Solange es Literaturverfilmungen gibt, solange streiten sich Kritiker und Publikum darüber, was nun besser sei: der Film oder das Buch. Wie schon der erste Teil der "Herr der Ringe"-Saga, kann auch der zweite Harry Potter - Film ohne diese Diskussion auskommen und durchaus selbstständig auf eigenen Beinen stehen. Abstriche müssen zwar immer gemacht werden, was aber unter Umständen zur Straffung der Handlung und Erhöhung des Erzähltempos beitragen kann.
Die Story braucht man hier nicht noch einmal wiederzugeben, da diese landläufig bekannt sein dürfte. Und genauso fix wie diese Kritik, steigt auch der Film in die Handlung ein. Die Hauptdarsteller werden nicht länger vorgestellt, man setzt einfach vorraus, dass jeder den ersten Film gesehen hat. Neue Zuschauer müssen sich halt erst mal mit der Nennung des Namens begnügen.
Schon die erste Einstellung zeigt: Unser Protagonist ist älter geworden, macht einen reiferen Eindruck. Wüsste man nicht, dass Harry Potter (Daniel Radcliffe) gerade mal 12 (in der Realität immerhin schon 13) Jahre alt ist und erst die zweite Klasse der Zaubererschule Hogwart besucht, könnte man meinen, unser Held habe eine längere Pause gemacht. Das macht sich auch im restlichen Film bemerkbar (und bringt gleichzeitig das Problem, sich einen neuen Darsteller suchen zu müssen). Harry ist nicht mehr der schüchterne, eher introvertierte Junge aus dem ersten Teil, sondern ergreift durchaus die Initiative und zieht dadurch seinen besten Freund Ron Weasley (Rupert Grint) in die eine oder andere heikle Situation. Zum positiven verändert hat sich auch die dritte im Bunde, Hermine Granger (Emma Watson) welche nun nicht mehr hochnäsig und besserwisserisch erscheint, sondern sich nun in unser "Team Potter" integriert hat. Man kann durchaus sagen, der Film ist mit seinen Protagonisten älter geworden, wenn auch zunächst nur ein (fiktives) Jahr.
Der Film beginnt, wie man es halt von den Harry Potter-Büchern her gewohnt ist, zuhause bei den Dursleys, man besucht die Winkelgasse (diesmal nicht so reibungslos), man reist nach Hogwarts (diesmal ebenfalls nicht so reibungslos), schleicht durch dunkle Gänge und Korridore, wird vor eine ganze Reihe Rätsel gestellt und das Ganze endet wie schon in Teil Eins mit der Lösung und einem spektakulären Endkampf. Wirklich spektakulär neues darf man in der Handlung nicht erwarten, abgesehen vielleicht von ein paar neuen Monstern und diversen neuen Charakteren. Das Schema des Films folgt weitgehend dem aus Teil Eins. Zwar gilt "Die Kammer des Schreckens" als eines der besseren Werke der Buchserie, aber es ist irgendwie immer, als kehrt man nach Hause zurück und trifft alte Freunde wieder. So lebt der Film hauptsächlich vom Wiedererkennungswert, aber vor allem von der visuellen Umsetzung. Diese Welt der Zauberer verbreitet leicht mittelalterlichen, oder besser, viktorianischen Charme. Es gibt keine Handys, Faxgeräte oder gar Computer. All das, wozu im realen Leben elektrischer Strom und moderne Technik benötigt wird, erledigt in Hogwarts die Magie. D.h. fast: da es unlogisch wäre, dass sich Zauberstäbe selbst reparieren können, benutzt Ron einmal ganz stink normales... nein, alles will ich natürlich nicht verraten.
Selbst das einzige Auto weit und breit in dieser Welt, ein uralter Ford Anglia, kann fliegen, verfügt über einen Tarnmodus (Star Trek lässt grüssen) und führt auch sonst ein Eigenleben. Dazu kommen unzählige liebevoll angeordnete Details im Hintergrund. Angefangen von der Küche im (genial konstruierten) Haus der Weasleys bis zum Büro des Schulleisters Dumbledore (Richard Harris), Meisterleistungen der Produktionsdesigner, die schon beim ersten Film eine Oscar-Nominierung einbrachten. Ein recht schneller, wohl an heutige jugendliche Sehgewohnheiten angepasster Schnitt, verleiht dem Film einiges an Tempo. Und natürlich die Kameraführung... Super!
Was auffällt: der Film ist weitaus düsterer als der erste, was sich auch auf den Humorgehalt auswirkt. Die Gags kommen ziemlich dosiert und manche Situationen reizen eher zum stillen Schmunzeln als zum lauten Lachen. Und es ist zum Beispiel auf die Dauer geradezu nervig (und auch unglaubwürdig), wenn Ron alle paar Augenblicke sein entsetztes, ängstliches Gesicht aufsetzt, aber kurze Zeit später seinem Freund scheinbar todesmutig in jeden dunklen Gang folgt. Und davon gibt es viele...
Harry Potter II ist sicher kein Kinderfilm, sondern eher auf ein universelles Publikum verschiedener Altersstufen ausgerichtet. Obwohl für FSK 6 freigegeben, würde ich Kinder diesen Alters noch nicht mit ins Kino nehmen, FSK 12 wäre angemessener gewesen. Allerdings wäre es schon skurril, dem Film nahezu die gleiche FSK zu verpassen, wie das Alter des Helden. Der Film spart nicht mit heftigen Szenen, die zwar bis auf ein paar dunkle Spritzer im Endkampf, recht unblutig ausgehen, jüngere Kinder aber durchaus überfordern könnten. Ich meine, riesige Spinnen und noch riesigere Schlangenmonster sind ja keine Schosstiere, Barbiepuppen oder Teddybären, sondern haben eher ihren Platz den Alpträumen selbiger Kids. Übrigens: um FSK 6 zu bekommen, wurde in der deutschen Version leider geschnitten. So fehlt zum Beispiel eine Szene in der Sequenz in der Harry Potter und seine Gefährten im Auto von der "schlagenden Weide" festgehalten werden. Der Baum droht "Ich töte dich. Ich zerfetze dich" und greift in das fliegende Fahrzeug. Nach Ansicht der FSK war diese Szene zu "heftig" und fiel daher der Schere zum Opfer. Ok, vielleicht sind Kiddies von heute aber auch entsprechend abgehärtet und unsereins schwingt hier zu sehr den pädagogischen Zeigefinger...
Zurück zu den Darstellern:
zusätzlich zu den schon bekannten Personen wird eine Anzahl neuer Charaktere eingeführt, aus der ich mir stellvertretend drei herauspicke. Da wäre zunächst einmal Gilderoy Lockhart, der Professor für die dunklen Künste, dargestellt von einem der wohl besten Shakespeare-Darsteller, Kenneth Branagh, bekannt aus Filmen, wie "Heinrich VIII" oder "Mary Shelleys Frankenstein". Schon im Buch von J.K. Rowling wohl als übertrieben-satirischer Seitenhieb auf Starrummel und die Mitglieder der eigenen Zunft gedacht, nimmt man dem Darsteller seine Rolle sofort ab. Extravagant und egozentrisch bis zum Geht-nicht-mehr, dabei der absolute Liebling aller Schülerinnen, erfolgreicher Buchautor und immer sprichwörtlich mit einem "Traraaa" auf der Bildfläche erscheinend. Während das Kollegium eher in traditioneller Spitzhut-und-Kutte-Gewandung herumläuft, bevorzugt er helle, möglichst auffällige Kleidung. Eine absolute Paraderolle für Branagh, die er sehr überzeugend ausfüllt.
Neu im Kreis der Charaktere ist auch Lucius Malfoy, Draco Malfoys Vater, dargestellt von Jason Isaacs, bekannt aus "Black Hawk Down" oder "Der Patriot". Der Darsteller scheint wohl auf Bösewichte abonniert zu sein, geht man die Liste seiner bisherigen Rollen durch. Die als britischer Eliteoffizier aus "Der Patriot" ist dem Verfasser noch sehr gut in Erinnerung. Und ebenso hinterhältig schätzt man den Charakter des Malfoy ein. In den nächsten Filmen wird dieser bekanntlich eine etwas größere Rolle spielen. Auch hier die absolute Idealbesetzung.
Ja, und dann wäre da noch ein Wesen, welches zwar ebenfalls neu ist, aber leider in der Realität nur aus Bits und Bytes besteht: der Haus-Elf Dobby. Komplett im Computer animiert, stellt Dobby so etwas wie die unterdrückte Kreatur da, die durch gute Behandlung und dadurch, dass man sie ernst nimmt, zu neuem Selbstbewusstsein findet. Grosse Glubschaugen, klein, halt ein Wesen mit dem man schon wegen seines Aussehens Mitleid haben muss. Allerdings würde ich mir unter einem Elfen doch zunächst etwas anderes vorstellen als eine unterernährte Version von Meister Yoda. Nun ja, kommt es vielleicht daher, dass Dobby ein Produkt aus dem Hause "Industrial Light and Magic" ist ? Glücklicherweise ist diese Figur trotz ihrer für die Handlung recht wichtigen Rolle aber nicht so übermäßig präsent, wie seinerzeit ein Jar Jar Binks in Star Wars I und deshalb noch einigermaßen erträglich. Weniger lustig fand ich allerdings die ausgeprägte Neigung dieses Wesens, sich für jeden, wenn auch nur angeblichen Fehler, mittels "Mit-dem-Kopf-gegen-etwas-Hartes-Schlagens" selbst zu bestrafen. Das hinterlies einen schlechten Beigeschmack... Ansonsten aber eine perfekte Animation.
ILM und Kollegen haben überhaupt wieder sehr gute Arbeit abgeliefert. Beispielsweise wirken die Riesenspinnen um einiges realistischer als im sommerlichen Spinnen-Ulk "Arac Attac". Wohl auch, weil diese nicht zu 100 % aus der Retorte stammten, sondern teilweise mit viel Hydraulik nachgebaut wurden. Oder Harrys Reise 50 Jahre in die Vergangenheit, die passend zu den Filmen der damaligen Zeit in schwarzweiß (mit buntem Harry mittendrin) gezeigt wird.
Für den Regisseur Chris Columbus, der durch seinen Welterfolg "Kevin - Allein zu Haus, bekannt wurde, ist dies sein zweiter Harry Potter - Film. Die Dreharbeiten begannen am 19. November 2001 in den Leavesden Studios/Herfordshire sowie an Drehorten in England - nur drei Tage nach dem Kinostart von "Harry Potter und der Stein der Weisen", der inzwischen auf Platz zwei der umsatzstärksten Filme aller Zeiten steht. Columbus musste im Sommer/Herbst 2001 aber nicht nur diesen schneiden und abmischen, sondern gleichzeitig auch die Vorbreitungsphase für den zweiten Film überwachen. "Das war eine strapaziöse Zeit, aber wir haben mit ´Stein der Weisen` eine Menge Erfahrungen gesammelt, die ich unbedingt sofort auf den zweiten Film anwenden wollte", erinnert sich Columbus, "Wir schufteten wirklich bis zum Umfallen", pflichtet Produzent David Heyman ihm bei. Glücklicherweise haben wir durch den ersten Film eine Menge gelernt - davon profitieren wir ebenso wie von dem Umstand, dass unser Produktionsteam gleich weiter machen konnte." Das merkt man dem Film auch an, eine gewisse Kontinuität ist dadurch gewahrt. Und das sich diese Arbeitsweise ja bewährt hat, beweist eindrucksvoll die "Herr der Ringe"-Trilogie vom Kollegen Peter Jackson.
Die Musik stammt, wie sollte es anders sein, wieder von Altmeister John Williams. Es ist klar, dass auch hier keine neuen Ideen erwartet werden können. Das bekannte Grundthema ist natürlich zu hören, und auch sonst reiht sich die Musik nahtlos an den Score des ersten Films. Eindrucksvoll ist die Musik aber allemal. Vielleicht nicht gerade eins von Williams Meisterwerken, aber doch passend und eingängig in der Melodie. Wie wir das halt von typischen Williams-Stücken her gewohnt sind. Williams ist halt Williams...
Nach recht schnell vergangenen zweieinhalb Stunden fragt man sich allerdings trotzdem, wo denn bei alledem die erwartete Hochspannung geblieben ist. Damit wir uns richtig verstehen: "Harry Potter und die Kammer des Schreckens" ist kurzweilige Unterhaltung und für Leute, die noch nie etwas von Harry und Freunden gehört haben, durchaus spannend. Ebenso wehre ich mich entschieden dagegen, den Film als Neuaufguss des Ersten zu bezeichnen. Jemand, der das Buch gelesen hat (das werden wohl die meisten Besucher sein) wird seinen Schwerpunkt beim Betrachten des Filmes aber auf Anderes legen und trotzdem seinen Spass haben. Es empfiehlt sich in jedem Fall, die Original-Version anzuschauen, oder in einem halben Jahr die DVD zu kaufen.
Der neue Potter ist eine nette, aufwendige phantastische Unterhaltung, die das Warten auf "Der Herr der Ringe - die Zwei Türme" bestens verkürzt. Hmm, hab ich das nicht schon mal irgendwo gelesen ? Egal, dann schließe ich mich der Meinung einfach an.
Ach ja, man sollte während des Nachspanns nicht gleich aus dem Saal rennen... Da kommt noch ein kleiner, aber feiner Gag hinterher...
Roger Murmann
http://www.sftd-online.de
Quelle: treknews.de
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