle nur vor einer Person verantworten: vor sich selbst. Doch trotzdem zweifelte Kathryn. Warum nur? Weil sie Chakotay nicht um Rat gefragt hatte? Weil sie aus Angst vor dem Diktator ihn loswerden wollte und sich in ein ethisches und moralisches Dilemma manövriert hatte?
Sie hatte die Beförderung zu einem Admiral vor ein paar Wochen der Familie wegen abgelehnt, weil sie ihr Schiff und ihre Crew weiterhin kommandieren wollte. Aber es war auch nicht mehr die alte Familie. Das hatten die Prozesse gegen die ehemalige Maquis-Crew gezeigt. Prozesse gegen ihr Vertraute, gegen von ihr geliebte Menschen.
Im Delta-Quadranten waren sie allein gewesen. Aber im Föderationsraum, in ihrer Heimat, waren sie umso verwundbarer, war Janeways Familie umso gefährdeter. Und sie wusste eines genau: Irgendwann würde diese Familie zerbrechen – endgültig. Aber noch war es nicht so weit.
Ein Piepsen brachte sie ruckartig aus ihren Gedanken. Sie hob ihren Kopf von der Couch und blickte zur Tür.
„Herein!“, befahl sie dem Wartenden vor der Tür.
Die doppelflügelige Tür glitt sanft auseinander und gewährte Janeway einen hoffnungsvollen Blick, einen Blick auf eine Person, die sie sehr vermisst hatte in den letzten Tagen. Sie stand auf und ging ihm entgegen, während er eintrat. Er, Chakotay, ihr Erster Offizier.
„Chakotay...“
Die beiden schlossen sich freundschaftlich in ihre Arme.
Janeway war es in dem Moment egal, dass sie Captain war. Freundschaft und Familie, das war ihr wichtiger als irgendein höherer Rang. „Ich hatte sie nicht so früh erwartet!“, bemerkte sie, als sie sich aus seiner Umarmung gelöst hatte. „Wenn das Ihre Frau sehen würde...“, ergänzte sie noch mit einem breiten Grinsen und bat ihn mit einer einladenden Geste sich auf ihr Sofa zu setzen. „Ist es ihnen zu dunkel?“
„Oh nein, es ist gut so... Die Gerichtssäle sind so extrem beleuchtet, da tut es gut, mal im Dunkeln sitzen zu dürfen...“
Janeway kam mit einem mit Kaffee beladenen Tablett vom Replikator zurück und stellte es auf den runden Tisch in der Mitte ihrer Sofagarnitur. „Und? Wie war es?“, fragte sie, den Kaffee einschenkend.
„Wie war was?“, entgegnete ihr erster Offizier.
„Die Verhandlungen...“
Chakotay schüttelte den Kopf. „Fragen sie nicht. Nun ja. Unsere Bestrafung besteht lediglich aus einem Eintrag in den Akten, da wir uns so rühmlich verhalten haben... und in einigen schwerwiegenden Fällen aus einer Degradierung... Ich wurde degradiert, aber dann wiederum aufgrund meiner vorbildlichen Leistungen zum Commander ehrenhalber befördert – trotz der Einsprüche der Cardassianer...“
„Keine Sorge“, meinte sein Captain, „sie bleiben immer mein erster Offizier, Chakotay...“
Das funkelnde Sternenlicht in ihren Augen verschwamm, als sich bei ihren Worten Tränen in den Augen der Kommandantin bildeten.
Beide schmunzelten.
„Aber das ist nicht das, was ich meine... Es war sehr einseitig.“
Janeway sah ihn, mit einer in Falten liegenden Stirn als Zeichen der Verständnislosigkeit, an. „Einseitig?“
„Einseitig“, wiederholte er. „Ja, sie waren sehr einseitig. Die Richter ließen uns alle kaum zu Wort kommen. Es schien so, als würden sie am liebsten das Todesurteil aussprechen, damit die Cardassianer auch an den letzten Maquis Rache üben konnten... Sie schienen eine Abneigung gegen alle von uns zu haben. Unsere Intuitionen, dem Maquis überhaupt erst beizutreten, blieben unerhört...“
„Wie eine Diktatur...“
Er sah sie ebenso fragend an, wie sie zuvor ihn. „Was?“
„Oh, das ist eine lange Geschichte... Sagen wir, dass die Diktatur, die Unterdrückung, gar nicht so weit entfernt ist...“ Sie erhob sich. „Wir mögen denken, dass unsere Geschichte uns klug gemacht hat, uns vor den Gefahren der Unterdrückung, vor der Unethik, vor Diktatoren und wahnsinnigen, machtbesessenen Herrschern warnt. Aber es wird immer Menschen geben, die es schaffen können, Demokratie und Recht, alle Prinzipien, an die wir glauben, zu vernichten...“
Chakotay sah sie an und versuchte ihre tiefgründigen Antworten zu verkraften. „Das muss ja eine sehr, sehr lange Geschichte sein...“
...und die Reise geht weiter - am kommenden Sonntag, den 18.08.2002
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DER DIKTATOR
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Quelle: treknews.de
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