Chronik der Chaoten
Der Getränkeautomat - eine LeidensgeschichteVon Werewolf, in Chronik der Chaoten,
Doch eines schönen Tages hatte die Schulleitung Erbarmen und schickte sich an, die Schar von Schülern zu erlösen. Eine Nachricht, die scheinbar unglaublich war, machte die Runde: ein Getränkeautomat sollte in der Schule aufgestellt werden, an dem man sich alle möglichen Leckereien, ja sogar Suppen kaufen könne. So begann das schier unerträgliche Warten auf das Produkt höchster deutscher Ingenieurskunst und tatsächlich, irgendwann stand er vor uns in der Aula. Rechteckig, grau, mit lustigen roten Lämpchen verziert. Konnte man sich einen schöneren Anblick vorstellen? Ganz gewiss, doch der schnöde Ästhet in uns könnte besänftigt werden, wenn das Endprodukt stimmte. Lange Zeit hatten nur einige wenige das Vergnügen die Waren des Automaten zu begutachten. In einem Anflug strategischer Planungssicherheit wurde das Gerät direkt neben dem Eingang zum Schulhof positioniert, was sich nicht gerade als weise Entscheidung herausstellen sollte. Nun war nämlich für gut eine Woche der Eingang in die Freiheit der Natur kaum passierbar, denn eine immens lange Schlange, wie man sie nur vom Sommerschlussverkauf kannte, hatte sich vor dem Getränkeautomaten aufgestellt und wollten ihn um seine Getränke bringen.
Die Endprodukte, die wir für gutes Geld entgegen nahmen, waren, nennen wir es mal so, interessant. Kennt jemand das von langen Reisen, wenn man eine Cola-Flasche trinken möchte und irgendjemand hatte nicht den Deckel richtig verschlossen, so dass sämtliche Kohlensäure entwichen war? Nun, so schmeckte auch die Cola dieses Automaten. Die Quintessenz dieses sprudelnden Getränkes, dieses Aushängeschildes des America Way of Life fehlte schlicht und einfach. Auch die Suppen- und Kaffeekreationen waren eher bescheiden und so wandten sich immer mehr junge ABC-Schützen von dem Automaten ab und traten wieder den strafbaren Weg zur Tankstelle an. Kultig blieb bei dem Automaten nur der Umstand, dass man in eine Öffnung die Pappbecher einwerfen und sich so Hoffnung auf einen Pfand machen konnte, zumindest lautete die Theorie so.
Nun, am Ende unserer schulischen Laufbahn mussten wir eines heiteren Morgens feststellen, dass der Automat mir nichts, dir nichts aus der Aula verschwunden war. Das Gerät, welches jahrelang nur ein Schattendasein gefristet und doch ein Teil unseres Lebens gewesen war, war auf einmal verschwunden. Wo mag es nur sein? Auf irgendeiner Mülldeponie, herzlos abgeladen von einem eiskalten Kapitalisten? Oder beglückte er inzwischen die Schüler einer anderen Anstalt?
Sicher, er war nicht schön gewesen und viele hatten ihn nicht mehr beachtet, doch er war immer ein Teil unseres Schullebens gewesen. Wenn wir morgens die Schule betraten oder sie mittags verließen, so hatte er immer schweigsam dagestanden und uns daran erinnert, wie gut dass Essen doch zu Hause war.
Wo auch immer du sein magst, lieber Getränkeautomat, alles Gute!
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